Kündigungsschutz bei Schwangerschaft ab Vertragsschluss

Eine schwangere Arbeitnehmerin genießt bereits ab dem Abschluss des Arbeitsvertrags den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG. Damit ist eine Kündigung des Arbeitgebers vor dem Beginn der vereinbarten Aufnahme der Tätigkeit unwirksam.

Der Arbeitgeber, ein Rechtsanwalt, der in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, schloss mit der Arbeitnehmerin Anfang Dezember 2017 einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Rechtsanwaltsfachangestellte. Im Arbeitsvertrag wurde vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis am 1. Februar 2018 beginne sollte. Der Vertrag wurde unbefristet abgeschlossen mit einer Probezeit von sechs Monaten. Während der Probezeit sollte das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden können. Im Falle einer schuldhaften Nichtaufnahme oder vertragswidrigen Beendigung der Tätigkeit sollte die Arbeitnehmerin eine Vertragsstrafe zahlen. Außerdem wurde vereinbart, dass sie bereits in der Zeit vom 27. bis zum 29. Dezember 2017 für eine tägliche Arbeitszeit von mindestens fünf Stunden auf Abruf zur Verfügung stehen sollte.

Schwangerschaft vor Beginn des Arbeitsverhältnisses

Mit Schreiben vom 18. Januar 2018 informierte die Arbeitnehmerin ihren künftigen Arbeitgeber darüber, dass bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt und aufgrund einer chronischen Vorerkrankung "mit sofortiger Wirkung ein komplettes Beschäftigungsverbot" attestiert worden sei. Daraufhin kündigte der Rechtsanwalt "das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis" mit Schreiben vom 30. Januar 2018 zum 14. Februar 2018.

Dagegen klagte die Arbeitnehmerin vor dem Arbeitsgericht. Sie machte geltend, die Kündigung sei aufgrund des Kündigungsverbots gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam. Ihr Arbeitgeber vertrat die Ansicht, dass das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG auf arbeitgeberseitige Kündigungen vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme keine Anwendung finde. Ansonsten würde dies einen unzulässigen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers darstellen.

Rechtsstreit durch alle Instanzen

Vor dem Arbeitsgericht Kassel und dem Landesarbeitsgericht Frankfurt unterlag der Arbeitgeber in den beiden ersten Instanzen. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin statt und das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Arbeitgebers zurück.

Auch die dagegen eingelegte Revision des Arbeitgebers hatte vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) keinen Erfolg.

Nach Auffassung des BAG war die Kündigung des Arbeitgebers vom 30. Januar 2018 unwirksam. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG gelte insbesondere auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme.

BAG: Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig

Zwar sei hier der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig. Es sei auch eine Lesart möglich, wonach die Geltung des Mutterschutzgesetzes und damit des Kündigungsverbots in § 17 Abs. 1 MuSchG voraussetzt, dass eine Beschäftigung bereits in Vollzug gesetzt, die Tätigkeit also bereits aufgenommen ist. Aber schon die Gesetzessystematik lege ein Verständnis nahe, wonach es nur auf das Bestehen eines auf eine Beschäftigung gerichteten Rechtsverhältnisses ankommt. Ein solches entsteht bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrags. Dies gilt selbst dann, wenn die Tätigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden soll. Auch in diesem Fall werden bereits mit dem Vertragsabschluss wechselseitige Verpflichtungen begründet.

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die vereinbarte Tätigkeit ab dem vereinbarten Zeitpunkt zu erbringen, der Arbeitgeber, ihn ab diesem Zeitpunkt zu beschäftigen und vertragsgemäß zu vergüten. Auch Nebenpflichten wie die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gegenpartei entstehen bereits mit Vertragsabschluss. Dem steht nicht entgegen, dass im arbeitsrechtlichen Sprachgebrauch für den Beginn des Arbeitsverhältnisses auf den vereinbarten Einstellungszeitpunkt beziehungsweise den vereinbarten Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme abgestellt wird. Das zutreffende Verständnis des Merkmals "Arbeitsverhältnis" ist vom jeweiligen Regelungszweck abhängig. Grundsätzlich sei der maßgebliche Zeitpunkt für den Beginn eines Arbeitsverhältnisses der Abschluss des Arbeitsvertrags, unabhängig vom möglicherweise davon abweichenden Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitsaufnahme.

Regelung im Einklang mit europäischem Recht

Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG setzt Art. 10 der europäischen Mutterschutzrichtlinie um. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Kündigungen von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs zu verbieten.

Dies sei nur möglich, wenn die Kündigung eines Arbeitsvertrags unabhängig davon unzulässig ist, ob die Tätigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden soll. Ein rechtlich geschütztes Bedürfnis, das die wirtschaftliche Existenz sichernde Arbeitsverhältnis zu erhalten, besteht auch bei einer vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme bekannt gegebenen Schwangerschaft. Damit eine Beschäftigung während der Schwangerschaft fortgesetzt werden kann, ist es erforderlich, dass eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch bereits vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme ausgeschlossen ist. Dass mit "Beschäftigung" auch insoweit nicht lediglich eine tatsächliche Ausübung der Tätigkeit, sondern das zugrundeliegende Beschäftigungsverhältnis gemeint ist, ergibt sich schon daraus, dass das Mutterschutzgesetz mit den Leistungen nach §§ 18 ff. MuSchG gerade auch für Zeiten eines Beschäftigungsverbots eine wirtschaftliche Absicherung der Frau sicherstellen soll.

BAG-Richter sehen keine Verfassungsverstöße

Auch verfassungsrechtliche Bedenken sahen die BAG-Richter nicht. Insbesondere sei die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit durch das Kündigungsverbot zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet, erforderlich und angemessen. Das Kündigungsverbot gelte nur zeitlich begrenzt und die Kosten für die Zeiten von Beschäftigungsverboten gemäß den §§ 18, 20 MuSchG müsse nicht alleine der Arbeitgeber tragen.

Damit ist nun erstmals höchstrichterlich entschieden, dass das Kündigungsverbot auch dann gilt, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis einer Schwangeren vor dessen Beginn fristgemäß kündigt.

Aus Arbeitgebersicht bedeutet dies, dass eine Kündigung vor Aufnahme der Tätigkeit aussichtslos ist, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG vorliegen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.2.2020, Az. 2 AZR 498/19


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Schlagworte zum Thema:  Kündigungsschutz, Mutterschutz, BAG-Urteil