Teilkrankschreibung made in Wolkenkuckucksheim


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Kitik an der Einführung einer Teilarbeitsunfähigkeit

Der "ExpertInnenrat Gesundheit und Resilienz" der Bundesregierung hat untersucht, warum die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland so hoch ist. Eine der Handlungsempfehlungen lautet, man solle eine gesetzliche Regelung schaffen, die eine teilweise Krankschreibung und damit die Ausstellung einer abgestuften Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ermöglicht. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller setzt sich mit diesem Vorschlag kritisch auseinander.

Und schon wieder eine Sau, die durch das Dorf getrieben wird: Nach den Karenztagen (siehe Kolumne "Karenztage bringen mehr Probleme als Nutzen") kommt nun die Teilarbeitsunfähigkeit, vorgeschlagen vom ExpertInnenrat der Bundesregierung zu den Themen Gesundheit und Resilienz. In der gesamten Empfehlung finden sich etliche gute Vorschläge wie beispielsweise betriebliche Gesundheitsangebote, die Stärkung der emotionalen Bindung der Beschäftigten an den Arbeitsplatz bzw. an den Arbeitgeber, Anreize zu einem gesunden Verhalten mittels Dienstfahrrädern oder externen Sportangeboten sowie die Schaffung eines allgemein wertschätzenden Arbeitsklimas. Freilich ohne eine Silbe darüber zu verlieren, wie das im Detail aussehen soll und wer das finanziert.

Teilweise Krankschreibung: der Vorschlag im Wortlaut

"Einführung einer gesetzlichen Regelung, die eine teilweise Krankschreibung und damit die Ausstellung einer abgestuften AU-Bescheinigung ermöglicht. Dies würde erlauben, während einer Krankschreibung den beruflichen Aufgaben im gesundheitlich möglichen Umfang weiterhin nachzukommen, beispielsweise mit mobilem Arbeiten und/oder mit reduzierter Stundenzahl. Diese Option ist besonders geeignet für Berufsgruppen, die anteilig „mobil“ arbeiten können. Anlässe wären z. B. temporäre Einschränkungen der Mobilität oder Infektiosität. Der Umfang einer Teil-Krankschreibung richtet sich nach dem Grad der erhaltenen Arbeitsfähigkeit. Arbeitgeber können die Möglichkeiten der Teilkrankschreibung bspw. durch organisatorische Maßnahmen (Home-Office, Flexibilisierung der Arbeitszeiten; ggf. mit berufsgruppen- oder arbeitsfeldspezifischen Lösungsansätzen) unterstützen."

Der Status Quo in Deutschland

Erst einmal sprechen wir in Deutschland nicht von Krankschreibung, sondern von Arbeitsunfähigkeit. § 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG) lautet: "Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, ...". Wir haben also als Voraussetzung erstens, dass eine Krankheit vorliegt. In der Erkenntnis, dass nicht jede Krankheit zwingend die Arbeitsunfähigkeit nach sich zieht, muss die Erkrankung zweitens kausal sein für die Verhinderung der Erbringung der Arbeitsleistung.

Fallgruppe eins: Teil-AU nicht nötig

Sehen wir uns nun die Beispiele der Expertenkommission an: Bei "temporären Einschränkungen der Mobilität oder Infektiosität" gäbe es Berufsgruppen, die anteilig mobil arbeiten können. Das klingt vernünftig, allerdings liegt dann in der Regel keine Arbeitsunfähigkeit vor. Der Buchhalter mag mit gebrochenem Bein nicht Autofahren können, aber das gebrochene Bein hindert ihn nicht an der Erbringung seiner Arbeitsleistung. Daher: keine Arbeitsunfähigkeit. Die Infektiosität einer Syndikusanwältin mag eine Indikation sein, den Kontakt mit anderen zu meiden, aber bei der betrieblichen Möglichkeit von Homeoffice hindert sie dies nicht an der Erbringung der Arbeitsleistung. Daher auch hier: keine Arbeitsunfähigkeit.

Fallgruppe zwei: Teil-AU nicht möglich

Es gibt hinreichend viele Berufsgruppen und Unternehmen, bei denen die tatsächliche oder organisatorische Teilarbeitsunfähigkeit organisatorisch nicht möglich ist, zumindest nicht ohne überzogene organisatorische Anforderungen an den Arbeitgeber. Weil gerade der Streik der Müllwerker hinter uns liegt: dort besteht ein Team aus vier Beschäftigten, die eine feste Tour haben. Nach vier Stunden – typischerweise am vom Arbeitsbeginn am weitesten entfernten Ort – beginnt die Teil-AU eines Kollegen. Und nun? Lässt man ihn in der Pampa stehen? Soll er den Bus nehmen, mit dem er vielleicht doppelt so lange nach Hause unterwegs ist, wie er seinen Arbeitsweg hatte?

Aber auch aus organisatorischer Sicht wäre eine Teil-AU ein schwieriges Unterfangen. In einem Produktionsbetrieb mit Schichtarbeit kann man durchaus Vorkehrungen für den Ausfall von Beschäftigten treffen. Das wird auch gemacht (was angesichts der teilweise hohen Krankenstände durchaus sinnvoll ist). Wenn man von einer durchschnittlichen Anfahrtszeit zur Arbeit von 30 Minuten (das Gros der Beschäftigten hat laut Statistischem Bundesamt eine Anfahrtszeit von bis zu 50 Minuten) ausgeht, dann möchte ein ersatzweise herbeigerufener "Springer" schon seine volle Arbeitszeit arbeiten, üblicherweise sieben oder acht Stunden. Sonst lohnt sich die Hin- und Rückfahrt nicht. Der Arbeitgeber müsste also um den Springer "herumplanen", also die Arbeitszeit des Springers um die beispielsweise vier Stunden der Teilarbeitsunfähigkeit versetzen. Im Dreischicht-Betrieb ist das völlig unmöglich. Man stelle sich vor, der Teil-Arbeitsunfähige arbeitet von 6 bis 10 Uhr, was dann zwei Springer-Einsätze von 10 bis 18 und von 18 bis 2 Uhr nach sich zieht. Und was macht man mit den vier Stunden bis zum erneuten Einsatz des Teil-Arbeitsunfähigen? Man mag mir Phantasielosigkeit nachsagen. Aber erörtern Sie das mal mit einem Schichtplaner.

Und schließlich wäre da noch der Aspekt der Gerechtigkeit. Ich stelle mir das bildlich vor: "Herr X kann nur mit leichten Tätigkeiten betraut werden". Und nun lassen wir Herrn X auf dem Bau arbeiten. Seine Kollegen schleppen die schweren Säcke, machen Überkopfarbeit und all die anderen weniger geliebten Tätigkeiten – und der teilarbeitsunfähige Herr X macht die leichten Tätigkeiten. Hängt den Bauplan auf, misst hier und da etwas nach und kümmert sich um all die Tätigkeiten, die über den Arbeitstag hinweg eigentlich auch die anderen Kollegen von der Schwere ihrer Arbeit zumindest zeitweise entlasten. Zum einen führt das zu einer gesundheitlich höheren Belastung der Kolleginnen und Kollegen. Zum anderen aber auch zu, sagen wir einmal vorsichtig, weniger guten Gefühlen dem Teil-Arbeitsunfähigen gegenüber.

Anspruch auf Teil-Arbeit?

Ich ahne es schon: Wenn das Thema vom Gesetzgeber aufgegriffen werden sollte, wird auch gleich ein Anspruch daraus. Ein Anspruch, entsprechend der Teil-AU beschäftigt zu werden. Und - die obigen Beispiele zeigen es - das ist eben nicht immer möglich.

Natürlich gibt es Fälle, wo dies machbar ist. Wir sehen dies heute schon bei Wiedereingliederungsmaßnahmen. Aber jeder Praktiker, der dies hin und wieder umsetzen muss, kann ein Lied über die organisatorischen Umstände singen. Aber da weiß man zumindest, dass es sich nur um einen Überbrückungszeitraum handelt, der zudem gut planbar ist. Die Teil-AU wäre weder planbar noch eine bloße Überbrückung, sondern ein nicht handhabbares Dauerphänomen.

Und welche Auswirkungen gälte es darüber hinaus zu berücksichtigen? Kann eine Teil-AU auch länger als sechs Wochen andauern? Wer bezahlt bei zeitlicher Einschränkung den Teil, den ein Teil-Arbeitsunfähiger nicht arbeiten kann? Ist für ihn auch nach sechs Wochen Teilarbeitsunfähigkeit in einem Jahr ein Betriebliches Eingliederungsmanagement vorzusehen? Es gäbe noch eine Reihe weiterer Fragen …

Sind bessere Lösungen möglich?

Dem Expertengremium gehören Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen an. Vertreten sind unter anderem Public Health, Epidemiologie, Ethik, Medizin, Informatik, Statistik, Modellierung, Pflegewissenschaft, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Sozialwissenschaften und Virologie. Man merkt leider sofort, dass sie sich des in der Praxis vorhandenen Sachverstands nicht bedienen und eher in einem akademischen Wolkenkuckucksheim beheimatet sind.

Schade. Denn ein paar Ansätze, die die Wirtschaft von hohen Entgeltfortzahlungskosten entlasten können, werden nicht gesehen. Der im obigen Beispiel genannte Buchhalter mit dem gebrochenen Bein oder die genannte Syndikusanwältin: Bei richtiger Anwendung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie dürften beide ohnehin nicht arbeitsunfähig geschrieben werden. Manchmal würde es schon reichen, die bestehenden Regelungen einfach nur anzuwenden.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.