Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplan und Gleichbehandlungsgrundsatz
Leitsatz (redaktionell)
Die Betriebspartner sind nicht gehalten, Sozialplanleistungen stets nach einer bestimmten Formel zu bemessen. Sie können - insbesondere in kleineren Betrieben - solche Leistungen auch nach den ihnen bekannten Verhältnissen der betroffenen Arbeitnehmer individuell festlegen.
Die Betriebspartner dürfen dabei jedoch nicht nach unzulässigen Kriterien, etwa nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer, differenzieren.
Normenkette
BetrVG § 75 Abs. 1, § 112 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.07.1983; Aktenzeichen 2 Sa 36/83) |
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 22.12.1982; Aktenzeichen 3 Ca 228/82) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung.
Die im Zeitpunkt der Kündigung 31-jährige Klägerin war in der von der Beklagten in P betriebenen Brauerei vom 16. Oktober 1972 bis zum 30. September 1982 als kaufmännische Angestellte bei einer täglichen Arbeitszeit von 4 1/2 Stunden beschäftigt. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Das monatliche Bruttoentgelt der Klägerin betrug zuletzt 1.494,-- DM.
Wegen der Betriebsstillegung kündigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 25. März 1982 zum 30. September 1982. Gleichzeitig wurde der Klägerin mitgeteilt, daß eine Abfindung in Höhe von 3.300,-- DM gezahlt werde.
Diese Abfindung ergab sich für die Klägerin aus einem am 23. März 1982 aus Anlaß der Betriebsstillegung zwischen der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Betriebsrat vereinbarten Sozialplan. Dieser lautet, soweit hier von Bedeutung, wie folgt:
"§ 1
Sozialplan
----------
1.1 Zur Milderung von sozialen Härten, die
sich aus der Stillegung des Betriebes
ergeben, erhalten die Arbeitnehmer eine
Abfindung.
...
§ 8
8.0 Abfindungen
-----------
8.1 Die Höhe der Abfindungen ist zwischen
den Vertragspartnern unter Berücksich-
tigung wirtschaftlicher Möglichkeiten
und individueller Gesichtspunkte fest-
gelegt worden.
...
§ 10
10.0 Schlußbemerkungen
-----------------
10.1 Die Vertragsparteien sind sich darüber
einig, daß die in der Anlage ausgewie-
senen Abfindungen auf einer Gesamtbasis
von DM 350.000,-- beruhen. Wegen der
besonderen Unternehmensstruktur, der
Alters- und Sozialstruktur der Beleg-
schaft, der derzeitigen Gesamtwirtschafts-
lage und der speziellen Situation auf
dem Arbeitsmarkt wurde diesem Sozialplan
für die Klosterbrauerei ein weiterer Be-
trag von DM 85.300,-- zur Verfügung ge-
stellt."
Diesem Sozialplan war als Anlage eine von beiden Betriebspartnern unterschriebene "Abfindungstabelle" beigefügt. Diese enthielt die Namen der 27 Arbeitnehmer der Beklagten, deren Geburtsdatum und Alter, Eintrittsdatum und Betriebszugehörigkeit und wies für jeden Arbeitnehmer die zu zahlende Summe in einem festen DM-Betrag aus. Die Abfindungsbeträge schwanken zwischen 400,-- DM und 33.000,-- DM. Für die Klägerin ist ein Betrag von 3.300,-- DM ausgewiesen.
Die Klägerin verlangt eine höhere Abfindung. Sie behauptet, die Betriebspartner hätten zunächst für jeden Arbeitnehmer nach einer von der Beklagten vorgeschlagenen Formel "Alter x Betriebszugehörigkeit x 12" eine "Formelabfindung" berechnet. Die sich daraus ergebenden Abfindungen seien dem Betriebsrat zu gering gewesen. Die Beklagte habe daraufhin, wie in § 10 des Sozialplanes ausgewiesen, einen weiteren Betrag von 85.300,-- DM zur Verfügung gestellt. Dieser zusätzliche Betrag sei nicht an alle, sondern nur an 20 Arbeitnehmer verteilt worden, die sämtlich der Gewerkschaft angehörten. Die Beklagte habe so die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer bessergestellt als die nichtorganisierten Arbeitnehmer, um den Betriebsrat zu beschwichtigen. Ein solcher Sozialplan entspräche nicht den Grundsätzen von Recht und Billigkeit und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz schon deswegen, weil es an objektiven Verteilungsmaßstäben fehle. Sie ist der Ansicht, ihr stehe mindestens ein Betrag von 9.000,-- DM zu. Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
9.000,-- DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, bei der Aufstockung des Grundbetrages sei von den Betriebspartnern die individuelle Situation jedes einzelnen Arbeitnehmers berücksichtigt worden. Man habe insbesondere diejenigen Arbeitnehmer zusätzlich begünstigen wollen, die das 40. und 50. Lebensjahr überschritten hätten und die infolge ihres Berufes nur schwer eine andere Arbeit hätten finden können. Eine Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern sei nicht beabsichtigt gewesen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Klägerin eine höhere Abfindung nicht zusteht.
Als Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren kommt allein der von den Betriebspartnern anläßlich der Betriebsstillegung abgeschlossene Sozialplan vom 23. März 1982 in Betracht. Eine Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG kann die Klägerin schon deswegen nicht verlangen, weil die Beklagte mit dem Betriebsrat anläßlich der Betriebsstillegung einen Interessenausgleich nicht nur versucht, sondern diesen auch herbeigeführt hat. Der Betriebsrat hat der Betriebsstillegung mit den im Interessenausgleich festgelegten Modalitäten zugestimmt.
Im Sozialplan ist der Abfindungsanspruch der Klägerin mit 3.300,-- DM ausgewiesen. Diesen Betrag hat die Klägerin erhalten.
Dieser Sozialplan ist nicht deswegen unwirksam, weil die in ihm festgelegten Abfindungsbeträge sich nicht nach einer bestimmten einheitlichen Formel oder sonstigen ausdrücklich ausgewiesenen Kriterien errechnen. Die Betriebspartner sind innerhalb der Grenzen von Recht und Billigkeit frei darüber zu befinden, in welchem Umfange sie die wirtschaftlichen Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen wollen. Sie können insbesondere in einem Kleinbetrieb, wo die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer bekannt sind und daher für jeden einzelnen absehbar ist, welche wirtschaftlichen Nachteile zu erwarten sind, auch so verfahren, daß sie die an die einzelnen Arbeitnehmer zu zahlenden Abfindungen individuell festlegen. Sie sind nicht verpflichtet, im Sozialplan selbst auszuweisen, auf welche Weise sie zu den einzelnen Abfindungsbeträgen gekommen sind.
Ein solches Vorgehen darf allerdings nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen; die Betriebspartner dürfen nicht nach unzulässigen Kriterien differenzieren. Nach § 75 Abs. 1 BetrVG haben die Betriebspartner gemeinsam darüber zu wachen, daß jede unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer u.a. wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung unterbleibt. Sie dürfen daher auch bei der Festlegung von Abfindungen in einem Sozialplan Arbeitnehmern nicht deswegen eine höhere Abfindung zuerkennen, weil diese Mitglied einer Gewerkschaft sind. Ein solches Vorgehen verstieße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, und die Klägerin könnte als Nicht-Gewerkschaftsmitglied in einem solchen Falle eine gleiche Behandlung verlangen, wie sie Gewerkschaftsmitgliedern bei der Bemessung der Abfindung zugekommen ist.
Das Landesarbeitsgericht hat jedoch festgestellt, daß bei der Festlegung der endgültigen Abfindungsbeträge nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer differenziert worden ist. Es hat dargelegt, daß sich die Betriebspartner bei der Aufstockung der zunächst ermittelten Formelabfindung an den in § 10.1 des Sozialplanes ausdrücklich genannten Kriterien, nämlich an der besonderen Unternehmensstruktur der Beklagten, der Alters- und Sozialstruktur der Belegschaft, der damaligen Gesamtwirtschaftslage und der speziellen Situation auf dem Arbeitsmarkt orientiert haben. Danach sei eine höhere Abfindung nur an diejenigen Arbeitnehmer gezahlt worden, die älter als 40 Jahre gewesen seien. Der weiter bedachte Arbeitnehmer W, der jünger als 40 Jahre war, sei deswegen berücksichtigt worden, weil dieser als gelernter Brauer aufgrund seiner beruflichen Spezialisierung nur schwer einen Arbeitsplatz finden konnte.
An diese Feststellungen ist das Revisionsgericht gebunden. Die Klägerin hat keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Soweit sie geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe ihre Beweisangebote nicht berücksichtigt, fehlt es schon an der Angabe darüber, welche Beweise sie angeboten hat. In ihren vorinstanzlichen Schriftsätzen jedenfalls findet sich ein solches Beweisangebot nicht.
Wenn das Landesarbeitsgericht aufgrund dieser Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt, die Betriebspartner hätten sich bei der Aufstockung der Abfindungsbeträge von sachlichen Kriterien leiten lassen, so ist diese Würdigung rechtlich nicht zu beanstanden. Alter und berufliche Situation eines entlassenen Arbeitnehmers sind Umstände, die eine Aussage über die zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteile nach der Entlassung zulassen und daher bei der Bemessung einer Abfindung berücksichtigt werden können. Von diesen Kriterien haben sich die Betriebspartner auch durchgehend leiten lassen. Abweichungen von dieser Regel sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nur scheinbare Ausnahmen. Der 50-jährige Arbeitnehmer B hat deswegen keine höhere Abfindung erhalten, weil er anschließend als selbständiger Bierverleger für die Beklagte tätig wurde. Die 54-jährige Arbeiterin Wi hat keine höhere Abfindung erhalten, weil sie nur stundenweise als Putzhilfe für die Beklagte tätig war und als solche auch in einem Betrieb außerhalb des Brauereigewerbes wieder eine Arbeitsstelle finden kann. Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht übersehen, daß die Formelabfindung ausschließlich bei denjenigen Arbeitnehmern erhöht worden ist, die Mitglieder der Gewerkschaft sind. Wenn es dies als zufälliges Ergebnis bezeichnet hat, so ist das nicht zu beanstanden. Die nicht bedachten sieben Arbeitnehmer sind - mit Ausnahme des Arbeiters B - einmal jünger und zum anderen als Angestellte oder Putzhilfen für die Beklagte tätig gewesen. Daß Angestellte und Putzhilfen Mitglieder einer Gewerkschaft sind, ist erfahrungsgemäß seltener. Das Landesarbeitsgericht weist auch zutreffend darauf hin, daß die Erhöhung der Abfindungen für diejenigen Arbeitnehmer, die Mitglieder der Gewerkschaft waren, durchaus nicht im gleichen Umfang erfolgt ist. Die Formelabfindungen sind vielmehr ganz unterschiedlich, nämlich zwischen 7 % und 200 % erhöht worden. Auch das spricht gegen eine Besserstellung gerade mit Rücksicht auf die Gewerkschaftszugehörigkeit.
Unbegründet ist schließlich auch der Vorwurf der Revision, das Landesarbeitsgericht habe sich von sich aus bemüht, im nachhinein eine Legitimation für die jeweiligen Abfindungsbeträge zu finden und die Differenzierung nach dem Lebensalter in den Sozialplan "hineinkonstruiert". Die Beklagte hat vielmehr von Anfang an vorgetragen, daß gerade die Abfindungen derjenigen Arbeitnehmer aufgestockt werden sollten, die älter als 40 Jahre waren und aufgrund ihrer beruflichen Situation nur schwer einen neuen Arbeitsplatz finden könnten und daß man damit den in § 10.1 des Sozialplanes festgelegten Kriterien gerecht werden wollte. Dieses Vorbringen hat das Landesarbeitsgericht geprüft und festgestellt, daß tatsächlich so verfahren worden ist.
Damit haben die Betriebspartner bei der Festlegung der Abfindungsbeträge nach sachlichen Kriterien differenziert. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen das Differenzierungsverbot nach § 75 BetrVG liegt damit nicht vor. Die Klägerin kann keine höhere Abfindung verlangen. Die Revision mußte daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückgewiesen werden.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Dr. Hoffmann Dr. Gentz
Fundstellen
Haufe-Index 437291 |
BB 1985, 1129-1130 (LT1) |
DB 1985, 1487-1487 (LT1) |
ARST 1985, 165-166 (LT1) |
BlStSozArbR 1985, 298-299 (T) |
NZA 1985, 717-718 (LT1) |
AP § 112 BetrVG 1972 (LT1), Nr 25 |
EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 33 (LT1) |