Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanabfindung - Eintragung unterhaltsberechtigter Kinder in die Lohnsteuerkarte
Leitsatz (redaktionell)
Die Betriebspartner sind aus Gründen der praktikablen Durchführung einer Sozialplanregelung befugt, die Zahlung eines Abfindungszuschlags für unterhaltsberechtigte Kinder davon abhängig zu machen, daß diese auf der Lohnsteuerkarte eingetragen sind. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Gegenüber Arbeitnehmern aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft verstößt eine solche Regelung auch nicht gegen Art 48 EWG-Vertrag, da auch diese Arbeitnehmer die im Heimatstaat lebenden Kinder nach § 32 Abs 1 und 6 Satz 4 EStG idF des Gesetzes vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S 2310) in die Lohnsteuerkarte eintragen lassen können.
Normenkette
EGVtr Art. 48 (jetzt Art. 39 EG); BetrVG § 75; GG Art. 3 Abs. 1; BetrVG § 112; EStG § 32 Abs. 6 S. 4
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrages für unterhaltsberechtigte Kinder aus einem Sozialplan.
Der Kläger ist spanischer Staatsangehöriger und war bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 30. Juni 1994 durch eine Arbeitgeberkündigung aus betriebsbedingten Gründen wegen Betriebsschließung. Aufgrund des Sozialplanes vom 9. März 1994 zahlte die Beklagte an den Kläger eine Abfindung. Der Kläger begehrt darüber hinaus gemäß Ziffer 5 b) des Sozialplanes eine zusätzliche Abfindung für seine im Jahre 1979 geborene unterhaltsberechtigte Tochter, die in Spanien bei seiner Ehefrau lebt.
Ziffer 5 b) des Sozialplanes bestimmt:
"Mitarbeiter, die infolge der Betriebsschließung
ausscheiden und denen kein zumutbarer neuer Ar-
beitsplatz bei einem anderen Arbeitgeber angebo-
ten wird und die am 04.02.1994 ein oder mehrere
unterhaltsberechtigte Kinder ausweislich ihrer
Steuerkarte haben, erhalten 1.000,-- DM pro un-
terhaltspflichtigem Kind als zusätzliche Abfin-
dung."
Der Kläger ist der Auffassung, diese Sozialplanregelung verstoße, soweit sie den Anspruch auf eine zusätzliche Abfindung von der Eintragung des unterhaltsberechtigten Kindes in die Lohnsteuerkarte abhängig mache und zur Nichtberücksichtigung seiner in Spanien lebenden Tochter führe, gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot. Seine in Spanien lebende Tochter habe in die Lohnsteuerkarte nicht eingetragen werden können. Im übrigen bestehe der Sozialplananspruch schon bei Vorhandensein eines unterhaltsberechtigten Kindes. Durch die Eintragung in die Lohnsteuerkarte solle lediglich der Nachweis der Unterhaltspflicht vereinfacht werden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.000,00 DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, es liege kein Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot vor. Die Eintragung unterhaltsberechtigter Kinder in die Lohnsteuerkarte sei im Hinblick auf die Berechnung der Gesamtkosten des Sozialplans und einer praktikablen Abwicklung erforderlich und vom Ermessensspielraum der Sozialpartner bei Abschluß des Sozialplans gedeckt gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Klageabweisung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Anspruch des Klägers auf die zusätzliche Abfindung für sein unterhaltsberechtigtes Kind sei begründet. Den Sozialplananspruch von der Eintragung eines Kindes in die Lohnsteuerkarte abhängig zu machen, verstoße gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht. Da das in Spanien lebende Kind des Klägers nicht in die Lohnsteuerkarte habe eingetragen werden können, behandele diese Sozialplanregelung den Kläger wegen seiner Angehörigkeit zu einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft ungleich. Die diskriminierende Bedingung der Eintragung in die Lohnsteuerkarte sei auch nicht aus einem triftigen Grunde gerechtfertigt und damit nichtig.
Mit dieser Begründung kann der Klage nicht stattgegeben werden.
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die zusätzliche Abfindung für sein unterhaltsberechtigtes Kind.
1. Der Anspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus Ziffer 5 b) des Sozialplans. Danach erhalten nur diejenigen Mitarbeiter, die am 4. Februar 1994 ein oder mehrere unterhaltsberechtigte Kinder ausweislich ihrer Steuerkarte haben, eine zusätzliche Abfindung von 1.000,00 DM pro unterhaltsberechtigtem Kind. Der Wortlaut "ausweislich ihrer Steuerkarte" bringt klar und deutlich zum Ausdruck, daß für den Anspruch nicht allein die Existenz unterhaltsberechtigter Kinder maßgeblich sein soll, sondern daß darüber hinaus deren Eintragung in die Steuerkarte erforderlich ist. Bei diesem klaren und eindeutigen Wortlaut bleibt für eine Auslegung der Sozialplanregelung in dem Sinne, daß alle Mitarbeiter mit unterhaltsberechtigten Kindern einen Anspruch auf die Abfindung haben, kein Raum.
Da die Tochter des Klägers nicht in seiner Steuerkarte eingetragen war, kann er seinen Anspruch nicht aus Ziffer 5 b) des Sozialplans herleiten.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich der Anspruch des Klägers auf Anwendung der Ziffer 5 b) des Sozialplans auch nicht aus Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68. Nach diesen Bestimmungen ist jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen verboten. Entgegenstehende Regelungen sind nichtig. Eine solche unterschiedliche Behandlung liegt nicht vor.
Der Kläger kann sich nicht mit der Begründung auf dieses gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot berufen, sein in Spanien lebendes Kind habe nach deutschem Steuerrecht nicht auf die Lohnsteuerkarte 1994 eingetragen werden können. Dies ist rechtlich unzutreffend. Gemäß § 32 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 4 EStG in der Fassung des STMBG vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2310) waren im Veranlagungszeitraum 1994 Kinderfreibeträge auch für nicht unbeschränkt steuerpflichtige Kinder (Auslandskinder) je nach den wirtschaftlichen Verhältnissen am Wohnsitz der Kinder einzutragen (§ 32 Abs. 6 Satz 4 EStG). Es galt die Ländergruppeneinteilung gemäß dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 11. Februar 1989 (Bundessteuerblatt I, S. 463). Aufgrund dieser Rechtslage verstößt Ziffer 5 b) des Sozialplanes nicht gegen die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts. Der Kläger wird nicht wegen seiner Staatsangehörigkeit ungleich behandelt. Deutsche und Arbeitnehmer aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union können ihre unterhaltspflichtigen Kinder in die Lohnsteuerkarte 1994 eintragen lassen und haben bei Eintragung gleichermaßen einen Anspruch auf die zusätzliche Sozialplanabfindung. Da das Landesarbeitsgericht in Verkennung des innerstaatlichen Steuerrechts den Anspruch als begründet angesehen hat, war seine Entscheidung aufzuheben.
3. Der Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG bzw. dem betriebsverfassungsrechtlichen (§ 75 Abs. 1 BetrVG) oder arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Zwar behandelt Ziffer 5 b) des Sozialplans Arbeitnehmer mit unterhaltsberechtigten Kindern insoweit ungleich, als der Abfindungsanspruch nur bei Eintragung in die Lohnsteuerkarte, nicht aber bei fehlender Eintragung gewährt wird. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt und führt damit nicht zur Unwirksamkeit der Sozialplanregelung.
a) Nach § 75 BetrVG haben die Betriebspartner bei der Vereinbarung eines Sozialplans die betroffenen Arbeitnehmer nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln. Sie müssen insbesondere den verfassungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Dieser verbietet jedoch lediglich eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder einzelner Arbeitnehmergruppen gegenüber anderen Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen in vergleichbarer Lage. Eine Differenzierung ist sachfremd, wenn es für sie keine sachlichen und billigenswerten Gründe gibt, die unterschiedliche Behandlung sich vielmehr als sachwidrig und willkürlich erweist (vgl. BAG Urteil vom 9. November 1994 - 10 AZR 281/94 - AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972, m.w.N.). Die sachliche Berechtigung einer unterschiedlichen Behandlung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen kann sich einmal aus dem Zweck der Sozialplanleistungen ergeben, mit denen wirtschaftliche Nachteile von einer Betriebsänderung betroffener Arbeitnehmer ausgeglichen oder gemildert werden sollen.
b) Für Sozialplanleistungen stehen regelmäßig nur bestimmte Finanzierungsmittel zur Verfügung. Bei Abschluß eines Sozialplans muß für den Arbeitgeber erkennbar sein, welche finanziellen Belastungen auf ihn zukommen. Von daher ist es geboten und durch ein berechtigtes Interesse gerechtfertigt, daß die Anspruchsvoraussetzungen an bekannte und feststehende tatsächliche Umstände anknüpfen, die eine Berechnung des Aufwandes ermöglichen. Aus diesem Grund hat das Bundesarbeitsgericht es für zulässig gehalten, wenn nach dem Sozialplan eine höhere Abfindung nur an solche schwerbehinderten Arbeitnehmer gezahlt wird, deren Schwerbehinderteneigenschaft im Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans festgestellt ist. Bei einer solchen Regelung können Arbeitnehmer, deren Schwerbehinderteneigenschaft erst rückwirkend festgestellt wird, keine Gleichbehandlung verlangen (vgl. BAG Urteil vom 19. April 1983 - 1 AZR 498/81 - AP Nr. 124 zu Art. 3 GG). Aus dem gleichen Grund ist es sachlich auch vertretbar und damit nicht willkürlich, wenn Ziffer 5 b) des Sozialplans nur für solche Mitarbeiter eine erhöhte Abfindung vorgesehen hat, deren unterhaltspflichtige Kinder in der Lohnsteuerkarte eingetragen sind.
c) Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 20. April 1994 (- 10 AZR 323/93 - AP Nr. 77 zu § 112 BetrVG 1972) ausgesprochen, daß die Betriebspartner bei der Vereinbarung eines Sozialplans auch darauf Bedacht nehmen können, daß die vereinbarte Regelung praktikabel ist und nicht zu einem unzumutbaren Verwaltungsaufwand führt. Diesem Bedürfnis nach praktikabler Ausführung der Regelung dient auch Ziff. 5 b) des Sozialplans, wenn hier darauf abgestellt wird, daß das unterhaltsberechtigte Kind auch in die Lohnsteuerkarte eingetragen ist. Die zusätzlichen Abfindungen können anhand der vorliegenden Lohnunterlagen ohne weiteres gezahlt werden. Ohne diese Bestimmung müßte die Beklagte nachfragen, ob der Arbeitnehmer - weitere - Kinder hat und prüfen, ob er diesen gegenüber auch unterhaltspflichtig ist.
Das gilt um so mehr, als unterhaltsberechtigte Kinder in der Regel auch in der Lohnsteuerkarte eingetragen sind. Wenn das im Einzelfall nicht der Fall ist, mögen dafür unterschiedliche Gründe bestimmend gewesen sein, die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen. Eine Sozialplanregelung muß dem Arbeitgeber nicht zumuten, diesen Gründen nachzugehen und die Zusatzabfindung davon abhängig zu machen.
Dem Kläger mag nicht bekannt gewesen sein, daß seine in Spanien lebende Tochter (jetzt) in die Lohnsteuerkarte hätte eingetragen werden können. Das kann aber nicht dem Betriebspartner oder der Beklagten angelastet werden, für die nicht einmal feststeht, ob ihnen überhaupt die steuerliche Behandlung von im Ausland lebenden Kindern ihrer Arbeitnehmer bekannt waren.
Es liegt deshalb kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, wenn der Sozialplan Arbeitnehmer von der zusätzlichen Abfindungszahlung ausnimmt, deren unterhaltsberechtigte Kinder nicht in der Steuerkarte eingetragen waren.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Matthes Dr. Jobs Hauck
Schlaefke Lindemann
Fundstellen
Haufe-Index 436653 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 252 |
BB 1997, 1592 (Leitsatz 1) |
BB 1997, 1897-1898 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BB 1997, 680 (Kurzwiedergabe) |
DB 1997, 1522-1523 (Leitsatz 1 und Gründe) |
DB 1997, 683 (Kurzwiedergabe) |
NWB 1997, 1281 |
BuW 1997, 320 (Kurzwiedergabe) |
BuW 1997, 639-640 (Kurzwiedergabe) |
EBE/BAG 1997, 106-107 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EBE/BAG Beilage 1997, Ls 144/97 (Leitsatz 1) |
AiB 1997, 475-476 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BetrR 1997, 45 (Kurzwiedergabe) |
BetrVG, (33) (Leitsatz 1 und Gründe) |
ARST 1997, 189 (Leitsatz 1) |
ARST 1997, 96-97 (Kurzwiedergabe) |
ASP 1997, Nr 3/4, 69 (Kurzwiedergabe) |
EWiR 1997, 733 (Leitsatz 1) |
NZA 1997, 1058 |
NZA 1997, 1058-1059 (Leitsatz 1 und Gründe) |
Quelle 1997, Nr 11, 32 (Leitsatz 1) |
ZAP, EN-Nr 300/97 (red. Leitsatz) |
AP § 112 BetrVG 1972, Nr 111 |
AP § 75 BetrVG 1972 (Leitsatz 1), Nr 36 |
AP, (Leitsatz 1) |
AR-Blattei, ES 1470 Nr 74 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ArbuR 1997, 337 (Leitsatz 1) |
EuroAS 1997, 62 (Kurzwiedergabe) |
EzA-SD 1997, Nr 13, 13 (Leitsatz 1) |
EzA-SD 1997, Nr 6, 3 (Kurzwiedergabe) |
EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 93 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzA, (Leitsatz 1) |
NJ 1997, 447 (Leitsatz 1) |
PERSONAL 1997, 482 (Leitsatz 1) |