Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinbarkeit von § 23 Abs 1 S 2 KSchG mit Art 3 GG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Regelung des § 23 Abs 1 Satz 2 KSchG, wonach der 1. Abschnitt des Gesetzes über den allgemeinen Kündigungsschutz nicht für Betriebe gilt, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz der Verfassung (Art 3 GG).
2. Zur Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO bei verzögerter Päckchen- statt Briefbeförderung.
Orientierungssatz
Entstehungsgeschichte zur Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 18.04.1989; Aktenzeichen 11 Sa 107/89) |
ArbG Rheine (Entscheidung vom 20.12.1988; Aktenzeichen 1 Ca 741/89) |
Tatbestand
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1986 als Zahntechniker gegen eine monatliche Bruttovergütung von 2.700,-- DM beschäftigt. Bei der Beklagten sind in der Regel ohne die Auszubildenden nur fünf Arbeitnehmer tätig.
Mit Schreiben vom 8. Juli 1988 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger fristgerecht zum 24. Juli 1988; eine Begründung enthält das Kündigungsschreiben nicht.
Mit seiner am 21. Juli 1988 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und deren Sozialwidrigkeit geltend gemacht. Das Kündigungsschutzgesetz müsse auch auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finden, da § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG, wonach der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes für Kleinbetriebe nicht gelte, verfassungswidrig sei. Dazu hat der Kläger die Auffassung vertreten, die eventuell ursprünglichen Absichten des Gesetzgebers, den Kleinbetriebsinhaber nicht mit einer Pflicht zur Weiterbeschäftigung oder mit Abfindungen zu belasten, könne zumindest seit der Gesetzesänderung aufgrund des Beschäftigungsförderungsgesetzes nicht mehr verfangen, denn auch alle Teilzeitbeschäftigten, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn Stunden oder monatlich 45 Stunden nicht übersteige, die also bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl nach § 23 Abs. 1 KSchG nicht mitgezählt werden, gehörten tatsächlich dem Betrieb an. Die ursprüngliche Vorstellung von einem Kleinbetrieb gelte daher nicht mehr. Nach den Motiven des Kündigungsschutzgesetzes gehe es auch um einen Bestands- nicht um einen Abfindungsschutz, ohne daß ein sachlicher Grund ersichtlich sei, die Arbeitnehmer in Kleinbetrieben insoweit zu benachteiligen. Nach einem Forschungsbericht aus dem Jahre 1978 würden 22 % aller Kündigungen in Kleinbetrieben ausgesprochen, wo zudem die Kündigungsquote viel höher liege als in größeren Betrieben. Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes verstoße daher gegen Art. 3 Abs. 1 und auch Art. 19 Abs. 4 GG. Auch der Arbeitnehmer im Kleinbetrieb habe einen Anspruch auf Justizgewährung. Im übrigen mache die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes im Kleinbetrieb keine Schwierigkeiten: Bei betriebsbedingten Kündigungen sei eine Sozialauswahl problemlos, verhaltensbedingte Kündigungen seien aufgrund der persönlichen Kontakte leichter begründbar ebenso wie personenbedingte Kündigungen wegen der betrieblichen Auswirkungen leichter durchsetzbar seien; auch gebe es keinen Betriebsrat, so daß insbesondere Formfehler sowie unvollständige oder unzutreffende Unterrichtungen des Betriebsrats nicht zur Unwirksamkeit von Kündigungen führten. Beim Sonderkündigungsschutz gebe es eine Kleinbetriebsklausel nicht, wodurch Arbeitnehmer im Falle einer Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung mangels Anwendbarkeit der §§ 9, 10 KSchG benachteiligt würden. Schließlich verstoße die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG auch gegen internationales Recht, nämlich das ILO-Übereinkommen Nr. 158.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Kündigung vom
8. Juli 1988 unwirksam ist.
Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag sich darauf berufen, für ihren Betrieb gelte das Kündigungsschutzgesetz nicht. Auch könne § 23 Abs. 1 KSchG nicht als verfassungswidrig angesehen werden, denn der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift die Kleinbetriebe nicht mit einer Weiterbeschäftigungspflicht persönlich und finanziell belasten und damit den besonderen Verhältnissen im Kleinbetrieb Rechnung tragen wollen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil das Kündigungsschutzgesetz für Kleinbetriebe nicht gelte; § 23 Abs. 1 KSchG sei nicht verfassungswidrig und andere Unwirksamkeitsgründe habe der Kläger nicht geltend gemacht. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter, beantragt die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht und macht im Hinblick auf die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geltend, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die dem Kläger am 8. Juli 1988 ausgesprochene Kündigung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt unwirksam ist, daß insbesondere das Kündigungsschutzgesetz im Kleinbetrieb der Beklagten nicht gilt, § 23 KSchG. Diese Bestimmung ist auch nicht verfassungswidrig.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die ordentliche Kündigung der Beklagten sei rechtswirksam, da das KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien angesichts der Beschäftigtenzahl keine Anwendung finde. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da diese Bestimmung lediglich die allgemeine Weisung enthalte, Gleiches gleich und Ungleiches seiner eigenen Art entsprechend verschieden zu behandeln; sie sei daher nur verletzt, wenn die in Rede stehende Regelung als willkürlich bezeichnet werden müsse. Davon könne nicht die Rede sein, weil für den Ausschluß des Kündigungsschutzes bei Arbeitsverhältnissen in Kleinbetrieben vornehmlich die engen persönlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer maßgebend gewesen seien. Selbst wenn der Einzelfallgerechtigkeit nicht in jedem Fall Rechnung getragen werde, so liege die getroffene Gesetzesentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.
Auch das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG sei gewahrt, weil der Gesetzgeber mit dem Ausschluß des Kündigungsschutzes für Arbeitsverhältnisse in Kleinbetrieben mit einer Beschäftigtenzahl von bis zu fünf Mitarbeitern den Prinzipien der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit den Vorrang eingeräumt habe; diese Entscheidung des Gesetzgebers entspreche auch den Geboten der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes.
Art. 19 Abs. 4 GG sei nicht verletzt, weil es nicht um den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt gehe, sondern um die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch einen privaten Arbeitgeber, so daß die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht eingreife.
II. Dem ist im Ergebnis und zum großen Teil in der Begründung zu folgen, wobei dem Kläger wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auf seinen rechtzeitig (§ 234 ZPO) gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war (§§ 233 f. ZPO).
1. Der Kläger hat die Revisionsbegründungsfrist, die am 26. Oktober 1989 ablief (§§ 74 ArbGG, 554 ZPO), um einen Tag versäumt. Dies ist jedoch nicht schuldhaft geschehen (§ 233 ZPO).
Der Kläger hat geltend gemacht, die Revisionsbegründungsschrift am Dienstag, den 24. Oktober 1989, nachmittags, zur Post gegeben zu haben. Dies wird hinsichtlich des Datums durch die eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten S sowie durch beglaubigte Kopien des Posteinlieferungsscheins und des Posteinlieferungsbuches glaubhaft gemacht. Auch der Selbststempler auf dem Originalumschlag trägt das Datum: 24. Oktober 1989. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BAG Beschluß vom 24. November 1977 - 5 AZB 50/77 - AP Nr. 1 zu § 233 ZPO 1977; BAG Urteil vom 2. Juni 1987 - 3 AZR 692/85 - AP Nr. 13, aa0; BVerfG NJW 1977, 1233, m.w.N.), daß Verzögerungen auf dem Postweg dem Absender nicht zuzurechnen sind, wenn er - bei vollständiger Adressierung wie hier - einen genügenden Spielraum für etwaige Verzögerungen der Post eingerechnet hat. Zumindest bei der Briefbeförderung wird dabei im allgemeinen davon ausgegangen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 47. Aufl., § 233 Anm. 4 Stichwort "Post"), bei relativ nah gelegenen Orten könne mit einer Zustellung am zweiten Tag nach Absendung gerechnet werden. Diese Rechtsprechung gilt allerdings nur für Briefsendungen, während hier die Revisionsbegründung als Päckchen mit Rückschein aufgegeben worden ist. In einem solchen Fall hat der Bundesgerichtshof - allerdings zu der früheren Vorschrift des § 233 ZPO, die einen unabwendbaren Zufall als Wiedereinsetzungsgrund voraussetzte - eine Wiedereinsetzung abgelehnt, nachdem ein sogar drei Tage vor Fristablauf in Berlin aufgegebenes Päckchen zu spät in Karlsruhe eintraf (VersR 1969, 753). Auch das Bundesarbeitsgericht (Beschluß vom 30. März 1972 - 3 AZR 27/72 - AP Nr. 60 zu § 233 ZPO) hat eine Päckchenbeförderung - nach altem Recht - als leichtfertig angesehen, wenn von einem auf den anderen Tag eine Notfrist gewahrt werden sollte. So liegt der Fall hier aber nicht: Zwischen Absendedatum (24. Oktober 1989 nachmittags) und Eingangsdatum (27. Oktober 1989) liegen zwei ganze Tage. Ob es vertretbar erscheint, wenn wegen der Päckchenbeförderung nicht ein Exemplar der Revisionsbegründung vorab per Brief abgeschickt wird (siehe dazu BAG Urteil vom 30. März 1972, AP, aa0, mit zust. Anm. von Schumann), hat der Senat durch eine Anfrage über die Päckchenlaufzeiten von Bielefeld nach Kassel mittels einer Anfrage bei der Deutschen Bundespost geklärt. Nach der amtlichen Auskunft der Deutschen Bundespost ist in der Regel am zweiten Werktag nach Einlieferung mit einer Zustellung des Päckchens zu rechnen. Der Senat sieht es deshalb nicht als schuldhaft an, wenn der Prozeßbevollmächtigte des Klägers davon ausging, mit einer Zustellung des Päckchens könne normalerweise bis zum 26. Oktober 1989 gerechnet werden.
2. Die demnach zulässige Revision ist in der Sache selbst nicht begründet. Der Kläger kann sich auf den Schutz des KSchG nicht berufen. Die Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG, wonach das Gesetz nicht in Betrieben gilt, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten tätig sind, ist nicht verfassungswidrig.
a) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Nach dieser Bestimmung sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dabei ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, daß auch der Gesetzgeber selbst an den allgemeinen Gleichheitssatz in dem Sinne gebunden ist, daß er weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandeln darf. Eine Gruppe von Normadressaten darf im Vergleich zu einer anderen Gruppe nur dann anders behandelt werden, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 55, 72, 88; 62, 256). Zwischen Arbeitsverhältnissen, die in einem Kleinbetrieb und solchen, die in größeren Betrieben bestehen, gibt es Unterschiede, die die Ungleichbehandlung durch das Gesetz rechtfertigen.
aa) Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Geltungsbereich des KSchG, die auf einer langen gesetzgeberischen Tradition beruht, geht letztlich auf mittelstandspolitische Erwägungen zurück, denen sich auch die Sozialpartner der Bundesrepublik Deutschland bei Abfassung des KSchG nicht verschlossen haben.
Das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 (RGBl. I, S. 147) sah in § 84 nur in betriebsratsfähigen Betrieben - das waren solche mit mindestens 20 Arbeitnehmern - die Möglichkeit eines Einspruchs für den gekündigten Arbeitnehmer beim Betriebsrat und im Falle der Nichteinigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Klagemöglichkeit zum Arbeitsgericht vor. Durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) vom 20. Januar 1934 (RGBl. I, S. 45) wurde alsdann für Betriebe mit zehn und mehr Arbeitnehmern der Kündigungsschutz eingeführt (§ 56). Schon hier ging man davon aus (vgl. Hueck/Nipperdey/Dietz, Kommentar zum AOG, 4. Aufl., Vorbem. § 56 Rz 3), der Grund für die Herausnahme von "Zwergbetrieben" mit weniger als zehn Beschäftigten liege darin, daß in derartigen Betrieben die Zusammenarbeit zwischen Unternehmer ("Führer") und Gefolgschaft besonders enge persönliche Beziehungen zur Folge habe und deshalb der Unternehmer in der freien Bestimmung darüber, mit wem er zusammenarbeiten wolle, nicht beschränkt werden solle; auch würde die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung den kleinen Unternehmer besonders schwer belasten. Nach der Aufhebung dieses Gesetzes durch das Kontrollratsgesetz vom 30. November 1946 mit Wirkung ab 1. Januar 1947 trat in den Bundesländern eine Rechtszersplitterung ein, die erst mit Verkündung des Kündigungsschutzgesetzes vom 10. August 1951 beendet wurde. Aber selbst die vorher geltenden landesrechtlichen Kündigungsschutzgesetze, z.B. das BRG des Landes Hessen vom 31. Mai 1948 sowie das BRG des Landes Bremen vom 10. Januar 1949 enthielten ebenfalls Beschränkungen des betrieblichen Geltungsbereichs, und zwar für Betriebe mit weniger als fünf Arbeitnehmern (vgl. KR-Becker, 3. Aufl., § 23 KSchG Rz 1).
Am 20. Juli 1949 hat dann der Wirtschaftsrat in Frankfurt kurz vor seiner Auflösung den Entwurf eines Kündigungsschutzgesetzes vorgelegt, der indessen nicht die Genehmigung der damaligen Militärregierungen fand, so daß das berechtigte Anliegen, die landesgesetzliche Rechtszersplitterung zu beseitigen, für die Bundesgesetzgebung zurückgestellt wurde. Auch dieser Entwurf (§ 17 Abs. 1) enthielt eine Kleinbetriebsklausel bis zu zehn Arbeitnehmern. Der sogenannte Hattenheimer Entwurf (RdA 1950, 63 ff.), ein von den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gemeinsam ausgearbeiteter Entwurf eines Kündigungsschutzgesetzes sah vor, nur Betriebe mit drei oder weniger Arbeitnehmern - ohne die Auszubildenden mitzuzählen - vom Kündigungsschutz auszunehmen (§ 17 Abs. 4 des Entwurfs). Der Regierungsentwurf zum Kündigungsschutzgesetz (RdA 1951, 58 ff.) übernahm in § 21 Abs. 1 Satz 2 diese Regelung. Die endgültige Festlegung auf Betriebe von nicht mehr als fünf Arbeitnehmern ohne die Auszubildenden (damals Lehrlinge) erfolgte erst im Gesetzgebungsverfahren (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Erste Wahlperiode 1949, Bd. 8, 156. und 159. Sitzung, S. 6210 bis 6220 und S. 6357 bis 6367; vgl. insbesondere S. 6358, 6360, 6361, 6363 bis 6365). In der Begründung zum Entwurf des Kündigungsschutzgesetzes (RdA 1951, 63) heißt es unter Bezugnahme auf die Absprache der Sozialpartner im Hattenheimer Entwurf lediglich, Beschränkungen nach der Betriebsgröße seien auch nach dem BRG 1920 und einzelnen Ländergesetzen nach 1945 üblich. Im Gesetzgebungsverfahren ist dann von Vertretern der Landwirtschaft und des Handwerks angestrebt worden (siehe Verhandl. des Dt. Bundestages, 3. Beratung des KSchG-Entwurfs, 159. Sitzung, Erste Wahlperiode, Band 8, S. 6357 f.; vgl. auch Hueck, Das Bundeskündigungsschutzgesetz, RdA 1951, 281 ff.), eine Beschränkung des Kündigungsschutzes auf Betriebe mit mehr als zehn Arbeitnehmern zu erreichen, was jedoch auf den Widerspruch der Gewerkschaften stieß, so daß im Hinblick auf die entgegengesetzten Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber an der Erhaltung des Arbeitsplatzes einerseits, an der freien Auswahl der Arbeitskräfte für den Betrieb andererseits mit verschiedenartigen Auswirkungen auf Industrie, Handwerk, Landwirtschaft sowie auf Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe die jetzige gesetzliche Regelung als Kompromiß gefunden worden ist. Dabei wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß die Verhältnisse in den Kleinbetrieben anders als im Großbetrieb lägen, indem nämlich im Kleinbetrieb der Arbeitgeber durch den Zwang zur Fortsetzung eines ihm nicht mehr genehmen Arbeitsverhältnisses infolge der engen Zusammenarbeit persönlich und im Hinblick auf die kleineren Verhältnisse unter Umständen auch finanziell besonders schwer belastet würde (Hueck, aa0, S. 283). Dies ist auch in der Rechtsprechung des Zweiten Senats aufgegriffen worden (BAGE 43, 80, 84 = AP Nr. 2 zu § 23 KSchG 1969).
bb) Wie diese Entstehungsgeschichte belegt, gab und gibt es sachliche Kriterien, die eine unterschiedliche Behandlung des Kündigungsschutzes in kleinen und größeren Betrieben rechtfertigten. Sie führten basierend auf einer historischen Entwicklung zu einer gesetzgeberischen Entscheidung zu Gunsten einer größeren Vertragsfreiheit des Kleinunternehmers bzw. Handwerkers. Die gesetzliche Regelung enthält damit eine Abwägung zwischen dem gebotenen Sozialschutz zu Gunsten von Arbeitnehmern (Art. 12, 20 Abs. 1 GG) und der Vertragsfreiheit zu Gunsten von Arbeitgebern (Art. 1, 2, 14 GG). Bei diesen miteinander konkurrierenden rechtspolitischen Gesichtspunkten steht dem Gesetzgeber ein weites Feld gesetzgeberischer Freiheit zu, ohne daß hier Willkür im eingangs erörterten Sinne ersichtlich ist. Aus dem gleichen Grunde hat auch der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts (Beschluß vom 17. Oktober 1989 - 1 ABR 80/88 - zur Veröffentlichung vorgesehen) in der Kleinbetriebsklausel des § 111 BetrVG keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz der Verfassung gesehen. Als sachliche Gründe für die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG lassen sich demnach zusammenfassend anführen (vgl. dazu auch Hönsch, DB 1980, 1650 ff.):
- die engen persönlichen Beziehungen des Klein-
betriebsinhabers, die einerseits einen gewissen
Schutz aus menschlicher Rücksichtnahme verbürgen,
andererseits aber auch erforderlich sind, um
überhaupt das Funktionieren einer kleinen Betriebs-
einheit zu gewährleisten, wobei sich ein gesetzlicher
Kündigungsschutz hinderlich auswirken könnte,
- die geringere verwaltungsmäßige und wirtschaftliche
Belastbarkeit der Kleinbetriebe, die sich aus der
Notwendigkeit eventueller Prozeßführung, arbeits-
rechtlich und wirtschaftlich bedingter Vorhalte-
kosten und eventuellen Abfindungszahlungen ergibt,
- die Gewährleistung größerer arbeitsmarktpolitischer
Freizügigkeit des Kleinunternehmers (u.a. Schutz des
Mittelstandes), die sowohl verläßliche marktwirt-
schaftliche Rahmenbedingungen für kleinunternehmerische
Betätigung schafft und damit im Interesse der Volks-
wirtschaft einen Ausgleich angesichts der zunehmenden
Vermarktung durch Konzerne bietet sowie gleichzeitig
eine größere Flexibilität bei Schwankungen in der
Auftragslage ermöglicht, die besonders im Kleinbetrieb
existenzgefährdend sein können.
cc) Es ist nach Auffassung des Senats nicht ernsthaft zu bezweifeln, daß sich beim Kleinbetriebsinhaber die durch das KSchG herbeigeführte Einschränkung der Vertragsfreiheit persönlich und finanziell stärker auswirken kann als beim Inhaber eines Mittel- oder Großbetriebes. Das gilt sowohl hinsichtlich einer eventuellen (Weiter-)Beschäftigungspflicht - auch während eines Kündigungsschutzprozesses (vgl. BAG Großer Senat Beschluß vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) - als auch im Hinblick auf die Abfindungsregelungen der §§ 9, 10 KSchG. Das wird besonders deutlich, wenn auf den Einmannbetrieb abgestellt wird. Stellt z.B. ein Taxiunternehmer einen Aushilfsfahrer oder ein Malermeister einen Gesellen ein, so wird einsichtig, daß die persönliche und finanzielle Belastung eines solchen "Kleinbetriebes" mit dem Kündigungsschutz als unverhältnismäßige Eingrenzung der grundgesetzlich verankerten Vertragsfreiheit (Art. 1, 2 GG) anzusehen ist. Es bleibt dann nur noch einer numerischen Abwägung überlassen, bei welcher Betriebsgröße (drei oder fünf oder zehn Beschäftigte?) einer der widerstreitenden Gesichtspunkte bevorzugt werden soll. Gerade durch die Abstrahierung und Pauschalierung aufgrund einer bestimmten Zahl (mehr als fünf Arbeitnehmer) entsteht eine Lage, die eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern aus dem Kündigungsschutz ausgrenzt. Das findet seine Rechtfertigung in der notwendigen Verallgemeinerung eines Gesetzes, die damit zugleich ein hohes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit verbürgt (vgl. von Mangold/Klein/Starck, GG, 3. Aufl., Art. 3 Abs. 1 Rz 7; Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rz 8 ff., 323; Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 3 Rz 85 ff.). Dabei ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei bevorzugender Typisierung (zu Gunsten des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer in Mittel- und Großbetrieben) weiter als bei benachteiligender Typisierung (BVerfGE 17, 23 ff.; 44, 295; von Mangold/Klein/Starck, aaO, Art. 3 Abs. 1 Rz 18). Das gilt auch dann, wenn sich durch die Bevorzugung dieses Personenkreises als Spiegelbild eine Benachteiligung der ausgegrenzten Gruppe - hier der Arbeitnehmer im Kleinbetrieb - ergibt (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, aaO, Art. 3 Rz 87).
Auch ist die Geltung des KSchG gleichsam als "Normalfall" anzusehen, während die Kleinbetriebe demgegenüber in der Minderzahl sind. Nach einem Forschungsbericht aus dem Jahre 1978 (Falke/Höland/Rohde/Zimmermann, herausgegeben vom BMA, S. 74) waren 10,7 % der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Kleinbetrieben (eins bis fünf Beschäftigte) tätig, wobei die Zahl der arbeitgeberseitigen Kündigungen dort auf 20,8 % hochgerechnet wurde. Legt man diese Zahlen zugrunde, werden jedenfalls 9/10 aller Betriebe und 4/5 aller ausgesprochenen Kündigungen vom Kündigungsschutz erfaßt. Damit erscheint die durch Gesetz angestrebte Verallgemeinerung noch tragfähig. Denn Art. 3 Abs. 1 GG kann nicht dahin verstanden werden, eine Regelung als verfassungswidrig anzusehen, wenn dieselbe ohne Abgrenzung zweckmäßiger und gerechter wäre oder dem Gleichheitssatz besser entspräche (BVerfGE 27, 371; Leibholz/Rinck/Hesselberger, aaO, Art. 3 Rz 96). Deshalb sind auch die Überlegungen, wie der Kündigungsschutz in Kleinbetrieben verbessert werden könnte, hier nicht von Belang, wenn auch eine solche Verbesserung de lege ferenda vielleicht wünschenswert wäre (so KR-Becker, aaO, § 23 KSchG Rz 7; Becker/Rommelsbacher, ZRP, 1976, 42, 43; Bitter, Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 16, S. 29, 43; Bock, DB 1988, 2205; Herschel, SozFort 1979, 153; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 23 Rz 2; Hetzel, Das Arbeitsverhältnis im Kleinbetrieb, 1983, S. 312; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 23 Rz 4). Demgegenüber wird aber auch für eine Beibehaltung der bisherigen Ausnahmeregelung plädiert (Hanau, ZRP 1978, 221; derselbe RdA 1988, 1, 3; Herschel/Löwisch, aaO, § 23 Rz 2; Hönsch, DB 1988, 1650; Schwerdtner, ZFA 1977, 47, 78; Zöllner, Gutachten zum 52. Deutschen Juristentag 1978, S. 119).
dd) Die angebliche Verfassungswidrigkeit der Kleinbetriebsklausel läßt sich auch nicht mit dem Argument der Revision belegen, das KSchG sei ohnehin zum Abfindungsgesetz denaturiert, ein Bestandsschutz werde also dem Kleinbetriebsinhaber nicht aufoktroyiert und eine Abfindungsregelung sei auch für ihn verträglich (so - wenn auch verkürzt - Kraushaar, ArbuR 1988, 137 und DB 1988, 2202 sowie Bock, DB 1988, 2204). Für diese Thesen liegen keine verläßlichen, empirisch gesicherten Anhaltspunkte vor (ebenso Hönsch, DB 1988, 1651); außerdem wird damit letztlich nur wieder die Zweckmäßigkeit des Gesetzes in Zweifel gezogen, was aber zur Annahme der Willkürlichkeit und damit der Verfassungswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG nicht ausreicht.
Ebensowenig wird eine Verfassungswidrigkeit dadurch begründet, daß durch das BeschFG 1985 die bei der Ermittlung der Beschäftigten nach § 23 Abs. 1 KSchG maßgebliche Personenzahl dahin eingeschränkt worden ist, Teilzeitbeschäftigte mit weniger als wöchentlich 10 Stunden oder monatlich 45 Stunden nicht mitzuzählen. Es ist zwar richtig, daß der Kleinbetrieb tatsächlich über wesentlich mehr als fünf Arbeitskräfte verfügen kann und gleichwohl der 1. Abschnitt des KSchG nicht gilt. Auch hierbei handelt es sich aber um eine Abgrenzungsfrage mit Zweckmäßigkeitscharakter. Die ursprüngliche gesetzgeberische Konzeption ist dadurch nicht gegenstandslos geworden. Selbst wenn einzelne Betriebe mit einer größeren Zahl solcher Teilzeitbeschäftigter betrieben werden, läßt sich gerade angesichts des geringfügigen Beschäftigungsumfangs solcher Arbeitskräfte nicht generell sagen, daß die ursprüngliche Privilegierung des Kleinbetriebes damit zur Willkürlichkeit verändert worden sei.
Auch die vom Gesetzgeber vorgenommene anderweitige Ausgestaltung des Sonderkündigungsschutzes (anders als beim allgemeinen Kündigungsschutz ohne Kleinbetriebsklausel), kann ebenfalls nicht als willkürlich angesehen werden. Es erscheint vielmehr sachlich vertretbar, den Schutz werdender Mütter und Schwerbehinderter - also spezielle Situationen - besonders zu privilegieren.
ee) Soweit vom Kläger hinsichtlich der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG ein Verstoß gegen Art. 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie 76/207 EWG unter dem Gesichtspunkt einer mittelbaren Frauendiskriminierung geltend gemacht wird, übersieht er zunächst, daß er als Mann sich auf diesen Gesichtspunkt nicht berufen kann. Davon abgesehen fehlt jede nähere Darstellung, inwiefern lediglich die Berücksichtigung von Teilzeitbeschäftigten mit mehr als zehn Stunden wöchentlicher oder 45 Stunden monatlicher Arbeitszeit bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG eine mittelbare Frauendiskriminierung enthalten und was dies überhaupt für die vorliegende Fallgestaltung, in der es gar nicht um eine Teilzeitbeschäftigung geht, bewirken soll. Der Kläger trägt auch nicht vor, neben den fünf Beschäftigten seien bei der Beklagten überhaupt noch weitere Teilzeitkräfte tätig.
b) Auch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG liegt nicht vor. Nach dieser Bestimmung steht demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Dazu hat schon das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, die Frage, ob der für eine Privatperson vorgesehene Rechtsschutz ausreichend sei, sei keine solche der Gewährleistung durch Art. 19 Abs. 4 GG. Der angeblich fehlende Schutz durch die Gesetzgebung gehört entgegen der Meinung der Revision nicht zur öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG (BVerfGE 25, 365; 31, 367 ff.; 45, 334). Tatsächlich ist auch dem Kläger - wie der vorliegende Prozeß zeigt - der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet, ohne daß er übrigens die Unwirksamkeit der Kündigung unter anderen Gesichtspunkten als denen des Kündigungsschutzgesetzes, z.B. nach § 138 BGB oder nach § 242 BGB geltend gemacht hat. Dem Prinzip der Justizgewährung (BVerfGE 54, 77, 292; siehe auch Maunz/Dürig, aaO, Art. 19 Abs. 4 Rz 16; Leibholz/Rinck/Hesselberger, aaO, Art. 19 Rz 7) ist damit Rechnung getragen.
c) Auch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ist durch die gesetzliche Regelung des § 23 Abs. 1 KSchG nicht verletzt. Die abweichende Würdigung wird von der Revision nicht näher begründet. Der Senat stimmt insoweit der Auffassung des Landesarbeitsgericht zu, nach dieser Bestimmung müssten nur die fundamentalen Elemente des Rechtsstaats und der Rechtssicherheit gewahrt bleiben. Zur Rechtsstaatlichkeit in diesem Sinne gehört nicht nur die materielle Gerechtigkeit, sondern auch die Rechtssicherheit; es ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers, einen eventuellen Widerstreit zwischen diesen beiden Prinzipien zu entscheiden; geschieht dies ohne Willkür - wie oben unter II 2 a dargestellt ist - so kann die gesetzgeberische Entscheidung zu Gunsten der Rechtssicherheit (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG) nicht beanstandet werden (BVerfGE 25, 269, 290 ff.).
d) Der Hinweis des Klägers auf angeblich übergeordnetes internationales Recht (ILO-Übereinkommen Nr. 158), wonach ein gekündigter Arbeitnehmer entsprechend der nationalen Gesetzgebung und entsprechend der nationalen Praxis ein Recht auf eine Abfindung haben soll, trägt ebenfalls nicht. Wie der Kläger selbst im Hinblick auf die Ausführungen des Berufungsgerichts vorträgt, ist dieses Übereinkommen durch die Bundesrepublik Deutschland noch nicht ratifiziert worden und damit nicht geltendes Recht.
Hillebrecht Bitter
- zugleich für den durch Urlaub
verhinderten Richter Triebfürst.
Dr. Harder Thieß
Fundstellen
Haufe-Index 437978 |
BAGE 64, 315-327 (LT1-2) |
BAGE, 315 |
BB 1990, 2193 |
BB 1990, 2193-2194 (LT1-2) |
DB 1991, 176-178 (LT1-2) |
NJW 1990, 2405 |
NJW 1990, 2405-2407 (LT1-2) |
SteuerBriefe 1991, 213-213 (K) |
EBE/BAG 1990, 114-117 (LT1-2) |
BetrVG, (2) (LT1-2) |
NZA 1990, 724-727 (LT1-2) |
RdA 1990, 314 |
RzK, I 4c 11 (LT1) |
SAE 1992, 18-23 (LT1-2) |
ZAP, EN-Nr 746/90 (L1-2) |
AP § 23 KSchG 1969 (LT1-2), Nr 8 |
AR-Blattei, ES 1020 Nr 308 (LT1) |
AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch 308 (LT1) |
EzA § 23 KSchG, Nr 8 (LT1-2) |