Entscheidungsstichwort (Thema)
Weihnachtsgeld. Wegfall durch Sanierungstarifvertrag. Bestätigung von BAG 14. November 2001 – 10 AZR 698/00 – EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16. Beseitigung des Anspruchs auf Weihnachtsgeld durch rückwirkenden Tarifvertrag. Entstehung tariflicher Ansprüche pro rata temporis. Vertrauensschutz. Gratifikation/Sondervergütung. Tarifauslegung
Leitsatz (amtlich)
Ein Sanierungstarifvertrag kann auch bereits entstandene tarifliche Ansprüche rückwirkend beseitigen, soweit die betroffenen Arbeitnehmer nicht auf den Fortbestand dieser Ansprüche vertrauen durften.
Orientierungssatz
- Ein Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt entsteht in der Regel anteilig mit der erbrachten Arbeitsleistung, wenn der Tarifvertrag für im Laufe des Kalenderjahres eintretende oder ausscheidende Arbeitnehmer für jeden vollen Kalendermonat die Zahlung von 1/12 und für jeden darüberhinaus gehenden Kalendertag 1/360 der monatlichen Bezüge vorsieht, für jeden vollen Kalendermonat des Wehrdienstes, des Zivildienstes und des Erziehungsurlaubs eine Kürzung des Anspruchs um 1/12 anordnet und sonst keine weiteren Anspruchsvoraussetzungen vorsieht.
- Der rückwirkende Eingriff in bereits entstandene tarifliche Ansprüche durch einen ablösenden Tarifvertrag ist nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt.
- Daß die Ansprüche erst künftig fällig werden, läßt den Vertrauensschutz für bereits entstandene Ansprüche unberührt.
Normenkette
BGB § 133; MTV Nr. 7 Kabinenpersonal LTU vom 2. Juli 2001 § 34; TV Sanierung Kabine vom 1. November 2001
Verfahrensgang
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin einen anteiligen Anspruch auf Zahlung eines tariflichen Weihnachtsgeldes für das Jahr 2001 hat.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. März 1985 als Purserin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft arbeitsvertraglicher Verweisung sowohl der Manteltarifvertrag Nr. 7 Kabinenpersonal LTU vom 2. Juli 2001, gültig ab 1. September 2000, (nachfolgend MTV) als auch der Tarifvertrag Sanierung Kabine vom 1. November 2001, in Kraft getreten am 1. November 2001, (nachfolgend SanTV) Anwendung. Bei diesen Tarifverträgen handelt es sich um Haustarifverträge.
Im Vorfeld des Zustandekommens des MTV haben die Tarifvertragsparteien im Ergebnisprotokoll zu den Tarifverhandlungen Kabine DHV/UFO LTU vom 28. August 2000, welches dem MTV als Anlage III beigefügt wurde, diverse Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen vorgesehen und ua. festgehalten:
“DHV/UFO und LTU sind sich der schwierigen wirtschaftlichen Situation der LTU-Gruppe bewusst. Insbesondere sind der Erhalt der touristischen Kernkompetenzen der LTU-Group und die Umflottung gemäß dem Umflottungsplan vom Juni 2000 auf eine reine Airbusflotte ist für die DHV/UFO Bedingung für die Erbringung des nachfolgenden Sanierungsbeitrages der Beschäftigten.
…
Unter dem Vorbehalt der erfolgreichen Umsetzung des Sanierungskonzepts vereinbaren die Tarifvertragsparteien folgendes Ergebnisprotokoll:
…
4. § 34 MTV (13. Monatsgehalt) wird ab 1.7. 2000 wie folgt ergänzt:
‘Für Zeiten des Wehr-, Zivildienstes und Erziehungsurlaubes sind die Bezüge der Arbeitnehmer/innen des Kabinenpersonals nach Abs. 1 für jeden vollen Abwesenheitsmonat um 1/12 zu kürzen.’
…
9. Es besteht Einvernehmen, daß auf Konzernebene ein Sanierungsausschuß gebildet wird.
10. Die Tarifparteien sind sich einig, daß die Arbeits- und Gehaltsbedingungen des Bordpersonals noch im Jahr 2000 einem Benchmark zugeführt werden, wobei sich die Parteien vorher auf die zu vergleichenden Parameter einvernehmlich verständigen.”
Der MTV regelt den Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt wie folgt:
Ҥ 34
Dreizehntes Monatsgehalt
(Urlaubsgeld/Weihnachtsgeld)
- Der Arbeitgeber gewährt den Arbeitnehmern ein dreizehntes Gehalt auf der Basis der Grundgehälter nach dem jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag. Die Auszahlung erfolgt zu 50 % als Urlaubsgeld auf der Basis des im Mai gültigen Vergütungstarifvertrages mit dem Maigehalt und zu 50 % als Weihnachtsgeld auf der Basis des im November gültigen Vergütungstarifvertrages mit dem Novembergehalt.
- Arbeitnehmer, die im Laufe eines Kalenderjahres eintreten oder ausscheiden, erhalten für jeden vollen Kalendermonat vom Arbeitgeber 1/12 und für jeden darüber hinausgehenden Kalendertag 1/360 der Bezüge nach Abs. 1.
- Für Zeiten des Wehr-, Zivildienstes und Erziehungsurlaubes sind die Bezüge der Arbeitnehmer/innen des Kabinenpersonals nach Absatz 1 für jeden vollen Abwesenheitsmonat um 1/12 zu kürzen.”
Die Beklagte zahlte der Klägerin entsprechend dieser tariflichen Vorschrift im Monat Mai 2001 auf der Basis eines Grundgehaltes von 2.367,05 Euro ein Urlaubsgeld in Höhe von 1.183,52 Euro. Eine Auszahlung des zweiten Teils des 13. Monatsgehaltes nahm die Beklagte unter Berufung auf den SanTV vom 1. November 2001 nicht vor.
Der SanTV enthält hierzu folgende Bestimmung:
“B. hh § 34 Dreizehntes Monatsgehalt lautet künftig wie folgt:
- unverändert;
- unverändert;
- Im November 2001 wird das Weihnachtsgeld gemäß Ziffer (1) und im Mai 2002 und 2003 wird das Urlaubsgeld – bisher mit dem Maigehalt ausbezahlt – nicht gezahlt. Insoweit besteht kein Anspruch.”
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten am 15. Mai 2002 einen anteiligen Anspruch auf Zahlung des 13. Monatsgehalts bis einschließlich Oktober 2001 in Höhe von 789,02 Euro (10/12 von 2.367,05 Euro = 1.972,54 Euro abzüglich des im Monat Mai 2001 erhaltenen Betrages von 1.183,52 Euro) geltend gemacht.
Nach Meinung der Klägerin greift die Bestimmung des SanTV rückwirkend in unzulässiger Weise in bereits gemäß § 34 MTV anteilig entstandene Ansprüche auf Zahlung des 13. Monatsgehalts ein. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu den Voraussetzungen einer zulässigen echten Rückwirkung von Tarifverträgen lägen nicht vor, so daß der SanTV, soweit er den Anspruch auf Zahlung des anteiligen Weihnachtsgeldes für das Jahr 2001 entfallen lasse, gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße. Hinsichtlich dieses Anspruchs genieße sie Vertrauensschutz. Dieser Vertrauensschutz entfalle nicht bereits dadurch, daß sich die Beklagte seit längerem in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe. Abgesehen davon, daß sie, die Klägerin, von diesen Schwierigkeiten keinerlei Kenntnis gehabt habe, könne das Vertrauen auf einen Anspruch auf Jahressonderzahlung nicht allgemein durch wirtschaftliche Schwierigkeiten erschüttert werden. Erforderlich sei vielmehr eine konkrete Ankündigung der Kürzung oder Einstellung dieser Zahlung. Eine solche Ankündigung habe es von seiten der Beklagten jedoch nicht gegeben. Erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SanTV am 1. November 2001 habe mit einer entsprechenden Reduzierung gerechnet werden müssen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 789,02 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2001 zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, mit der Regelung im SanTV hätten die Tarifvertragsparteien die an sich zum Ende des Monats November 2001 fällig gewordene Sonderzahlung ausgeschlossen. Das Bundesarbeitsgericht habe in einer Entscheidung vom 11. April 2000 zur Auslegung der im wesentlichen wortgleichen Bestimmung des Vorgängertarifvertrages in § 34 MTV keine Sonderzahlung gesehen, die ausschließlich die Entlohnung erbrachter Arbeitsleistung zum Gegenstand habe. Allein die Hinzufügung des Absatzes 3 der streitigen Tarifnorm habe den Gesamtcharakter der Vorschrift nicht verändert. In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei zudem anerkannt, daß die Tarifvertragsparteien auch bereits entstandene, noch nicht fällige und abgewickelte tarifliche Ansprüche abbedingen könnten. Selbst wenn also der Anspruch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des SanTV bereits entstanden gewesen wäre, könne dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Die Klägerin habe mit einer entsprechenden Regelung rechnen müssen. Bereits im Jahr 2000 seien bei der Beklagten Sanierungstarifvertragsverhandlungen geführt worden. So enthalte das Ergebnisprotokoll vom 28. August 2000 neben einer Reduzierung der Vergütungen für die über mehrere Jahre laufende Sanierungsphase eine ganze Reihe von Tarifänderungen. Im Jahr 2001 habe sich die wirtschaftliche Situation im Zusammenhang mit den bekannten Problemen der Swissair-Group und den Ereignissen vom 11. September 2001 stetig verschlechtert. Ausdruck dessen sei auch die Zurverfügungstellung einer Landesbürgschaft über 90 Millionen Euro durch das Land Nordrhein-Westfalen zur Sicherung von Krediten der Beklagten gewesen, die eine Insolvenz verhindert habe. Die dramatische Situation Ende Oktober 2001 habe der Klägerin nicht verborgen bleiben können. Sie sei darüber sowohl über die personalvertretungsrechtlichen Gremien wie auch über Veröffentlichungen in Fernsehen, Funk und Presse informiert gewesen. Ende des Monats Oktober 2001 habe sie, die Beklagte, dem Betriebsrat und den Personalvertretungen mitgeteilt, daß die Liquidität im Rahmen des Sanierungskonzepts mit einer sofort spürbar werdenden Entlastung der Beklagten gewährleistet werden müsse und dies nur durch eine sofort wirksam werdende Reduzierung des Weihnachtsgeldes/13. Gehaltes möglich sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
- Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der MTV und der SanTV seien als gleichrangige Haustarifverträge anzusehen, so daß im vorliegenden Fall das Ablösungsprinzip gelte. Danach trügen tarifvertragliche Regelungen während der Laufzeit des Tarifvertrages den immanenten Vorbehalt ihrer auch rückwirkenden Abänderbarkeit durch einen neuen Tarifvertrag in sich. Dies gelte auch für bereits entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht abgewickelte Ansprüche. Deshalb könne dahinstehen, ob es sich bei dem streitigen Anspruch um einen echten Entgeltanspruch handele, der pro rata temporis zur Entstehung gelangt sei, und ob unter dieser Voraussetzung zu den jeweiligen Zeitpunkten der Entstehung des Anspruchs ein Vertrauensschutz für die Klägerin bestanden habe.
Dem folgt der Senat nicht. Das Landesarbeitsgericht wird nach der Zurückverweisung aufzuklären haben, ob und inwieweit sich die Klägerin für ihren Anspruch auf Weihnachtsgeld auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen kann.
1. Bei dem streitigen Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeld handelt es sich um eine pro rata temporis entstehende Sonderzahlung. Das ergibt die Auslegung des § 34 MTV.
a) Die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 578/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167 mwN).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ergibt sich der Zweck einer tariflichen Jahressonderzahlung vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Der Bezeichnung der Sonderzahlung kommt allenfalls zusätzliche Indizwirkung zu (st. Rspr., vgl. BAG 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – BAGE 76,134; 11. Oktober 1995 – 10 AZR 984/94 – BAGE 81, 132).
Einzige Voraussetzung für einen Anspruch auf die Sonderzahlung gemäß § 34 Abs. 1 MTV ist das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Weitere Anspruchsvoraussetzungen wie eine bestimmte Wartezeit bzw. der noch ungekündigte Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt sind nicht vorgesehen. An einer Rückzahlungsklausel fehlt es ebenfalls. Auch die Regelung in § 34 Abs. 2 MTV, nach der das Weihnachtsgeld sowohl im Eintrittsjahr als auch im Austrittsjahr sogar tagegenau anteilig gezahlt werden soll, spricht dafür, daß es sich um einen Vergütungsbestandteil handelt, der in den jeweiligen Abrechnungsmonaten verdient und nur aufgespart am 31. Mai und 30. November des Jahres ausgezahlt wird. Schließlich läßt auch Absatz 3 erkennen, daß der Anspruch entsprechend der Dauer des Arbeitsverhältnisses entsteht, soweit dieses nicht aus den dort genannten Gründen ruht. Demgegenüber fällt nicht entscheidend ins Gewicht, daß das 13. Monatsgehalt nicht im Zusammenhang mit den Vorschriften über Entgeltansprüche (§ 24 MTV) geregelt wurde, sondern in einem Bereich des Tarifvertrages, der sich im weiten Sinne mit Sozialleistungen befaßt (§§ 31 bis 38 MTV). Aus der Bezeichnung der Sonderzahlung läßt sich eine Indizwirkung für das eine oder andere mögliche Auslegungsergebnis hier ohnehin nicht ableiten, weil die Tarifvertragsparteien sowohl die Bezeichnung “Dreizehntes Monatsgehalt” als auch die Bezeichnung “Urlaubsgeld/Weihnachtsgeld” verwendet haben. Bestätigt wird das Auslegungsergebnis aber durch die Tarifgeschichte: Absatz 3 des § 34 MTV wurde gemäß dem Ergebnisprotokoll zu den Tarifverhandlungen Kabine vom 28. August 2000 in den Tarifvertrag eingefügt. Dem ging voraus, daß das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 11. April 2000 (– 9 AZR 225/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 13 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 4) zur ansonsten wortgleichen Vorschrift des Vorgängertarifvertrages bezüglich des Anspruchs auf Urlaubsgeld zu dem Schluß gelangt war, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung nicht von einer Urlaubsgewährung abhänge. Dieser rechtlichen Beurteilung lag ua. zugrunde, daß ein Kürzungstatbestand für den Fall des Erziehungsurlaubs fehlte. Der Neunte Senat hat insoweit ausgeführt, die Beklagte müsse die von ihr aus dem Zweck der Leistung abgeleiteten ungeschriebenen Voraussetzungen für einen Sonderzahlungsanspruch gemeinsam mit den anderen Tarifvertragsparteien im Wortlaut des Tarifvertrages zum Ausdruck bringen (BAG 11. April 2000 – 9 AZR 225/99 – aaO, zu I 2c bb der Gründe). Wenn die Tarifvertragsparteien offensichtlich vor diesem Hintergrund eine entsprechende Regelung in den MTV aufgenommen haben, läßt dies darauf schließen, daß der Anspruch auf das 13. Monatsgehalt als Vergütung pro rata temporis entstehen soll.
2. Der SanTV vom 1. November 2001 greift rückwirkend und verschlechternd in den der Klägerin aus § 34 MTV bis zum 31. Oktober 2001 entstandenen Anspruch auf Weihnachtsgeld ein. Er enthält die ausdrückliche Regelung, daß Weihnachtsgeld im Jahr 2001 nicht gezahlt wird und insoweit kein Anspruch besteht. Sowohl der MTV als auch der SanTV sind zwischen denselben Tarifvertragsparteien abgeschlossen worden. Im Verhältnis zwischen beiden gleichrangigen Tarifnormen gilt damit das Ablösungsprinzip (BAG 14. November 2001 – 10 AZR 698/00 – EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16).
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts tragen tarifvertragliche Regelungen auch während der Laufzeit des Tarifvertrages den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt selbst für bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche (sog. “wohlerworbene Rechte”). Dabei ist die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt. Insoweit gelten die gleichen Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen. Ob und wann die Tarifunterworfenen mit einer tariflichen Neuregelung rechnen müssen, ist eine Frage des Einzelfalls (BAG 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309; 17. Mai 2000 – 4 AZR 216/99 – BAGE 94, 349; 14. November 2001 – 10 AZR 698/00 – EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16).
b) Soweit das Landesarbeitsgericht meint, den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 14. November 2001 und vom 17. Mai 2000 (– 10 AZR 698/00 – EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16; – 4 AZR 216/99 – BAGE 94, 349) den Rechtssatz entnehmen zu können, solange ein Anspruch noch nicht fällig geworden sei, könne von einem wohlerworbenen Recht nicht gesprochen werden, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14. November 2001 handelte es sich um eine an zusätzliche Voraussetzungen geknüpfte Gratifikation (BAG 14. November 2001 – 10 AZR 698/00 – aaO, zu II B 2 der Gründe). Für diese hat das Bundesarbeitsgericht als entscheidenden Stichtag für das Entstehen und Fälligwerden des Anspruchs auf den in dem Tarifvertrag genannten Auszahlungstag abgestellt. Die nachfolgende Feststellung, daß der Anspruch nicht rückwirkend geändert worden sei, wenn der ablösende Tarifvertrag vor Fälligkeit wirksam geworden sei, bezieht sich nur auf diese Fallgestaltung. Den Fall eines Auseinanderfallens von Entstehungszeitpunkt und Fälligkeitszeitpunkt des Sonderzahlungsanspruchs betrifft diese Entscheidung dagegen nicht. Der Entscheidung vom 17. Mai 2000 (– 4 AZR 216/99 – aaO) ist die vom Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsauffassung ebenfalls nicht zu entnehmen. Auch in diesem Fall war Gegenstand des Rechtsstreits ein Gratifikationsanspruch, der an dem im Tarifvertrag bestimmten Termin sowohl entstanden als auch fällig geworden ist.
c) Für die Frage, ob ein Tarifvertrag rückwirkend und abändernd in einen tariflichen Anspruch eingreift, ist auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung abzustellen. Bereits von diesem Zeitpunkt an hat der Arbeitnehmer nicht nur lediglich eine Anwartschaft, sondern einen Rechtsanspruch erworben, auf dessen Erhalt er im Grundsatz vertrauen und über den er ggf. auch verfügen kann. Hiervon zu unterscheiden ist die festgelegte Leistungszeit (§ 271 BGB), die mit dem Zeitpunkt der Anspruchsentstehung nicht identisch sein muß. Eine rückwirkende Abänderung des Anspruchs der Klägerin auf das 13. Monatsgehalt durch den SanTV liegt damit vor, soweit dieser Anspruch bereits vor dem 1. November 2001 entstanden ist.
3. Ob und wielange der Klägerin gegenüber dieser Rückwirkung Vertrauensschutz zusteht, kann der Senat auf der Basis der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht selbst entscheiden.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das Vertrauen in die Fortgeltung einer Tarifnorm unabhängig davon, ob der Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien gilt oder ob dessen Anwendung in seiner jeweiligen Fassung vertraglich vereinbart ist, dann nicht mehr schutzwürdig, wenn und sobald die Normunterworfenen mit einer Änderung rechnen müssen. Maßgebend sind insoweit die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Dabei hat der Wegfall des Vertrauensschutzes nicht zur Voraussetzung, daß der einzelne Tarifunterworfene positive Kenntnis von den zugrunde liegenden Umständen hat. Entscheidend und ausreichend ist vielmehr die Kenntnis der betroffenen Kreise, hier also des Kabinenpersonals (BAG 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309 mwN; 17. Mai 2000 – 4 AZR 216/99 – BAGE 94, 349; 14. November 2001 – 10 AZR 698/00 – EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16).
b) Der Klägerin ist zuzugeben, daß die bloße Kenntnis von wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens das Vertrauen der Tarifunterworfenen in das Fortbestehen tariflicher Ansprüche noch nicht entscheidend zu erschüttern vermag. Wirtschaftlichen Schwierigkeiten kann auf unterschiedliche Art und Weise begegnet werden, ohne daß gerade rückwirkende Änderungen von Tarifnormen mit Eingriffen in wohlerworbene Rechte befürchtet werden müßten. Dagegen wäre mit einer Bekanntgabe des Ergebnisprotokolls vom 28. August 2000 das Vertrauen, § 34 MTV werde nicht erneut und rückwirkend zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer korrigiert werden, zerstört worden. Dies folgt bereits aus dem in der Präambel enthaltenen Vorbehalt der erfolgreichen Umsetzung des Sanierungskonzepts und wird verstärkt durch die Ziff. 9 und 10 dieses Protokolls. Ob und wann dieses Protokoll dem Kabinenpersonal bekannt wurde oder sonstige Umstände ein schutzwürdiges Vertrauen entfallen ließen, hat das Landesarbeitsgericht ausgehend von seiner Rechtsauffassung nicht festgestellt. Es wird entsprechende Feststellungen nachzuholen und danach über den streitigen Anspruch erneut zu entscheiden haben. Das Schreiben der Beklagten vom 1. Oktober 2001, wonach die finanziellen Probleme der Swissair-Group die Beklagte derzeit nicht beträfen, jedoch gegebenenfalls nach alternativen Lösungen gesucht werde, war jedenfalls nicht geeignet, ein bereits zuvor erschüttertes Vertrauen in den Fortbestand des § 34 MTV wieder herzustellen.
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Ließ, Frese
Fundstellen
Haufe-Index 1097254 |
BB 2004, 494 |
DB 2004, 551 |
NWB 2004, 671 |
BuW 2004, 351 |
ARST 2004, 180 |
FA 2004, 90 |
NZA 2004, 444 |
SAE 2004, 202 |
StuB 2004, 384 |
ZAP 2004, 291 |
AP, 0 |
EzA-SD 2004, 12 |
EzA-SD 2004, 14 |
EzA |
MDR 2004, 400 |
ArbRB 2004, 76 |
BAGReport 2004, 90 |
SPA 2004, 6 |