Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsverweigerungsrecht bei Krankenbezügen
Leitsatz (redaktionell)
Legt der Arbeiter für den vierten Kalendertag der Arbeitsunfähigkeit keine ärztliche Bescheinigung vor, ist die Deutsche Bundespost berechtigt, die Zahlung von Krankenbezügen nicht nur für diesen Tag zu verweigern, sondern auch für die vorhergehenden Tage. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht als rechtshemmende Einrede im Regelfall nur so lange, bis der Arbeiter seiner Vorlagepflicht nachkommt oder auf andere Weise den Beweis für seine Arbeitsunfähigkeit erbringt.
Orientierungssatz
Auslegung des § 20I Abs 2 und 7 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost in der Fassung vom 8.8.1980.
Normenkette
TVG § 1; LFZG §§ 3, 5, 9; TVG § 4 Abs. 4 S. 2; LFZG § 1 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 14.09.1982; Aktenzeichen 6 Sa 11/82) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 13.11.1981; Aktenzeichen 17 Ca 300/81) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin Lohnfortzahlung für die Zeit vom 31. Oktober bis zum 2. November 1980 in der unstreitigen Höhe von 121,58 DM brutto zusteht.
Die Klägerin war bei der Beklagten vom 19. März 1979 bis zum 11. Oktober 1981 als teilzeitbeschäftigte Arbeiterin im Briefverteildienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind kraft Vereinbarung die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost vom 6. Januar 1955 (TV Arb) anzuwenden.
Die Klägerin erschien am Freitag, dem 31. Oktober 1980, nicht zur Arbeit. Sie entschuldigte sich telefonisch bei ihrer Dienststelle und gab an, arbeitsunfähig krank zu sein. Am darauf folgenden Wochenende, Sonnabend, dem 1. und Sonntag, dem 2. November, hatte die Klägerin dienstfrei. Am Montag, dem 3. November, meldete sie sich erneut telefonisch krank. Am Dienstag, dem 4. November, nahm sie ihre Arbeit wieder auf. Am 6. November wurde die Klägerin von ihrer Dienststelle schriftlich unter Hinweis auf § 20 I Abs. 2 TV Arb aufgefordert, für den 3. November eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Das geschah jedoch nicht. Daraufhin verweigerte die Beklagte die Zahlung von Krankenbezügen.
§ 20 I TV Arb lautet in der ab 1. Oktober 1980 geltenden Fassung auszugsweise wie folgt:
"(1) Der Arbeiter hat eine Arbeitsunfähigkeit
und deren voraussichtliche Dauer unver-
züglich der zuständigen Stelle anzuzeigen.
(2) Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als
drei Kalendertage, so hat der Arbeiter
spätestens für den vierten Kalendertag die
Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche
Dauer durch ärztliche Bescheinigung nachzu-
weisen und an diesem Tag der zuständigen
Dienststelle die ärztliche Bescheinigung vor-
zulegen. Fällt dieser vierte Kalendertag auf
einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen
Wochenfeiertag, so tritt an dessen Stelle der
darauffolgende Werktag; nimmt der Arbeiter
an diesem Werktag die Arbeit wieder auf, so
erübrigt sich dieser Nachweis.
Eine Bescheinigung des Trägers der gesetz-
lichen Krankenversicherung ersetzt die ärzt-
liche Bescheinigung.
In besonders begründeten Einzelfällen ist die
Dienststelle berechtigt zu verlangen, daß der
Arbeiter die Arbeitsunfähigkeit bereits für
den ersten Kalendertag durch ärztliche Be-
scheinigung nachweist.
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in
der ärztlichen Bescheinigung angegeben, so
ist der Arbeiter verpflichtet, eine neue
ärztliche Bescheinigung vorzulegen.
.....
(7) Die Deutsche Bundespost ist berechtigt,
die Zahlung der Krankenbezüge zurückzu-
stellen, solange der Arbeiter seinen Ver-
pflichtungen nach den Absätzen 1 und 2
schuldhaft nicht nachkommt."
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin den Lohn für die Zeit vom 31. Oktober bis zum 2. November 1980. Sie hat behauptet, während dieser Zeit arbeitsunfähig krank gewesen zu sein, und geltend gemacht, für die ersten drei Kalendertage müsse die Beklagte ungeachtet der fehlenden ärztlichen Bescheinigung in jedem Fall Krankenbezüge gewähren. Sie, die Klägerin, habe bei ihrer Dienststelle zwei für sich zu betrachtende Krankmeldungen gemäß den Bestimmungen des TV Arb vorgenommen. Des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung habe es nach § 20 I Abs. 2 TV Arb erst für den vierten Kalendertag, nämlich Montag, den 3. November, bedurft. Nur für diesen Tag könne die Beklagte wegen der fehlenden Bescheinigung die Zahlung von Krankenbezügen verweigern.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 121,58 DM
brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden
Nettobetrag seit dem 3. September 1981 zu be-
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, daß die Klägerin arbeitsunfähig krank gewesen sei. Weiter hat sie die Auffassung vertreten, sie sei berechtigt, die Zahlung der Krankenbezüge auch für die streitigen Tage zu verweigern, solange die Klägerin die behauptete Arbeitsunfähigkeit für den vierten Kalendertag, d.h. den 3. November 1980, nicht durch ärztliche Bescheinigung belegt habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der Lohnfortzahlungsanspruch scheitert daran, daß die Klägerin die behauptete Arbeitsunfähigkeit für den vierten Kalendertag nicht durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen hat und daß sie weiter für die ersten drei Tage ihrer Fehlzeit Arbeitsunfähigkeit weder bewiesen noch dafür auch nur Beweis angetreten hat.
I. 1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG behält der Arbeiter, der nach Beginn der Beschäftigung unverschuldet durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, den Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Der Arbeiter ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen und vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer nachzureichen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 LohnFG). Die Nachweispflicht besteht unabhängig von der Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeiter muß ein Attest auch dann vorlegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit innerhalb der dreitägigen Vorlagefrist schon wieder behoben ist. Selbst bei einer Kurzerkrankung von ein oder zwei Tagen ist der Arbeiter grundsätzlich gehalten, eine ärztliche Bescheinigung einzureichen und damit bereits den ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu belegen (vgl. Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 3 Rz 24; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., LFZG, § 3 I 2 a = C 306 f.; Kehrmann/-Pelikan, Lohnfortzahlungsgesetz, 2. Aufl., § 3 Rz 3; Feichtinger, Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle, AR-Blattei, Krankheit III, unter G I 2 a bb). Allerdings kann die Nachweispflicht durch Tarifvertrag zugunsten des Arbeiters abbedungen werden (§ 9 LohnFG), etwa dahin, daß die ärztliche Bescheinigung nicht bereits für den ersten, sondern für einen späteren Tag der Arbeitsunfähigkeit vorgelegt zu werden braucht (vgl. Kaiser/-Dunkl, aaO; Kehrmann/Pelikan, aaO). Eine derartige Regelung wird besonders für Kurzerkrankungen als sinnvoll angesehen, weil sie dem Arbeitgeber Verwaltungsaufwand erspart und das Aufsuchen des Arztes auch dann, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist, nur zu einer vermeidbaren Kostenbelastung für die Krankenkassen und damit die Versichertengemeinschaft führt (vgl. Kehrmann/Pelikan, aaO).
2. Legt der Arbeiter die ärztliche Bescheinigung nicht vor und hat er dies zu vertreten, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Fortzahlung des Lohnes zu verweigern (§ 5 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 LohnFG). Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers besteht - wie bereits der Gesetzeswortlaut klarstellt - nicht dauernd, sondern nur zeitweilig: "solange" der Arbeiter seine Verpflichtung schuldhaft nicht erfüllt. Reicht der Arbeiter die Bescheinigung ein, mag es auch nach Ablauf der in § 3 Abs. 1 Satz 1 LohnFG genannten Frist sein, so erlischt das Leistungsverweigerungsrecht, und zwar rückwirkend mit dem Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit, nicht etwa vom Zeitpunkt der Attestvorlage an (BAG 23, 411, 414 = AP Nr. 1 zu § 3 LohnFG, Bl. 2; BAG Urteil vom 5. Mai 1972 - 5 AZR 447/71 - AP Nr. 1 zu § 7 LohnFG, zu 3 der Gründe; Kaiser/Dunkl, aaO, § 5 Rz 10; Schmatz/Fischwasser, aaO, § 5 II 1 = C 504; Feichtinger, aaO, G I 4). Die spätere Erfüllung der Nachweispflicht führt mithin nicht dazu, daß der Verhinderungsfall der Arbeitsunfähigkeit nunmehr in zwei selbständige, rechtlich unterschiedlich zu behandelnde Zeitabschnitte aufgespalten wird.
3. Die Beachtung der Anzeige- und Nachweispflicht des § 3 LohnFG stellt keine materielle Voraussetzung für die Entstehung des Lohnfortzahlungsanspruchs dar. Zum Entstehungstatbestand des Anspruchs gehört vielmehr nur der Eintritt einer auf Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit. Diesen Umstand muß der Arbeiter im Streitfalle beweisen (BAG 28, 144, 146 = AP Nr. 2 zu § 3 LohnFG, zu I 1 der Gründe; Kaiser/Dunkl, aaO, § 1 Rz 228; Brecht, Lohnfortzahlung für Arbeiter, 3. Aufl., § 3 Rz 9). Soweit § 3 Abs. 1 Satz 1 LohnFG von dem Arbeiter verlangt, die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen und vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn eine ärztliche Bescheinigung darüber nachzureichen, werden hierdurch die Beweismöglichkeiten nicht auf das Attest beschränkt. Vielmehr kann sich der Arbeiter aller im Zivilprozeß zulässigen Beweismittel zum Nachweise seiner Arbeitsunfähigkeit bedienen (BAG 28, 144, 148 = AP Nr. 2 zu § 3 aaO, zu I 3; Kaiser/Dunkl, aaO, § 1 Rz 225; Brecht, aaO, § 3 Rz 9). Hieraus ergibt sich, daß das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers nach § 5 LohnFG ebenfalls dann endet, wenn der Arbeiter seine Arbeitsunfähigkeit anders als durch ärztliches Attest mit den ihm sonst zur Verfügung stehenden Beweismitteln belegt (BAG 28, 144, 151 = AP aaO, zu I 4 der Gründe).
II. Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Dabei hat es richtig gesehen, daß die Klägerin nach § 20 I Abs. 2 TV Arb weder von der ihr nach allgemeinen Regeln obliegenden Verpflichtung zum Beweis der behaupteten Arbeitsunfähigkeit befreit ist noch daß für den Streitfall das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers (§ 5 Satz 1 Nr. 1 LohnFG) zugunsten der Arbeitnehmers teilweise aufgehoben ist.
1. Die Tarifvertragsparteien haben in § 20 I Abs. 2 TV Arb die Pflicht zur Vorlage ärztlicher Bescheinigungen unterschiedlich je nach der Dauer der Erkrankung abgestuft. Für Kurzerkrankungen bis zu drei Kalendertagen haben sie von einem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung abgesehen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit jedoch länger als drei Kalendertage, muß der Arbeiter spätestens f ü r den vierten Kalendertag Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer durch ärztliche Bescheinigung nachweisen (abgesehen von dem hier nicht interessierenden Fall, daß der Arbeiter an diesem Tage die Arbeit wieder aufnimmt, aaO Satz 2). Durch diese Regelung soll der Verwaltungsaufwand des Arbeitgebers gering gehalten, gleichzeitig sollen aber auch Mißbrauchsmöglichkeiten eingegrenzt werden. Weiter soll der Arbeiter bei länger anhaltender Krankheit spätestens ab dem vierten Kalendertag im eigenen gesundheitlichen Interesse angehalten werden, einen Arzt aufzusuchen oder für den Fall, daß er nicht mehr arbeitsunfähig krank ist, die Arbeit wieder aufzunehmen.
Gemeint ist mit Arbeitsunfähigkeit in diesem Zusammenhang der durchgehende, fortdauernde krankheitsbedingte Verhinderungstatbestand. Die Krankheitszeit wird nicht in zwei Abschnitte aufgegliedert. Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers besteht nicht nur hinsichtlich der Krankenbezüge für den vierten Tag der behaupteten Arbeitsunfähigkeit, sondern hinsichtlich der gesamten Anspruchsdauer. Entgegen der Ansicht der Revision sind die ersten drei Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht von der Grundregel des Lohnfortzahlungsgesetzes ausgenommen mit der Rechtsfolge, daß für sie die Krankenbezüge in jedem Fall gezahlt werden müßten ohne Rücksicht darauf, ob für den vierten Kalendertag ein Attest eingereicht wird oder nicht. Die Rechtswirkungen des § 5 Satz 1 Nr. 1 LohnFG sind für den Fall der länger als drei Tage andauernden Erkrankung von den Tarifvertragsparteien lediglich insoweit abbedungen worden, als ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers nicht schon dann besteht, wenn und solange der Arbeiter die ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht vom ersten Tage an vorlegt.
2. Nicht richtig ist die Ansicht der Revision, das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts bedeute für den Arbeiter die Verwirkung eines tariflichen Anspruchs und verstoße daher gegen § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG. Hierbei wird übersehen, daß es nicht um die Frage geht, ob die Nichtvorlage der ärztlichen Bescheinigung dazu führt, daß der Arbeiter entstandene tarifliche Rechte verliere oder verwirke. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, regelt § 20 I Abs. 7 TV Arb lediglich die Voraussetzungen eines zeitweiligen Leistungsverweigerungsrechts. Der Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeiters wird hierdurch unmittelbar nicht betroffen.
3. Unstreitig hat die Klägerin für die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit an den fraglichen Tagen auch keinen anderen verfahrensrechtlich zulässigen Beweis außerhalb der Vorlage eines ärztlichen Attestes erbracht. Sie hat einen solchen Beweis auch nicht angetreten. Nur ein solcher Beweis hätte ihr den geltend gemachten Lohnfortzahlungsanspruch auch ohne ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sichern können.
Dr. Gehring Michels-Holl Schneider
Döring Dr. Florack
Fundstellen
Haufe-Index 440320 |
BAGE 48, 11-17 (LT1) |
BAGE, 11 |
DB 1985, 1400-1401 (LT1) |
NJW 1985, 2213 |
NJW 1985, 2213-2214 (LT1) |
BlStSozArbR 1985, 184-184 (T) |
NZA 1985, 427-428 (LT1) |
USK, 8502 (ST1) |
AP § 1 LohnFG (LT1), Nr 63 |
EzA § 1 LohnFG, Nr 76 (LT1) |
MDR 1985, 610-611 (LT1) |
PersV 1991, 232 (K) |