Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit eines Verzichts auf Nachteilsausgleich. Betriebsänderung. Entstehung des Anspruchs auf Nachteilsausgleich. Betriebsverfassungsrecht
Leitsatz (amtlich)
- Der Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG entsteht, sobald der Unternehmer mit der geplanten Betriebsänderung beginnt, ohne dass er bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht hätte.
- Der Arbeitnehmer kann auf einen bereits bestehenden Nachteilsausgleichsanspruch auch ohne Zustimmung des Betriebsrats wirksam verzichten.
Orientierungssatz
- Schon nach § 111 BetrVG aF kam es für die Mitbestimmungspflichtigkeit einer Betriebsänderung auf die Anzahl der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer an, wenn von der geplanten Maßnahme mehrere Betriebe betroffen waren und für die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte der Gesamtbetriebsrat zuständig war.
- Ein Aufhebungsvertrag ist vom Arbeitgeber veranlasst, wenn er beim Arbeitnehmer bezogen auf eine konkret geplante Betriebsänderung die objektiv berechtigte Annahme hervorgerufen hat, mit der eigenen Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers nur zuvorzukommen.
- Ein Anspruch entsteht, sobald die dafür festgelegten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Der Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG entsteht demnach, sobald der Unternehmer mit der geplanten Betriebsänderung beginnt, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Mit einer Betriebsstilllegung beginnt der Unternehmer jedenfalls dann, wenn er die betroffenen Arbeitsverhältnisse kündigt.
- Auf einen bereits entstandenen Anspruch auf Nachteilsausgleich kann der Arbeitnehmer im Rahmen einer allgemeinen Ausschlussklausel wirksam verzichten. Die Möglichkeit eines solchen Verzichts verstößt weder gegen den Normzweck des § 113 Abs. 3 BetrVG noch gegen die Pflicht der Mitgliedstaaten zur wirkungsvollen Umsetzung europäischer Richtlinien aus Art. 10, 249 Abs. 3 EG.
Normenkette
BetrVG a.F. § 111 S. 2 Nrn. 1, 4, § 112 Abs. 1 S. 3, § 113 Abs. 1, 3, § 77 Abs. 4 S. 2; BGB § 397 Abs. 2, § 242; EG Art. 249 Abs. 3; Richtlinie 75/129/EWG vom 17. Februar 1975 Art. 1 Abs. 1; Richtlinie 75/129/EWG vom 17. Februar 1975 Art. 2 Abs. 1; Richtlinie 75/129/EWG vom 17. Februar 1975 Art. 2 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Nachteilsausgleich.
Die Beklagte vermittelt Versicherungs- und Bausparverträge. Der Kläger war bei ihr seit dem 1. November 1987 als Finanzberater im Außendienst beschäftigt. Der Außendienst bestand bis 1997 aus etwa 60 angestellten Beratern. Diese waren ursprünglich fünf, seit Ende 1996 vier verschiedenen “Vertriebsbereichen” zugeordnet. In jedem Vertriebsbereich waren weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigt. In allen Bereichen war ein Betriebsrat gebildet. Die Hauptverwaltung der Beklagten mit etwa 20 Arbeitnehmern stellte einen eigenen Betrieb dar. Auch dort war ein Betriebsrat gewählt. Die Betriebsräte hatten einen Gesamtbetriebsrat gebildet.
Im April 1997 beschloss die Beklagte, den gesamten Vertrieb künftig durch freie Handelsvertreter durchführen zu lassen und die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Außendienstmitarbeiter zu beenden. Im Mai 1997 sprach sie die dazu nötigen Kündigungen aus. Sie bot den Beschäftigten an, sich als Handelsvertreter zu bewerben. Die Beklagte hatte weder mit den einzelnen Betriebsräten noch mit dem Gesamtbetriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan geführt.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 21. Mai 1997 zum 31. Dezember 1997. Ab dem 1. Juli 1997 stellte sie den Kläger unter Fortzahlung seiner Vergütung von der Arbeit frei. Der Kläger nahm am gleichen Tag eine Tätigkeit als Geschäftsführer einer örtlich weit entfernten anderen Versicherungsgesellschaft auf. Am 3. Juli 1997 schlossen die Parteien folgende Vereinbarung:
“1. Das Arbeitsverhältnis zwischen (dem Kläger) und der Gesellschaft endete aus betrieblichen Gründen auf Veranlassung der Gesellschaft im beiderseitigen Einvernehmen mit Ablauf des 30.06.1997.
2. Die Gesellschaft zahlt (dem Kläger) wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes eine einmalige Abfindung in Höhe von DM 32.000,00.
…
8. Mit Abschluss dieser Vereinbarung und Erfüllung der sich hieraus ergebenden Verpflichtungen sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung – gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt – abgegolten bis auf die Herausgabe der ordnungsgemäß ausgefüllten Arbeitspapiere (an den Kläger).”
Die Beklagte wurde im Rechtsstreit mit einem ebenfalls gekündigten Kollegen des Klägers vom Bundesarbeitsgericht verurteilt, einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG zu zahlen. Die Umorganisation des Vertriebs im Jahre 1997 war eine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG (BAG 8. Juni 1999 – 1 AZR 831/98 – BAGE 92, 11).
Mit der vorliegenden, im Oktober 1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat auch der Kläger einen Anspruch auf Nachteilsausgleich geltend gemacht. Der Aufhebungsvertrag vom 3. Juli 1997 sei durch die Beklagte veranlasst worden. Die Ausgleichsklausel in Nr. 8 des Vertrags stelle weder einen Vergleich noch einen Anspruchsverzicht dar. Ohnehin seien Ansprüche auf Nachteilsausgleich unverzichtbar. In Ansehung seines Lebensalters und der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, auf die abredegemäß die Zeit seiner 17 Jahre währenden Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber anzurechnen sei, stehe ihm unter Berücksichtigung der Höchstgrenze des § 10 Abs. 2 KSchG – ausgehend von vier Fünfteln eines Monatsgehalts von 5.450,00 DM für jedes Beschäftigungsjahr – ein Nachteilsausgleich in Höhe von 98.100,00 DM (= 50.157,73 Euro) zu. Die vertraglich vereinbarte Abfindung sei nicht auf diesen Anspruch anzurechnen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 50.157,73 Euro brutto zzgl. 8 % Zinsen hieraus für die Zeit vom 7. Oktober 1999 bis zum 30. April 2000 sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 Diskontsatz-Überleitungsgesetz seit dem 1. Mai 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, es liege schon eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung nicht vor. Das Bundesarbeitsgericht habe mit seiner Entscheidung vom 8. Juni 1999 die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschritten. In jedem Fall werde der Klageanspruch von der Ausgleichsklausel Nr. 8 des Vertrags vom 3. Juli 1997 erfasst. Außerdem sei der Anspruch sowohl nach § 24 des Manteltarifvertrags für das Private Versicherungsgewerbe als auch nach allgemeinen Grundsätzen verwirkt. Im Übrigen erstrecke sich die Abrede über die Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten des Klägers nicht auf die Berechnung von Nachteilsausgleichsansprüchen, zumal sie – die Beklagte – bei dieser Vereinbarung nicht wirksam vertreten worden sei. Sollte gleichwohl ein solcher Anspruch bestehen, sei die vertragliche Abfindung auf ihn anzurechnen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klageforderung besteht nicht. Zwar war ein Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich gegeben. Dieser Anspruch ist jedoch auf Grund der Abrede in Nr. 8 des Aufhebungsvertrags der Parteien erloschen.
I. Der Anspruch auf Nachteilsausgleich ist entstanden. Dies folgt aus § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG. Die Beklagte hat eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchgeführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Der Kläger ist infolge der Maßnahme entlassen worden.
1. Bei der von der Beklagten durchgeführten Auflösung des Außendienstes handelte es sich um eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG aF. Bei einer betriebsbezogenen Sicht führte die Maßnahme zur Stillegung der vorhandenen Vertriebsbereiche, die jeweils einen Betrieb darstellten. Bei einer unternehmensbezogenen Sicht lag jedenfalls der Tatbestand einer wesentlichen Betriebseinschränkung durch Personalabbau vor. Dabei waren die Entlassungen in den verschiedenen Vertriebsbereichen zusammenzurechnen, weil sie auf die einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückgingen, den Vertrieb künftig nur noch durch freie Handelsvertreter durchführen zu lassen (BAG 8. Juni 1999 – 1 AZR 831/98 – BAGE 92, 11, 22).
Zudem lag in der Maßnahme eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation und/oder der Betriebszwecke im Sinne von § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG aF. Die Beklagte vermittelt zwar weiterhin Versicherungs- und Bausparverträge, dies aber in ganz anderer Weise als bisher. Sie hat den eigenen Vertrieb aufgegeben und bietet damit eine veränderte Dienstleistung an (BAG 8. Juni 1999 – 1 AZR 831/98 – BAGE 92, 11, 23).
2. Der Annahme einer Betriebsänderung nach § 111 Satz 1 BetrVG steht nicht entgegen, dass nach dieser Vorschrift in ihrer im Jahre 1997 geltenden Fassung Beteiligungsrechte des Betriebsrats nur gegeben waren, wenn die geplante Maßnahme Betriebe betraf, in denen in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt waren.
a) Zwar ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage der Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsänderung. Die Anwendung von § 111 BetrVG in seiner ab dem 28. Juli 2001 geltenden Fassung, die nunmehr auf die Anzahl der Beschäftigten des Unternehmens abstellt, scheidet damit für den Streitfall aus. Auch bei Anwendung der bis zum 27. Juli 2001 geltenden Gesetzesfassung kam es aber entgegen dem Wortlaut der Vorschrift zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auf die Anzahl der Beschäftigten des gesamten Unternehmens und nicht nur des einzelnen Betriebs an, wenn von der geplanten Maßnahme mehrere Betriebe betroffen waren und für die Wahrnehmung der Rechte aus § 111 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig war. Der Senat hat dies im Urteil vom 8. Juni 1999 im Einzelnen begründet (– 1 AZR 831/98 – BAGE 92, 20).
b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Sie verstößt, anders als die Beklagte gemeint hat, nicht gegen den Grundsatz der Gesetzesbindung der Gerichte in Art. 20 Abs. 3 GG. Sie beruht vielmehr auf dem Bestreben, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die nach ihrem Wortlaut allein auf die Anzahl der Beschäftigten des Betriebs abstellende frühere Fassung des § 111 BetrVG durch eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift auszuräumen. Auch dazu sind die Gerichte nach Art. 20 Abs. 3 GG berufen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine gegen das Senatsurteil vom 8. Juni 1999 gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 30. November 1999 – 1 BvR 1718/99 –).
Die Entscheidung des Senats ist auch in der Literatur überwiegend auf Zustimmung gestoßen (vgl. Fitting BetrVG 20. Aufl. 2000 § 111 Rn. 20, 21; Fabricius GK-BetrVG 6. Aufl. 1998 § 111 Anm. 53; DKK-Däubler 8. Aufl. § 111 Rn. 29; Annuß FA 2000, 38; Hamm AiB 2000, 298; Hess Anm. zu BAG AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 47; Jacobs Anm. zu BAG EzA BetrVG 1972 § 111 Nr. 37; Otto EWiR 2000, 113; Richardi RdA 2001, 42; aA Löwisch SAE 2000, 175). Durch das Betriebsverfassungsreformgesetz hat der Gesetzgeber den Bedenken, die gegen ein allein am früheren Wortlaut der Vorschrift orientiertes Verständnis erhoben wurden, Rechnung getragen und die Beteiligungsrechte nach § 111 BetrVG generell an die Anzahl der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer gebunden.
3. Die Beklagte hat die Betriebsänderung durchgeführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem zuständigen Vertretungsorgan versucht zu haben. Für die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte nach § 111 BetrVG war hier der Gesamtbetriebsrat zuständig. Die unternehmerische Planung betraf mehrere Betriebe und erforderte eine einheitliche Regelung. Die maßgebliche unternehmerische Entscheidung war von der Beklagten unternehmenseinheitlich geplant worden und erfasste sämtliche Betriebsbereiche. Die Beklagte hat den Gesamtbetriebsrat über die geplante Betriebsänderung weder unterrichtet noch Verhandlungen mit ihm über ihre Durchführung aufgenommen.
4. Der Kläger ist infolge der Betriebsänderung entlassen worden. Zwar endete das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auf Grund der zum 31. Dezember 1997 ausgesprochenen Kündigung der Beklagten. Der Kläger schied vielmehr bereits am 30. Juni 1997 auf Grund des Aufhebungsvertrags der Parteien aus dem Betrieb aus. Eine Entlassung iSd. § 113 Abs. 3 BetrVG liegt aber auch dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zwecks Durchführung der Betriebsänderung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags veranlasst (BAG 23. August 1988 – 1 AZR 276/87 – BAGE 59, 242, 251 = AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 17 = EzA BetrVG 1972 § 113 Nr. 17, zu II 2b aa der Gründe mwN; Fitting BetrVG 21. Aufl. § 113 Rn. 22 mwN). Das war hier der Fall.
Der Arbeitgeber hat den Aufhebungsvertrag veranlasst, wenn er bei dem Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung die objektiv berechtigte Annahme hervorgerufen hat, mit der eigenen Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses komme er einer andernfalls notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers lediglich zuvor. Eine solche Veranlassung ist in der Regel anzunehmen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zuvor mitgeteilt hat, er habe nach Durchführung der Betriebsvereinbarung für ihn keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr (BAG 25. März 2003 – 1 AZR 169/02 – BAG Report 2003, 377, zu II 2b aa der Gründe mwN; 29. Oktober 2002 – 1 AZR 80/02 – EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 4, zu II 1b bb der Gründe mwN). Hier hatte die Beklagte den Kläger nicht nur auf den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit hingewiesen, sondern sie hatte vor Abschluß des Aufhebungsvertrags eine betriebsbedingte Kündigung bereits ausgesprochen. Für den Kläger stand deshalb fest, dass er seinen Arbeitsplatz infolge der Betriebsänderung verlieren würde.
Die Beklagte war aus diesen Gründen verpflichtet, dem Kläger als Nachteilsausgleich eine Abfindung in entsprechender Anwendung von § 10 KSchG zu zahlen. Für einen Anspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG ist der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 111 BetrVG ausreichend, auf ein Verschulden kommt es nicht an (BAG 8. Juni 1999 – 1 AZR 831/98 – BAGE 92, 11, 25).
II. Der Anspruch des Klägers auf einen Nachteilsausgleich ist jedoch nach § 397 Abs. 2 BGB iVm. Nr. 8 des Aufhebungsvertrags der Parteien erloschen.
1. Der Anspruch wird von der Ausgleichsklausel in Nr. 8 des Vertrags erfasst. Die entsprechende Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Der Anspruch auf Nachteilsausgleich ist als Anspruch “aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses” anzusehen, der – unabhängig davon, ob er den Parteien “bekannt oder unbekannt” war – mit Abschluss des Aufhebungsvertrags abgegolten sein sollte. Ausgleichsklauseln, die ausdrücklich auch unbekannte Ansprüche zum Gegenstand haben und auf diese Weise zu erkennen geben, dass die Parteien an die Möglichkeit des Bestehens ihnen nicht bewusster Ansprüche gedacht und auch sie in den gewollten Ausgleich einbezogen haben, sind regelmäßig als umfassender Anspruchsausschluss zu verstehen (BAG 15. Dezember 1994 – 8 AZR 250/93 –, zu II 1b aa der Gründe).
b) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der zufolge Versorgungsansprüche von Ausgleichsquittungen regelmäßig nicht erfasst werden (vgl. BAG 27. Februar 1990 – 3 AZR 213/88 – AP BetrAVG § 1 Vordienstzeiten Nr. 13 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 56, zu 3a der Gründe), ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Anders als Versorgungsansprüche stellen Ansprüche auf Nachteilsausgleich keine nachträgliche Vergütung für bereits geleistete Dienste dar, die wegen ihrer Versorgungsfunktion und Bedeutung von Ausgleichsquittungen nur erfasst werden, wenn dies deutlich zum Ausdruck gebracht wird (BAG 9. November 1973 – 3 AZR 66/73 – AP BGB § 242 Ruhegehalt Nr. 163 = EzA BGB § 242 Ruhegeld Nr. 28, zu I 2 der Gründe).
c) Fraglich ist allerdings, ob von der Ausgleichsklausel in Nr. 8 des Aufhebungsvertrags auch solche den Parteien unbekannte Ansprüche erfasst sein sollten, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 3. Juli 1997 nicht nur noch nicht fällig, sondern noch gar nicht entstanden waren. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch künftige Ansprüche ausgeschlossen sein sollten, ist der Abrede nicht zu entnehmen. Darauf kommt es indessen nicht an. Der Anspruch auf Nachteilsausgleich hat bei Vertragsschluss bereits bestanden.
Ein Anspruch entsteht, sobald die dafür festgelegten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind (BAG 27. Oktober 1998 – 1 AZR 94/98 – AP KO § 61 Nr. 29 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 102, zu A I 1a der Gründe – für die Entstehung einer Sozialplanforderung). Der Zeitpunkt der Fälligkeit muss mit dem Entstehungszeitpunkt nicht zusammenfallen (Fabricius/Oetker GK-BetrVG 7. Aufl. §§ 112, 112a Anm. 127). Der Nachteilsausgleichsanspruch nach § 113 Abs. 3 BetrVG entsteht danach, sobald der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen hat, ohne dass er bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht hätte. Besteht die geplante Betriebsänderung in der Stillegung von Betrieben, so beginnt der Unternehmer mit ihrer Durchführung jedenfalls dann, wenn er zu diesem Zweck die bestehenden Arbeitsverhältnisse kündigt (BAG 4. Dezember 2002 – 10 AZR 16/02 – AP InsO § 38 Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 113 Nr. 30, zu II 1b aa der Gründe; vgl. auch 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – BAGE 99, 377, 380). Dies war hier im Mai 1997 geschehen. Der Umstand, dass die Betriebsänderung mit dem Ausspruch der Kündigungen noch nicht abgeschlossen und der Anspruch des Klägers vor seinem tatsächlichen Ausscheiden noch nicht fällig war, ist für die Anspruchsentstehung ohne Bedeutung.
Das Landesarbeitsgericht ist aus diesen Gründen zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ausgleichsklausel Nr. 8 des Aufhebungsvertrags der Parteien tatbestandlich auch den Anspruch erfasst, auf den der Kläger sein Zahlungsbegehren stützt.
2. Die Ausgleichsklausel ist auch nicht nach § 242 BGB deswegen unbeachtlich, weil der Kläger sich in einer Verhandlungsposition struktureller Unterlegenheit befunden und deshalb einen für ihn ungewöhnlich belastenden Vertrag abgeschlossen hätte. Grundsätzlich gestalten die Vertragspartner auf der Grundlage der Privatautonomie ihre Rechtsbeziehungen eigenverantwortlich. Durch den Inhalt ihrer Vereinbarungen bestimmen sie, auf welche Weise sie ihre wechselseitigen Interessen angemessen ausgleichen. Die Billigung ihrer Vereinbarung durch die staatlichen Gerichte setzt dabei voraus, dass bei Vertragsschluss die Bedingungen der freien Selbstbestimmung für beide Seiten gegeben waren und der Vertrag damit als privatrechtlicher Interessenausgleich auch tauglich ist. Kann dagegen ein Vertragspartner auf Grund einer strukturellen Überlegenheit bestimmte Regelungen einseitig durchsetzen, bewirkt das für den anderen Vertragspartner Fremdbestimmung. Verfügt dieser in einer solchen Situation über Rechtspositionen, die grundrechtlich geschützt sind, sind die staatlichen Gerichte bei Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln gehalten, korrigierend einzugreifen, um den Schutz der Grundrechte zu gewährleisten. Dazu muss allerdings auch im Fall strukturell ungleicher Verhandlungsstärke der Inhalt des Vertrags für die eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen sein (BVerfG 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – BVerfGE 89, 214, 231 ff.; 7. Februar 1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dem Aufhebungsvertrag der Parteien liegt kein offensichtlich unangemessener Interessenausgleich zugrunde. Für die Unwirksamkeit der Ausschlussklausel in Nr. 8 des Aufhebungsvertrags fehlt es insbesondere im Hinblick auf die in Nr. 2 des Vertrags vereinbarte Abfindung an einer den Kläger ungewöhnlich belastenden Regelung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
3. Entgegen der Auffassung der Revision konnte der Kläger auf den Anspruch auf Nachteilsausgleich wirksam verzichten.
a) § 113 BetrVG enthält – anders als § 112 Abs. 1 Satz 3 iVm. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG für Sozialplanansprüche – keine ausdrückliche Anordnung der Unverzichtbarkeit von Nachteilsausgleichsansprüchen.
b) Eine analoge Anwendung von § 112 Abs. 1 Satz 3, § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG auf die Ansprüche aus § 113 Abs. 3 BetrVG scheidet aus (im Ergebnis auch Keller NZA 1997, 519; Richardi/Annuß in Richardi BetrVG 8. Aufl. § 113 Rn. 64; Fitting BetrVG 21. Aufl. § 113 Rn. 42; Löwisch/Kaiser BetrVG 5. Aufl. § 113 Rn. 18). Dafür fehlt es an der erforderlichen Ähnlichkeit der Sachverhalte, welche die Annahme einer Regelungslücke in § 113 Abs. 3 BetrVG nahe legen könnte. Die Unverzichtbarkeit von Sozialplanansprüchen beruht auf dem normativen Status des Sozialplans als Betriebsvereinbarung. Die in § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG für die Wirksamkeit eines Anspruchsverzichts verlangte Zustimmung des Betriebsrats schützt den zwingenden Geltungsanspruch der betreffenden betrieblichen Normen und soll diese vor einer Aushöhlung durch Individualabsprachen bewahren (ähnlich Kreutz GK-BetrVG 7. Aufl. § 77 Anm. 271). Nachteilsausgleichsansprüche aus § 113 Abs. 3 BetrVG beruhen demgegenüber nicht auf einer zu schützenden Betriebsvereinbarung. Selbst ein vereinbarter Interessenausgleich, dessen tatsächliche Durchführung durch § 113 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG mittelbar bewirkt werden soll, stellt keine Betriebsvereinbarung und deshalb keine Rechtsnorm dar. Nachteilsausgleichsansprüche stellen gesetzliche Ansprüche dar, die grundsätzlich zur Disposition des Anspruchsinhabers stehen; etwas anderes gilt für gesetzliche Ansprüche nur, wenn das Gesetz selbst die Unverzichtbarkeit des Anspruchs vorsieht, etwa in § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, § 12 EFZG, § 22 Abs. 1 TzBfG und § 18 BBiG.
c) Die Unverzichtbarkeit von Nachteilsausgleichsansprüchen ist auch nicht vom Normzweck des § 113 Abs. 3 BetrVG geboten.
aa) Der Anspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG dient neben dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile für die entlassenen Arbeitnehmer zugleich der Durchsetzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Ist dessen Beteiligung unzureichend, erhalten die betroffenen Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf den Ausgleich bestimmter Nachteile. Unter diesem Aspekt ist der Anspruch Sanktion für das betriebsverfassungswidrige Verhalten eines Arbeitgebers, der seinen gesetzlichen Beratungspflichten bei Betriebsänderungen nicht genügt hat. Er soll im Wege präventiver Wirkung die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats an der betreffenden unternehmerischen Maßnahme sicherstellen (BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – BAGE 99, 377, 382; 24. Januar 1996 – 1 AZR 542/95 – BAGE 82, 79, 87).
bb) Hieraus folgt nicht die Unabdingbarkeit der betreffenden Ansprüche. In § 113 Abs. 3 BetrVG ist die Sanktion für die Verletzung der Beteiligungsrechte nach § 111 BetrVG auf die individualrechtliche Ebene verlagert. Damit nimmt das Gesetz – wie in § 102 BetrVG – zugleich in Kauf, dass eine solche Sanktion unterbleibt, wenn die betroffenen Arbeitnehmer von der in § 113 Abs. 1, Abs. 3 BetrVG eröffneten Klagemöglichkeit keinen Gebrauch machen. Hängt aber nach der Entscheidung des Gesetzgebers der Eintritt einer Sanktionswirkung von dem privatautonomen Entschluss zur Klageerhebung ab, wäre es widersprüchlich, einen Anspruchsverzicht als gleichermaßen privatautonome Disposition über das Sanktionsmittel generell auszuschließen.
cc) Voraussetzung für die Wirksamkeit des Anspruchsverzichts ist allerdings, dass – wie im Streitfall – bereits vorher mit dem Beginn der Durchführung der Betriebsänderung gegen die Beteiligungsrechte des Betriebsrats verstoßen worden war und der Nachteilsausgleichsanspruch deshalb schon bestand. Ein früherer Verzicht zu einem Zeitpunkt, zu welchem die Wahrung der Beteiligungsrechte noch möglich gewesen wäre, brächte § 113 Abs. 3 BetrVG um seine Sanktionswirkung. Es wäre dann die anschließende Verletzung der Beteiligungsrechte möglich, ohne dass der Unternehmer die wirtschaftliche Belastung durch Nachteilsausgleichsansprüche fürchten müsste. Von diesem Risiko darf er um des erstrebten Schutzes willen nicht entlastet werden.
Dagegen vermag der erst nachträgliche Anspruchsverzicht den Schutz der Beteiligungsrechte, weil gegen sie schon verstoßen wurde, nicht mehr zu vermindern. Seine Wirksamkeit setzt aus diesem Grund auch nicht voraus, dass die Betriebsänderung bei der Vereinbarung des Verzichts schon vollständig abgeschlossen war. Bereits mit dem Beginn der Durchführung der Betriebsänderung sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats unheilbar verletzt. Dieser Verstoß kann weder durch ein Absehen von der weiteren Durchführung der Betriebsänderung noch durch eine spätere Beratung oder Verständigung mit dem Betriebsrat rückgängig gemacht werden; ein erst nach dem Beginn der Betriebsänderung unternommener Versuch eines Interessenausgleichs ist kein Gegenstand von §§ 111, 112 BetrVG und nicht das Regelungsziel des § 113 Abs. 3 BetrVG.
4. Der Wirksamkeit eines Verzichts auf Nachteilsausgleichsansprüche steht Art. 2 der – zur Zeit der streitbefangenen Betriebsänderung noch geltenden – Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen nicht entgegen. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie hat ein Arbeitgeber, der beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen, die Arbeitnehmervertretung zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. Gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie erstreckt sich die Konsultation zumindest auf die Möglichkeit, solche Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Eine Massenentlassung liegt nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie jedenfalls dann vor, wenn ein Arbeitgeber in einem Betrieb mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern aus anderen als personenbedingten Gründen innerhalb von 30 Tagen mindestens zehn Arbeitnehmer entlässt oder – je nach Wahl des nationalen Gesetzgebers – er innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten des Betriebs mindestens 20 Arbeitnehmer entlässt.
Der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 111 BetrVG und § 17 KSchG für die erste Alternative entschieden. Zu Gunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass im Streitfall der Anwendungsbereich der Richtlinie nach dem gemeinschaftsrechtlichen Betriebsbegriff und den danach maßgeblichen Zahlenverhältnissen eröffnet ist (vgl. dazu EuGH 7. Dezember 1995 – C-449/93 – [Rockfon A/S./.SID] Slg. 1995 I-4291 = EzA KSchG § 17 Nr. 5). Auch unter dieser Voraussetzung verlangt die gemeinschaftsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung und effektiven Anwendung der Richtlinie nicht, im nationalen Recht die Möglichkeit auszuschließen, auf einen Nachteilsausgleichsanspruch nach § 113 Abs. 3 BetrVG zu verzichten. Zwar sind die Mitgliedstaaten auf Grund ihrer Pflicht zur Umsetzung einer Richtlinie nach Art. 249 EG gehalten, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten. Dazu gehört auch, dass sie wirksame und abschreckende Sanktionen für den Fall des Verstoßes gegen Rechtsnormen vorsehen, deren Erlass von der Richtlinie vorgeschrieben ist. In der Wahl dieser Sanktionen ist der nationale Gesetzgeber indessen frei. Sie können auch darin bestehen, dass die Betroffenen bei einem Verstoß gegen die Richtlinie Anspruch auf eine angemessene Entschädigung haben (vgl. EuGH 10. April 1984 – Rs. 14/83 – [Colson und Kamman./.Land Nordrhein-Westfalen] Slg. 1984, 1891 = AP BGB § 611a Nr. 1 = EzA BGB § 611a Nr. 1).
Eine solche individualrechtliche Sanktion schließt immer die Möglichkeit ein, dass der betreffende Anspruch von seinem Inhaber nicht geltend gemacht oder zumindest nicht durchgesetzt wird. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob deshalb die vom Gemeinschaftsrecht geforderte Wirksamkeit der Sanktion wegen Verstößen gegen Beteiligungsrechte des Betriebsrats etwa nach anderen Mitteln als der Gewährung privatrechtlicher Entschädigungsansprüche verlangt. Ist dies nicht der Fall, wird die mit solchen individuellen Ansprüchen verbundene Sanktionswirkung – wie zur nationalen Rechtslage dargelegt – nicht dadurch geringer, dass dem Anspruchsinhaber die Möglichkeit eingeräumt ist, auf seinen Entschädigungsanspruch nach dessen Entstehung zu verzichten. Ist dagegen die Gewährung privater Entschädigungsansprüche gemeinschaftsrechtlich ohnehin unzureichend, ist auch der Ausschluss eines Anspruchsverzichts kein taugliches Sanktionsmittel.
5. Weil schon Nr. 8 des Aufhebungsvertrags der Parteien zu einem Anspruchsverlust geführt hat, kommt es auf eine mögliche tarifliche oder gesetzliche Verwirkung nicht mehr an.
Unterschriften
Wißmann, Linsenmaier, Kreft, Brunner, Federlin
Fundstellen
Haufe-Index 1113880 |
BAGE 2005, 347 |
BB 2004, 1168 |
DB 2004, 658 |
EBE/BAG 2004, 1 |
ARST 2004, 175 |
EWiR 2004, 895 |
NZA 2004, 440 |
StuB 2004, 528 |
ZIP 2004, 627 |
AP, 0 |
AuA 2004, 47 |
EzA-SD 2004, 8 |
EzA |
MDR 2004, 578 |
ZInsO 2004, 352 |
AUR 2004, 165 |
ArbRB 2004, 104 |
NJW-Spezial 2004, 35 |
RdW 2004, 474 |
BAGReport 2004, 117 |
SPA 2004, 6 |