Entscheidungsstichwort (Thema)
Sprachkurs als politische Weiterbildung
Leitsatz (amtlich)
Ein Sprachkurs dient dann nicht der politischen Weiterbildung, wenn er die Vertiefung vorhandener Sprachkenntnisse bezweckt und wenn landeskundliche und politische Themen nur die Übungsbereiche für die Anwendung der vorhandenen und erworbenen Sprachkenntnisse sind.
Normenkette
AWbG NW § 1 Abs. 2, § 9; WbG NW § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 06.06.1990; Aktenzeichen 15 Sa 1212/87) |
ArbG Wuppertal (Urteil vom 16.07.1987; Aktenzeichen 4 Ca 412/87) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 6. Juni 1990 – 15 Sa 1212/87 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger ist bei der Beklagten als Ingenieur beschäftigt. Er bat die Beklagte am 6. Juni 1986 schriftlich um Genehmigung des Bildungsurlaubs 1985 und 1986 für die Zeit vom 21. Juli bis 1. August 1986 zur Teilnahme an einem bis zum 7. August 1986 dauernden Sprachkurs Schwedisch II-III. Die vom Svenska-Institut in Stockholm durchgeführte Veranstaltung war vom Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen mit Bescheid vom 29. April 1986 als Bildungsveranstaltung anerkannt worden. Die Beklagte lehnte die Freistellung mit Schreiben vom 3. Juli 1986 ab. Daraufhin antwortete der Kläger am 19. Juli 1986 u.a.:
“Da die Anmeldung zu obiger Veranstaltung schon vor längerer Zeit erfolgen mußte, und ich für die langwierige Behandlung der Angelegenheit nicht verantwortlich zu machen bin, habe ich für den entsprechenden Zeitraum Jahresurlaub beantragt. Ich behalte mir vor, diesen bei eventueller nachträglicher Genehmigung des Antrages noch in Anspruch zu nehmen.”
Der Kläger hat vorgetragen, bei dem von ihm besuchten Kurs habe es sich nicht um einen reinen Sprachkurs gehandelt. Vielmehr seien auch Kultur und Gesellschaftskunde Kursinhalt gewesen. Er habe Referate gehalten über ein Interview mit einer schwedischen Politikerin über das Parteisystem, die Kommunalpolitik und die kommunale Verwaltungsarbeit sowie über einen Studienbesuch im botanischen Garten der Stadt Helsingborg. Weiterhin hätten sich die Kursteilnehmer anläßlich eines Wochenendbesuches auf einem Bauernhof über bäuerlichen Privatwald informiert. Im Januar 1987 sei er in seiner Eigenschaft als Ingenieur auch wegen seiner Schwedischkenntnisse zur Beurteilung einer elektronischen Anlage nach Stockholm geschickt worden. Dieser Besuch habe zur Auftragserteilung an die schwedische Firma geführt. Seine Sprachkenntnisse seien in diesem Fall für die Beklagte von Nutzen gewesen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte in der Zeit vom 21. Juli bis 1. August 1986 zur Freistellung des Klägers unter Fortzahlung der Vergütung nach dem AWbG NW verpflichtet war.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger weiter sein erstinstanzliches Klageziel. Er rügt die Verletzung des § 1 Abs. 2 AWbG. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Der Kläger hatte 1986 keinen Anspruch auf Freistellung zum Besuch des Sprachkurses Schwedisch II-III nach § 1 Abs. 2 AWbG.
I. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Bei einer Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines vergangenen Rechtsverhältnisses ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, soweit sich aus der Klage Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben (Senatsurteil vom 22. September 1992, EzA § 256 ZPO Nr. 36 = NZA 1993, 429; BAG Urteil vom 4. September 1986 – 8 AZR 2/84 – EzBAT § 52 BAT Nr. 14). Mit dem vorliegenden Feststellungsantrag verlangt der Kläger nicht nur die Begutachtung eines in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalts. Denn wenn die Beklagte die begehrte Freistellung zu Unrecht verweigert haben sollte, steht dem Kläger zwar kein Urlaubsanspruch zu, wie er in seinem Schreiben vom 19. Juli 1986 gemeint hat. Denkbar ist jedoch ein Schadenersatzanspruch auf nachträgliche Freistellung, weil die Beklagte sich mit ihrer Leistung bei Untergang des Freistellungsanspruchs nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz spätestens am Jahresende 1986 im Verzug befunden haben könnte, §§ 284 Abs. 1, 286 Abs. 1, 287 Satz 2, 249 ff. BGB. Damit besteht ein Rechtsschutzinteresse im Sinne des § 256 ZPO.
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
1. Die Anerkennung der vom Kläger besuchten Veranstaltung durch den Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen nach § 9 Satz 1 d AWbG schließt die inhaltliche Überprüfung der Bildungsmaßnahme durch die Arbeitsgerichte nicht aus. Die Tatbestandswirkung der Anerkennung der Bildungsveranstaltung verwehrt den Gerichten für Arbeitssachen nicht die Prüfung, ob die Bildungsveranstaltung gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt wird und ob sie inhaltlich den Zwecken des § 1 Abs. 2 AWbG entspricht (BAG Urteile vom 3. August 1989 – 8 AZR 249/87 – BAGE 62, 280 = EzA § 9 AWbG NW Nr. 3 und – 8 AZR 335/87 – EzA § 7 AWbG NW Nr. 4).
2. Der vom Kläger besuchte Sprachkurs Schwedisch II-III erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AWbG. Er diente nicht der politischen Weiterbildung im Sinne dieser Vorschrift.
a) Das AWbG definiert den Begriff der politischen Weiterbildung nicht. Er ist deshalb auszulegen. Dazu bedarf es neben der Berücksichtigung von Wortlaut und Zweck des Gesetzes der Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 15. Dezember 1987 (BVerfGE 77, 308 = AP Nr. 62 zu Art. 12 GG = EzA § 7 AWbG NW Nr. 1) herausgestellten verfassungsrechtlichen Prüfungsmerkmale. Danach sind die den Arbeitgebern auferlegten Freistellungs- und Entgeltfortzahlungspflichten für Arbeitnehmer, die an Bildungsveranstaltungen teilnehmen, durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Unter den Bedingungen fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels wird lebenslanges Lernen zur Voraussetzung individueller Selbstbehauptung und gesellschaftlicher Anpassungsfähigkeit im Wechsel der Verhältnisse. Dem einzelnen hilft die Weiterbildung, die Folgen des Wandels beruflich und sozial besser zu bewältigen. Es liegt im Gemeinwohl, neben dem erforderlichen Sachwissen für die Berufsausübung das Verständnis der Arbeitnehmer für die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern.
b) Unter Berücksichtigung dessen dienen zunächst Veranstaltungen der politischen Weiterbildung, die Kenntnisse über den Aufbau unseres Staates, die demokratischen Institutionen und die Verfahren unserer Verfassung sowie die Rechte und Pflichten der Staatsbürger vermitteln.
c) Der gesetzliche Begriff der politischen Weiterbildung darf aber nicht auf diese Inhalte begrenzt werden. Der auf die Inhalte der Gemeinschafts- oder Staatsbürgerkunde beschränkte Politikbegriff wäre zu eng.
Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz zählt die Sachthemen, die einer politischen Weiterbildung dienen können, nicht abschließend auf. Es enthält auch nicht wie in Bildungsurlaubsgesetzen anderer Länder einen Negativkatalog (vgl. z.B. § 11 Niedersächsisches Bildungsurlaubsgesetz). Entzieht sich somit der Begriff der politischen Weiterbildung in § 1 Abs. 2 AWbG einer abschließenden, ausschließlich auf Sachthemen bezogenen Definition, so muß zu Abgrenzungszwecken auf das Ziel der politischen Weiterbildung abgestellt werden. Für eine Anerkennung als politische Weiterbildung im Sinne von § 9 Satz 1, § 1 Abs. 2 AWbG ist erforderlich, daß nach dem didaktischen Konzept sowie der zeitlichen und sachlichen Ausrichtung der einzelnen Lerneinheiten das Erreichen des Ziels der politischen Weiterbildung uneingeschränkt ermöglicht wird, nämlich das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern und die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern. Von diesem Ausgangspunkt betrachtet können auch andere Sachthemen, die nicht dem Sachbereich der politischen Bildung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 4 WbG zuzuordnen sind, zum Gegenstand einer Veranstaltung der politischen Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 2 AWbG gemacht werden.
d) Ein Kurs muß auch keinen Bezug zu dem vom Arbeitnehmer ausgeübten Beruf haben, um als Veranstaltung der politischen Weiterbildung zu gelten. Weder die konkrete Ausgestaltung der Freistellungsregelung durch den nordrhein-westfälischen Gesetzgeber noch die verfassungskonforme Auslegung nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigen eine derartige Einengung des Begriffs der politischen Weiterbildung. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 AWbG dient die Arbeitnehmerweiterbildung der beruflichen und politischen Weiterbildung sowie deren Verbindung. Das Gesetz unterscheidet demnach zwischen beruflicher, politischer und beruflichpolitischer Weiterbildung. Ein Bezug zum Arbeitsverhältnis kann nur für die berufliche und beruflich-politische Weiterbildung in Betracht kommen.
Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (aaO), die Belastung des Arbeitgebers mit dem Bildungsurlaubsanspruch sei durch die Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers gerechtfertigt, können nicht dahin mißverstanden werden, daß die politische Weiterbildung für den freistellungspflichtigen Arbeitgeber einen meßbaren Nutzen konkret am Arbeitsplatz haben muß. Eine hinreichende Verantwortungsbeziehung für die im Allgemeininteresse liegende politische Weiterbildung ergibt sich schon daraus, daß ohne Freistellung von der Arbeit ein Arbeitnehmer in der Regel nicht in der Lage ist, mehrtägige Bildungsangebote wahrzunehmen. Im übrigen kommt politische Weiterbildung allgemein den Arbeitgebern zugute. Es liegt auch im wohlverstandenen Interesse der Arbeitgeber, wenn durch einen höheren politischen Informationsstand, durch ein verbessertes Verständnis für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge sowie durch eine wachsende Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, die Integration der Arbeitnehmerschaft in unsere demokratische Ordnung gestärkt und zugleich die einzelnen Arbeitnehmer darauf vorbereitet werden, die durch die fortschreitende Technisierung bedingten Probleme des sozialen Wandels besser zu bewältigen.
Eine restriktive Auslegung des Begriffs der politischen Weiterbildung in § 1 Abs. 2 AWbG kann schließlich auch nicht mit der Senatsentscheidung zum Begriff der politischen Bildung in § 1 Abs. 2 und Abs. 3 HBUG (Senatsurteil vom 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – EzA § 1 HBUG Nr. 2 = NZA 1993, 1032) begründet werden. Soweit dort ein auch nur gering einzuschätzendes Mindestmaß an greifbaren Vorteilen für den Arbeitgeber vorausgesetzt wurde, betraf es eine Veranstaltung, in der berufliche und politische Bildung dadurch verbunden waren, daß der Arbeitnehmer befähigt werden sollte, betriebspolitische Entscheidungen besser zu beurteilen und zu bewerten.
e) Bei Anlegung dieses Maßstabs hat die vom Kläger besuchte Veranstaltung nicht der politischen Weiterbildung im Sinne des § 1 AWbG gedient.
Weder den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch dem Vorbringen des Klägers läßt sich entnehmen, daß die Bildungsmaßnahme unmittelbar darauf ausgerichtet war, das Verständnis des Klägers für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern. Sprachschulung und die damit verbundene Vermittlung von Kenntnissen über Gesellschaft, Kultur und politische Verhältnisse des jeweiligen Landes sind in der Regel nicht Mittel zum Zweck der politischen Bildung. Der Zweck eines Sprachkurses ist regelmäßig auf die Vertiefung der Sprachkenntnisse gerichtet, wobei die landeskundlichen, auf Politik bezogenen Themen nur das Übungsfeld sind, auf dem die Sprachkenntnisse geübt werden. Landeskundlich-politische Themen waren im Streitfall nicht der inhaltliche Schwerpunkt. Das aber muß verlangt werden. Die Berührung gesellschaftlicher und politischer Themen im Rahmen eines Sprachkurses kann zwar auch geeignet sein, politische Bildung zu bewirken. Solange sich das jedoch als Nebeneffekt einer mit anderer Zielrichtung durchgeführten Bildungsmaßnahme erweist, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AWbG nicht erfüllt. Daran ändern die vom Kläger genannten Besonderheiten nichts. Die vom Kläger gehaltenen Referate und die von den Teilnehmern geführten Informationsgespräche standen in einem unmittelbaren Zusammenhang zur Vertiefung der Sprachkenntnisse und waren nicht vorrangig auf den Zweck der politischen Weiterbildung bezogen.
3. Der vom Kläger besuchte Sprachkurs diente auch nicht der beruflichen Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 AWbG, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat.
Der Begriff der beruflichen Weiterbildung ist wie der der politischen Weiterbildung nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertungsmaßstäbe zu bestimmen (BVerfG, aaO). Unter Berücksichtigung dessen muß eine Veranstaltung zur beruflichen Bildung den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, die Möglichkeiten einer Mitsprache und Mitverantwortung in seinem Beruf zu fördern, oder Fähigkeiten des Arbeitnehmers entwickeln oder fördern, die für den Arbeitgeber ein auch nur gering einzuschätzendes Mindestmaß von greifbaren Vorteilen mit sich bringen (Senatsurteil vom 15. Juni 1993 – 9 AZR 261/90 –, BB 1993, 2159).
So verhält es sich im Streitfall nicht. Ein Bezug der vermittelten Kenntnisse über schwedische Sprache, Gesellschaft und Kultur zur Tätigkeit des Klägers als Ingenieur ist nicht erkennbar. Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß die vermittelten Kenntnisse im Beruf jetzt oder später auch zum Nutzen des Arbeitgebers verwendet werden können. Die Beurteilung ist nicht deshalb anders vorzunehmen, weil der Kläger anläßlich eines Urlaubsaufenthaltes einmal für die Beklagte in Schweden tätig war und seine Sprachkenntnisse hierbei von Nutzen waren. Denn ein hinreichender Bezug zur beruflichen Tätigkeit erfordert eine Kontinuität in der Verwendung der Sprache in der beruflichen Tätigkeit, wie dies bei einem berufsbedingten Umgang mit Ausländern der Fall ist (Senatsurteil vom 15. Juni 1993 – 9 AZR 261/90 –, aaO).
4. Für die Annahme, der vom Kläger besuchte Sprachkurs erfülle die Voraussetzung des § 1 Abs. 2 Satz 2 AWbG, fehlt jeglicher Vortrag des Klägers.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Düwell, Dr. Wißmann, Winterholler, Dr. Klosterkemper
Fundstellen
Haufe-Index 848155 |
BB 1994, 1292 |
BB 1994, 651 |
NZA 1994, 451 |