Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftspflicht während des Annahmeverzugs – Ausschlußfristen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine besondere tarifliche Verfallklausel, nach der abweichend von der allgemeinen Regelung der Lauf von Lohn/Ausschlußfristen für Lohn-/Gehaltsklagen „im Fall der Erhebung einer Kündigungsschutzklage” bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses gehemmt ist, erfaßt nicht den Fall, daß ein Arbeitnehmer wegen einer vom Arbeitgeber behaupteten Eigenkündigung des Arbeitnehmers eine allgemeine Feststellungsklage auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses erhebt.
2. Die vollständige Anrechnung des gesamten anderweitigen Erwerbs setzt nach § 615 Satz 2 BGB regelmäßig die Beendigung des Annahmeverzugs voraus. Dauert der Annahmeverzug zur Zeit der Entscheidung über eine Vergütungsklage des Arbeitnehmers noch an, kann der Arbeitgeber nur Auskunft über die Höhe des anderweitigen Verdienstes aus den Zeitabschnitten verlangen, für die der Arbeitnehmer fortlaufend seit Beginn des Annahmeverzugs Entgelt geltend gemacht hat. (Bestätigung und Fortführung von BAG 29. Juli 1993 – 2 AZR 110/93 – BAGE 74, 28).
Normenkette
BGB §§ 615, 611; Manteltarifvertrag für das Kfz.-Gewerbe Berlin § 19 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 11. August 1998 – 12 Sa 43/98 – aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten in Höhe von 14.903,00 DM zurückgewiesen hat.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Dezember 1997 – 6 Ca 23897/97 – wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.225,00 DM (brutto) nebst 4% Zinsen p. a. aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 8. April 1997 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im übrigen werden die Berufung und Revision zurückgewiesen.
Die Parteien haben die Kosten des Rechtsstreits wie folgt zu tragen:
Klägerin 9/10 und Beklagte 1/10.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Entgelt für Zeiten der Nichtbeschäftigung der Klägerin.
Die Klägerin war seit Anfang 1986 bei der Beklagten, einem Unternehmen des Kfz-Gewerbes, als Verkaufsberaterin beschäftigt. Mit einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 10. Januar 1996 behauptete die Beklagte, die Klägerin habe am selben Tag das Arbeitsverhältnis mündlich zum 30. Juni 1996 gekündigt. Sie forderte die Klägerin am 11. Juni 1996 auf, ihren Resturlaub zu nehmen. Dem entsprach die Klägerin und gab der Beklagten am Monatsende das ihr überlassene Dienstfahrzeug zurück. Mit ihrer am 5. Juli 1996 erhobenen allgemeinen Feststellungsklage machte die Klägerin erfolgreich den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend. Durch rechtskräftiges Urteil vom 11. März 1997 stellte das Landesarbeitsgericht fest, zwischen den Parteien bestehe ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis. Eine mögliche Kündigung der Klägerin sei nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 des für allgemeinverbindlich erklärten Manteltarifvertrags für die Arbeiter und Angestellten im Kfz.-Gewerbe Berlin (MTV) vom 29. Juni 1988 wegen fehlender Schriftform rechtsunwirksam.
Im April 1997 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung der Vergütung von Juli 1996 bis einschließlich Februar 1997 auf. Ausgehend von einem Monatseinkommen von 4.730,00 DM brutto berücksichtigte sie die im jeweiligen Monat anderweitig erzielten Verdienste und Leistungen des Arbeitsamtes. Für die streitigen acht Monate verblieb ein Betrag von insgesamt 12.220,00 DM brutto. Ferner verlangte sie ua. 2.908,00 DM brutto Urlaubs- und Weihnachtsgeld 1996, 500,00 DM brutto Anwesenheitsprämie 1996 und 500,00 DM brutto im Januar 1997 fällige Treueprämie. Das an die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten gerichtete Aufforderungsschreiben ist diesen am 9. April 1997 zugegangen. Am 25. April 1997 hat die Klägerin den Erlaß eines Mahnbescheids beantragt.
In § 19 MTV ist bestimmt:
„Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis
- Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind beiderseits innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach ihrer Fälligkeit, jedoch spätestens innerhalb von 4 Wochen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend zu machen.
- Sind die Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht, ist ihre Erfüllung jedoch abgelehnt worden oder ist eine Erklärung hierzu innerhalb von 2 Wochen nicht erfolgt, so ist innerhalb weiterer 6 Wochen Klage beim Arbeitsgericht zu erheben oder die tarifliche Gütestelle anzurufen.
- Die in vorstehenden Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Fristen sind Ausschlußfristen derart, daß mit dem fruchtlosen Ablauf der Frist das geltend zu machende Recht erlischt.
- Die Ausschlußfristen der Absätze 1 und 2 gelten nicht für die Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund bewußter Unterschreitungen tariflicher Bestimmungen. Solche Ansprüche sind spätestens innerhalb von 6 Wochen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend zu machen.
- Die Ausschlußfristen beginnen bei Lohn/Gehaltsforderungen im Falle der Erhebung einer Kündigungsschutzklage von dem Zeitpunkt ab zu laufen, zu dem das Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses rechtskräftig festgestellt wurde.”
Der Manteltarifvertrag ist zum 1. Januar 1997 durch den nicht allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag der Arbeitnehmer im Kraftfahrzeug – Gewerbe Berlin vom 13. Januar 1997 abgelöst worden. § 19 MTV ist wortgleich vereinbart.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 16.128,00 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem daraus folgenden Nettobetrag seit dem 8. April 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten. Sie macht im wesentlichen geltend, die Klägerin habe nicht hinreichend Auskunft über die von ihr anderweitig erzielten Verdienste erteilt. Die Mitteilung über den Verdienst/das Arbeitslosengeld in den Monaten März bis November 1997, das die Klägerin in ihrer anderweitig anhängigen Zahlungsklage für März bis September 1997 berücksichtigt hat, genüge nicht. Die Klägerin habe auch über die Folgezeit Auskunft erteilen müssen. Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist überwiegend begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin die bis einschließlich Januar 1997 fällig gewordenen Entgelte zu zahlen. Im übrigen ist die Revision ohne Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin für Februar 1997 1.225,00 DM brutto nebst Zinsen zu zahlen.
I. Die Klägerin kann für Juli 1996 bis einschließlich Januar 1997 keine Vergütung nach (§ 615 Satz 1, § 611 BGB) verlangen, soweit für diese Zeit unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs Ansprüche bestanden, sind sie wegen Versäumung der tariflichen Ausschlußfristen verfallen. Unerheblich ist deshalb, ob die Beklagte bereits zum 1. Juli 1996 in Annahmeverzug geraten ist oder erst mit Zustellung der auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichteten Feststellungsklage im Vorprozeß.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist bis einschließlich Dezember 1996 der nach seinem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich (§ 1 MTV 88) einschlägige Manteltarifvertrag für die Arbeiter und Angestellten im Kfz.-Gewerbe Berlin vom 29. Juni 1988 aufgrund der Allgemeinverbindlichkeit vom 31. Mai 1990 (Bundesanzeiger Nr. 123 vom 6. Juli 1990) anzuwenden, § 5 Abs. 4 TVG. Für die Folgezeit gilt der Tarifvertrag kraft Nachwirkung (BAG 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – BAGE 69, 119; BAG 28. Mai 1997 – 4 AZR 663/95 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 8). Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO) läßt sich nicht entnehmen, daß – wie die Revision geltend macht – die Anwendung des Mantel- und Gehaltstarifvertrag für den Berliner Einzelhandel abgemacht worden sei.
2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Geltendmachung im April 1997 habe die tarifliche Ausschlußfrist des § 19 Abs. 142 MTV gewahrt. Der Lauf der Fristen nach § 19 Abs. 1 und Abs. 2 MTV sei nach § 19 Abs. 5 MTV bis zur Rechtskraft des im März 1997 verkündeten Urteils im Vorprozeß gehemmt worden.
Dem stimmt der Senat nicht zu.
a) Nach seinem Wortlaut ist § 19 Abs. 5 MTV nur „im Fall der Erhebung einer Kündigungsschutzklage” anzuwenden. Der Begriff „Kündigungsschutzklage” hat im allgemeinen arbeitsrechtlichen Sprachgebrauch einen feststehenden Inhalt. Er wird für Feststellungsklagen iS von § 4 KSchG verwendet, dh. der Arbeitnehmer muß gerichtlichen Schutz gegen eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung in Anspruch nehmen (vgl. BAG 12. November 1998 – 8 AZR 301/97 – DB 1999, 1067). Eine Kündigungsschutzklage hat die Klägerin nicht erhoben. Ob der Wortlaut der Tarifnorm auch eine allgemeine Feststellungsklage deckt, mit der ein Arbeitnehmer die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung des Arbeitgebers außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG geltend macht, ist nicht zu entscheiden. Auch eine solche Kündigung war zwischen den Parteien nicht im Streit.
Der Wortlaut der Tarifvorschrift schließt auch aus, sie deshalb auf die von der Klägerin erhobene allgemeine Feststellungsklage anzuwenden, weil die Beklagte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer von der Klägerin erklärten Kündigung behauptet hatte. Zwar bezwecken die Tarifvertragsparteien mit der nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 MTV für jede Kündigung erforderlichen Schriftform erkennbar auch den Schutz des Arbeitnehmers vor den Folgen einer eigenen mündlichen Kündigung. Die vom Arbeitnehmer wegen einer vermeintlich eigenen Kündigung erhobene Klage ist damit aber keine Kündigungsschutzklage iS des Tarifvertrags.
b) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist für eine analoge, am „Sinn und Zweck” orientierte Anwendung des § 19 Abs. 5 MTV auf alle Bestandsschutzklagen keinen Raum.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können zwar als lückenhaft erkannte Regelungen in einem Tarifvertrag durch die Gerichte für Arbeitssachen geschlossen werden, wenn es sich um eine sog. unbewußte Lücke handelt und zudem gesichert ist, daß die Tarifvertragsparteien diesen ungeregelten Sachverhalt in einer bestimmten Weise normiert hätten (vgl. BAG 24. Februar 1988 – 4 AZR 614/87 – BAGE 57, 334).
bb) Diese Voraussetzungen liegen aber hier nicht vor.
(1) Mit § 19 Abs. 5 MTV vergleichbare Klauseln (zB § 16 Abs. 2 Satz 2 BRTV) werden vielfach vereinbart, wenn die Tarifvorschrift nicht nur die fristgebundene mündliche oder schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen vorsieht, sondern ihre ebenfalls fristgebundene gerichtliche Geltendmachung. Anlaß für derartige Vereinbarungen ist die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. 22. Februar 1978 – 5 AZR 805/76 – BAGE 30, 135; 7. November 1991 – 2 AZR 34/91 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 114 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 93), nach der die Erhebung einer Bestandsklage zwar regelmäßig als geeignet angesehen wird, eine Ausschlußfrist hinsichtlich der vom Ausgang des Rechtsstreits abhängigen Ansprüche des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn zu wahren. Das wird aber nur bei einer sog. einstufigen Ausschlußfrist angenommen. Eine zusätzlich vorgeschriebene gerichtliche Geltendmachung wird dadurch nicht entbehrlich (BAG 13. September 1984 – 6 AZR 379/81 – BAGE 46, 359). Der Arbeitnehmer kann daher das Erlöschen möglicher Entgeltansprüche regelmäßig nur verhindern, wenn er sie bereits gerichtlich verfolgt, obwohl der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und damit das Bestehen von Zahlungsansprüchen noch ungewiß ist. Diese Konstellation wird im Bereich des Kfz. – Gewerbes Berlin für Lohn-/Gehaltsklagen im Fall der Kündigungsschutzklage mit § 19 Abs. 5 MTV vermieden.
(2) Die Verlagerung des Beginns der Ausschlußfristen auf die rechtskräftige Entscheidung über das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses macht auch dann Sinn, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus sonstigen Gründen über das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses streiten, etwa über die Wirksamkeit einer Befristung des Arbeitsverhältnisses oder einer auflösenden Bedingung, eines Aufhebungsvertrags, eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB oder – wie hier – über eine vom Arbeitgeber behauptete Eigenkündigung des Arbeitnehmers. Es kann unterstellt werden, daß den Tarifvertragsparteien die Vielzahl der Gründe bekannt sind, die zum Streit über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses führen können, zumal § 2 und § 3 MTV einschränkende Bestimmungen zur Befristung von Arbeitsverträgen enthalten. Die ausdrückliche Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 19 Abs. 5 MTV auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage läßt daher nicht erkennen, die Tarifvertragsparteien hätten die bei sonstigen Bestandsstreitigkeiten zu erhebende allgemeine Feststellungsklage versehentlich ungeregelt gelassen. Nicht auszuschließen ist, daß ein anderer Tarifinhalt nicht erwünscht oder nicht konsensfähig war.
3. Die danach maßgeblichen Fristen der § 19 Abs. 1 und Abs. 2 MTV hat die Klägerin hinsichtlich der bis einschließlich Januar 1997 fällig gewordenen Ansprüche nicht gewahrt; diese Ansprüche sind nach § 19 Abs. 3 MTV erloschen.
Die monatlichen Gehaltsansprüche werden nach § 8 Abs. 3 MTV am Monatsende fällig. Urlaubs- und Weihnachtsgeld 1996 sowie die Anwesenheitsprämie 1996 sind noch 1996 fällig geworden, die Treueprämie im Januar 1997. Für die Fälligkeit der Forderungen ist unerheblich, daß die Beklagte sich in Annahmeverzug befand. Während des Annahmeverzugs gelten keine anderen Fälligkeitstermine als bei ungestörtem Verlauf des Arbeitsverhältnisses (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. schon 10. April 1963 – 4 AZR 95/62 – BAGE 14, 156).
a) Die am 25. April 1997 erfolgte gerichtliche Geltendmachung konnte den Verfall der bis einschließlich Dezember 1996 fällig gewordenen Ansprüche nicht verhindern. Die der Klägerin ab 31. Dezember 1996 im Höchstfall zur Verfügung stehende Zeit von 14 Wochen (§ 19 Abs. 1 MTV sechs Wochen, § 19 Abs. 2 MTV Ablehnung der Erfüllung des Anspruchs oder zwei Wochen Wartefrist sowie sechs Wochen für die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens) endete mit dem 7. April 1997.
b) Der Zeitpunkt der gerichtlichen Verfolgung wäre für die am 31. Januar 1997 fällig gewordenen Ansprüche an sich noch rechtzeitig gewesen, wenn die Klägerin die erste Stufe von sechs Wochen zur schriftlichen Geltendmachung eingehalten hätte und mithin bis 14. März 1997 fristwahrend tätig geworden wäre. Das ist jedoch nicht gegeben. Bei einer zweistufigen Ausschlußfrist sprechen die Interessen des Arbeitnehmers nicht ohne weiteres für die Annahme, er wolle mit der Bestandsklage die Frist zur schriftlichen Geltendmachung der Zahlungsansprüche wahren. Die Feststellungsklage wird regelmäßig zeitlich vor Fälligkeit der monatlichen Gehaltsansprüche des Arbeitnehmers erhoben. Bei einer solchen vorzeitigen Geltendmachung beginnen die Fristen für eine Bedenkzeit/ Wartezeit und für die sich anschließende gerichtliche Geltendmachung zwar erst mit der Fälligkeit des Anspruchs (BAG 27. März 1996 – 10 AZR 668/95 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 134 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 123). Damit verkürzt sich aber zugleich die dem Arbeitnehmer zur Verfügung stehende Höchstfrist zur gerichtlichen Geltendmachung, hier nach § 19 Abs. 1 und Abs. 2 MTV von vierzehn Wochen auf acht Wochen. Dieser Nachteil schließt zugleich aus, in der jeweiligen Stellung der Anträge im Bestandsrechtsstreit eine vorsorgliche Geltendmachung zu sehen, zumal deren zeitliche Lage von der gerichtlichen Organisation abhängt und vom Arbeitnehmer kaum zu beeinflussen ist. Zudem ist für den Arbeitgeber nicht erkennbar, daß und wann der Arbeitnehmer die Ansprüche „schriftlich” iS des Tarifvertrags geltend macht und der Lauf der folgenden Fristen beginnt. Derartige Ungewißheiten sind mit dem Zweck von Ausschlußfristen, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu gewährleisten, nicht vereinbar. Dem Arbeitnehmer obliegt deshalb, in der Klageschrift zum Bestandsstreit oder in sonst geeigneter Weise dem Arbeitgeber gegenüber zu verdeutlichen, daß und welche Ansprüche zur Vermeidung des Erlöschens geltend gemacht werden. Derartige Erklärungen hat die Klägerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abgegeben.
II. Die weitergehende Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung des fristgerecht geltend gemachten Entgelts für Februar 1997 verurteilt und hiervon nur den von der Klägerin bereits in der Klage berücksichtigen Verdienst abzogen, den sie aus ihrer anderweitigen Erwerbstätigkeit in diesem Monat erzielt hat.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entgelt für Februar 1997 nach den Vorschriften über den Annahmeverzug (§ 615 Satz 1, § 611 BGB in Verb. mit §§ 293 ff. BGB) erworben. Hiergegen wendet sich die Beklagte nicht. Auch die Höhe des von der Klägerin ihrer Berechnung zugrunde gelegten durchschnittlichen Monatsentgelts und der Umfang des von ihr bis dahin erzielten Einkommens aus anderer Erwerbstätigkeit sind nicht streitig. Die Ausschlußfristen des § 19 Abs. 1 und Abs. 2 MTV sind gewahrt. In der Revision ist klargestellt worden, daß die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten für den Empfang des Geltendmachungsschreibens der Klägerin mit Wirkung gegen die Beklagte (§ 164 Abs. 2 BGB) zuständig waren. Das Schreiben ist ihnen vor Fristablauf (11. April 1997), nämlich am 9. April 1997, zugegangen. Die Klägerin hat ihren Anspruch rechtzeitig gerichtlich nach § 19 Abs. 2 MTV erhoben, da ihr Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids noch im April 1997 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist.
2. Aus der Feststellung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich nicht, daß der Vergütungsanspruch der Klägerin für Februar 1997 wegen anrechenbarer Einkünfte nach § 615 Satz 2 BGB erloschen ist.
a) Nach dieser Vorschrift muß sich der Arbeitnehmer auf die ihm zustehende vertragliche Vergütung anrechnen lassen, was er aufgrund einer anderweitigen Verwendung seiner Dienste erwirbt. Hierzu vertritt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß der anderweitige Verdienst des Arbeitnehmers auf die Vergütung für die gesamte Dauer des Annahmeverzugs anzurechnen ist und nicht nur auf die Vergütung für den Zeitabschnitt, in dem der anderweitige Erwerb gemacht (pro rata temporis) wurde. Für die deshalb erforderliche Vergleichsberechnung (Gesamtberechnung) ist die Vergütung für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste zu ermitteln. Dieser Gesamtvergütung ist gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit anderweitig erwirbt (29. Juli 1993 – 2 AZR 110/93 – BAGE 74, 28 mwN und vom 19. Februar 1997 – 5 AZR 379/94 – nv.).
b) Die Beklagte entnimmt dieser Rechtsprechung, für die Ermittlung der Gesamtvergütung blieben solche Ansprüche außer Betracht, die der Arbeitnehmer nicht rechtzeitig geltend gemacht habe. Ein in diesen Zeiträumen durch die anderweitige Verwendung der Dienste erworbener Verdienst könne auf den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers für andere Bezugszeiträume angerechnet werden. Infolge dieser Anrechnung entfalle der Vergütungsanspruch der Klägerin.
Das ist nicht richtig. In die Vergleichsberechnung sind zugunsten des Arbeitnehmers alle Ansprüche einzustellen, die er gegen den Arbeitgeber erworben hat. Ein zwischenzeitliches Erlöschen wegen nicht fristgerechter Geltendmachung der Forderung ist unerheblich. Anderes ergibt sich nicht aus der in § 615 Satz 2 BGB bestimmten Gesamtberechnung. Die Gesamtberechnung soll aus Gründen der Billigkeit sicherstellen, daß der Arbeitnehmer aus der anderweitigen Verwendung seiner Dienste keinen Gewinn auf Kosten des Arbeitgebers machen kann, was möglich wäre, wenn in einzelnen Zeitabschnitten ein höherer und in anderen Zeitabschnitten ein geringerer Zwischenverdienst erzielt wird (vgl. BAG 29. Juli 1993 – 2 AZR 110/93 – BAGE 74, 28).
3. Die Beklagte kann die vertragliche Vergütung nicht deshalb verweigern, weil die Klägerin keine hinreichende Auskunft über die von ihr anderweitig erzielten Einkünfte erteilt hat. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
a) Wird der Arbeitgeber auf Zahlung von Annahmeverzugslohn in Anspruch genommen, hat er gegen den Arbeitnehmer zur Milderung der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast in entsprechender Anwendung von § 74 c HGB Anspruch auf Auskunft über die tatsächlichen Umstände, die nach § 615 Satz 2 BGB das Erlöschen seiner Zahlungsverpflichtung bewirken. Erteilt der Arbeitnehmer die verlangte Auskunft nicht, kann der Arbeitgeber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts verweigern. Die Klage des Arbeitnehmers ist dann als zur Zeit unbegründet abzuweisen (vgl. BAG 29. Juli 1993 – 2 AZR 110/93 – BAGE 74, 28; 19. Februar 1997 – 5 AZR 379/94 – nv.).
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht keine Auskunftspflicht der Klägerin über den anderweitigen Verdienst, den sie in späteren als den bisher eingeklagten Zeitabschnitten erwirbt.
aa) Auskunftsanspruch und Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers dienen dazu, einer Überzahlung vorzubeugen. Der Arbeitgeber soll nicht zu einer rechtsgrundlosen Leistung verurteilt werden. Der Auskunftsanspruch besteht daher nur dann, wenn der Arbeitgeber auf die Auskunft angewiesen ist, um festzustellen, ob die vom Arbeitnehmer pro rata temporis geltend gemachten Vergütungsansprüche durch die Anrechnung nach § 615 Satz 2 BGB teilweise oder vollständig erloschen sind. Das setzt regelmäßig voraus, daß der Annahmeverzug wie in den vom Bundesarbeitsgericht und dem Reichsgericht entschiedenen Sachverhalten bereits beendet ist (vgl. BAG 29. Juli 1993, aaO und die dortigen Nachweise). Erst der beendete Annahmeverzug ermöglicht den für die Gesamtberechnung erforderlichen Vergleich der dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber zustehenden Entgeltansprüche mit dem Erwerb aus der anderweitiger Verwendung der Dienste.
bb) Ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers im fortdauernden Annahmeverzug ist damit nicht ausgeschlossen (vgl. BAG 27. März 1974 – 5 AZR 258/73 – BAGE 26, 89). Er setzt aber voraus, daß im Rahmen einer vorläufigen Gesamtberechnung eine Feststellung über das anrechnungsbedingte Erlöschen der vom Arbeitnehmer für die fortlaufend geltend gemachten Ansprüche möglich ist. Das ist der Fall, wenn der bisherige anderweitige Erwerb die seit Beginn des Annahmeverzugs zeitabschnittsabweise entstandenen Vergütungsansprüche verglichen werden können. Macht der Arbeitnehmer monatlich entstandene Vergütungsansprüche geltend, muß er daher zeitlich lückenlos Auskunft über den anderweitigen Verdienst erteilen, den er vom Eintritt des Annahmeverzugs bis zu dem jüngsten von ihm erhobenen Anspruch erworben hat.
cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt eine Anrechnung dessen, was die Klägerin in einem späteren Zeitraum anderweitig erwirbt, nicht in Betracht.
Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gesamtberechnung ist nichts anderes zu entnehmen. Sie führt zwar zu einer rechnerischen Zusammenfassung der dem Arbeitnehmer zustehenden Ansprüche für die Dauer seiner Nichtbeschäftigung und deren Vergleich mit dem in diesem Zeitraum insgesamt erzielten Verdienst. Damit wird aber nicht zum Ausdruck gebracht, die nach § 615 Satz 1 BGB aufrechterhaltenen Erfüllungsansprüche des Arbeitnehmers nach § 611 BGB seien im fortdauernden Annahmeverzug nunmehr unselbständige Teilposten eines einheitlichen Gesamtanspruchs auf „Annahmeverzugslohn”. Die zeitabschnittsbezogenen Vergütungsansprüche behalten ihre rechtliche Selbständigkeit. Es gilt nicht anderes, als wenn der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeit geleistet hätte und hierfür die vereinbarte Vergütung verlangte. Entstehen wie auch Fälligkeit und Erlöschen bestimmen sich nach dem vertraglich maßgeblichen Zeitabschnitt (§ 614 BGB). Die Anrechnung des durch die anderweitige Verwendung der Dienste erworbenen Verdienstes beschränkt sich deshalb regelmäßig zunächst auf den einzelnen Monat, für den der Arbeitgeber die Vergütung schuldet. Andernfalls würde der Grundsatz verletzt, daß dem Arbeitnehmer in jedem Monat ein Mindestbetrag für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen soll (Pfändungsschutz des Arbeitnehmers nach §§ 850 ff. ZPO und § 394 BGB). Zwar handelt es sich bei der Anrechnung nach § 615 Satz 2 BGB nicht um eine Aufrechnung, die Vorschrift ist aber immer dann anzuwenden, wenn die Geltendmachung von Rechten durch den Arbeitgeber dieselbe Wirkung wie eine Aufrechnung hat (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 59. Aufl. § 394 Rn. 1).
dd) Die Bedenken, ein später erzielter anderweitiger höherer Verdienst müsse bereits auf zeitlich frühere, noch nicht eingeklagten Monatsvergütungen „durchschlagen”, greifen nicht durch. Sobald der Annahmeverzug beendet wird, entsteht ein Auskunfts- und im Rahmen der Gesamtberechnung ggf. ein Rückzahlungsanspruch (vgl. BAG 29. Juli 1993, aaO). Die in Annahmeverzug befindliche Beklagte hat die Möglichkeit, den Annahmeverzug jederzeit zu beenden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO.
Unterschriften
Düwell, Böck, Reinecke, Jungermann, Benrath
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.08.1999 durch Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436557 |
BB 2000, 884 |
DB 2000, 983 |
FA 2000, 199 |
NZA 2000, 818 |
ZTR 2000, 321 |
AP, 0 |
EzA |
LL 2000, 708 |