Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung einer tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmerin. Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist bei dauerndem Unvermögen einer tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmerin zur Arbeitsleistung. Umfang der Rechtskraft eines Urteils im Kündigungsschutzverfahren. Kündigung. Prozessrecht
Orientierungssatz
- Mit der Rechtskraft des einer Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils ist festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung zu einem bestimmten Termin nicht aufgelöst worden ist. Damit steht zugleich fest, dass zumindest im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den streitenden Parteien bestanden hat.
- Ein rechtskräftiges Urteil, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine bestimmte Kündigung zum vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist, erfasst grundsätzlich auch die Feststellung, dass dieses Arbeitsverhältnis nicht zuvor durch andere Kündigungen oder sonstige Auflösungstatbestände beendet worden ist.
- Bei einem dauernden Unvermögen des Arbeitnehmers zur Erbringung seiner Arbeitsleistung handelt es sich um einen Dauertatbestand, bei dem es für die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 53 Abs. 2 Satz 1 BMT-G-II (§ 626 Abs. 2 BGB) ausreichend ist, dass der Zustand auch in den letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung noch angehalten hat.
- Die Krankheit eines Arbeitnehmers ist als wichtiger Grund iSd. § 626 BGB nicht grundsätzlich ungeeignet und kann jedenfalls im Fall eines Ausschlusses der ordentlichen Kündigung auf Grund tarifvertraglicher Vereinbarungen eine außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist rechtfertigen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1-2; BMT-G II §§ 53-54; KSchG § 4 S. 1; ZPO § 322 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 31.03.2003; Aktenzeichen 16/12 Sa 1280/02) |
ArbG Marburg (Urteil vom 12.07.2002; Aktenzeichen 2 Ca 350/01) |
Tenor
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 31. März 2003 – 16/12 Sa 1280/02 – aufgehoben.
- Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist.
Die Beklagte betreibt in Form einer Stiftung des öffentlichen Rechts ein Altenheim mit Pflegeeinrichtung, in dem ca. 200 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Die 1953 geborene, ledige Klägerin war seit dem 1. Juni 1975 bei der Beklagten als Küchenhilfe tätig. Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 21. August 1975 gelten die Vorschriften des Bundesmanteltarifvertrages für die Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) in der jeweils gültigen Fassung.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 25. Juli 1997 das Arbeitsverhältnis der Klägerin aus wichtigem Grund fristlos, hilfsweise fristgerecht aus verhaltensbedingten Gründen mit der Begründung, die Klägerin habe am 15. Juli 1997 beim Geschirrspülen an ihrem Arbeitsplatz ohne ersichtlichen Grund zu einem Arbeitskollegen gesagt: “Halts Maul, du dreckige Sau, sonst steche ich dich ab”; dabei soll sich ein Küchenmesser in greifbarer Nähe befunden haben. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27. Januar 2000 (– 12 Sa 2415/98 –) stellte das Hessische Landesarbeitsgericht fest, dass die Kündigung wegen Verstoßes gegen die Formvorschrift des § 54 BMT-G II aF unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat. Die Klägerin wurde seit dem Ausspruch der Kündigung im Juli 1997 nicht weiterbeschäftigt.
Nach Aufforderung durch die Beklagte ließ sich die Klägerin am 8. März 2001 vom ärztlichen Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marburg-Süd, Dr. K.…, auf ihre Arbeitsfähigkeit psychiatrisch untersuchen. Das Gutachten vom 27. März 2001 erhielt die Beklagte, obwohl die Klägerin den Gutachter nicht von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hatte. Das Gutachten diagnostiziert eine Psychose schizophrener Prägung. Es kommt weiter zu dem Ergebnis, es liege ein anhaltendes Unvermögen der Klägerin vor, ihre vertragsgemäßen Arbeitsleistungen als Küchenhilfe zu erbringen.
Mit Schreiben vom 24. April 2001 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist zum 31. Dezember 2001 mit der Begründung, auf Grund des Ergebnisses der Begutachtung stehe fest, dass die Klägerin auf Dauer ihre Arbeitsleistung nicht mehr erbringen könne.
Mit weiterem Schreiben vom 28. Juni 2001 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist zum 31. Dezember 2001 wegen dauerhafter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit.
Gegen beide Kündigungen hat die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben. In beiden Verfahren hat am 12. Oktober 2001 vor der Zweiten Kammer des Arbeitsgerichts Marburg ein Kammertermin stattgefunden. In dem Kündigungsschutzrechtsstreit – 2 Ca 200/01 – stellte das Arbeitsgericht mit Urteil vom 12. Oktober 2001 rechtskräftig fest, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. April 2001 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden und die nach den tarifvertraglichen Regelungen vorgeschriebene Begründung für die Kündigung fehlerhaft sei. Im vorliegenden Rechtsstreit (Arbeitsgericht Marburg – 2 Ca 350/01 –) ist die auf Grund des Beschlusses des Arbeitsgerichts vom 12. Oktober 2001 beabsichtigte ärztliche Begutachtung der Klägerin durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen gescheitert, da die Klägerin sich zur Untersuchung nicht eingefunden und der Gutachter deshalb seinen Auftrag an das Gericht zurückgegeben hatte.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage vor: Eine dauernde Leistungsunfähigkeit auf Grund psychischer Erkrankung liege nicht vor. Eine Feststellung eines Psychologen auf Grund einer 1 ½-stündigen Untersuchung reiche nicht aus, um eine dauernde Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen zu diagnostizieren. Der Beklagten sei ein angemessener Zeitraum für eine etwa erforderliche Therapie zuzumuten. Die Beklagte habe in rechtswidriger Weise die ärztliche Begutachtung betrieben und das Gutachten verwandt, obwohl sie, die Klägerin, einer Verwendung vorsorglich und aus gutem Grund widersprochen und den Arzt nicht von seiner Schweigepflicht entbunden habe. Auch sei die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Die Anhörung des Personalrats sei nicht nachgewiesen; sie könne auf Grund des Beklagtenvortrags nur die Ordnungsgemäßheit des Personalratsbeschlusses bestreiten.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten mit Kündigungsschreiben vom 28. Juni 2001 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt: Die Kündigung sei erforderlich, um einen reibungslosen Betriebsablauf in ihrem Küchenbereich sicherzustellen. Die Klägerin sei im Juli 1997 wiederholt verbal und körperlich aggressiv gegen andere Mitarbeiter geworden. Das Verhalten der Klägerin lasse zweifeln, ob sie aus psychischen Gründen überhaupt noch vertragsgemäß eingesetzt werden könne. Deshalb sei die Klägerin amtsärztlich untersucht und begutachtet worden. Nach dem Ergebnis dieses Gutachtens liege ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vor. Ein anderer Einsatz der Klägerin sei nicht in Frage gekommen. Aus Gründen der Fürsorge gegenüber den anderen Mitarbeitern habe sie keine andere Wahl gehabt, als der Klägerin zu kündigen. Der Personalrat sei am 28. Juni 2001 sowohl schriftlich als auch mündlich informiert worden. Er habe am gleichen Tag der Kündigung zugestimmt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat sich die Klägerin bereit erklärt, sich gutachtlich untersuchen zu lassen und den Gutachter von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Juni 2001 nicht mit der sozialen Auslauffrist zum 31. Dezember 2001 beendet worden. Einer anderen Entscheidung stehe die Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts Marburg vom 12. Oktober 2001 im Rechtsstreit – 2 Ca 200/01 – entgegen. Auf Grund dieser Entscheidung stehe rechtskräftig fest, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 24. April 2001 zum 31. Dezember 2001 beendet worden sei. Mit der Rechtskraft eines stattgebenden Urteils in einem Kündigungsschutzprozess stehe gleichzeitig fest, dass zum Kündigungstermin ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden habe. Stehe somit durch das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 12. Oktober 2001 auch fest, dass zum Kündigungstermin 31. Dezember 2001 ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, so könne das Arbeitsverhältnis der Parteien gar nicht mehr durch die vorliegende streitgegenständliche Kündigung beendet werden.
Dem folgt der Senat nicht. Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage mit dieser Begründung nicht stattgeben.
I. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Revision noch nicht deshalb begründet, weil die Berufung der Klägerin wegen unzureichender Begründung des Rechtsmittels unzulässig ist. Die Berufungsbegründung der Klägerin genügte den gesetzlichen Anforderungen.
1. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO nF auch im Arbeitsgerichtsverfahren grundsätzlich anwendbar (ErfK/Koch 4. Aufl. § 66 ArbGG Rn. 13; MünchKomm/ZPO/Rimmelspacher § 520 Rn. 4; Schmidt/Schwab/ Wildschütz NZA 2001, 1217, 1220; aA Germelmann/Matthes/Prütting/ Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 64 Rn. 54a und 54b). Die Regelungen sollen gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz ausreichend vorbereitet wird. Die Berufungsbegründung muss hiernach zumindest eine auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnittene Berufungsbegründung enthalten (Senat 6. März 2003 – 2 AZR 596/02 – AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 32 = EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 27).
2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Klägerin. Sie hat vorgetragen, ihre Zustimmung zur Untersuchung durch den Gutachter habe diesen nicht berechtigt, den gesamten Gutachteninhalt der Beklagten und dem Gericht bekannt zu geben. Damit rügt sie, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, eine unrichtige Rechtsanwendung durch das Arbeitsgericht. Ferner hat sie mit ihrem Vortrag, der Gutachter sei durch den Hinweis auf angebliche Arbeitsverfehlungen beeinflusst worden, die Geeignetheit des Gutachtens vom 27. März 2001 als Beleg für ihre dauernde Arbeitsunfähigkeit hinreichend bestritten. Da eine zulässige Berufungsbegründung weder eine ausdrückliche Benennung einer bestimmten Norm noch die Schlüssigkeit oder Vertretbarkeit der erhobenen Rügen fordert (BGH 26. Juni 2003 – III ZB 71/02 – NJW 2003, 2532), reichen diese Angriffe für eine zulässige Berufungsbegründung aus (vgl. auch BGH 28. Mai 2003 – XII ZB 165/02 – NJW 2003, 2531; Zöller/Heßler ZPO 24. Aufl. § 520 Rn. 27).
II. Zu Recht rügt die Revision, dass entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts einem klageabweisenden Urteil im vorliegenden Kündigungsschutzrechtsstreit die Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 12. Oktober 2001 im Rechtsstreit Arbeitsgericht Marburg – 2 Ca 200/01 – nicht entgegensteht (§ 322 Abs. 1 ZPO).
1. Der Umfang der Rechtskraft einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bestimmt sich nach dem Streitgegenstand dieses Rechtsstreits. Bei einem Kündigungsschutzantrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist nach allgemeiner Ansicht Streitgegenstand die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis aus Anlass einer ganz bestimmten Kündigung zu dem beabsichtigten Termin aufgelöst worden ist oder nicht (sog. punktuelle Streitgegenstandslehre). Mit der Regelung des § 4 KSchG wird jede Kündigung einzeln im Hinblick darauf überprüft, ob sie das Arbeitsverhältnis zum Kündigungstermin beendet hat (APS/Ascheid 2. Aufl. § 4 KSchG Rn. 134). Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils ist festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung zu dem bestimmten Termin nicht aufgelöst worden ist. Damit steht zugleich fest, dass zumindest im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den streitenden Parteien bestanden hat (zB BAG 12. Januar 1977 – 5 AZR 593/75 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 3 = EzA KSchG nF § 4 Nr. 11; 5. Oktober 1995 – 2 AZR 909/94 – BAGE 81, 111; 13. März 1997 – 2 AZR 512/96 – BAGE 85, 262; 27. September 2001 – 2 AZR 389/00 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 41 = EzA ZPO § 322 Nr. 13; APS/Ascheid § 4 KSchG Rn. 139; KR-Friedrich 6. Aufl. § 4 KSchG Rn. 225 ff.; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 4 Rn. 69; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 872 ff.). Auch erfasst ein rechtkräftiges Urteil, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine bestimmte Kündigung zu dem vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist, grundsätzlich die Feststellung, dass dieses Arbeitsverhältnis nicht zuvor durch andere Kündigungen oder sonstige Auflösungstatbestände aufgelöst worden ist (BAG 20. Mai 1999 – 2 AZR 278/98 –).
2. Ob und inwieweit dies – wie das Landesarbeitsgericht meint – in gleicher Weise für eine Kündigung zum selben Beendigungszeitpunkt gilt, bedarf vorliegend keiner Vertiefung. Auch wenn man dies bejaht, hat das Landesarbeitsgericht die Besonderheit der beiden Rechtsstreite nicht hinreichend beachtet. Die dem Rechtsstreit Arbeitsgericht Marburg – 2 Ca 200/01 – zugrunde liegende Kündigung vom 24. April 2001 und die vorliegend noch streitige Kündigung vom 28. Juni 2001 waren Gegenstand separater Kündigungsschutzklagen. In beiden Rechtsstreitigkeiten fand am 12. Oktober 2001 vor der Zweiten Kammer des Arbeitsgerichts ein Kammertermin statt. Dabei hat das Arbeitsgericht beide Kündigungsschutzklagen nicht nach § 147 ZPO zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung verbunden, sondern nur eine unabhängig von dieser Norm mögliche gemeinsame Verhandlung durch bloße Terminierung auf denselben Zeitpunkt herbeigeführt und die beiden Verfahren selbstständig fortbestehen lassen (vgl. Zöller/Greger ZPO § 147 Rn. 5; BGH 30. Oktober 1956 – I ZR 82/55 – NJW 1957, 183). Das Arbeitsgericht Marburg hat dann am Sitzungsende im Rechtsstreit – 2 Ca 200/01 –das klagestattgebende Urteil verkündet; im vorliegenden Ausgangsrechtsstreit – 2 Ca 350/01 – hat es einen Beweisbeschluss erlassen, nach dem ein ärztliches Gutachten über den Gesundheitszustand der Klägerin eingeholt werden sollte. Durch diese unterschiedlichen Entscheidungen in den beiden Verfahren war für die Parteien hinreichend erkennbar, dass das Arbeitsgericht die beiden Kündigungen rechtlich unterschiedlich bewertet, und eine etwaige Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin durch die Kündigung vom 28. Juni 2001 von der Entscheidung im Verfahren– 2 Ca 200/01 – ausgeklammert werden sollte, was zulässig ist (vgl. Senat 20. Mai 1999 – 2 AZR 278/98 –). Da somit das Arbeitsgericht im Ausgangsrechtsstreit bewusst über die streitgegenständliche Kündigung vom 28. Juni 2001 nicht entschieden hat und auch nicht entscheiden wollte, kann es der Beklagten nicht verwehrt werden, sich im weiteren Prozessverlauf auf die nicht rechtskräftig entschiedene Kündigung vom 28. Juni 2001 zu berufen (Senat 27. Januar 1994 – 2 AZR 484/93 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 28 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 48).
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
I. Die Kündigung vom 28. Juni 2001 ist nicht als sog. Wiederholungskündigung unwirksam. Eine Wiederholungskündigung liegt nur vor, wenn vor rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung aus denselben Gründen eine weitere Kündigung ausgesprochen wird (KR-Fischermeier 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 403). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Kündigungen vom 24. April 2001 und 28. Juni 2001 jeweils aus “denselben Gründen”, nämlich wegen angeblicher dauernder Leistungsunfähigkeit der Klägerin, ausgesprochen wurden. Jedenfalls besteht keine Präklusionswirkung für solche Kündigungen und Kündigungsgründe, wenn die frühere Kündigung bereits allein aus formellen Gründen für unwirksam erklärt worden ist (Senat 26. August 1993 – 2 AZR 159/93 – BAGE 74, 143; KR-Fischermeier aaO § 626 BGB Rn. 403; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 1903). Das Arbeitsgericht Marburg hat aber die Kündigung vom 24. April 2001 lediglich aus formellen Gründen mit der Begründung für unwirksam erklärt, der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden und die nach § 54 BMT-G II erforderliche Begründung sei fehlerhaft.
II. Die Kündigung vom 28. Juni 2001 ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht nach § 53 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II unwirksam.
1. Nach § 53 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat (§ 53 Abs. 2 Satz 2 BMT-G II).
2. Bei dem von der Beklagten geltend gemachten dauernden Unvermögen der Klägerin zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung handelt es sich aber um einen Dauertatbestand. Bei einem Dauertatbestand reicht es für die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 53 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II aus, dass der Zustand auch in den letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung angehalten hat (Senat 21. März 1996 – 2 AZR 455/95 – AP BGB § 626 Krankheit Nr. 8 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 10; zuletzt 27. November 2003 – 2 AZR 601/02 –; KR-Fischermeier 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 327).
III. Schließlich ist die Kündigung auch nicht wegen Verstoßes gegen § 54 BMT-G II in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung iVm. § 125 Satz 1 BGB nichtig.
1. Nach § 54 BMT-G II aF bedürfen Kündigungen durch den Arbeitgeber nach Ablauf der Probezeit der Schriftform unter Angabe der Gründe. Dieses tarifliche Erfordernis dient der Rechtsklarheit und Beweissicherung. Nach dem Sinn der Regelung soll sich der gekündigte Arbeitnehmer auf Grund der ihm mitgeteilten Gründe darüber klar werden können, ob er die erklärte Kündigung anerkennen oder gegen sie vorgehen wolle (Senat 10. Februar 1999 – 2 AZR 176/98 – AP BMT-G II § 54 Nr. 2 = EzA BGB § 125 Nr. 14). Auch sollen die zu prüfenden Kündigungsgründe insoweit außer Streit gestellt werden, als der Arbeitnehmer nicht mit einer Ausweitung oder Einführung zusätzlicher – neuer Kündigungsgründe in dem von ihm angestrengten Kündigungsschutzprozess rechnen muss (Senat 27. März 2003 – 2 AZR 173/02 – AP BMT-G II § 54 Nr. 4).
2. Den formellen Erfordernissen des § 54 BMT-G II aF entspricht das Kündigungsschreiben vom 28. Juni 2001. Es legt ausführlich dar, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen psychisch bedingten Unvermögens zur Leistungserbringung beendigen will.
Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Krankheit eines Arbeitnehmers ist als wichtiger Grund iSd. § 626 BGB nicht grundsätzlich ungeeignet und kann jedenfalls im Falle eines Ausschlusses der ordentlichen Kündigung auf Grund tarifvertraglicher Vereinbarungen eine außerordentliche Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist rechtfertigen (vgl. beispielsweise Senat 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – BAGE 101, 39; zuletzt 27. November 2003 – 2 AZR 601/02 –).
Das Landesarbeitsgericht hat – von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent – eine materiell-rechtliche Würdigung der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist vom 28. Juni 2001 in dieser Hinsicht unterlassen und zum materiellen Kündigungsgrund noch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Dies wird es genauso nachzuholen haben, wie die notwendige umfassende Interessenabwägung (§ 53 Abs. 1 BMT-G II, § 626 Abs. 1 BGB).
Ferner wird es im Hinblick auf die von der Klägerin erhobene Rüge, die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der vorliegenden Kündigung näher prüfen und dabei beachten müssen, dass die Personalratsbeteiligung bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist gegenüber einem tariflich oder vertraglich unkündbaren Arbeitnehmer wie bei einer ordentlichen Kündigung erfolgen muss (Senat 18. Januar 2001 – 2 AZR 616/99 – AP LPVG Niedersachsen § 28 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 4).
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, J. Walter, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 1231024 |
DB 2004, 2537 |
FA 2005, 59 |
NZA 2004, 1216 |
SAE 2005, 43 |
ZTR 2005, 46 |
AP, 0 |
EzA-SD 2004, 12 |
PersR 2005, 209 |
PersV 2005, 230 |
ArbRB 2004, 333 |
FSt 2005, 760 |
SPA 2004, 7 |
Tarif aktuell 2004, 2 |