Entscheidungsstichwort (Thema)
Sittenwidrige Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Fortführung der Rechtsprechung in den Urteilen vom 12. Oktober 1954 – 2 AZR 36/53 – AP Nr. 5 zu § 3 KSchG 1971 und vom 23. November 1961 – 2 AZR 301/61 – AP Nr. 22 zu § 138 BGB
Normenkette
BGB §§ 138, 626; KSchG § 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 04.11.1992; Aktenzeichen 8 Sa 1928/91) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 04.11.1991; Aktenzeichen 14 Ca 305/89) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt (Main) vom 4. November 1992 – 8 Sa 1928/91 – aufgehoben, soweit darin die Beklagte verurteilt worden ist, die Ermahnung vom 4. April 1989 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger 3.753,63 DM brutto abzüglich 956,44 DM netto nebst Zinsen für Juli 1989 und weitere 745,48 DM brutto nebst Zinsen für August 1989 zu zahlen, wird auf die Revision der Beklagten das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und insoweit die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Main) vom 4. November 1991 – 14 Ca 305/89 – als unzulässig verworfen.
Soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger 3.303,63 DM brutto jährlich als 13. Gehalt zu zahlen, wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen.
Soweit das Landesarbeitsgericht der Klage im übrigen stattgegeben und über die Kosten entschieden hat, wird sein Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an die Erste Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die beklagte Stiftung betreibt ein Alten- und Pflegeheim mit ca. 300 Bewohnern und ca. 160 Beschäftigten. Der 1955 geborene Kläger ist in diesem Heim nach einem Praktikum seit April 1985 als Masseur und medizinischer Bademeister tätig. Im Arbeitsvertrag ist die Anwendung des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) vereinbart; das Gehalt des Klägers betrug zuletzt 3.303,63 DM brutto.
Nachdem die Beklagte dem Kläger noch im Jahr 1987 in einem auf seinen Wunsch hin ausgestellten Zwischenzeugnis die „vollste Zufriedenheit” mit seinen Leistungen bescheinigt hatte, kam es im Herbst 1988 erstmals im Zusammenhang mit einer vom Kläger beantragten Gehaltserhöhung zu Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Der Kläger begehrte für außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit erbrachte Sonderleistungen eine Gehaltserhöhung um 300,00 DM, die ihm nach einem ausführlichen Schriftwechsel nur teilweise, nämlich durch eine Höhergruppierung gewährt wurde. Am 4. April 1989 sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber eine Ermahnung aus mit der Begründung, er habe sich am 28. März 1989 während seiner Arbeitszeit unerlaubt von seinem Arbeitsplatz entfernt, um auf dem Stiftungsgelände längere Zeit seinen Pkw zu polieren.
Am 30. Juni 1989 wurde der Leiter der Badeabteilung pensioniert. Dadurch entfiel die auf ihn lautende Kassenzulassung für die Badeabteilung. Seit 1. Juli 1989 blieb der Kläger fast gänzlich untätig mit der Begründung, es lägen nicht in ausreichendem Umfang Rezepte zur Behandlung der Heimbewohner vor, und ohne Rezepte dürfe er keine Behandlungen durchführen. Am 12. Juli 1989 ernannte die Beklagte Frau J zur Leiterin der Badeabteilung. Sie ist ausgebildete Masseurin, war aber als Schwerbehinderte zur Krankenschwester umgeschult worden und seit einigen Jahren nicht mehr in der Badeabteilung tätig gewesen. Die Beklagte beantragte für Frau J eine Kassenzulassung, die auch erteilt wurde.
Mit Schreiben vom 20. Juli 1989 rügte die Beklagte, der Kläger lasse sich als einziger Mitarbeiter von der Heimküche enorme Essensportionen auftragen, ohne dafür mehr als das übliche geringe Entgelt zu zahlen. Wenn er als Begründung angebe, er müsse in der Stiftung eine besonders schwere körperliche Arbeit verrichten, so stelle dies angesichts seiner Untätigkeit einen Hohn dar. Außerdem nehme er das Mittagessen unzulässigerweise mit den Heimbewohnern ein, hetze diese dabei gegen die Geschäftsleitung auf, überziehe regelmäßig seine Mittagspause und erscheine zudem oft unrasiert und ungepflegt im Speisesaal. Am 21. Juli 1989 erschien der Kläger etwa eine Stunde verspätet zum Dienst. Obwohl Frau J ihn bereits als nicht erschienen in der Anwesenheitsliste eingetragen hatte, strich er diesen Vermerk durch und trug sich als anwesend ein. Im Verlauf des Vormittags weigerte er sich, eine Heimbewohnerin zu behandeln, die bislang auf eigenen Wunsch von dem bisherigen Leiter der Badeabteilung behandelt worden war. Am 26. Juli 1989 verbot der Heimleiter dem Kläger, den Raum mit der Patientenkartei zu betreten. Er begründete dieses Verbot damit, der Kläger entnehme den Patientenakten Rezepte und fotokopiere sie für eigene Zwecke. Darauf kam es zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf dem Kläger Hausverbot erteilt wurde. Trotzdem betrat der Kläger am gleichen Tag wieder das Gelände des Altenheims und auch den Raum mit der Patientenkartei. Am darauffolgenden Tag mahnte die Beklagte den Kläger ab wegen Arbeitsverweigerung, verspäteten Dienstantritts, ungebührlichen Verhaltens gegenüber seinen Vorgesetzten in der Badeabteilung, unrechtmäßiger Entnahme von Rezepten aus der Patientenkartei, Verstoßes gegen das Hausverbot sowie wegen unentschuldigten Entfernens vom Arbeitsplatz. Nachdem die Beklagte das Hausverbot aufgehoben hatte, trat der Kläger am 31. Juli 1989 seinen Dienst wieder an. Die Beklagte wirft ihm vor, er habe an diesem Tag sich trotz ihres Verbotes wieder in dem Raum mit der Patientenkartei aufgehalten. Außerdem habe er seinen Vorgesetzten, Frau J und Herrn H, erklärt, er werde sie in Zukunft nicht mehr als Vorgesetzte anerkennen. Schließlich habe er entgegen einer Anweisung mehrere Heimbewohner nicht behandelt, obwohl er die angeblichen Behandlungen in seinem schriftlichen Tätigkeitsbericht vermerkt habe.
Mit Schreiben vom 31. Juli 1989 hörte die Beklagte den in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat zur fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung des Klägers an. Nach Zustimmung des Betriebsrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 3. August 1989, dem Kläger zugegangen am 7. August 1989, das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30. September 1989.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung, der vorausgegangenen Ermahnung und der Abmahnung und Gehaltsansprüche geltend gemacht und behauptet, die von der Beklagten vorgetragenen Kündigungsgründe seien lediglich vorgeschoben. In Wahrheit stelle die Kündigung den Endpunkt einer gezielten Racheaktion dar. Die Beklagte sei ungehalten darüber gewesen, daß seine Ehefrau als Rechtsanwältin einen Arbeitnehmer der Beklagten und dessen Ehefrau in einem Prozeß gegen die Beklagte erfolgreich vertreten habe. Die Beklagte habe beschlossen, ihn büßen zu lassen, daß sie für den Vergleichsabschluß in diesem Prozeß eine erhebliche Summe habe aufwenden müssen. Schon die zeitliche Abfolge beweise dies; die Schreiben der Beklagten vom 4. April und 20. Juli 1989 stellten jeweils die Reaktion auf Schriftsätze bzw. den Ablauf des Gütetermins in diesem Prozeß dar. Außerdem stehe nach den eigenen Erklärungen des Heimleiters, die dieser vor Zeugen abgegeben habe, fest, daß die Kündigung allein dem Zweck habe dienen sollen, ihn für das Verhalten seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau in dem Prozeß gegen die Beklagte büßen zu lassen.
Die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe träfen in den wesentlichen Punkten nicht zu. Am 28. März 1989 habe er lediglich einem Kollegen kurz seinen neu lackierten Pkw gezeigt. Ab 1. Juli 1989 seien nicht mehr in ausreichendem Umfang Rezepte vorhanden gewesen, um die Badeabteilung auszulasten. Herr H sei von der Beklagten nicht mit Führungsaufgaben betraut worden. Es treffe zu, daß er am 21. Juli 1989 eine Patientin nicht behandelt habe, dafür hätten aber Gründe vorgelegen, die seiner Schweigepflicht unterlägen und die er nicht anzugeben brauche. Das Verbot der Beklagten, den Raum mit der Patientenkartei zu betreten, halte er für rechtswidrig. Diese Kartei sei die Grundlage seiner therapeutischen Arbeit. Am 31. Juli 1989 habe er die beiden Patientinnen, deren Behandlungen er in den Tätigkeitsbericht eingetragen habe, auch tatsächlich behandelt. Zur Behandlung des weiteren von der Beklagten genannten Patienten habe kein Auftrag vorgelegen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß sowohl die Ermahnung vom 4. April 1989 als auch die Abmahnung vom 27. Juli 1989 unberechtigt erfolgten und aus der Personalakte zu entfernen sind,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten weder außerordentlich noch ordentlich zum 30. September 1989 oder zu einem späteren Zeitpunkt aufgelöst wurde
sowie die Beklagte zu verurteilen, an ihn – näher aufgeschlüsselten – Verzugslohn einschließlich eines 13. Monatsgehalts zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise das Arbeitsverhältnis aufzulösen.
Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe sich fortlaufend widersetzlich gezeigt, die Anweisungen seiner Vorgesetzten nicht befolgt und immer weniger an Arbeitsleistung erbracht und dann versucht, seine Untätigkeit durch Manipulation der Berichte über angeblich durchgeführte Behandlungen zu decken. In Wahrheit habe er nur vorgehabt, sie so lange zu provozieren, bis sie das Arbeitsverhältnis gekündigt hätte und er dann gegen Zahlung einer Abfindung hätte ausscheiden können, um eine eigene Massagepraxis zu eröffnen. Alle Vorfälle hätten sich so abgespielt, wie sie dies in den einzelnen Schreiben ausführlich geschildert habe. So habe der Kläger insbesondere immer wieder trotz mehrfachen Verbots seiner Vorgesetzten das Zimmer mit der Patientenkartei aufgesucht. Die Patientenkartei unterliege dem Datenschutz, deshalb sei nur der Leiter der Badeabteilung berechtigt, darin Einblick zu nehmen. Nur er weise seine Mitarbeiter an, die Patienten zu behandeln. Der Kläger habe sich nur den Zugang zu dieser Patientenkartei verschafft, um seine geringe Arbeitsleistung zu vertuschen.
Es könne gar keine Rede davon sein, daß die von ihr dargestellten Kündigungsgründe nur vorgeschoben seien. Der Prozeß mit dem Arbeitnehmer, den die verstorbene Ehefrau des Klägers vertreten habe, sei für sie, die Beklagte, erheblich besser ausgegangen, als sie dies vorher befürchtet habe. Es habe deshalb nicht einmal ein Anlaß für einen solchen Racheakt bestanden.
Das Arbeitsgericht hat das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1989 gegen Zahlung einer Abfindung von 20.000,00 DM aufgelöst, die Beklagte zur Zahlung des Gehalts bis 30. September 1989 und zur Entfernung der Abmahnung vom 27. Juli 1989 aus der Personalakte verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Urteil teilweise aufgehoben, festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist, die Beklagte zur Zahlung des eingeklagten Gehalts bis Oktober 1989, zur Zahlung von „jährlich” 3.303,63 DM als 13. Gehalt und zur Entfernung der Ermahnung und der Abmahnung aus der Personalakte verurteilt. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Der Rechtsstreit war, soweit der Senat mangels Tatsachenaufklärung durch das Landesarbeitsgericht nicht abschließend entscheiden konnte, an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Der Senat hat dabei von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, mit dem Ausspruch der Kündigung sei es dem Heimleiter der Beklagten ausschließlich um die Befriedigung seiner Rachegelüste gegenüber der verstorbenen Ehefrau des Klägers gegangen. Soweit der Kläger seinerseits auf das verwerfliche herrschund rachsüchtige Vorgehen des Heimleiters mit Widersetzlichkeiten reagiert haben möge, wie sie in den einzelnen Schreiben der Beklagten aufgeführt worden seien, könne ihm dieses Verhalten angesichts des Umstandes, daß die Schikanen von dem Heimleiter ihren Ausgang genommen hätten, nicht zum Nachteil angelastet werden. Die Kündigung sei deshalb wegen Sittenwidrigkeit unwirksam, ebenso die Ermahnung und die Abmahnung als Vorbereitungshandlungen zu dem verwerflichen Racheplan des Heimleiters.
Dem kann weder im Ergebnis noch in der Begründung gefolgt werden.
B.I. Die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung läßt das Landesarbeitsgericht zu Unrecht an § 138 Abs. 1 BGB scheitern.
1. Zwar kann, wie sich schon aus § 13 Abs. 2 Satz 1 KSchG ergibt, auch eine Kündigung wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein. Die Rechtsprechung hat jedoch stets bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit von Kündigungen einen strengen Maßstab angelegt und darauf abgestellt, eine Kündigung müsse dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden kraß widersprechen, um als sittenwidrig angesehen zu werden. Da die Kündigung als Willenserklärung an sich wertfrei ist, kann sich die Sittenwidrigkeit nur aus dem ihr zugrunde liegenden Motiv oder Zweck ergeben (Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, II, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 18, 4, S. 374 f.). Auch in den Fällen, in denen ein einseitiges Rechtsgeschäft auf einem unsittlichen Motiv (z.B. Rachsucht) beruht, ist jedoch nicht immer das Motiv als solches entscheidend, vielmehr kommt es darauf an, daß durch das unsittliche Motiv das Rechtsgeschäft als Regelung zu einem sittenwidrigen wird (Flume, aaO). Es ist deshalb verfehlt, lediglich auf das Motiv des kündigenden Arbeitgebers oder einzelne Tatsachenkomplexe abzustellen. Ob eine Kündigung wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, kann nur eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ergeben (BAG Urteil vom 12. Oktober 1954 – 2 AZR 36/53 – AP Nr. 5 zu § 3 KSchG; BAG Urteil vom 23. November 1961 – 2 AZR 301/61 – AP Nr. 22 zu § 138 BGB; KR-Friedrich, 3. Aufl., § 13 KSchG Rz 132; MünchArbR/Wank, § 116 Rz 142). Zu berücksichtigen ist dabei, ob der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund geltend macht, der nach § 626 BGB bzw. § 1 KSchG an sich geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen. Macht der Arbeitgeber von einem Kündigungsrecht Gebrauch, das ihm nach den gesetzlichen Vorschriften zusteht, so wird regelmäßig das Unwerturteil nicht gerechtfertigt sein, die Kündigung verstoße gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (vgl. BAGE 61, 151, 156 = AP Nr. 46 zu § 138 BGB, zu II 2 b der Gründe).
2. Es ist danach rechtsfehlerhaft, daß das Landesarbeitsgericht die im Rahmen des § 138 BGB gebotene Gesamtabwägung aller Umstände unterlassen und nur aufgrund von Einzeltatsachen die Motive der Beklagten geprüft hat, ohne auf die von der Beklagten ausführlich vorgetragenen und unter Beweis gestellten verhaltensbedingten Kündigungsgründe überhaupt einzugehen. Wenn das Landesarbeitsgericht entscheidend darauf abgestellt hat, ein einmal gegebenes schikanöses Verhalten des Arbeitgebers führe dazu, daß dem Arbeitnehmer Widersetzlichkeiten nicht anzulasten seien, so verkennt dies, wie die Revision zu Recht rügt, sowohl den im Rahmen des § 138 BGB anzuwendenden Prüfungsmaßstab, als auch die nach § 286 ZPO zu beachtenden Grundsätze der Beweislast. Ohne die Prüfung aller, auch der den Kläger belastenden Umstände läßt sich nicht zutreffend beurteilen, ob die Kündigung der Beklagten tatsächlich als sittenwidrig anzusehen ist. Eine solche einseitige Sicht lediglich auf die Motive des Arbeitgebers zur Kündigung kehrt zudem im Ergebnis die Beweislast um. Wenn den Arbeitnehmer die Beweislast für die Sittenwidrigkeit der Kündigung trifft, so ist es schon nach Beweislastgrundsätzen unzulässig, die vom Arbeitgeber vorgetragenen, gegen eine Sittenwidrigkeit und für eine wirksame Kündigung sprechenden Umstände nicht aufzuklären und bei der Prüfung unberücksichtigt zu lassen.
a) Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe schon bei der Prüfung der Motive der Beklagten für die Kündigung des Klägers den Sachvortrag der Parteien nicht umfassend gewürdigt und die angetretenen Beweise nicht ausgeschöpft.
aa) Die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe im März 1989 den Plan gefaßt, sich an ihm zu rächen, und die Ermahnung vom 4. April 1989 sei der erste Ausfluß dieses Racheplans, verliert erheblich an Überzeugungskraft, wenn die in der Ermahnung erhobenen Vorwürfe zutreffen und der Kläger am 28. März 1989 nicht nur zwei Minuten lang einem Arbeitskollegen den neuen Lack seines Autos gezeigt, sondern tatsächlich in provozierender Weise über einen längeren Zeitraum hin öffentlich vor den anderen Arbeitnehmern während der Arbeitszeit sein Fahrzeug poliert hat. Die Beklagte rügt deshalb zu Recht, daß das Landesarbeitsgericht in diesem Punkt nicht dem einander widersprechenden Parteivortrag nachgegangen ist und die beiderseits angetretenen Beweise erhoben hat.
bb) Was den Schriftwechsel der Parteien über den angeblichen Entzug der Zulage anbelangt, so ist dieser deshalb bedeutsam, weil zum Zeitpunkt der betreffenden Auseinandersetzung der Parteien der Zeuge A, den die Ehefrau des Klägers in dem Prozeß gegen die Beklagte vertreten hat, noch nicht einmal in Deutschland war. Die Beklagte rügt zu Recht, daß das Landesarbeitsgericht ihren Sachvortrag nicht berücksichtigt hat, über die Zulage sei keine Einigung erzielt worden. Wenn schon vor den Ereignissen, die angeblich die Rachepläne des Heimleiters der Beklagten ausgelöst haben, die Parteien sich in scharfem Tonfall über einzelne Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis auseinandergesetzt haben, so spricht dies eher dafür, daß das Verhältnis zwischen den Parteien schon vorher gestört war und nicht ein plötzlicher Racheplan Anlaß zu dem Vorgehen der Beklagten war.
cc) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe nicht das beiderseitige Parteivorbringen zu dem „Frühstücksbrief” vom 20. Juli 1989 gewürdigt, ist berechtigt. Ein Teil der gegen den Kläger in diesem Schreiben erhobenen Vorwürfe traf unstreitig zu. Wenn aber der Kläger selbst einräumt, er habe seit 1. Juli 1989 kaum mehr gearbeitet, so muß es nicht gerade ein Indiz für einen Racheplan des Heimleiters darstellen, wenn die Beklagte dem Kläger vorhielt, er habe mit der Begründung, er müsse im Betrieb eine besonders schwere körperliche Arbeit verrichten, sich von der Küche des Heims riesige Essensportionen auftischen lassen, ohne dafür mehr als die anderen Arbeitnehmer zu bezahlen.
dd) Die Aussage des in der Berufungsinstanz nicht erneut vernommenen Zeugen D ist, wie die Revision zu Recht geltend macht, nur ein schwaches Indiz für die Sachdarstellung des Klägers. Dieser Zeuge konnte die Äußerungen des Heimleiters, zu denen er benannt war, nicht bestätigen, ohne daß das Landesarbeitsgericht dies zum Anlaß genommen hätte, über weitere vom Kläger behauptete Äußerungen des Heimleiters Beweis zu erheben. Wenn sich der Heimleiter über das Verhalten der Ehefrau des Klägers in dem Prozeß A lediglich betroffen gezeigt hat, so muß dies mangels weiterer Anhaltspunkte noch nicht bedeuten, daß er sich nunmehr entschloß, aus Rache mit vorgeschobenen Kündigungsgründen die Kündigung des Klägers zu betreiben.
b) Außerdem ist die Rüge der Revision berechtigt, das Landesarbeitsgericht habe in Verkennung des Prüfungsumfangs nach § 138 BGB, § 286 ZPO die Kündigungsgründe nicht näher aufgeklärt.
aa) Die von der Beklagten behaupteten Pflichtverletzungen sind an sich – ihre Richtigkeit unterstellt – geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen Die Beklagte wirft dem Kläger im wesentlichen vor, er habe die Anweisungen seiner Vorgesetzten nicht befolgt, trotz entsprechender Aufforderung Patienten nicht behandelt und sich stattdessen, ohne zu arbeiten, in seinem Zimmer aufgehalten, die Behandlungen aber wahrheitswidrig in den Tätigkeitsbericht eingetragen. Darüber hinaus sei er trotz mehrerer eindringlicher Verbote seiner Vorgesetzten erneut in das Zimmer mit der Patientenkartei gegangen. Dieses Vorbringen über das Verhalten des Klägers, insbesondere über die wahrheitswidrigen Eintragungen in den Tätigkeitsbericht, gewinnt besonderes Gewicht, wenn man ergänzend das Vorbringen der Beklagten zu der Abmahnung vom 27. Juli 1989 heranzieht. Schon in dieser Abmahnung hatte die Beklagte dem Kläger eine unberechtigte Manipulation der Anwesenheitsliste und die heimliche Entnahme eines Rezeptes aus der Patientenkartei trotz eines entsprechenden Verbots seiner Vorgesetzten vorgeworfen. Die von der Beklagten vorgebrachten und im einzelnen unter Beweisantritt durch Tatsachen belegten Kündigungsvorwürfe sind so gewichtig, daß das Landesarbeitsgericht jedenfalls nicht seiner ihm nach § 138 BGB obliegenden Pflicht zur Gesamtabwägung aller Umstände nachkam, wenn es ohne nähere Sachprüfung unterstellt hat, diese Kündigungsgründe seien nur vorgeschoben und letztlich durch das Vorgehen der Beklagten verursachte „Widersetzlichkeiten” des Klägers.
bb) Das Landesarbeitsgericht durfte die von der Beklagten vorgebrachten Kündigungsgründe auch nicht deshalb unberücksichtigt lassen, weil der Kläger, wie das Arbeitsgericht angenommen hat, vor Ausspruch der Kündigung nicht ausreichend abgemahnt war. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob die Abmahnung der Beklagten möglicherweise in Randbereichen wenig konkret ist. Ebenso kann offenbleiben, ob tatsächlich eine Abmahnung, die nur deshalb insgesamt aus der Personalakte zu entfernen ist, weil einzelne Vorfälle nicht zutreffen oder zu pauschal gerügt werden, kündigungsrechtlich auch hinsichtlich der Vorwürfe unbeachtlich ist, wegen derer der Arbeitnehmer berechtigterweise abgemahnt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 21. Mai 1992 – 2 AZR 551/91 – AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAG Urteil vom 5. August 1992 – 5 AZR 531/91 – AP Nr. 8 zu § 611 BGB Abmahnung). Hier erfüllt die Abmahnung jedenfalls als wirksame mündliche Abmahnung die erforderliche Warnfunktion, nachdem die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe Gegenstand der mündlichen Erörterung mit dem Kläger waren (§ 13 BAT). Außerdem berühren die Kündigungsvorwürfe zum erheblichen Teil auch den Vertrauensbereich. Hat der Kläger wirklich versucht, seine Untätigkeit durch Manipulation der Tätigkeitsberichte zu vertuschen, so war je nach den Umständen eine fristlose Kündigung auch ohne Abmahnung zulässig. Schließlich sind bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung auch Kündigungsgründe zu berücksichtigen, die tatsächlich vorlagen und nur mangels ausreichender Abmahnung die Kündigung nicht rechtfertigen konnten.
3. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung an § 138 BGB scheitert. Mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht ist auch keine Entscheidung möglich, ob ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Klägers im Sinne des § 626 BGB vorlag.
II. Soweit die Beklagte das Arbeitsverhältnis hilfsweise fristgerecht gekündigt hat, gilt nichts anderes. Auch die fristgerechte Kündigung kann mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht als sittenwidrig angesehen werden. Dies führt zur Zurückverweisung, damit das Landesarbeitsgericht nach entsprechender Sachaufklärung ggf. auch hinsichtlich der fristgerechten Kündigung prüfen kann, ob diese nach § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist.
III. Auch der Auflösungsantrag unterliegt der Zurückverweisung, denn über ihn kann erst entschieden werden, wenn feststeht, ob die fristlose und die fristgerechte Kündigung wirksam oder unwirksam sind.
IV. Was die vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche anbelangt, so ist die Klage hinsichtlich der ab November 1989 geltend gemachten Vergütungsansprüche durch das Landesarbeitsgericht als unzulässig abgewiesen worden, ohne daß der Kläger dagegen Anschlußrevision eingelegt hätte.
Die Ansprüche des Klägers auf restliche Gehaltszahlung für die Zeit vom 1. Juli bis 7. August 1989 einschließlich der zuerkannten Zinsen sind vom übrigen Ausgang des Rechtsstreits nicht abhängig, da sie die Zeit bis zum Zugang der Kündigung der Beklagten betreffen. Insoweit war schon die Berufung der Beklagten gegen die entsprechende Verurteilung durch das Arbeitsgericht mangels hinreichender Begründung nach § 519 ZPO unzulässig, da die Beklagte in der Berufungsinstanz zu diesen, zu keiner Zeit streitigen, Zahlungsansprüchen des Klägers mit keinem Wort Stellung genommen hat.
Im übrigen, also für die Zeit vom 8. August bis 31. Oktober 1989, hängen die Gehaltsansprüche des Klägers vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens ab, unterliegen also ebenfalls der Zurückverweisung.
V. Soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger „jährlich” 3.303,63 DM nebst Zinsen als 13. Gehalt zu zahlen, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen. Soweit der Kläger mit diesem Antrag eine Klage auf zukünftige Leistung nach § 259 ZPO erhoben hat, liegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht vor, denn es bleibt unklar, ob und ggf. in welcher Höhe auf den Anspruch z.B. Leistungen aus dem unstreitig inzwischen neu eingegangenen Arbeitsverhältnis anzurechnen sind. Abgesehen davon liegt auch kein den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechender bestimmter Antrag vor, denn es bleibt unklar, welche Zahlungen die Beklagte zu welchen Fälligkeitszeitpunkten für welche Zeitdauer erbringen soll. Wie unklar der Klageantrag auch aus der Sicht des Landesarbeitsgerichts war, zeigt sich schon an den Entscheidungsgründen, in denen ausgeführt wird, die Zahlungsansprüche des Klägers „einschließlich des 13. Monatsgehalts” seien nur bis Oktober 1989 begründet, ohne daß die Einschränkung auf eine „jährliche” Zahlung im Tenor in hinreichender Weise erkennen ließe, daß nur Ansprüche auf ein 13. Gehalt bis einschließlich Oktober 1989 Gegenstand der Verurteilung sein sollten.
VI. Soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, die Ermahnung vom 4. April 1989 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, liegt ein nach § 559 Abs. 2 Satz 2 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt. Der Kläger hatte in diesem Punkt gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts keine Berufung eingelegt. Mit einer eigenständigen Begründung, die von der Frage der Wirksamkeit der Kündigung unabhängig war, hatte das Arbeitsgericht die Klage mit dem Antrag auf Entfernung der Ermahnung vom 4. April 1989 aus der Personalakte mangels Rechtsschutzinteresses abgewiesen. Weder aus den Berufungsanträgen noch aus der Berufungsbegründung ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger in diesem Punkt gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berufung einlegen wollte. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist damit hinsichtlich der Ermahnung vom 4. April 1989 rechtskräftig geworden. Das Berufungsgericht hat sich damit über die Bindung an den Antrag des Klägers (§§ 536, 308 Abs. 1 ZPO) hinweggesetzt und dem Kläger etwas zugesprochen, was er nicht beantragt hatte. Derartige Rechtsfehler des Berufungsgerichts sind im dritten Rechtszug von Amts wegen zu beachten (Zöller/Schneider, ZPO, 18. Aufl., § 559 Rz 8; BAGE 62, 100, 104 = AP Nr. 36 zu § 80 BetrVG 1972, zu I 2 der Gründe).
VII. Was schließlich die Abmahnung vom 27. Juli 1989 anbelangt, so stellt auch insoweit das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft darauf ab, diese Abmahnung beruhe auf dem von der Beklagten gefaßten Racheplan und sei deshalb nach § 138 BGB unwirksam und aus der Personalakte zu entfernen. Zwar kann auch eine geschäftsähnliche Handlung wie die Abmahnung nach § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nach §§ 138, 12, 862, 1004 Abs. 1 BGB aus der Personalakte des Arbeitnehmers zu entfernen sein. Ob eine Sittenwidrigkeit der Abmahnung anzunehmen ist, kann aber ebenfalls erst aufgrund einer Gesamtabwägung aller Umstände festgestellt werden, die das Landesarbeitsgericht, wie bereits dargelegt, nicht vorgenommen hat, weil es die Sachverhalte, aus denen die Beklagte ihre Abmahnung herleitet, nicht weiter aufgeklärt hat.
Der Senat könnte in diesem Punkt abschließend nur entscheiden (§ 563 ZPO), wenn er mit dem Arbeitsgericht davon ausginge, in der Abmahnung seien einzelne Vorwürfe nicht hinreichend begründet und dies führe insgesamt zur Unwirksamkeit der Abmahnung. Die Auffassung des Arbeitsgerichts ist jedoch schon deshalb abzulehnen, weil die Beklagte die eigentlichen Abmahnungssachverhalte ausreichend konkretisiert hat. Sie hat in ihrer ausführlich begründeten Abmahnung die einzelnen Sachverhalte, die sie dem Kläger zum Vorwurf macht, klar voneinander abgesetzt, datumsmäßig aufgeschlüsselt und mit einer detaillierten Sachverhaltsschilderung versehen. Etwas unscharfe Formulierungen enthält die Abmahnung im wesentlichen nur am Ende der Ziff. 1, wo ein zusätzlicher Sachverhalt nur zur Bekräftigung hinzugefügt wird, in der Ziff. 6, wo die häufigen Abwesenheitszeiten des Klägers vor der Anweisung, ärztliche Atteste beizubringen, gar nicht zum Gegenstand der Abmahnung gemacht werden, und unter III, wo die Beklagte lediglich „Kritik” übt, ohne abzumahnen. Auch in diesem Punkt unterliegt damit der Rechtsstreit der Zurückverweisung.
Unterschriften
Bitter, Bröhl, Schliemann, Dr. Fischer, Dr. Wolter
Fundstellen