Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung eines Arbeitsvertrages. Falschbeantwortung der Frage nach Stasi-Mitarbeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach einer Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR kann bei einer Einstellung in den öffentlichen Dienst unter Umständen die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen einer arglistigen Täuschung gemäß §§ 123, 142 BGB rechtfertigen.
2. Die Anfechtung ist jedoch ausgeschlossen (§ 242 BGB), wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung nicht mehr beeinträchtigt ist (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 11. November 1993 - 2 AZR 467/93 - BAGE 75, 77, 86 = AP Nr. 38 zu § 123 BGB).
Normenkette
BGB §§ 119, 123, 242, 626
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 27. Mai 1997 - 2 Sa 3/97 - aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19. Dezember 1996 - 1 Ca 180/96 - wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Der Kläger war bei der beklagten Berufsgenossenschaft aufgrund eines am 5. bzw. 6. September 1990 unterzeichneten Arbeitsvertrages tätig, und zwar nach Abschluß der entsprechenden Ausbildung als technischer Aufsichtsbeamter im Angestelltenverhältnis zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 7.000,00 DM. Der Einstellung gingen zwei im August 1990 in Freiburg geführte Gespräche, und zwar ein Vor- und sodann das sog. Einstellungsgespräch am 21. August 1990 vor dem Verwaltungsausschuß des Vorstandes der Beklagten voraus. Hierbei wurde der Kläger nach einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR gefragt; der Inhalt seiner Antwort ist streitig. Nach Abschluß des Arbeitsvertrages unterzeichnete der Kläger eine eidesstattliche Versicherung, derzufolge er zu keiner Zeit in den Diensten des Staatssicherheitsdienstes der DDR stand oder für ihn tätig war und keine Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit begangen hat.
Mit Schreiben vom 4. August 1995 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: Gauck-Behörde) der Beklagten mit, der Kläger sei während seiner Tätigkeit in der Volksmarine nach einer mit dem 21. Februar 1963 begonnenen Kontaktphase ab dem 3. September 1964 bis zum 27. September 1972 für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als sog. Informeller Mitarbeiter (IM) tätig gewesen. Hierüber verhalten sich eine vom Kläger am 21. Februar 1963 unterzeichnete Verpflichtung zur Wahrung des Stillschweigens und zur Mitarbeit sowie eine Verpflichtungserklärung vom 3. September 1964. Der Einsatz des Klägers für das MfS erfolgte nach Mitteilung der Gauck-Behörde während der Kontaktphase mit dem Ziel der allgemeinen Absicherung einer Nachrichtenoffiziersschülereinheit der Offiziersschule, danach als IM mit dem Ziel der Absicherung und Aufklärung des Personalbestandes seiner Einheit, insbesondere der Offiziere, mit den Schwerpunkten der politisch-ideologischen Diversion und Verbindung zu negativen Personen in der Umgebung der Dienststelle. Der Kläger erstellte in der Kontaktphase 18 handschriftliche Berichte und als IM weitere 29 Berichte. Es existieren insgesamt 43 Berichte der Führungsoffiziere über Treffen mit dem Kläger. Ausweislich eines solchen Berichts des Führungsoffiziers V vom 24. Juli 1963 hat der Kläger selbst zu diesem Kontakt aufgenommen und über Fluchterwägungen eines Offiziersschülers berichtet. Die übrigen Berichte des Klägers betreffen die Einschätzung von Offizieren und Offiziersschülern, die Situation in der Einheit sowie politische Meinungsäußerungen und Westkontakte eines Armeeangehörigen. Seine letzten Berichte datieren vom 12. Januar bzw. 20. August 1970; der letzte Treff mit einem Führungsoffizier erfolgte am 11. August 1971. Die abschließende Einschätzung der für die Marine zuständigen MfS-Hauptabteilung I vom 30. September 1971 erwähnt die Treffdisziplin des Klägers, sein Bestreben zur selbständigen Verbindungsaufnahme, die gute Einstellung zum MfS sowie die Bemühung, Aufträge zu erfüllen; er habe während der CSSR-Ereignisse zum Objektivismus geneigt, Unehrlichkeiten gegenüber dem MfS seien jedoch nicht bekannt geworden, der IM sei zur weiteren Verwendung geeignet. Die MfS-Tätigkeit des Klägers wurde anläßlich seiner Versetzung in die Reserve beendet, da die dort zuständige Diensteinheit des MfS trotz seiner entsprechenden Bereitschaft kein Interesse an einer Übernahme hatte.
Nachdem die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 14. November 1995 um Stellungnahme zum Bericht der Gauck-Behörde gebeten hatte, antwortete der Kläger mit Schreiben vom 26. November und 25. Dezember 1995. Nach entsprechendem Beschluß des Verwaltungsausschusses vom 9. Februar 1996 focht die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 1. März 1996, zugegangen am 18. März 1996, wegen arglistiger Täuschung an mit der Begründung, ein Bekanntwerden der MfS-Tätigkeit führe nicht nur bei den vom Kläger zu betreuenden Betrieben zu einem irreparablen Vertrauensverlust.
Der Kläger hat behauptet, er habe im Vorstellungsgespräch geantwortet, während der Militärzeit Kontakte zur Armeeabwehr gehabt zu haben, außerdem habe er darauf hingewiesen, daß er sich ziemlich sicher sei, daß die während seiner zivilen Tätigkeit gefertigten Forschungsberichte dort gelandet seien; man habe ihm daraufhin mitgeteilt, daß sich die Befragung nicht auf diese Art der Zusammenarbeit beziehe. Die später unterzeichnete eidesstattliche Versicherung sei ihm erst Anfang Oktober 1990 anläßlich der Einführungswoche in Hamburg vorgelegt und von ihm unterzeichnet worden. Auch sei die Tätigkeit für das MfS für die Beklagte nicht einstellungserheblich gewesen, nur einige der seinerzeit mit ihm eingestellten Mitarbeiter seien danach gefragt worden. Im Hinblick auf die Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 31. August 1990 sei die MfS-Frage mangels Rechtsgrundlage unzulässig gewesen; dies gelte auch angesichts des langen Zwischenzeitraumes seit Beendigung seiner Tätigkeit für das MfS und wegen des unbedeutenden Inhalts seiner Berichte. Kollektivrechtlich sei die Frage wegen unterbliebener Mitbestimmung des Personalrates ebenfalls unzulässig. Wegen der Dauer der beanstandungsfreien Tätigkeit für die Beklagte sei die Ausübung des Anfechtungsrechts treuwidrig, sie sei erst sieben Monate nach dem Gauck-Bericht erfolgt und das Anfechtungsrecht verwirkt.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, daß zwischen den Parteien über den 18. März 1996 hinaus ein Arbeitsverhältnis fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen als technischen Aufsichtsbeamten weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, der Kläger habe die ihm und allen anderen Bewerbern gestellte Stasi-Frage im Einstellungsgespräch eindeutig verneint; ansonsten wäre er nicht eingestellt worden. Die eidesstattliche Erklärung sei dem Kläger schon mit Schreiben vom 27. August 1990 zugesandt worden; er habe sie am 6. September 1990 ausgefüllt und zurückgeschickt; bei Fehlen der eidesstattlichen Versicherung wäre er nicht eingestellt worden. Selbst wenn der Kläger diese Erklärung erst nach Abschluß des Arbeitsvertrages zurückgesandt haben sollte, hätte sie, die Beklagte, immer noch seine spätere Verwendung nach Abschluß der Ausbildung davon abhängig machen können, daß er, wie schriftlich erklärt, nicht für das MfS gearbeitet habe. Das Anfechtungsrecht entfalle auch nicht wegen des langen Zwischenzeitraumes nach Beendigung der Tätigkeit für das MfS, da diese Tätigkeit nicht harmlos gewesen und mit den arbeitsvertraglichen Aufgaben nicht vereinbar sei; es sei auch nicht verwirkt, die gesetzliche Jahresfrist eingehalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Vernehmung der Zeugen Dr. B , F und P zu der Frage, ob der Kläger im Einstellungsgespräch die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS verneint hat, abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Arbeitsverhältnis hat zum Zeitpunkt des Zugangs der Anfechtungserklärung der Beklagten am 18. März 1996, also ex nunc (vgl. BAGE 41, 54, 64 = AP Nr. 24 zu § 123 BGB, zu IV 3 der Gründe, m.w.N.) sein Ende gefunden, womit auch der Weiterbeschäftigungsanspruch entfällt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses nach § 123 Abs. 1 BGB vor. Die Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Mitarbeit sei arglistig erfolgt und habe kausal zum Arbeitsvertragsschluß geführt. Die Anfechtung stelle sich jedoch als unzulässige Rechtsausübung dar; der Anfechtungsgrund habe soviel an Bedeutung verloren, daß er die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen könne.
II. Dem folgt der Senat nur insofern, als das Landesarbeitsgericht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 BGB als erfüllt angesehen hat (zu 1), nicht jedoch hinsichtlich der tragenden Begründung, die Anfechtung stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar (zu 2). Die Revision rügt zutreffend eine Verletzung der §§ 123, 242 BGB.
1. Nach den für den Senat gemäß § 561 ZPO verbindlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung vor. Danach hat die arglistig getäuschte Beklagte den Arbeitsvertrag der Parteien gemäß § 123 Abs. 1 BGB innerhalb der Frist des § 124 BGB durch Schreiben vom 1. März 1996 mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB angefochten.
a) Zur Anfechtung gem. § 123 Abs. 1 BGB berechtigt lediglich die wahrheitswidrige Beantwortung einer in zulässiger Weise gestellten Frage; eine solche setzt ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung voraus (BAGE 75, 77, 81 = AP Nr. 38 zu § 123 BGB, zu II 1 a der Gründe, m.w.N.); fehlt es hieran, ist die wahrheitswidrige Beantwortung nicht rechtswidrig.
(1) Nach den nicht mit einer Gegenrüge angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger im Einstellungsgespräch nach einer Tätigkeit für das MfS gefragt worden. An diese Feststellung ist der Senat gebunden, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe diese Fragestellung in erster Instanz ausdrücklich eingeräumt und in zweiter Instanz mit seiner Behauptung, zumindest sei nicht allen Bewerbern diese Frage gestellt worden, nicht hinreichend bestritten.
(2) Zutreffend sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Beklagte den Kläger beim Einstellungsgespräch nach einer Tätigkeit für das MfS fragen durfte und diese Frage grundsätzlich wahrheitsgemäß zu beantworten war. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94, 195/95 und 2189/95 - BVerfGE 96, 171) und des Senats (Urteile vom 4. Dezember 1997 - 2 AZR 750/96 - AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 c der Gründe; vom 20. August 1997 - 2 AZR 42/97 - RzK I 5 i Nr. 127, zu II 2 der Gründe; vom 13. Juni 1996 - 2 AZR 483/95 - BAGE 83, 181, 190 = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, zu II 2 b bb der Gründe; vom 13. September 1995 - 2 AZR 862/94 - AP Nr. 53 Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu II 2 der Gründe) zu kraft Gesetzes mit dem Beitritt übergegangenen Arbeitsverhältnissen, die darauf abstellt, daß der neue Dienstgeber nach Übernahme des Personals ohne Einstellungsüberprüfung eine der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtete leistungsfähige öffentliche Verwaltung schaffen mußte.
Bei Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses ist die Frage erst recht zulässig. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Zur Eignung in diesem Sinne gehören auch die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstliche Aufgabe nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten (BVerfGE 92, 140, 151; BAGE 28, 62 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 2 GG). Bei der Beurteilung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung als vorausschauender Prognose steht dem öffentlichen Dienst im Rahmen der Gewichtung der Einzelkriterien und bei der Gesamtabwägung aller Umstände ein nur im Hinblick auf sachwidrige Erwägungen oder Verkennung des Art. 33 Abs. 2 GG beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (BVerfGE 39, 334, 354 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG, zu C I 5 der Gründe; BVerwGE 68, 109, 110; 86, 244, 246). Danach ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bei Einstellungen in den öffentlichen Dienst als Kriterium auch eine etwaige frühere Mitarbeit für das MfS herangezogen wird. Bei Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses ist die Frage erst recht zulässig. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Zur Eignung in diesem Sinne gehören auch die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstliche Aufgabe nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten (BVerfGE 92, 140, 151; BAGE 28, 62 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 2 GG). Bei der Beurteilung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung als vorausschauender Prognose steht dem öffentlichen Dienst im Rahmen der Gewichtung der Einzelkriterien und bei der Gesamtabwägung aller Umstände ein nur im Hinblick auf sachwidrige Erwägungen oder Verkennung des Art. 33 Abs. 2 GG beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (BVerfGE 39, 334, 354 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG, zu C I 5 der Gründe; BVerwGE 68, 109, 110; 86, 244, 246). Danach ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bei Einstellungen in den öffentlichen Dienst als Kriterium auch eine etwaige frühere Mitarbeit für das MfS herangezogen wird.
(3) Allerdings besteht das Fragerecht nach MfS-Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht nicht uneingeschränkt. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht, wenn auch im Rahmen einer Interessenabwägung, auf die lange zurückliegende MfS-Tätigkeit des Klägers hingewiesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 8. Juli 1997, aaO), der sich der Senat angeschlossen hat (Urteile vom 20. August 1997 und 4. Dezember 1997, aaO), hat der Arbeitgeber bei Ausübung des Fragerechts den Zeitfaktor zu berücksichtigen, da sich persönliche Haltungen im Laufe der Zeit ändern können und längere beanstandungsfreie Zeiten auf innere Distanz und Abkehr von früheren Einstellungen hinweisen können. Deshalb haben Tätigkeiten für das MfS, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen sind, je nach dem Grad der Verstrickung keine oder nur äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand übernommener Arbeitsverhältnisse mit der Folge, daß die betroffenen Arbeitnehmer auf eine zeitlich unbeschränkte Frage nach MfS-Tätigkeiten die vor dem Jahre 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten verschweigen durften; weiter zurückliegende Tätigkeiten sollen nur dann Bedeutung erhalten, wenn sie besonders schwer wiegen oder wenn spätere Verstrickungen für sich allein genommen noch keine eindeutige Entscheidung zulassen (BVerfGE 96, 171; Senatsurteil vom 4. Dezember 1997, aaO).
Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt vorliegend, daß die von der Beklagten gestellte Frage, betrachtet man allein den Zeitablauf, noch zulässig war, weil die Tätigkeit des Klägers nicht vor 1970 beendet war. Die letzten von ihm verfaßten Berichte datieren vom 12. Januar und 20. August 1970; er hat selbst die Beendigung seiner Tätigkeit mit dem 20. August 1970 angegeben und nicht bestritten, sich noch am 11. August 1971 mit einem Führungsoffizier getroffen zu haben. Auch der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts sieht im Rahmen der Berechnung von Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst die IM-Tätigkeit im Zweifel erst mit dem Zeitpunkt als beendet an, in dem der Verpflichtungsanlaß wegfiel (Urteile vom 29. Januar 1998 - 6 AZR 300/96, 360/96, 507/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
(4) Eine weitergehende zeitliche Beschränkung des Fragerechts kommt nicht in Betracht. Abzustellen ist wiederum auf die Eignungsrelevanz der fraglichen Tätigkeit. Das Maß der zu fordernden Verfassungstreue als Eignungsmerkmal im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG richtet sich danach, welche konkreten Aufgaben der Arbeitnehmer wahrzunehmen hat; es ist für Arbeitnehmer vielfach nicht das gleiche Maß an Verfassungstreue zu erwarten wie bei Beamten (BAG Urteil vom 13. Oktober 1988 - 6 AZR 144/85 - AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung, zu IV 1 a der Gründe; BAGE 53, 137, 146 = AP Nr. 26 zu Art. 33 Abs. 2 GG, zu II 2 der Gründe; BAGE 28, 62, 69 = AP Nr. 2, aaO, zu III 1 b der Gründe). Angestellten und Arbeitern sollen in der Regel keine hoheitlichen Aufgaben übertragen werden (Art. 33 Abs. 4 GG); es gibt in der staatlichen Verwaltung im weitesten Sinne zahlreiche Aufgaben, für die es etwa auf eine gesteigerte politische Treuepflicht nicht ankommt, z.B. Reinigungstätigkeiten oder solche in Büro- oder technischen Berufen (BAGE 28, 62, 69 = AP, aaO). Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitung oder handwerklicher Tätigkeit beeinträchtigt das Vertrauen in die Verwaltung weniger als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer (BAG Urteil vom 16. Oktober 1997 - 8 AZR 702/95 - n.v., zu B II 2 der Gründe; vgl. BAG Urteil vom 28. Januar 1993 - 8 AZR 415/92 - NJ 1993, 379, 380 für einen Koch; Senatsurteil vom 20. August 1997, aaO, für einen Hochschulassistenten).
Der Kläger wurde keinesfalls nur untergeordnet tätig. Aus den Betretungs-, Untersuchungs- und Anordnungskompetenzen, deren Durchsetzung zudem durch Bußgeldvorschriften gesichert ist, ergibt sich vielmehr, daß ihm als Angestelltem entgegen der Regelfallanordnung des Art. 33 Abs. 4 GG die Ausübung hoheitlicher Befugnisse übertragen war. Bei einer Verwendung in derartigen Bereichen wird eine weitere zeitliche Einschränkung des Fragerechts regelmäßig nicht in Betracht kommen. Dies gilt hier ungeachtet der vom Landesarbeitsgericht aufgezeigten entlastenden Umstände angesichts des Grades der Verstrickung. In der MfS-Akte des Klägers befinden sich insgesamt 90 Berichte, davon 57 eigene Berichte des Klägers, von denen er bereits vor seiner Werbung zum IM immerhin 18 verfaßt hat. Der Inhalt seiner Berichte war jeden- falls nicht ausnahmslos harmlos, so hat der Kläger u.a. am 19. Juli 1963 auf eigene Initiative von Fluchtgedanken eines Offiziersschülers berichtet. Die Tätigkeit des Klägers als IM wurde auch nicht durch ihn selbst, sondern wegen mangelnder Verwendung durch das MfS beendet; der Kläger war im Gegenteil zu weiterer Zusammenarbeit bereit. Auch unter Berücksichtigung des Verstrickungsgrades war die Frage der Beklagten nach einer MfS-Tätigkeit des Klägers somit individualrechtlich zulässig.
(5) Die Fragestellung im Vorstellungsgespräch war auch kollektivrechtlich zulässig, verstieß nämlich nicht gegen § 75 Abs. 3 Nr. 8 BPersVG, wonach der Personalrat beim Inhalt von Personalfragebogen mitzubestimmen hat. Es fehlte vorliegend hinsichtlich der dem Kläger abverlangten Erklärungen schon am Tatbestandsmerkmal eines Personalfragebogens.
b) Zutreffend haben die Vorinstanzen auch das Vorliegen einer Täuschungshandlung des Klägers in Form einer nicht wahrheitsgemäßen Antwort bejaht. Das Arbeitsgericht hat es nach Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, daß der Kläger die ihm gestellte Frage verneint habe; hierin läge unzweifelhaft eine Täuschungshandlung. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen nicht auf diesen erbrachten Beweis abgestellt, sondern auf die vom Kläger selbst zugestandene Antwort, er habe während seiner Militärzeit Kontakte zur Militärabwehr gehabt; diese Antwort sei aufgrund des entstellenden Ausdrucks "Kontakte" und der verschwiegenen Verpflichtungserklärung unrichtig. Diese Begründung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und wird auch vom Kläger nicht mit einer Gegenrüge angegriffen. Nach dem Vorbringen des Klägers liegt eine Täuschungshandlung vor, weil der Ausdruck "Kontakte" in der Tat entstellend ist und die aktive Tätigkeit des Klägers in Form von 47 eigenen Berichten ebenso verschweigt wie die Erklärung über Schweigepflicht und Bereitschaft zur Mitarbeit vom 21. Februar 1963 und die Verpflichtungserklärung vom 3. September 1964. Auch seine Angaben zum Einstellungsgespräch, seine zivilen Forschungsberichte seien wohl bei der Armeeabwehr gelandet, waren falsch und irreführend: Der Kläger hat nicht bestritten, tatsächlich nie Forschungsarbeiten verrichtet zu haben. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Auffassung des Klägers, die Beklagte hätte präzise nachfragen und weitere Aufklärung betreiben müssen. Selbst grobe Fahrlässigkeit des Erklärungsempfängers schließt das Vorliegen einer Täuschung nicht aus (st. Rspr., vgl. BGHZ 33, 302, 310, m.w.N.; BGHZ 135, 269, m.w.N.). Daß die Beklagte tatsächlich über die aktive MfS-Tätigkeit des Klägers geirrt hat, wird auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt.
c) Die unrichtige Beantwortung der Frage im Vorstellungsgespräch war kausal für den Abschluß des Arbeitsvertrages. Das ist der Fall, wenn ohne den erzeugten Irrtum die Willenserklärung nicht abgegeben worden wäre, wobei Mitursächlichkeit der Täuschung genügt und es ausreicht, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein können und die Täuschung nach der Lebenserfahrung Einfluß auf die Entscheidung haben kann (BAGE 75, 77, 84 = AP, aaO, zu II 1 b ee der Gründe; BGHZ 135, 269, jeweils m.w.N.). Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß allein die vom Kläger zugestandene Fragestellung im Einstellungsgespräch die Kausalität indiziert. Diese tatrichterliche Feststellung der Kausalität ist nicht zu beanstanden, zumal die mit umfassenden Kontroll- und Anweisungsbefugnissen einhergehende hoheitliche Art der Tätigkeit die Fragestellung nahelegte. Der Kläger hat auch selbst nicht behauptet, die Beklagte habe ihn unabhängig von jedem Umfang etwaiger MfS-Tätigkeiten in jedem Falle "blind" einstellen wollen.
d) Der Kläger handelte auch arglistig. Das ist der Fall, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt und zumindest billigend in Kauf nimmt, der Erklärungsempfänger könnte durch die Täuschung beeinflußt werden (BAGE 75, 77, 84 = AP, aaO, zu II 1 b ff der Gründe). Eine Gegenrüge des Klägers zum Vorliegen der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Arglist liegt nicht vor. Angesichts der Dauer der MfS-Tätigkeit und der Zahl der verfaßten Berichte muß trotz des vergangenen Zeitraums davon ausgegangen werden, daß der Kläger die Unrichtigkeit seiner Angaben kannte. Die Täuschungsabsicht ergibt sich daraus, daß er nach seiner Einlassung auf die Kenntnis der Armeeabwehr von seinen zivilen Forschungsberichten hingewiesen hat, obwohl er solche Arbeiten nie durchgeführt hat. Hierin liegt eine bewußte Irreführung. Damit ist § 123 Abs. 1 BGB tatbestandlich erfüllt.
e) Das Anfechtungsrecht der Beklagten war nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger sich anläßlich seiner nach Eingang des Gauck-Berichts erfolgten Befragung zu der von ihm abgegebenen Erklärung über Tätigkeiten für das MfS und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Kollegen, der ebenfalls für das MfS tätig war, fernmündlich mit der Personalabteilung in Verbindung gesetzt hat und ihm mitgeteilt worden war, es handele sich um eine reine Formsache, die Angelegenheit sei dann erledigt. In dieser Äußerung wie auch in der einstweiligen Weiterbeschäftigung des Klägers liegt keine auch konkludent mögliche, die Anfechtung ausschließende Bestätigung im Sinne von § 144 Abs. 1 BGB. Es ist schon nicht erkennbar, daß die Äußerung durch einen "Anfechtungsberechtigten" im Sinne dieser Vorschrift, also ein vertretungsberechtigtes Organ, erfolgt sein soll. Zudem kann eine Erklärung nur dann als Bestätigung qualifiziert werden, wenn sie in Kenntnis der Anfechtbarkeit abgegeben wird, was auch Kenntnis der die Anfechtung begründenden Tatsachen umfaßt (MünchKomm-Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 144 Rz 4). Hiervon konnte der Kläger schon deshalb nicht ausgehen, weil bei diesem Telefonat "im November" jedenfalls noch seine schriftliche Stellungnahme vom 25. Dezember 1995, möglicherweise auch noch die vom 26. November 1995, ausstand. Diese Gewährung rechtlichen Gehörs durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden.
f) Die Jahresfrist zur Anfechtung aus § 124 BGB ist mit der am 18. März 1996 zugegangenen Anfechtungserklärung eingehalten. Der seit dem Gauck-Bericht vom 4. August 1995 verstrichene Zeitraum löst entgegen der Auffassung des Klägers keine Verwirkung (§ 242 BGB) aus. Bereits das Zeitmoment ist angesichts des Zwischenzeitraums von weit unter einem Jahr nicht erfüllt. Aus der dem Getäuschten vom Gesetzgeber gewährten Jahresfrist ergibt sich, daß er das Interesse des Täuschenden an baldiger Entscheidung über die Anfechtung gering einschätzt (vgl. Senatsurteil vom 6. November 1997 - 2 AZR 162/97 - AP Nr. 45 zu § 242 BGB Verwirkung, zu II 3 der Gründe). Es fehlt außerdem an dem erforderlichen Umstandsmoment, weil der Kläger nicht einmal vorgetragen hat, daß die Beklagte zu erkennen gegeben habe, die Prüfung der Vorwürfe und seiner beiden Einlassungen sei abgeschlossen, eine Anfechtung werde nicht mehr erfolgen.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts verstieß die Ausübung des Anfechtungsrechts durch die Beklagte vorliegend nicht gegen Treu und Glauben, § 242 BGB.
a) Richtig ist, daß auch das Recht zur Anfechtung unter dem Vorbehalt steht, daß seine Ausübung nicht gegen Treu und Glauben verstößt; die Anfechtung ist danach dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (seit BAGE 22, 278 = AP Nr. 17 zu § 123 BGB; zuletzt BAGE 75, 77, 86 = AP Nr. 38, aaO, zu II 1 e der Gründe, m.w.N.). Gerade auch aufgrund der Tatsache, daß das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, kann sich ergeben, daß der Anfechtungsgrund angesichts der nachträglichen Entwicklung soviel an Bedeutung verloren hat, daß er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen kann (vgl. BAGE 22, 278, 281 = AP, aaO, zu 1 b der Gründe; BAGE 75, 77, 86 = AP, aaO).
b) Das Landesarbeitsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, die Voraussetzungen für einen Ausschluß des Anfechtungsrechts lägen hier vor. Die Revision rügt zutreffend, daß im Rahmen des § 123 Abs. 1 BGB keine Interessenabwägung vorzunehmen und auch nicht darauf abzustellen ist, ob ein fingierter objektiver Arbeitgeber bei Kenntnis aller Umstände von einer Einstellung Abstand genommen hätte.
Für die Frage, ob die Rechtslage der Beklagten zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung am 18. März 1996 nicht mehr beeinträchtigt war, ist nach der oben erörterten Rechtsprechung auf die vertraglich geschuldete Leistung und den mit der Fragestellung verfolgten Zweck abzustellen. Diese Prüfung hat das Landesarbeitsgericht nach Auffassung des Senats nur verkürzt durchgeführt und insbesondere die Aufgaben der Beklagten und die Art der Tätigkeit des Klägers nicht hinreichend beachtet.
Die Beklagte ist als Träger der Sozialversicherung (Versicherungsträger) gem. § 29 Abs. 1 SGB IV eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Der Kläger wurde für die Tätigkeit eines technischen Aufsichtsbeamtes eingestellt, was nach der zutreffenden Auffassung der Revision eine hoheitliche Vertrauensposition darstellt, denn nach § 712 Abs. 1 RVO haben die Berufsgenossenschaften durch technische Aufsichtsbeamte die Durchführung der Unfallverhütung zu überwachen und ihre Mitglieder zu beraten; gemäß § 714 Abs. 1 RVO sind die technischen Aufsichtsbeamten berechtigt, die Mitgliedsunternehmen zu besichtigen und Auskunft über Einrichtungen, Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffe zu verlangen sowie Proben von Arbeitsstoffen zu entnehmen und bei Gefahr im Verzug sofort vollziehbare Anordnungen zur Beseitigung von Unfallgefahren zu treffen; die Behinderung der technischen Aufsichtsbeamten bei Erfüllung dieser Aufgaben ist gemäß § 717 a RVO als Ordnungswidrigkeit sanktionsbewehrt. Entsprechende Kompetenzen der nunmehrigen "Aufsichtspersonen" enthalten mit Geltung ab dem 21. August 1996 (Art. 36 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungs- Gesetz-UVEG) vom 7. August 1996, BGBl. I, 1254) die §§ 17 bis 19 SGB VII, wobei die Bußgeldvorschrift des § 209 Abs. 1 Nr. 2, 3 SGB VII erst mit Wirkung zum 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist (Art. 36 UVEG).
Vor dem Hintergrund der Qualifizierung der Beklagten als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der entsprechenden Wahrnehmung von öffentlichen Überwachungs- und Beratungsaufgaben durch den Kläger kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht angenommen werden, daß die Rechtsposition der Beklagten durch die frühere Stasi-Tätigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung nicht mehr beeinträchtigt war. Dabei kann zugunsten des Klägers eine bisher fachlich beanstandungsfreie Tätigkeit unterstellt werden. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht auf der Annahme aufgebaut werden, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden (BAG Urteil vom 16. Oktober 1997 - 8 AZR 702/95 - n.v., zu B I 2 der Gründe). Die Beklagte hat schon im Anfechtungsschreiben, auf welches sie sich im Prozeß berufen hat, darauf hingewiesen, daß ein Bekanntwerden der MfS-Tätigkeit des Klägers zu einem irreparablen Vertrauensverlust nicht nur bei den vom Kläger zu betreuenden Betrieben führen würde. Diese Annahme erscheint jedenfalls nach einer gerade fünfjährigen Tätigkeit des Klägers bei der Beklagten gerechtfertigt. Diese Zeit reicht noch nicht aus, um davon auszugehen, es sei bereits "Gras über die Angelegenheit gewachsen".
Das Berufungsgericht nimmt zur Begründung des Ausschlusses des Anfechtungsrechts zu Unrecht eine umfassende Interessenabwägung vor und stellt darauf ab, ob ein objektiver Arbeitgeber bei Kenntnis aller Umstände von einer Einstellung des Klägers Abstand genommen hätte. Das Recht zur Anfechtung wird nicht durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung verdrängt (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 75, 77, 80 = AP Nr. 38, aaO, zu II 1 der Gründe, m.w.N.); eine Interessenabwägung ist bei § 123 Abs. 1 BGB, wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, im Gegensatz zu § 626 Abs. 1 BGB nicht vorgesehen. Sie ist auch systemwidrig, denn § 123 BGB schützt die "freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete", indem es in den "Willen des Verletzten" gestellt wird, ob dieser wegen Täuschung anficht oder nicht (Motive zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. I, S. 204). Demgegenüber hat § 626 BGB nicht die Beseitigung einer seinerzeit fehlerhaften Willensbildung zum Gegenstand, sondern die Beseitigung eines Vertrages wegen aktueller Leistungsstörung (vgl. MünchArbR/Richardi, § 44 Rz 24 ff.), wobei für die Bewertung der Störung des Vertrages die Interessen beider Vertragspartner zu berücksichtigen sind, während der Schutz der Willensbildung des gutgläubigen einzelnen durch § 123 Abs. 1 BGB nur auf dessen Interessen abstellt, nicht aber auf die des täuschenden Vertragspartners oder Erklärungsempfängers. Das ergibt sich auch daraus, daß die Vorschrift des § 123 Abs. 1 BGB lediglich verlangt, daß der Anfechtende durch die Täuschung zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt worden ist, mithin die bloße subjektive Kausalität ausreichen läßt (vgl. BGH Urteil vom 20. März 1967 - VIII ZR 288/64 - NJW 1967, 1222, 1223; Urteil vom 2. Dezember 1977 - V ZR 155/75 - WM 1978, 221, 222; MünchKomm-Kramer, BGB, 3. Aufl., § 123 Rz 1 m.w.N., 9, 40; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 123 Rz 23, m.w.N.), während z.B. die Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB voraussetzt, daß anzunehmen ist, daß der Erklärende die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei "verständiger" Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Mit dieser Formulierung wird die Kausalität einem objektiven, normativen Maßstab unterzogen (RG Urteil vom 18. Dezember 1936 - II 170/36 - JW 1937, 1242; Kramer, aaO, § 119 Rz 126; Hefermehl, aaO, § 119 Rz 67). Schützt § 123 Abs. 1 BGB mithin die subjektiv- konkrete Freiheit der Willensbildung vor Täuschung, kann es für die Frage des Ausschlusses des Anfechtungsrechts wegen zwischenzeitlich eingetretener Bedeutungslosigkeit des Anfechtungsgrundes auf eine Würdigung auch der Interessen des Täuschenden ebensowenig ankommen wie auf die Betrachtungsweise eines objektiven, getäuschten Erklärungsempfängers.
Der Kläger hat auch seinerseits keine Umstände aufgezeigt, die erkennbar werden ließen, daß die Rechtslage der von ihm getäuschten Beklagten nach erst fünfjähriger Tätigkeit, wovon noch ein nicht unerheblicher Zeitraum auf die für ihn notwendige Ausbildungszeit nebst Abschlußprüfung entfällt (§ 712 Abs. 3 RVO, § 18 Abs. 2 SGB VII), nicht mehr beeinträchtigt wäre. Die Fortdauer der Beeinträchtigung erscheint wegen der ersichtlich falschen eidesstattlichen Versicherung und auch deshalb naheliegend, weil die Beklagte noch gewärtigen müßte, daß der Kläger bei einer seiner Überwachungstätigkeiten mit einer der von ihm früher bespitzelten Personen zusammentreffen könnte.
Unterschriften
Etzel Bitter Fischermeier Thelen Bensinger
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 28.05.1998 durch Bittner, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436358 |
BB 1998, 1800 |
BuW 1998, 719 |
ARST 1998, 238 |
FA 1998, 263 |
NZA 1998, 1052 |
RdA 1998, 382 |
VIZ 2000, 61 |
ZAP-Ost 1998, 748 |
ZTR 1998, 467 |
NJ 1999, 106 |
NJ 1999, 560 |
RDV 1998, 256 |
ZfPR 1999, 25 |
LL 1999, 24 |