Mindestlohn ist nicht vor Insolvenzanfechtung geschützt
In der Insolvenz eines Unternehmens hat der Insolvenzverwalter gemäß §§ 129ff. InsO innerhalb bestimmter Fristen das Recht, geleistete Zahlungen anzufechten und die Rückgewähr zur Insolvenzmasse zu fordern. Dies gilt unter bestimmten Voraussetzungen – u.a. Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit - gemäß §§ 130 Abs. 1, 131 Abs. 1 InsO auch für den innerhalb bestimmter Fristen vor dem Antrag auf Eröffnung der Insolvenz ausgezahlten Arbeitslohn.
Insolvenzverwalter erklärte Anfechtung der Auszahlung von zwei Monatslöhnen
Im konkreten Fall hatte der Insolvenzverwalter die Auszahlung des in den letzten zwei Monaten vor dem Antrag auf Insolvenz erbrachten Lohnzahlungen wegen Inkongruenz gemäß § 131 Abs. 1 InsO angefochten. Die Zahlungen waren von dem Konto der Mutter des zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähigen Arbeitgebers auf das Konto der Arbeitnehmerin überwiesen worden.
Arbeitnehmerin verweigerte Rückzahlung
Die Arbeitnehmerin war zur Rückgewähr an den Insolvenzverwalter nicht bereit. Sie vertrat die Auffassung, dass der an sie ausgezahlte Lohn zumindest in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von der Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nicht erfasst worden sei. Der Mindestlohn sichere lediglich das ihr zustehende Existenzminimum und könne deshalb vom Insolvenzverwalter nicht zurückgefordert werden.
Klage auf Rückgewähr des erhaltenen Lohns zur Insolvenzmasse
Die daraufhin vom Insolvenzverwalter erhobene Klage auf vollständige Rückführung der beiden Gehaltsüberweisungen in die Insolvenzmasse hatte beim LAG nur teilweise Erfolg. Das LAG folgte der Rechtsauffassung der Beklagten, dass der gesetzliche Mindestlohn die Gewähr zur Führung eines menschenwürdigen Lebens auf einem minimalen finanziellen Level gewährleisten solle. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten seien daher §§ 129 ff InsO einschränkend dahingehend auszulegen, dass das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters den Mindestlohn nicht erfasse.
Verfassung garantiert Schutz des Existenzminimums
Im Revisionsverfahren vertrat das BAG eine andere Auffassung. Eine einschränkende Auslegung der Vorschriften zur Insolvenzanfechtung sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Argumentation des LAG sei allerdings insofern beizupflichten als die durch Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Menschenwürde und das durch Art. 20 Abs. 1 GG postulierte Sozialstaatsprinzip jedem das Recht auf die materiellen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben und auf Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben gewährleistet. (BVerfG Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1709, 1 BvL 3/09 u.a.).
Existenzminimum wird durch Sozialrecht und Pfändungsschutz gesichert
Zur Sicherung dieser Grundrechtspositionen bedarf es nach der Bewertung des BAG aber keiner einschränkenden Auslegung der Anfechtungsrechte des Insolvenzverwalters. Die Sicherung des Existenzminimums werde durch andere Gesetze erreicht, insbesondere durch die Pfändungsschutzbestimmungen der ZPO und die Bestimmungen des deutschen Sozialrechts, die einen umfassenden Schutz auf Erhalt des Existenzminimums gewährleisten.
InsO sieht keine Ausnahmen für Mindestlohn vor
Da hiernach eine einschränkende Auslegung der Insolvenzordnung nicht erforderlich ist, sind nach Auffassung des BAG im konkreten Fall die dem Insolvenzverwalter durch §§ 129 ff InsO eingeräumten Anfechtungsoptionen uneingeschränkt entsprechend ihrem Wortlaut anzuwenden. Aus dem Wortlaut der Vorschriften ließen sich Einschränkungen des insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruchs nicht entnehmen. Einen partiellen Ausschluss der Anfechtbarkeit oder einen besonderen Vollstreckungsschutz sehe die InsO im Hinblick auf den Mindestlohn nicht vor.
Arbeitnehmerin muss den Lohn für zwei Monate vollständig zurückzahlen
Das BAG kam damit zu dem Ergebnis, dass der Mindestlohn gegen eine Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nicht geschützt ist und gab der Klage des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr in vollem Umfang statt.
(BAG, Urteil v. 25.5.2022, 6 AZR 497/21)
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