Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufiger Rechtsschutz gegen Ablehnung der Herabsetzung von Vorauszahlungen
Leitsatz (amtlich)
Vorläufiger Rechtsschutz gegen einen Bescheid, mit dem das FA die Herabsetzung von (bestandskräftig festgesetzten) Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen ablehnte, kann nicht in der Form der Aussetzung der Vollziehung, sondern allenfalls durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung gewährt werden.
Orientierungssatz
1. Die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ist die gesonderte Feststellung einer Besteuerungsgrundlage i.S. des § 179 AO 1977. Gegen die Eintragung eines zu niedrigen Freibetrags ist die Anfechtungsklage gegeben. Vorläufiger Rechtsschutz ist in diesem Fall durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Ein negativer Gewinnfeststellungsbescheid, der zusätzlich als Grundlagenbescheid wirkt, kann mit einer Klage angefochten werden, die jedenfalls Elemente einer Anfechtungsklage enthält. Vorläufiger Rechtsschutz ist in diesem Fall durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren (vgl. BFH-Beschluß vom 14.4.1987 GrS 2/85).
3. Fehlen dem BFH für die Entscheidung in einem Beschwerdeverfahren tatsächliche Feststellungen, so ist die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 155 FGO i.V.m. §§ 538 bis 540 ZPO analog; vgl. Literatur).
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2, §§ 114, 69 Abs. 3; AO 1977 §§ 179, 361 Abs. 3; FGO §§ 155, 132; ZPO §§ 538-540; FGO § 40 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Köln (Entscheidung vom 30.05.1990; Aktenzeichen 13 V 300/90) |
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine inländische GmbH, deren Geschäftsanteile zu 99,5 v.H. von der inländischen B-GmbH und zu 0,5 v.H. von der A-Inc., einer mit Sitz im US-Staat Delaware gegründeten amerikanischen Kapitalgesellschaft, gehalten werden. Seit April 1989 hält die A-Inc. 99,95 v.H. der Geschäftsanteile an der B-GmbH.
Mit Bescheid vom 8.Mai 1989 setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) gegenüber der Antragstellerin Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen ab dem 10.Juni 1989 fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 11.August 1989 schloß die Antragstellerin mit der A-Inc. einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag für die Zeit ab dem 1.Januar 1990 bis zum 31.Dezember 1994. Der Vertrag wurde in das für die Antragstellerin geführte Handelsregister eingetragen.
Am 15.November 1989 beantragte die Antragstellerin beim FA, die Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen ab dem 10.März 1990 mit Rücksicht auf die vereinbarte Gewinnabführung auf 0 DM herabzusetzen. Dabei machte sie geltend, die A-Inc. verfüge im Inland über eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung, die der tatsächliche Ort der Geschäftsleitung sei. Die A-Inc. sei deshalb im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Schon damals beantragte die Antragstellerin auch die Aussetzung der Vollziehung des Vorauszahlungsbescheides vom 8.Mai 1989.
Das FA lehnte am 5.Februar 1990 die Änderung des Körperschaftsteuer-Vorauszahlungsbescheides und am 23.Februar 1990 die Aussetzung der Vollziehung des Vorauszahlungsbescheides vom 8.Mai 1989 ab. Die Beschwerde blieb erfolglos.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) vorrangig die Aussetzung der Vollziehung des Ablehnungsbescheides vom 5.Februar 1990, hilfsweise den Erlaß einer einstweiligen Anordnung dahingehend, daß dem FA aufgegeben werde, den Vorauszahlungsbescheid hinsichtlich der Fälligkeiten ab 1990 nicht zu vollziehen. In seinem Beschluß vom 30.Mai 1990, der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 152 veröffentlicht wurde, sah das FG den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als zulässig, jedoch unbegründet an.
Gegen den Beschluß richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde der Antragstellerin. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragstellerin beantragt, den Beschluß des FG Köln vom 30.Mai 1990 13 V 300/90 aufzuheben und gemäß den erstinstanzlichen Anträgen zu entscheiden.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 155 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. §§ 538 bis 540 der Zivilprozeßordnung ―ZPO― analog).
1. Das FG ist zu Unrecht von einem statthaften Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ausgegangen.
a) Die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs.3 Satz 2 i.V.m. Abs.2 FGO setzt einen vollziehbaren Verwaltungsakt voraus. Vollziehbar sind u.a. alle Verwaltungsakte, durch die eine Geldleistung gefordert wird. Nicht vollziehbar sind Verwaltungsakte, die sich in einer Negation erschöpfen. Dies ist sowohl bei der Ablehnung des Erlasses eines begünstigenden Verwaltungsaktes als auch bei der Ablehnung eines günstigeren Änderungsbescheides der Fall. Entsprechende Ablehnungsbescheide bedürfen keiner Vollziehung. Ihre Vollziehung kann deshalb auch nicht ausgesetzt werden (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 1.Dezember 1967 VI B 72/67, BFHE 91, 138, BStBl II 1968, 287, betreffend die Ablehnung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs; vom 24.November 1970 II B 42/70, BFHE 100, 438, BStBl II 1971, 110; vom 25.März 1971 II B 47/69, BFHE 101, 346, BStBl II 1971, 334; vom 10.April 1975 I B 7/75, BFHE 116, 83, BStBl II 1975, 778; vom 12.April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). So liegen auch die Voraussetzungen im Streitfall. Eine Geldleistung wird nur durch den Vorauszahlungsbescheid vom 8.Mai 1989 gefordert. Wegen seiner Bestandskraft kann jedoch die Vollziehung dieses Bescheides nicht mehr ausgesetzt werden. Der Bescheid vom 5.Februar 1990 setzt dagegen keine Geldleistung fest. Sein Inhalt ist rein negativer Art. Er ist nicht vollziehbar, weshalb auch seine Vollziehung nicht ausgesetzt werden kann.
b) Aus den Beschlüssen des IX.Senat des BFH vom 24.Februar 1987 IX B 106/86 (BFHE 148, 533, BStBl II 1987, 344) und des Großen Senats vom 14.April 1987 GrS 2/85 (BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637) folgt nichts anderes.
Der Beschluß des IX.Senats betrifft die teilweise Ablehnung der Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte. Insoweit ist die Besonderheit zu beachten, daß die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte die gesonderte Feststellung einer Besteuerungsgrundlage i.S. des § 179 der Abgabenordnung (AO 1977) ist, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Will ein Steuerpflichtiger Klage gegen die Eintragung eines zu niedrigen Freibetrages erheben, so steht ihm dafür die Anfechtungsklage zulässigerweise zur Verfügung (vgl. BFH-Beschluß vom 11.Mai 1973 VI B 116/72, BFHE 109, 302, BStBl II 1973, 667). Der Möglichkeit, eine statthafte Anfechtungsklage zu erheben, entspricht es, vorläufigen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Im Streitfall ist die Rechtslage jedoch eine wesentlich andere. Der Antragstellerin stünde in der Hauptsache nur die Erhebung einer Verpflichtungsklage zur Verfügung. Auch ist der Bescheid vom 5.Februar 1990 kein solcher i.S. des § 179 AO 1977.
Der Beschluß des Großen Senats betrifft einen negativen Gewinnfeststellungsbescheid. Ein solcher Bescheid kann statthafterweise mit einer Klage angefochten werden, die jedenfalls Elemente einer Anfechtungsklage enthält (so: BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637, unter C. II. 2.). Der negative Gewinnfeststellungsbescheid wirkt zusätzlich als Grundlagenbescheid. Er enthält die negative Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, die in den die Mitunternehmer betreffenden Veranlagungsverfahren bindend sind. Es sind zusätzlich die §§ 361 Abs.3 Sätze 1 und 2 AO 1977, 69 Abs.2 Sätze 4 und 5 FGO zu beachten. Im Streitfall ist die Rechtslage auch insoweit eine andere. Der Bescheid vom 5.Februar 1990 kann nicht mit einer Klage angefochten werden, die die Elemente einer Anfechtungsklage enthält. Dies beruht im wesentlichen darauf, daß der Bescheid nicht als Grundlagenbescheid wirkt. Von ihm geht keine Bindungswirkung für ein anderes Veranlagungsverfahren aus. Auch die §§ 361 Abs.3 Sätze 1 und 2 AO 1977, 69 Abs.2 Sätze 4 und 5 FGO finden keine Anwendung. Der Senat folgt der abweichenden Auffassung von Drenseck (in: Schmidt, Einkommensteuergesetz, 9.Aufl., § 37 Anm.7) nicht.
2. Bei dieser Rechtslage hätte das FG den Hauptantrag der Antragstellerin als nicht statthaft ablehnen und sachlich über den Hilfsantrag entscheiden müssen. Da die Vorentscheidung dem nicht entspricht, kann sie keinen Bestand haben. Die Entscheidung über den Hilfsantrag setzt tatsächliche Feststellungen darüber voraus, ob durch die Ablehnung der Herabsetzung der Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen die wirtschaftliche oder persönliche Existenz der Antragstellerin unmittelbar und ausschließlich bedroht ist (vgl. BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). Diese Feststellungen nachzuholen ist die Aufgabe des FG. Deshalb verfährt der Senat gemäß § 155 FGO i.V.m. §§ 538 bis 540 ZPO analog. Dies entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 132 FGO, Rdnr.15; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 132, Rdnr.10 jeweils m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 63548 |
BFH/NV 1991, 51 |
BStBl II 1991, 643 |
BFHE 164, 173 |
BFHE 1992, 173 |
BB 1991, 1328 (L) |
DB 1991, 1432 (LT) |
DStR 1991, 942 (KT) |
HFR 1991, 540 (LT) |
StE 1991, 230 (K) |