Leitsatz (amtlich)
1. Die gesamten Herstellungskosten eines Gebäudes einschließlich der nachträglichen Herstellungskosten sind nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG grundsätzlich auch über die fiktive Nutzungsdauer von 40 bzw. 50 Jahren hinaus mit dem gesetzlich festgelegten Abschreibungsbetrag abzusetzen (Anschluß an BFH-Urteil vom 20. Februar 1975 IV R 241/69, BFHE 115, 133, BStBl II 1975, 412).
2. Die Bemessungsgrundlage für die Absetzungen ändert sich nur, wenn auf diese Weise die volle Absetzung des Abschreibungsvolumens innerhalb der tatsächlichen Nutzungsdauer nicht erreicht wird. Dann kann der Restbuchwert zusammen mit den nachträglichen Herstellungskosten entsprechend § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG auf die tatsächliche Restnutzungsdauer des Gebäudes verteilt werden.
Normenkette
EStG 1964 § 7 Abs. 4 S. 1
Tatbestand
Die Ehefrau des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) ist Eigentümerin eines im Jahre 1929 errichteten Wohngebäudes, dessen Herstellungskosten in den Jahren vor 1969 nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG linear mit 2 v. H. abgeschrieben wurden. Streitig ist, wie nachträgliche Herstellungskosten bei der Einkommensteuer-Zusammenveranlagung der Ehegatten für das Jahr 1969 zu behandeln sind. Während der Beklagte und Revisionskläger (FA) einen Abschreibungsbetrag von 2 v. H. aus den gesamten Herstellungskosten zum Abzug als Werbungskosten zuließ, verteilte das FG im Klageverfahren die nachträglichen Herstellungskosten auf die fiktive Restnutzungsdauer des Gebäudes im ursprünglichen Zustand (ausgehend von einer 50jährigen Nutzungsdauer) und sprach dem Kläger die beantragte 3prozentige Abschreibung zu. Die Vorinstanz war der Auffassung, die Möglichkeit der Abschreibung mit einem höheren Vomhundertsatz ergebe sich aus dem Urteil des BFH vom 25. November 1970 I R 165/67 (BFHE 100, 524, BStBl II 1971, 142); diese Entscheidung sei zwar zu § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ergangen; im Falle der Abschreibung nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG könne jedoch nichts anderes gelten.
Gegen diese - in EFG 1973, 261 veröffentlichte - Entscheidung richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, das sinngemäß beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Gerügt wird die fehlerhafte Anwendung von § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der BdF ist dem Verfahren beigetreten. Er vertritt die Auffassung, die nachträglichen Herstellungskosten seien grundsätzlich zusammen mit den ursprünglichen Herstellungskosten weiter mit 2 v. H. abzusetzen. Nur wenn auf diese Weise die vollständige Absetzung innerhalb der tatsächlichen Nutzungsdauer nicht erreicht werde, seien die nachträglichen Herstellungskosten zusammen mit dem Restbuchwert auf die tatsächliche Nutzungsdauer zu verteilen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Das EStG enthält - abgesehen von der im Streitfall nicht einschlägigen Vorschrift des § 7 b Abs. 4 EStG 1964 - keine Sonderregelung für die steuerrechtliche Behandlung nachträglicher Herstellungskosten. Die Absetzung derartiger Aufwendungen richtet sich somit nach den gleichen Grundsätzen wie die Absetzung der ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten (ebenso bereits zu § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG, BFH-Urteil I R 165/67). Die abweichende Rechtsauffassung des FG ist mit dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG nicht vereinbar und läßt sich auch aus der Rechtsprechung zu der steuerrechtlichen Behandlung nachträglicher Herstellungskosten im Falle der Abschreibung des Gebäudes nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG (BFH-Urteil I R 165/67) nicht herleiten, wie der BFH für nachträgliche Herstellungskosten an einem Betriebsgebäude bereits entschieden hat (Urteil vom 20. Februar 1975 IV R 241/69, BFHE 115, 133, BStBl II 1975, 412).
Während bei der Abschreibung nach Satz 2 maßgeblich auf die tatsächliche Nutzungsdauer abgestellt ist, berechnet sich die Höhe des Absetzungsbetrages nach Satz 1 gemäß einem festen Abschreibungssatz. Diesem Abschreibungssatz liegt zwar die Schätzung einer fiktiven Nutzungsdauer zugrunde; gleichwohl können die unterschiedlichen Fassungen des Gesetzes für die Absetzung nachträglicher Herstellungskosten nicht unberücksichtigt bleiben. Die unterschiedliche Regelung ist auch sinnvoll. In den Fällen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG steht die tatsächliche Nutzungsdauer des Gebäudes fest, die stets die äußerste Grenze für die Abschreibungsdauer darstellt und die im Zeitpunkt der Aufwendung der nachträglichen Herstellungskosten ggf. neu geschätzt werden kann. In den Fällen des Satzes 1 wird dagegen nicht eine - nicht verlängerbare - tatsächliche Nutzungsdauer als Höchstgrenze fingiert; die Festlegung von starren Abschreibungssätzen auf der Grundlage einer fiktiven Nutzungsdauer dient der Vereinfachung der Besteuerung. Die festen Abschreibungsbeträge sind nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht 40 bzw. 50 Jahre lang anzuwenden, sondern "bis zur vollen Absetzung" der Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Der Gesetzgeber hat bewußt in Kauf genommen, daß sich auch nach der Neuregelung die Abschreibungsdauer über die fiktive Nutzungsdauer hinaus verlängern könnte (vgl. Bundestags-Drucksache IV/2008 S. 10 und IV/2191 S. 2), etwa beim Erwerb eines - teilweise - abgeschriebenen Gebäudes oder bei der Absetzung der Herstellungskosten von Gebäuden, welche vor Inkrafttreten der Vorschrift fertiggestellt und - teilweise - abgeschrieben waren. Die nach der Auffassung des FG erforderliche Erhöhung des Abschreibungssatzes ist nur in den Fällen des Satzes 2 vorgesehen. Bei der Auslegung i. S. der Vorentscheidung würde die Vorschrift des Satzes 1 im übrigen insoweit bedeutungslos, als sie für vor dem 1. Januar 1925 fertiggestellte Gebäude einen Abschreibungssatz von 2,5 v. H. vorsieht; die diesem Betrag zugrunde liegende fiktive Nutzungsdauer von 40 Jahren wäre am 31. Dezember 1964 bereits abgelaufen gewesen. Zudem würde das Ergebnis dem allgemeinen Grundsatz der Aktivierungspflicht von Herstellungskosten zuwiderlaufen, da nach Ablauf der fiktiven Nutzungsdauer aufgewandte nachträgliche Herstellungskosten selbst in den Fällen als Werbungskosten abzugsfähig wären und sofort abgezogen werden müßten, in denen die tatsächliche Nutzungsdauer noch mehr als 40 bzw. 50 Jahre beträgt.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht. Die Sache ist jedoch noch nicht spruchreif, da das FG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen über die tatsächliche Nutzungsdauer des Gebäudes getroffen hat. Nach dem Grundsatz der einheitlichen Behandlung aller Gebäudeaufwendungen (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132), den § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG auch für nachträgliche Herstellungskosten zum Ausdruck bringt, kommt eine Abschreibung einzelner Gebäudeteile über die tatsächliche Nutzungsdauer des Gesamtgebäudes hinaus nicht in Betracht. Steht im Zeitpunkt des Anfalls der nachträglichen Herstellungskosten fest, daß bei Fortführung des bisherigen Abschreibungssatzes die volle Absetzung des Abschreibungsvolumens innerhalb der tatsächlichen Nutzungsdauer nicht erreicht wird, kann der Steuerpflichtige anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG den Restbuchwert zusammen mit den nachträglichen Herstellungskosten nach den Grundsätzen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG auf die tatsächliche Restnutzungsdauer des Gebäudes verteilen und entsprechend höhere Absetzungen vornehmen.
Ob ausreichend greifbare Anhaltspunkte für eine kürzere Nutzungsdauer vorliegen, ist eine Frage tatsächlicher Würdigung der Umstände des Einzelfalls, die das FA und das FG im Rahmen ihrer Sachaufklärungspflicht (§ 204 Abs. 1 AO, § 76 Abs. 1 FGO) zu prüfen haben (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. September 1971 VIII R 73/68, BFHE 103, 468, BStBl II 1972, 176). Einer derartigen ausdrücklichen Feststellung durch das FG bedarf es jedenfalls dann, wenn das Gebäude - wie im Streitfall - vor Anfall der nachträglichen Herstellungskosten bereits lange Jahre genutzt und abgeschrieben worden war.
Fundstellen
BStBl II 1977, 606 |
BFHE 1978, 300 |