Leitsatz (amtlich)
Verpflichtet sich ein Rechtsanwalt zur Geltendmachung der Forderung eines Dritten und wird ihm hierzu die Forderung abgetreten, bleibt aber der Mandant zu einem erheblichen Teil am Erfolg des Rechtsstreits beteiligt, so können Einnahmen, die dem Rechtsanwalt aus der Forderung zufließen, Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) sein.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlußrevisionskläger (Kläger) üben als Rechtsanwälte ihren Beruf gemeinsam aus. Sie ermitteln ihre Einkünfte durch Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).
Rechtsanwalt X (im folgenden: der Kläger) beriet seit Jahren den Handelsvertreter W, der für die Firma Y-GmbH (GmbH) als Handelsvertreter tätig war. Die GmbH hatte mit W einen Provisionssatz von 3 v. H. des vermittelten Umsatzes vereinbart, der später - bei Ausweitung der Umsätze - "von Fall zu Fall" neu festgesetzt werden sollte. Nachdem die GmbH mit Schreiben vom 3. und 23. März 1965 für die Zeit ab 1. März 1965 einseitig den Provisionssatz auf 1 v. H. herabgesetzt und das Vertragsverhältnis zum 31. März 1968 fristgerecht gekündigt hatte, kündigte W auf Anraten des Klägers mit Schreiben vom 11. Mai 1965 fristlos. Mit Schreiben vom 19. Mai 1965 sprach darauf auch die GmbH eine fristlose Kündigung aus. Die Parteien verhandelten noch bis November 1965 über die von W geltend gemachten Ansprüche, ohne ein Ergebnis zu erzielen.
Wegen des beträchtlichen Kostenrisikos konnte sich W zunächst nicht zur Klageerhebung entschließen. Da sich aber der Kläger bereitfand, dem W dieses Risiko zum Teil abzunehmen, kam es am 24. November 1965 zu einem Vertrag zwischen dem Kläger und W, der die Geltendmachung der Forderungen des W zum Gegenstand hatte. Nach dem Vertrag hatte der Kläger an W 150 000 DM nebst 6 v. H. Zinsen ab Vertragsschluß "als Kaufpreis" zu leisten. W trat dagegen seine Ansprüche gegen die GmbH auf Provision, Schadensersatz und Ausgleich an den Kläger ab, blieb aber im Innenverhältnis an ihnen in folgender Weise beteiligt: Zahlungen, die die GmbH im Falle ihrer Verurteilung zu erbringen haben würde, sollten - soweit sie nicht Kostenerstattungsbeträge betrafen, die vorab auf die entrichteten Kosten anzurechnen waren - bis 150 000 DM nebst Zinsen dem Kläger allein gebühren. An darüber hinausgehenden Zahlungen bis zu 500 000 DM sollten W zu 75 v. H. und der Kläger zu 25 v. H., an weiteren Zahlungen sollten W zu 66 2/3 v. H. und der Kläger zu 33 1/3 v. H. beteiligt sein. Prozeßkosten, die die GmbH nicht erstatten würde, sollten - mit Ausnahme der dem Kläger zustehenden Gebühren als Korrespondenzanwalt - W und der Kläger je zur Hälfte tragen. Der Prozeß mit der GmbH sollte nach den Weisungen des Klägers geführt und von ihm als Korrespondenzanwalt betreut werden. Der Kläger sollte allein über den Abschluß und die Bedingungen eines etwaigen Prozeßvergleichs mit der GmbH entscheiden. W verpflichtete sich zur Informationserteilung.
Am Tage des Abschlusses dieser Vereinbarung wurde für W die vom Kläger ausgearbeitete Klageschrift dem zuständigen Gericht übermittelt.
Anfang 1966 zahlte der Kläger an W den vereinbarten "Kaufpreis" von 150 000 DM nebst Zinsen.
Nachdem das Landgericht im April 1966 die für W erhobene Klage im wesentlichen abgewiesen hatte, ließ W auf Weisung des Klägers Berufung einlegen.
Durch Teilurteil vom 22. August 1968 verurteilte das OLG unter Klageabweisung im übrigen die GmbH zur Zahlung von 913 113 DM an W, ferner dem Grunde nach zum Ersatz des durch die fristlose Kündigung entstandenen Schadens sowie zu Rechnungslegung und Buchauszug wegen des Ausgleichsanspruchs. Die GmbH zahlte den geschuldeten Betrag zur Abwendung der Zwangsvollstreckung im Oktober 1968. Daraufhin rechneten W und der Kläger ab.
Gegen das OLG-Urteil legten beide Parteien Revision ein. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision der GmbH, soweit sie zur Zahlung von 913 113 DM verurteilt war, zurück. Hinsichtlich der Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach und der Verurteilung zu Rechnungslegung und Buchauszug wegen des Ausgleichsanspruchs hob der BGH das OLG-Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.
Im zweiten Rechtsgang verurteilte das OLG die GmbH durch Schlußurteil zu Provisions-, Schadensersatz- und Ausgleichszahlungen - über die bereits gezahlten 913 113 DM hinaus - von zusammen 371 646 DM nebst gestaffelten Zinsen und wies die weitergehende Klage sowie eine Widerklage der GmbH ab. Auch gegen dieses Urteil wurde Revision eingelegt. Da die GmbH inzwischen in Konkurs gefallen war, wurde der Zivilprozeß unterbrochen. Er war zur Zeit der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) noch nicht wieder aufgenommen worden.
Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat im Anschluß an eine Betriebsprüfung die Ansicht, der Gewinn des Klägers aus der Forderungseinziehung gehöre als Erfolgshonorar zu den in dem Bescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung 1968 zu erfassenden Einkünften aus selbständiger Arbeit und sei dem Kläger allein zuzurechnen. Es würdigte den Vertrag des Klägers mit W dahin, daß der Kläger an W in Höhe des "Kaufpreises", der Zinsen und der hälftigen Prozeßkosten ein im Erfolgsfalle rückzahlbares und bei der späteren Abrechnung dann auch tatsächlich zurückgezahltes Darlehen gewährt habe. Es erhöhte den einheitlich und gesondert festgestellten Gewinn der Anwaltsgemeinschaft und den Gewinnanteil des Klägers um die darüber hinaus von W geleisteten Beträge und hielt hieran in der Einspruchsentscheidung fest.
Das FG gab der Klage im wesentlichen statt; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 457 (EFG 1976, 457) veröffentlicht. Das FG rechnete den Gewinn, den der Kläger aus dem Erwerb der Ansprüche und deren Einziehung erzielt hatte, nicht den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu, weil der Kläger eigene Ansprüche verfolgt habe. Daß der Kläger bei dem Geschäft mit W seine beruflichen Erfahrungen, Kenntnisse und Verbindungen als Rechtsanwalt ausgenutzt habe, berechtige nicht dazu, das Geschäft, das seiner Art nach eher ein gewerbliches sei, der freiberuflichen Sphäre zuzuordnen. Bei Erfolglosigkeit des Zivilprozesses hätte der Kläger seinen "Kaufpreis" von 150 000 DM verloren.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet.
1. Die Vorentscheidung ist zutreffend davon ausgegangen, daß die vom Kläger erzielten Honorareinnahmen als Einkünfte des Klägers im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte der Anwaltsgemeinschaft festzustellen sind.
2. Entgegen der Ansicht des FG gehört der Anteil des Klägers an dem Gewinn aus der Einziehung der Handelsvertreteransprüche zu seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit.
a) Den Einkünften aus freiberuflicher Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) sind insbesondere die Einnahmen aus Honoraren und Gebühren zuzurechnen, die freiberuflich tätigen Rechtsanwälten für die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten zufließen.
Im Gegensatz dazu stehen Einkünfte, die ein Rechtsanwalt aus Geldgeschäften bezieht. Derartige Geschäfte sind für Rechtsanwälte grundsätzlich berufsfremd. Zu den Geldgeschäften gehören nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) die Gewährung von Darlehen, die Übernahme von Bürgschaften und der Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften (Urteile vom 27. August 1930 VI A 264/29, RFHE 27, 184, RStBl 1931, 104 - nur Leitsatz -; vom 27. August 1930 VI A 1798/30, RStBl 1931, 104; vom 20. Februar 1935 VI A 16/33, RFHE 37, 284, RStBl 1935, 870; vom 20. Februar 1935 VI A 592/32, RStBl 1935, 873), sofern diese Geschäfte nicht unmittelbar der Ausführung eines im Rahmen des Anwaltberufs liegenden Auftrags dienen (Urteil vom 22. September 1938 IV 128/38, RStBl 1939, 26). Auch in der Rechtsprechung des BFH sind Geldgeschäfte von freiberuflich Tätigen bisher in der Regel als berufsfremd erachtet worden, es sei denn, daß die Geschäfte für die Berufstätigkeit erforderlich sind und sich deshalb auf das notwendige Betriebsvermögen auswirken (Urteile vom 28. Januar 1960 IV 109/59 U, BFHE 70, 456, BStBl III 1960, 172; vom 17. Oktober 1963 VI 76-77/61, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 615; vom 9. September 1965 IV 245/63, StRK, Einkommensteuergesetz, § 18, Rechtsspruch 379; vom 22. Januar 1981 IV R 107/77, BFHE 133, 168, BStBl II 1981, 564). Dementsprechend ist z. B. bei einem Steuerberater die Zugehörigkeit einer Darlehensforderung zum notwendigen Betriebsvermögen bejaht worden, wenn das Darlehen gewährt wurde, um eine Honorarforderung zu retten (Urteil vom 22. April 1980 VIII R 236/77, BFHE 130, 454, BStBl II 1980, 571).
b) Bezieht ein Rechtsanwalt Einkünfte, die zum Teil auf seiner freiberuflichen Tätigkeit, zum Teil auf einem Geldgeschäft beruhen, so sind diese Einkünfte nach Möglichkeit getrennt zu erfassen. Das kann allerdings dann nicht gelten, wenn die anwaltschaftliche Tätigkeit so mit einem Geldgeschäft verflochten ist, daß eine Trennung nicht möglich ist. In einem solchen Fall können die erzielten Einkünfte nur einheitlich erfaßt und beurteilt werden. Sind sie überwiegend das Ergebnis einer in den Anwaltsberuf fallenden Tätigkeit, so müssen sie insgesamt als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) angesehen werden. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn ein Rechtsanwalt durch Beratung und Prozeßführung für einen anderen - also in einer fremden Rechtsangelegenheit - tätig wird, selbst wenn das dieser Tätigkeit zugrunde liegende Vertragsverhältnis auch Elemente eines Geldgeschäfts enthält.
c) Im Streitfall vollzog sich die Tätigkeit des Klägers auf der Grundlage eines Vertrags, der nach seinem Inhalt überwiegend die Besorgung von Rechtsangelegenheiten des W zum Gegenstand hatte.
Die zivilrechtliche Einkleidung des Vertrags (wie z. B. die Abtretung der streitigen Forderungen an den Kläger gegen einen "Kaufpreis") spielt bei der steuerrechtlichen Beurteilung keine entscheidende Rolle. Es kommt vielmehr darauf an, was von den Vertragsparteien mit dem Abschluß und der Durchführung des Vertrages wirtschaftlich bezweckt war.
W wollte mit dem Vertrag in erster Linie die Durchsetzung seiner Ansprüche gegen die GmbH erreichen. Hierbei sollte ihn der Kläger durch seine anwaltschaftliche Tätigkeit (insbesondere durch Beratung, Prozeßführung usw.) unterstützen, wobei der Kläger als Gegenleistung hierfür an dem Erfolg des Prozesses beteiligt werden sollte. Daß es bei dem vom Kläger zu führenden Rechtsstreit in erster Linie um die wirtschaftlichen Interessen des W ging, zeigt sich vor allem darin, daß die Zahlungseingänge aus den abgetretenen Forderungen überwiegend dem W zugute kommen sollten; W blieb - teils zu 100 v. H., teils zu 75 v. H., teils zu 66 2/3 v. H. - an den Erfolgen des Rechtsstreits beteiligt. Daraus ist zu folgern, daß sich der Vertrag mit W in erster Linie auf die Besorgung einer für den Kläger fremden Rechtsangelegenheit bezog.
Die geldgeschäftlichen Elemente des Vertrags mit W traten demgegenüber in den Hintergrund. In der Zahlung eines als "Kaufpreis" bezeichneten Betrages von 150 000 DM (nebst Zinsen) an W durch den Kläger ist unter den gegebenen Umständen eine Bevorschussung für einen Teil des im Prozeß gegen die GmbH zu erwartenden Erfolgs zu sehen. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mußte davon ausgegangen werden, daß es noch längere Zeit dauern würde, bis W von der GmbH Provisions-, Schadensersatz- und Ausgleichszahlungen erhält. Wenn der Kläger diesem Umstand durch Zahlung eines größeren Betrages an W Rechnung trug, so konnte hierin ein darlehensähnlicher Vorgang gesehen werden. Gleichzeitig übernahm der Kläger mit der Zahlung von 150 000 DM auch das Ausfallrisiko bis zur Höhe dieses Betrags; denn er Hätte nach dem Inhalt des Vertrags selbst dann keine Rückzahlung von W beanspruchen können, wenn die GmbH zwar einen Betrag von 150 000 DM hätte zahlen müssen, eine Zahlung aber von ihr nicht zu erlangen gewesen wäre. Diese Bestandteile des Vertrags geben den Vereinbarungen einen am Erfolg des Rechtsstreits orientierten spekulativen Charakter.
Daß der Vertrag mit W eine standesrechtlich unzulässige Vereinbarung eines Erfolgshonorars enthält (vgl. § 41 Abs. 3 der Grundsätze des anwaltschaftlichen Standesrechts, festgestellt von der Bundesrechtsanwaltskammer am 2./3. Mai 1963 sowie § 52 Abs. 3 der Grundsätze i. d. F. vom 21. Juni 1973), steht der steuerrechtlichen Einordnung der Einnahmen als Einkünfte aus selbständiger Arbeit nicht entgegen. Das gilt selbst für den Fall, daß die Streitanteilsvereinbarung gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) oder gegen eine allgemein gültige Verbotsnorm (§ 134 BGB) verstoßen sollte (so BGH-Urteile vom 15. Dezember 1960 VII ZR 141/59, BGHZ 34, 64; vom 29. Oktober 1962 AnwSt (R) 8/62, BGHST 18, 110; Rietschel in Anmerkung zum BGH-Urteil VII ZR 141/59 in Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 93 RAGebO, Nr. 4) und demzufolge die bürgerlichrechtliche Wirksamkeit der Abtretung zweifelhaft ist. Auch der Rechtsanwalt, der sich durch Vereinbarung eines Erfolgshonorars am Erfolg eines einzelnen Rechtsstreits beteiligt und dadurch gegenüber der von ihm vertretenen Partei in der gebotenen Unabhängigkeit als Organ der Rechtspflege beeinträchtigt wird, erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Die Besteuerung des aus einer Streitanteilsvereinbarung Erlangten ist ohne Rücksicht darauf durchzuführen, ob die Vereinbarung oder die ihr dienende Forderungsabtretung bürgerlich-rechtlich wirksam ist (§ 5 StAnpG, vgl. jetzt §§ 40, 41 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
Es ergibt sich sonach, daß der Kläger mit W ein Rechtsgeschäft abgeschlossen und durchgeführt hat, das hauptsächlich die Berufsausübung betraf und dessen geldgeschäftliche Elemente demgegenüber in den Hintergrund traten. Deshalb ist der aus der Durchführung des Geschäfts im ganzen erzielte Gewinn bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu erfassen.
Fundstellen
Haufe-Index 74230 |
BStBl II 1982, 340 |
BFHE 1982, 175 |