Entscheidungsstichwort (Thema)
Einnahmen des Kindes in Höhe des Versorgungs- und Sparer-Freibetrags sind keine kindergeldschädlichen Bezüge
Leitsatz (amtlich)
Einnahmen des Kindes in Höhe des Versorgungs-Freibetrages und des Sparer-Freibetrages sind keine Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Sie sind daher auch nicht bei der Ermittlung des maßgeblichen Jahresgrenzbetrages (im Streitjahr 12 000 DM) zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (EFG 1999, 903; LEXinform-Nr. 0551960) |
Tatbestand
Der 1973 geborene Sohn (S) der verwitweten Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) befand sich im Streitjahr 1997 in Berufsausbildung. S bezog im Jahr 1997 Versorgungsbezüge in Höhe von 10 950 DM und Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 7 290 DM. Die Oberfinanzdirektion -Familienkasse- (Beklagte und Revisionsbeklagte ―Beklagte―) ermittelte die Einkünfte des S aus nichtselbständiger Arbeit mit 4 570 DM (10 950 DM ./. 4 380 DM Versorgungs-Freibetrag und ./. 2 000 DM Arbeitnehmer-Pauschbetrag) und die Einkünfte des S aus Kapitalvermögen mit 1 190 DM (7 290 DM ./. 100 DM Werbungskosten-Pauschbetrag und ./. 6 000 DM Sparer-Freibetrag); die Einkünfte betrugen hiernach insgesamt 5 760 DM. Bei der Ermittlung der Bezüge des S berücksichtigte die Beklagte die Einnahmen in Höhe des Versorgungs-Freibetrages (4 380 DM) und des Sparer-Freibetrages (6 000 DM) abzüglich einer Kostenpauschale von 360 DM, also insgesamt einen Betrag von 10 020 DM. Damit ergaben sich nach Ansicht der Beklagten Einkünfte und Bezüge des S im Streitjahr in Höhe von 15 780 DM (5 760 DM + 10 020 DM). Die Beklagte setzte daraufhin das Kindergeld wegen Überschreitens des maßgeblichen Jahresgrenzbetrages (im Streitjahr 12 000 DM) rückwirkend ab Januar 1997 auf 0 DM fest und forderte das für die Monate Januar bis Juli 1997 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 1 320 DM zurück.
Die hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 903 veröffentlichten Gründen ab. Es führte im Wesentlichen aus: Die Einnahmen in der den Freibeträgen entsprechenden Höhe seien entgegen der im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. August 1977 VI R 187/74 (BFHE 123, 380, BStBl II 1977, 832) geäußerten Rechtsauffassung als Bezüge anzusetzen. Die tatsächlich bezogenen Einnahmen in Höhe der Freibeträge stünden zur Bestreitung des Unterhalts bzw. der Berufsausbildung zur Verfügung und seien dazu auch bestimmt und geeignet. Diese Bezüge außer Ansatz zu lassen widerspreche dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Einkommensgrenze, die Eltern durch den Familienleistungsausgleich nur dann zu entlasten, wenn ihre Leistungsfähigkeit gemindert sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie vertritt unter Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 123, 380, BStBl II 1977, 832 die Ansicht, die wegen des Versorgungs- bzw. des Sparer-Freibetrages steuerfrei bleibenden Einnahmen seien nicht als Bezüge anzusetzen, da diese Einnahmen bereits bei der Einkunftsermittlung erfasst seien. Deshalb lägen keine nicht steuerbaren oder für steuerfrei erklärten Einnahmen vor, die zu Bezügen führen könnten. Die erst mit Wirkung ab 1997 geänderte Verwaltungsauffassung stehe im Widerspruch zu dieser Rechtsprechung.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz und den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Zurechnung des Versorgungs-Freibetrages und des Sparer-Freibetrages als Bezüge stehe zwar im Widerspruch zum BFH-Urteil in BStBl II 1977, 832, eine Abweichung von dieser Rechtsprechung sei aber im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers und den mit der Regelung des Jahresgrenzbetrages verfolgten Sinn und Zweck geboten. Mit der Aufnahme der Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 ff. EStG sei der Forderung entsprochen worden, die kindbedingte Entlastung nur dort durchzuführen, wo die Leistungsfähigkeit der Eltern tatsächlich gemindert sei. Eltern von Kindern, denen solche Einnahmen zuflössen, seien in ihrer Leistungsfähigkeit aber nicht in einer Weise gemindert, die eine Kindergeldzahlung rechtfertige. Dieser Intention des Gesetzgebers könne demnach nur entsprochen werden, wenn tatsächlich zur Verfügung stehende Geldmittel als Bezüge angerechnet würden. Einnahmen in Höhe des Versorgungs-Freibetrages und des Sparer-Freibetrages stünden aber tatsächlich zur Bestreitung des Unterhalts bzw. der Berufsausbildung zur Verfügung und seien hierfür bestimmt und geeignet. Die Berücksichtigung als Bezüge stehe auch nicht im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Freibeträge. Der Versorgungs-Freibetrag sei zur Milderung der Steuerbelastung von Pensionen im Vergleich zur Ertragswertbesteuerung der Renten eingeführt worden; dieser besondere Zweck werde hier nicht erreicht, insbesondere stünden den Einnahmen anders als bei Werbungskosten-Pauschbeträgen oder anderen Pauschbeträgen keine zu pauschalierenden Aufwendungen gegenüber. Der Sparer-Freibetrag sei lediglich aus Vereinfachungsgründen eingeführt worden, ohne dass dem entsprechende Aufwendungen zugrunde lägen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Bescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Der Kindergeldanspruch der Klägerin für das Streitjahr 1997 beruht auf § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
2. Der Kindergeldanspruch ist auch nicht wegen der Einkünfte und Bezüge des S zu versagen.
Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung wird ein über 18 Jahre altes Kind in Berufsausbildung nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12 000 DM im Kalenderjahr hat (Jahresgrenzbetrag). Die Vorschrift dient dem Zweck der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, indem sie solche Steuerpflichtige von der Gewährung des Kinderfreibetrags und des Kindergeldes ausnimmt, deren Kind über Einkünfte und Bezüge in einer den Grenzbetrag übersteigenden Höhe verfügt.
a) Der Begriff der "Einkünfte" in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG sowie dem Begriff der "Einkünfte" i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG und des § 33a Abs. 2 Satz 2 EStG. Wegen der näheren Begründung wird auf das Senatsurteil vom 21. Juli 2000 VI R 153/99 (Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2000, 1642) verwiesen, von dem ein neutralisierter Abdruck beigefügt ist. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und Einkünfte aus Kapitalvermögen sind danach jeweils der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Versorgungsbezüge; von diesen bleibt nach § 19 Abs. 2 EStG ein Betrag in Höhe von 40 v.H. steuerfrei (Versorgungs-Freibetrag). Ebenso ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ein Betrag von 6 000 DM abzuziehen (Sparer-Freibetrag).
Von diesen Grundsätzen ist auch das FG ausgegangen und hat im Streitfall zutreffend Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit mit 4 570 DM (10 950 DM ./. 4 380 DM Versorgungs-Freibetrag und ./. 2 000 DM Arbeitnehmer-Pauschbetrag) und die Einkünfte aus Kapitalvermögen mit 1 190 DM (7 290 DM ./. 6 000 DM Sparer-Freibetrag und ./. 100 DM Werbungskosten-Pauschbetrag), insgesamt also mit 5 760 DM festgestellt.
b) Was unter "Bezügen" i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher geregelt. Nach ständiger Rechtsprechung sind darunter solche Einnahmen zu verstehen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfasst werden, also nicht steuerbare oder im Einzelnen (z.B. in den §§ 3 und 3b EStG) für steuerfrei erklärte Einnahmen (BFH-Urteile vom 17. Oktober 1980 VI R 98/77, BFHE 132, 34, BStBl II 1981, 158; vom 31. Juli 1981 VI R 67/78, BFHE 134, 273, BStBl II 1981, 805; in BFHE 122, 380, BStBl II 1977, 832, und vom 7. März 1986 III R 177/80, BFHE 146, 386, BStBl II 1986, 554). Der Teil der Versorgungsbezüge, der nach § 19 Abs. 2 EStG steuerfrei bleibt (Versorgungs-Freibetrag), und die Kapitaleinnahmen in Höhe des Sparer-Freibetrages nach § 20 Abs. 4 EStG werden aber in diesem Sinne im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfasst. Entscheidend ist, dass Versorgungsbezüge und Kapitaleinnahmen dem Grunde nach zu den steuerpflichtigen Einnahmen gehören und dass die Freibeträge (erst) bei der Einkunftsermittlung berücksichtigt werden; sie können daher bei der Ermittlung der Bezüge nicht noch einmal berücksichtigt werden (vgl. bereits BFH-Urteil in BFHE 123, 180, BStBl II 1977, 832 für Einnahmen in Höhe des Versorgungs-Freibetrages; ebenso Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 33a Rz. 36; Zeitler, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1998, 705; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 32 EStG Anm. 135 für Kapitaleinnahmen in Höhe des Sparer-Freibetrages).
c) Es obliegt der Entscheidung des Gesetzgebers, an welchem Punkt er bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens die Freibeträge berücksichtigen will. In seinem zu § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG ergangenen Urteil vom 19. August 1983 VI R 128/80 (nicht veröffentlicht) hat der erkennende Senat daran festgehalten, dass solche bei der Ermittlung von Einkünften kraft Gesetzes zu berücksichtigenden Umstände, wie der Versorgungs-Freibetrag, nach der Systematik des Gesetzes nicht einem nicht steuerbaren Teil von Einkünften ―wie dem Kapitalanteil von Renten― gleichgestellt werden können.
d) An der bisherigen Rechtsprechung zum Begriff der Bezüge, die bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1996 auch der Auffassung der Finanzverwaltung entsprach (vgl. dazu die Amtlichen Einkommensteuer-Handbücher ―EStH― 1993, 1994 und 1995 unter R 190 zu § 33a EStG), ist somit festzuhalten. Soweit die Finanzverwaltung, die in den amtlichen Handbüchern 1996, 1997 und 1998 unter R 190 zu § 33a EStG auf R 180e verweist, nunmehr die Auffassung vertritt, zu den anzusetzenden Bezügen gehörten insbesondere die nach § 19 Abs. 2, § 20 Abs. 4 EStG steuerfrei bleibenden Einkünfte (vgl. ebenso die Fassungen der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs ―DA-FamEStG― 63.4.2.1 Abs. 3 Nr. 2 sowie DA-FamEStG 63.4.2.3 Abs. 2 Nr. 4, BStBl I 1998, 386, 426, 428, und BStBl I 2000, 636, 674, 676), ist dem insbesondere aus steuersystematischen Gründen nicht zu folgen (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/ Raupach, a.a.O., § 32 EStG Anm. 135; Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 33a Rdnr. B 128; Seewald/Felix in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 63 Rdnr. D 127; Schmidt/Glanegger, a.a.O., 19. Aufl., § 33a Rz. 36; so auch Bilsdorfer, Die Information über Steuer und Wirtschaft ―Inf― 1997, 519; Zeitler, DStZ 1998, 705; FG Nürnberg, Urteil vom 10. Februar 1999 V 130/98, EFG 1999, 984 zum Sparer-Freibetrag, Az. des BFH VI R 61/99; FG Niedersachsen, Urteil vom 30. Juni 1999 XIII 223/98 Ki, EFG 2000, 133, Revision VI R 22/00 zurückgenommen; anderer Ansicht: Kanzler in Neue Wirtschafts-Briefe ―NWB― Fach 3, S. 8681, 8689 zu § 20 Abs. 4 EStG; Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rdnr. 241; Jachmann in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 32 Rdnr. C 45).
e) Der Gesetzgeber hat im Jahressteuergesetz 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BStBl I 1995, 438), geändert durch das Jahressteuer-Ergänzungsgesetz 1996 vom 18. Dezember 1995 (BStBl I 1995, 786) in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG den Begriff der "Bezüge" in Kenntnis der dazu bestehenden langjährigen Rechtsprechung des BFH zu diesem Begriff verwendet, nicht jedoch den in § 32d Abs. 2 EStG a.F. definierten Begriff der Erwerbsbezüge. § 32d EStG a.F. wurde zunächst durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BStBl I 1993, 510) als § 32c geschaffen und ist durch das Standortsicherungsgesetz vom 13. September 1993 (BStBl I 1993, 774) zu § 32d EStG geworden. Dass der Gesetzgeber im Jahr 1995 ―in Kenntnis des in § 32d Abs. 2 EStG a.F. definierten Begriffs der Erwerbsbezüge― stattdessen in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG den Begriff der "Bezüge" verwendet hat, ist dahin gehend zu verstehen, dass letzterem ein anderer Begriffsinhalt als dem Begriff der "Erwerbsbezüge" zugemessen werden sollte und zugemessen worden ist.
Die Anknüpfung an den Begriff der Bezüge und nicht an den Begriff der Erwerbsbezüge dient im Übrigen einem einfachen und leicht anzuwendenden Verfahren. Wären über die Bezüge hinausgehend alle Erwerbsbezüge i.S. des § 32d EStG a.F. einzubeziehen, würde sich ein erheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand ergeben. Insbesondere müssten auch alle Kapitalerträge, die den Sparer-Freibetrag der Höhe nach nicht erreichen, ermittelt werden.
3. Das FG hat danach die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Einnahmen in Höhe der jeweiligen Freibeträge (Versorgungs-Freibetrag, Sparer-Freibetrag) sind nicht als Bezüge anzusetzen. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (4 570 DM) und aus Kapitalvermögen (1 190 DM) überschreiten zusammen den Jahresgrenzbetrag nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 508955 |
BFH/NV 2001, 117 |
BStBl II 2000, 684 |
BFHE 192, 485 |
BFHE 2001, 485 |
BB 2000, 2350 |
DStR 2000, 1950 |
DStRE 2000, 1256 |
HFR 2001, 134 |