Leitsatz (amtlich)
Ein Schaden, den der Schädiger bei Gelegenheit seiner Arbeit im Betrieb durch eine gefahrenträchtige Spielerei verursacht, wird von der Haftungsfreistellung nicht erfaßt; dies gilt auch dann, wenn die Schädigung unter zweckwidriger, mißbräuchlicher Verwendung eines Betriebsmittels (hier: Reitpeitsche) herbeigeführt wird.
Normenkette
RVO § 637 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom 4. September 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen eines Unfalls, der sich am 4. Januar 1996 im Reitstall W. in H. ereignet hat, auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und Ersatz von Attestkosten in Anspruch; ferner begehrt sie die Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für jeden weiteren Schaden aus diesem Ereignis.
An diesem Tag hielten sich die damals zwölfjährige Klägerin und der etwa gleichaltrige Beklagte, die Reitstunden nehmen, die von ihren Eltern bezahlt werden, in dem Reitstall auf. Sie helfen dort in ihrer Freizeit ab und zu aus und dürfen dafür kostenlos reiten. Am Unfalltag waren sie mit dem Ausmisten des Stalles beschäftigt. Als die Klägerin mit dem Richten einer Plastikplane befaßt war, traf sie ein Peitschenhieb des Beklagten auf der linken Gesichtshälfte und am linken Auge.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagte habe ohne ersichtlichen Anlaß mit der Reitpeitsche nach ihr geschlagen; die Augenverletzung habe zur Beeinträchtigung ihrer Sehfähigkeit geführt, als Schmerzehsgeld sei ein Betrag von 20.000 DM angemessen.
Der Beklagte hat behauptet, er habe durch den Peitschenhieb einen Hengst von der Klägerin abwehren wollen, der sie bedrängt habe; als er mit der Peitsche in Richtung des Pferdes geschlagen habe, habe sich die Klägerin umgedreht und sei hierbei von der Peitschenleine getroffen worden. Nach Auffassung des Beklagten hat sich der Unfall im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Arbeitstätigkeit der Parteien ereignet, so daß er nach §§ 636, 637 RVO von einer Haftung für die Unfallfolgen freigestellt sei.
Das Landgericht hat der Klägerin einen Schmerzensgeldanspruch von 2.500 DM zuerkannt und ihrem Anspruch auf Ersatz der Attestkosten sowie dem Feststellungsanspruch stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen; die Berufung der Klägerin, mit der sie ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 20.000 DM erstrebt hatte, hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihr Prozeßbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Beklagte nicht zum Ersatz des der Klägerin entstandenen Personenschadens verpflichtet, weil zu seinen Gunsten der Haftungsausschluß aus §§ 636, 637 RVO eingreife. Die Klägerin sei im Reitstall W. tätig und dort versichert gewesen, wie es § 636 RVO voraussetze. Der Beklagte sei ein Betriebsangehöriger i.S. von § 637 Abs. I RVO gewesen. Zwar sei er im Reitstall auf freiwilliger Basis tätig geworden; für die rechtliche Beurteilung sei aber entscheidend, daß er jeweils dann, wenn er im Reitstall tätig gewesen sei, der Direktions- und Weisungsbefugnis der Inhaberin des Reitstalls oder eines von ihr Bevollmächtigten unterstanden habe. Schließlich sei der Unfall, der als Arbeitsunfall zu qualifizieren sei, durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht worden. Der Beklagte habe die Klägerin nur erschrecken wollen; dabei habe er sich in der Länge der Peitsche, die aus einem etwa zwei Meter langen Stock und einer vier Meter langen Leine bestanden habe, verschätzt. Zwar sei eine Neckerei oder Spielerei grundsätzlich betriebsfremd und damit keine „betriebliche Tätigkeit” i.S. von § 637 Abs. 1 RVO. Anderes gelte aber, wenn dabei eine Betriebseinrichtung Verwendung finde, die von dieser Betriebseinrichtung ausgehende Gefahr der Verletzungshandlung das eigentliche Gepräge gebe und sich damit für den Verletzten eines der Risiken verwirkliche, denen er in dem Betrieb ausgesetzt sei. Um einen solchen Fall gehe es hier. Die Verletzung der Klägerin beruhe darauf, daß der Beklagte das ihm zur Verfügung stehende Betriebsmittel – die Reitpeitsche – nicht richtig habe handhaben können.
II.
Diese Erwägungen halten einer Überprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht beurteilt die Haftungsfreistellung des Beklagten zutreffend nach §§ 636, 637 RVO und nicht nach §§ 104 ff. SGB VII (§ 212 SGB VII). Der Senat vermag jedoch der Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Voraussetzungen für die Haftungsfreistellung des Beklagten aus §§ 636, 637 RVO hier vorlägen, nicht zu folgen.
1. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die Klägerin – wovon das Berufungsgericht ausgeht – überhaupt eine Versicherte i.S. von §§ 636, 637 RVO ist.
Ein Unfallversicherungsschutz der Klägerin kommt nur nach § 539 Abs. 2 i.V.m. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO in Betracht. Danach sind gegen Arbeitsunfall auch Personen versichert, die im Unfallbetrieb (nur) „wie” ein dort aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigter tätig werden; dies gilt auch bei nur vorübergehender Tätigkeit. § 539 Abs. 2 RVO verlangt nicht eine Beziehung des Tätigen zu dem Unfallbetrieb, die arbeitsrechtlich als die eines Arbeitnehmers zu qualifizieren ist; es muß auch nicht ein Abhängigkeitsverhältnis wirtschaftlicher oder persönlicher Art vorliegen (st.Rspr., vgl. Senatsurteil vom 8. März 1994 – VI ZR 141/93 – VersR 1994, 579 m.w.N.). Erforderlich für den Unfallversicherungsschutz ist jedoch, daß die Tätigkeit nach der Verkehrsanschauung wirtschaftlich als Arbeit und nicht etwa als bloße Freizeitbeschäftigung anzusehen – ist. Insoweit bestehen hier zwar keine Bedenken. Das Ausmisten des Pferdestalls ist eine Arbeitsleistung, wie sie sonst von Bediensteten eines Reitstall-Unternehmers erbracht wird. Aber auch dann, wenn sich eine Tätigkeit nach der Verkehrsanschauung als für den Unfallbetrieb objektiv nützliche Arbeitsleistung darstellt, setzt der Unfallversicherungsschutz aus § 539 Abs. 2 RVO nicht ein, wenn für den Leistenden ein eigenwirtschaftliches (persönliches, privates) Interesse im Vordergrund gestanden hat. Die Tätigkeit muß vielmehr von ihrer Zweckbestimmung her „fremdwirtschaftlich” geprägt sein (st.Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 25. Juni 1985 – VI ZR 34/84 – VersR 1985, 1082, 1083 m.w.N.). Diese Wertung ist unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Falles vorzunehmen (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 1986 – VI ZR 181/85 – VersR 1987, 384, 385).
2. Ob nach diesen Grundsätzen hier von einer fremdwirtschaftlichen oder einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen ist, kann indes ebenso dahinstehen wie die weitere Frage, ob es sich hier überhaupt um einen Arbeitsunfall handelt. Denn jedenfalls scheidet eine Haftungsprivilegierung des Beklagten deshalb aus, weil er weder ein Betriebsangehöriger i.S. von § 637 Abs. 1 RVO gewesen ist, noch die Klägerin im Zuge einer betrieblichen Tätigkeit verletzt hat, wie es § 637 Abs. 1 RVO für die Haftungsfreistellung des Schädigers weiter voraussetzt.
a) Während § 636 Abs. 1 RVO die Belastung des betriebsfremden Geschädigten mit dem Haftungsprivileg des Schädigers schon eintreten läßt, wenn der Geschädigte nur im Unfallbetrieb tätig geworden ist, setzt für den Schädiger nach § 637 Abs. 1 RVO die Haftungsfreistellung erst ein, wenn er ein im Unfallbetrieb tätiger „Betriebsangehöriger” ist. Für den im Unfallbetrieb fremden Schädiger setzt letzteres voraus, daß er der Weisungs- und Direktionsbefugnis des Unternehmers unterworfen ist und dessen Fürsorge beanspruchen kann (st.Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 1. Juli 1975 – VI ZR 87/74 – VersR 1975, 1002 und vom 5. Juli 1988 – VI ZR 299/87 – VersR 1988, 1166, 1167; BAGE 42, 194, 198, jeweils m.w.N.). Daß das neue Recht diese Differenzierung aufgibt (§ 105 Abs. 1 SGB VII, vgl. hierzu auch BT-Drs. 13/2204 S. 100), muß hier unberücksichtigt bleiben, weil – wie gesagt – der vorliegende Fall noch nach altem Recht zu beurteilen ist.
Weder die Feststellungen des Berufungsgerichts noch das Prozeßvorbringen des darlegungsbelasteten Beklagten lassen erkennen, daß der Inhaberin des Reitstalls oder einem von ihr Beauftragten gegenüber dem Beklagten eine Weisungs- und Direktionsbefugnis zugestanden hat und der Beklagte deren Fürsorge hat beanspruchen können. Der Beklagte ist ebenso wie die Klägerin nur sporadisch in seiner Freizeit in dem Reitstall tätig geworden. Dies geschah offensichtlich – anderes ist jedenfalls nicht erkennbar – im Rahmen eines lockeren, auf Bekanntschaft beruhenden Gefälligkeitsverhältnisses, das für die Beteiligten weder Rechte noch Pflichten entstehen ließ; der Beklagte hätte seine Arbeit im Reitstall jederzeit ohne Rechtsfolgen einstellen können. Damit scheidet die Annahme eines Weisungs- und Direktionsbefugnisses einerseits und eine Fürsorgepflicht andererseits begründenden Rechtsverhältnisses aus. Insoweit ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch ohne rechtliche Relevanz, daß der Beklagte jedenfalls dann, wenn er sich im Reitstall aufhielt, Anordnungen der Inhaberin des Reitstalls oder ihrer Beauftragten zu befolgen hatte. Denn diese Verpflichtung war nicht Ausdruck einer durch ein Pflichtenverhältnis ausgelösten Weisungsunterworfenheit des Beklagten, vielmehr hatte die Anordnungskompetenz der Inhaberin des Reitstalls ihren Rechtsgrund in ihrer Verfügungsbefugnis als Eigentümerin der Gegenstände und Tiere sowie ihrer Verkehrssicherungspflicht.
b) Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit i.S. von § 637 Abs. 1 RVO ist ein objektiver Begriff. Eine betriebliche Tätigkeit liegt vor, wenn sie unmittelbar mit dem Zweck der betrieblichen Beschäftigung zusammenhängt und dem Betrieb dienlich ist (Senat BGHZ 67, 279, 281 m.w.N.). Es kommt damit für die Haftungsfreistellung des Schädigers darauf an, ob er den Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht hat (vgl. Senatsurteil vom 2. März 1971 – VI ZR 146/69 – VersR 1971, 564, 565). Demgegenüber wird ein Schaden, den der Schädiger nur bei Gelegenheit seiner Arbeit im Betrieb verursacht hat, von der Haftungsfreistellung nicht erfaßt. Um einen solchen Fall handelt es sich insbesondere dann, wenn der Schaden die Folge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten gefahrenträchtigen Spielerei oder Neckerei ist (vgl. BAG NJW 1967, 220, 222; vgl. ferner KK-Ricke, RVO § 637 Rn. 6).
Hiervon geht im Ansatz auch das Berufungsgericht aus. Der Senat vermag dem Berufungsgericht jedoch nicht mehr zu folgen, wenn es ausführt, daß hier der nötige innere Zusammenhang zwischen der Schädigungshandlung und der betrieblichen Tätigkeit anzunehmen sei, weil die Verletzungshandlung durch den Einsatz eines Betriebsmittels – der Reitpeitsche – ihr Gepräge erhalte. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Schädigungshandlung um eine betriebliche Tätigkeit handelt oder nicht, ist – wie oben ausgeführt – allein, ob die Tätigkeit einen betrieblichen Bezug aufweist. Die Betriebsbezogenheit einer Tätigkeit entfällt zwar nicht schon dann, wenn sie unsachgemäß, fehlerhaft oder gar leichtsinnig ausgeführt wird (vgl. Senatsurteil vom 19. Dezember 1967 – VI ZR 6/66 – VersR 1968, 353, 354). Sie fehlt aber, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und der Intention des Täters erst gar nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Schädigung unter zweckwidriger, mißbräuchlicher Verwendung eines Betriebsmittels herbeigeführt wird.
Danach hat der Beklagte, auf dessen Person für die Beurteilung der Frage nach der betrieblichen Tätigkeit abzustellen ist (vgl. Senat BGHZ 67, 279, 281), die Verletzung der Klägerin nicht durch eine betriebliche Tätigkeit i.S. von § 637 Abs. 1 RVO verursacht. Er hat die Klägerin durch einen Peitschenhieb verletzt; das geschah, weil er sie mit der Reitpeitsche von hinten erschrecken wollte. Die Verwendung der Reitpeitsche überhaupt und erst recht mit dem Ziel, die Klägerin zu erschrecken, lag außerhalb der Arbeitstätigkeit der Parteiem, dem Ausmisten des Stalles. Sie war eine gefahrenträchtige Spielerei, die von vornherein auf eine Störung der Arbeitstätigkeit der Klägerin gerichtet war und damit den Betriebsinteressen zuwiderlief. Es kann damit auf sich beruhen, ob – wie die Revision mit einer Verfahrensrüge geltend macht – die Reitpeitsche überhaupt zum Betrieb des Reitstalls gehört oder ob sie der Klägerin gehört hat.
Unterschriften
Groß, Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler, Dr. Greiner
Fundstellen
Haufe-Index 1398943 |
DB 1999, 1551 |
NJW 1998, 3497 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1998, 969 |
AgrarR 1999, 22 |
MDR 1998, 1166 |
RdL 1998, 245 |
SGb 1999, 79 |
SozVers 1999, 27 |
SpuRt 1999, 150 |
VersR 1998, 1173 |
ZfS 1999, 10 |