Verfahrensgang
Tenor
1. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. September 1999 – B 8 KN 5/98 U R – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundessozialgericht zurückverwiesen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit.
I.
Die gesetzliche Unfallversicherung bietet dem Versicherten Schutz gegen die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Die Einzelheiten für die Gewährung von Leistungen im Falle einer Berufskrankheit regelt für den hier in Frage stehenden Fall die Vorschrift des § 551 RVO, die seit dem 1. Januar 1997 durch den im Wesentlichen inhaltsgleichen § 9 SGB VII abgelöst ist. Sie lautete:
(1) Als Arbeitsunfall gilt ferner eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht sind.
(2) Die Träger der Unfallversicherung sollen im Einzelfalle eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.
(3) bis (4) …
Auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 und 6 und des § 193 Abs. 8 SGB VII erließ die Bundesregierung die hier mittelbar angegriffene Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623). Sie trat am 1. Dezember 1997 in Kraft (§ 8 Abs. 1 BKV). In der Anlage der Verordnung (Liste der Berufskrankheiten) wurde unter der Nummer 4111 die chronische obstruktive Bronchitis von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheit anerkannt. Weiter enthielt die Rechtsverordnung in § 6 Abs. 1 folgende Regelung:
Rückwirkung
Leidet ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nummer … 4111 der Anlage, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Beschwerdeführerin ist die Witwe des im Jahre 2004 verstorbenen Versicherten, der über 40 Jahre lang unter Tage im Steinkohlebergbau gearbeitet hat. Nach Durchführung eines knappschaftlichen Rentenverfahrens beendete der Versicherte 1988 diese Arbeit. Als 1996 der Verdacht auf das Vorliegen einer beruflichen Erkrankung der Lunge in der Form einer so genannten chronisch obstruktiven Bronchitis aufkam, wie man sie zum damaligen Zeitpunkt verstärkt bei Bergleuten beobachtet hatte, wurde am 11. Juni 1997 – mehr als ein Jahr nach Auftragserteilung durch die zuständige Bergbau-Berufsgenossenschaft – ein Gutachten erstellt. Der Gutachter vertrat die Auffassung, der Versicherte sei bereits seit 1988 an einer chronisch obstruktiven Bronchitis beruflich bedingt erkrankt. Es liege eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 vom Hundert vor. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Bergbau-Berufsgenossenschaft bei 614 Bergleuten diese Erkrankung wie eine Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO anerkannt und entschädigt.
Im Falle des Versicherten lehnte sie mit Bescheid vom 14. August 1997 die Anerkennung und Entschädigung mit der Begründung ab, inzwischen liege ein Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur Neuordnung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vor. Danach solle künftig die chronische obstruktive Bronchitis als Berufskrankheit in die Anlage zur Verordnung aufgenommen werden. Allerdings sei im Entwurf die rückwirkende Anerkennung der neuen Berufskrankheit auf Versicherungsfälle begrenzt, die nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten seien. Zwar handele es sich zunächst lediglich um den Entwurf einer Verordnungsregelung; jedoch sei dem bereits erkennbaren Willen des Verordnungsgebers über eine zeitlich begrenzte Rückwirkung der Anerkennung zu entsprechen.
2. Die vom Beschwerdeführer nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hatte beim Sozialgericht Erfolg. Der Anspruch folge originär aus § 551 Abs. 2 RVO. Der angefochtene Bescheid der Berufsgenossenschaft vom 14. August 1997 sei zur Zeit seiner Erteilung rechtswidrig gewesen. Er habe sich auf eine Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung zu Lasten des Versicherten gestützt, die jedoch erst am 1. Dezember 1997 in Kraft getreten sei. Die Berufsgenossenschaft sei grundsätzlich nicht befugt, selbstständig einen Stichtag festzulegen und Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1993 allein deshalb von einer Entschädigung auszuschließen. Die Rückwirkungsregelung erfasse den Versicherten nicht. Dies ergebe sich aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch und den Grundsätzen von Treu und Glauben.
3. a) Auf die Revision der beklagten Berufsgenossenschaft hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 30. September 1999 die Entscheidung des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen (BSGE 85, 24 = SozR 3-2200 § 551 Nr. 13). Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Entschädigung der bei ihm bestehenden chronischen obstruktiven Bronchitis nach § 551 Abs. 1 oder 2 RVO „als” oder „wie eine” Berufskrankheit. Der Anspruch nach § 551 Abs. 1 RVO scheitere daran, dass der Versicherungsfall bereits vor dem 1. Januar 1993 eingetreten sei. Die Rückwirkungsklausel des § 6 Abs. 1 BKV sei rechtswirksam und im Falle des Versicherten auch anzuwenden; ein Verstoß gegen höherrangiges Recht lasse sich derzeit nicht feststellen. § 551 Abs. 2 RVO könne auf den Versicherten nicht mehr zur Anwendung kommen. Den Verordnungsgeber treffe aber eine Beobachtungspflicht, ob der in § 6 Abs. 1 BKV gewählte Rückwirkungszeitraum nach der tatsächlichen Entwicklung ausreichend weit in die Vergangenheit reiche. Da die Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung mit entsprechender Rückwirkungsklausel zwar nach Auftreten der Krankheit des Versicherten und nach seinem Entschädigungsantrag, jedoch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Gerichtsverfahrens in Kraft getreten sei, komme es nicht mehr darauf an, ob der Unfallversicherungsträger eine noch nicht in Kraft getretene, jedoch im Entwurf der Änderungsverordnung vorgesehene Rückwirkungsklausel bereits „im Vorgriff” bei der Entscheidung über einen Anspruch nach § 551 Abs. 2 RVO zu berücksichtigen habe.
b) Der in die Verfassungsbeschwerde einbezogene Berichtigungsbeschluss des Bundessozialgerichts vom 19. Juli 2000 ändert das Urteil vom 30. September 1999 nicht in einer Weise, die hier von Belang ist.
4. Gegen dieses Urteil hat der Versicherte Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung von Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 und Art. 80 GG, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.
Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und die Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG gegeben sind.
1. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 58, 369; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 1993 – 1 BvR 1127/90 BVerfG, SozR 3-2200 § 551 Nr. 5; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Oktober 2000 – 1 BvR 791/95 –, SozR 3-2200 § 551 Nr. 15; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 – 1 BvR 1319/95 –, JURIS).
2. Nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung ist der Verfassungsbeschwerde stattzugeben. Dabei kann offen bleiben, ob die von der Beschwerdeführerin angegriffene Stichtagsregelung in § 6 Abs. 1 BKV verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Das Bundessozialgericht hat in der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung insoweit Zweifel geäußert. Es ist auch nicht zu entscheiden, ob es der Berufsgenossenschaft im Hinblick auf ihre Pflicht zur zügigen Betreibung des Verwaltungsverfahrens zuzurechnen ist, dass das von ihr angeforderte Gutachten erst ein Jahr nach der Erteilung des Auftrags erstellt wurde. Die Verfassungsbeschwerde hat bereits aus anderen Gründen Erfolg.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit durch Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung gegenüber § 551 Abs. 2 RVO erst dann vorrangig ist, wenn deren Regelungen über den zeitlichen Anwendungsbereich in Kraft getreten sind. Vor dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens ist es dem Unfallversicherungsträger im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht gestattet, die Entscheidung über einen Antrag nach § 551 Abs. 2 RVO (jetzt: § 9 Abs. 2 SGB VII) mit der Begründung zurückzustellen, eine Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung sei in Sicht, in der auch über die Anerkennung der im Einzelfall in Frage stehenden Krankheit als Berufskrankheit entschieden werde (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Oktober 2000 – 1 BvR 791/95 –, SozR 3-2200 § 551 Nr. 15).
Demnach ist es bei Vorliegen der Entscheidungsreife eines Antrags auf eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO und nunmehr nach § 9 Abs. 2 SGB VII unzulässig, die Entscheidung zu Lasten des Versicherten hinauszuzögern. Denn der Versicherte hat einen Anspruch auf die Anwendung des geltenden Rechts ohne sachfremde Verzögerung. Anerkennt der Versicherungsträger vor dem In-Kraft-Treten der in Aussicht genommenen Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung eine Krankheit als Berufskrankheit, so erhält der Versicherte dadurch eine Rechtsposition, die aus rechtsstaatlichen Gründen durch die in der Verordnung getroffenen Regelung über den zeitlichen Anwendungsbereich in der Regel nicht mehr in Frage gestellt werden kann (vgl. BVerfG, a.a.O.).
b) Nach diesen Grundsätzen ist es ebenfalls nicht verfassungsrechtlich gestattet, dass die Berufsgenossenschaft wie im vorliegenden Fall einen Entschädigungsantrag bei Entscheidungsreife mit dem Hinweis auf eine in Aussicht stehende Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung ablehnt. Es verletzt Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, wenn der Versicherungsträger zunächst eine größere Zahl von Versicherten, die von der hier in Frage stehenden Berufskrankheit betroffen sind, nach § 551 Abs. 2 RVO entschädigt, im vorliegenden Fall aber eine Entschädigung ablehnt mit der Begründung, es sei auf den Versicherten bereits künftiges, ihm nachteiliges Recht anwendbar. Damit differenziert er nach einem Kriterium, das im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) aus rechtsstaatlichen Gründen nicht geeignet ist, die unterschiedliche Behandlung des Versicherten im Verhältnis zu den bereits Entschädigten nach den vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 3 Abs. 1 GG entwickelten Grundsätzen (vgl. BVerfGE 109, 96 ≪123≫; stRspr) zu rechtfertigen. Es kann offen bleiben, ob es der Verwaltung erlaubt ist, neues Recht vor dessen In-Kraft-Treten zum Nachteil des Bürgers zur Anwendung zu bringen, falls eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung vorliegt (vgl. Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen im Tätigkeitsbereich der Verwaltung, 1997, S. 142). Denn diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.
aa) Das Sozialgericht hat zu Recht unter Berufung auf das Bundessozialgericht (BSGE 79, 250) darauf hingewiesen, dass die Berufsgenossenschaft nicht aus eigener rechtlicher Kompetenz Stichtage festlegen könne. Darauf läuft aber die hier zu beurteilende Verwaltungsentscheidung vom 14. August 1997 hinaus. Solange die Berufskrankheiten-Verordnung nicht geändert ist, hat der Versicherungsträger nach § 551 Abs. 2 RVO oder § 9 Abs. 2 SGB VII zu verfahren. Das nachvollziehbare Anliegen der Berufsgenossenschaft, sich nicht in Widerspruch zu einer bevorstehenden Entscheidung des Verordnungsgebers zu setzen, kann nicht von der durch Art. 20 Abs. 3 GG begründeten Verpflichtung befreien, das geltende Recht anzuwenden (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Oktober 1997, L 2 BU 82/97, JURIS; Marschner/Pohl, SGb 2003, S. 420 ≪421≫). Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass durch eine „vorgreifliche” Anwendung der Rückwirkungsregelung des § 6 Abs. 1 BKV andere Ungleichbehandlungen vermieden wurden (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2000, SozR 3-2200 § 551 Nr. 14).
bb) Eine weitere Erwägung kommt hinzu. Es darf nicht von Zufälligkeiten abhängen, ob ein Versicherter Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung hat (vgl. BVerfGE 58, 369 ≪375 f.≫; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.), mag dies auch nach dem § 551 RVO und § 9 SGB VII zu Grunde liegenden gesetzgeberischen Konzept nicht stets vermeidbar sein (zu den Reformvorschlägen vgl. Breuer, in: Festschrift für Maydell, 2002, S. 125 ≪140≫ m.w.N.). Nähme man eine „Vorwirkung” der anstehenden Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung zu Lasten des Versicherten beim bloßen Bekanntwerden der Regelungsvorstellungen des Verordnungsgebers an, so verstärkte sich dieser Zufallsfaktor, weil die Gewährung von Entschädigung davon abhinge, wie und wann die einzelnen Berufsgenossenschaften Kenntnis von der künftigen Rechtslage erhielten.
d) An diesem Ergebnis ändert sich auch dadurch nichts, dass die Gewährung einer Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO nach dessen Wortlaut auf einer Soll-Vorschrift beruht. Denn die Vorschrift wird seit langem von der Rechtsprechung dahin ausgelegt, dass ein „Akt strikter Rechtsanwendung” vorzunehmen sei und der Verwaltung nur ein auf atypische Fälle eng begrenzter Beurteilungsspielraum zur Verfügung stehe (vgl. hierzu Koch, in Lauterbach, Unfallversicherung, Kommentar, Loseblatt, 4. Aufl., § 9 Rn. 13, 224 ≪Stand Januar 1998≫). Die Nachfolgeregelung des § 9 Abs. 2 SGB VII, die als zwingende Anspruchsnorm formuliert ist, sollte insoweit keinen Unterschied zu der Vorgängerregelung bewirken (vgl. Koch, a.a.O.). Ein atypischer Sachverhalt ist hier aber nicht gegeben. Der vorliegende Fall weist gegenüber den bereits erwähnten 614 Fällen, in denen eine Entschädigung wegen der in Frage stehenden Berufskrankheit gewährt wurde, keinen wesentlichen Unterschied auf.
2. Da die Verfassungsbeschwerde schon aus diesen Gründen Erfolg hat, bedarf es keiner Prüfung der Frage mehr, ob auch andere Rechte der Beschwerdeführerin verletzt sind.
III.
1. Da die angegriffene Entscheidung des Bundessozialgerichts die Beschwerdeführerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, ist sie aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Bundessozialgericht auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts zu einer anderen Entscheidung gelangt. Es ist daran nicht dadurch gehindert, dass sich die Entschädigung der hier in Frage stehenden Berufskrankheit nach § 551 RVO beziehungsweise § 9 SGB VII in Verbindung mit § 6 Abs. 1 BKV bestimmt. Die Rückwirkungsregelung des § 6 Abs. 1 BKV ist mit Rücksicht auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. auch BVerfGE 98, 1 ≪15 ff.≫) einschränkend dahingehend auszulegen, dass sie solche Sachverhalte nicht erfasst, bei denen – wie hier – ein vor dem In-Kraft-Treten der Berufskrankkeiten-Verordnung am 1. Dezember 1997 gestellter entscheidungsreifer Antrag trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO und heutigen § 9 Abs. 2 SGB VII allein mit Rücksicht auf das künftige Recht abgelehnt wurde.
Eine andere Auslegung des § 6 Abs. 1 BKV würde zu einer Situation führen, die mit dem Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit nicht vereinbar wäre. Die zuständige Berufsgenossenschaft hätte es in der Hand, unter gesetzwidriger Vorwegnahme der künftigen Rechtslage den Betroffenen durch Ablehnung seines entscheidungsreifen Antrags in ein Rechtsbehelfsverfahren zu „verweisen”, in dem die neue Rechtslage nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu seinen Lasten zur Geltung kommt (vgl. BSGE 85, 24 ≪32≫). Sinn und Zweck der in § 6 Abs. 1 BKV vorgenommenen Begrenzung der Rückwirkung stehen einer solchen Auslegung nicht im Wege. Die Vorschrift will Unsicherheiten bei der Entscheidung über Entschädigungsanträge vermeiden, die sich daraus ergeben, dass bei länger zurückliegenden Versicherungsfällen die Versicherungsträger, wenn es um die Aufklärung des Sachverhalts und die Ursachenfeststellung geht, vor erhebliche, nicht selten unlösbare Probleme gestellt werden. Diese Schwierigkeiten ergeben sich nicht unter den Voraussetzungen, unter den hier eine einschränkende Auslegung des § 6 Abs. 1 BKV verfassungsrechtlich geboten ist. Es ist zwischen den Beteiligten außer Streit, dass der Versicherte unter arbeitstechnischen und medizinischen Gesichtspunkten die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO erfüllt hatte.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
NJW 2006, 211 |
NVwZ 2005, 1415 |
SGb 2005, 700 |
SGb 2006, 94 |
www.judicialis.de 2005 |