Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung der Veranlagung zur Einkommensteuer bei Versäumung der Abgabefrist
Leitsatz (redaktionell)
- Für die Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung mittels Ausdrucks durch das Empfangsgerät trägt das Finanzamt die Feststellungslast.
- Ist über im Jahr 2003 mit dem Ziel der Antragsveranlagung abgegebene Einkommensteuererklärungen für 1997 und 1998 am 28.12.2007 noch nicht bestandskräftig entschieden worden, ist das Finanzamt nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes vom 20.12.2007 zur Durchführung der Veranlagungen verpflichtet.
- Die Anlaufhemmung der Festsetzungsverjährung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO tritt auch ein, wenn der Stpfl. nach § 56 EStDV – unter Einschränkung der sich aus § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG ergebenden allgemeinen Steuererklärungspflicht – nicht zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen verpflichtet war.
- Eine Auswirkung des § 56 EStDV auf den Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO verstieße gegen das rechtsstaatliche Gebot der Normklarheit.
- Entstehen aufgrund einer nachträglichen Änderung des Verfahrensrechts Unsicherheiten, die sich auf einen abgeschlossenen Geschehensablauf auswirken können, sind aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit die Normen anzuwenden, die den weitestgehenden Spielraum eröffnen.
- Die Bindungswirkung eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich nicht auf die zu Inzidentfragen entwickelten Rechtsansichten, die der Abweisung eines Antrags aus prozessualen Gründen zugrunde liegen.
Normenkette
EStG 1997 § 25 Abs. 3 S. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 1a; EStDV 1997 § 56 S. 1 Nr. 2; EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2, § 52 Abs. 55j S. 2; AO § 122 Abs. 1, § 149 Abs. 1 S. 2, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 366 S. 2; FGO § 47 Abs. 1 S. 1; BVerfGG § 31 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3
Streitjahr(e)
1997, 1998, 1999, 2000
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin für 1997 - 2000 zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Die entsprechenden Einkommensteuererklärungen gingen jeweils am 12.12.2003 bei dem beklagten Finanzamt ein. Dieses lehnte die begehrten Einkommensteuerveranlagungen ab – die Klägerin habe die Abgabefrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) versäumt und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht gegeben. Die Klägerin hatte die von ihr begehrte Wiedereinsetzung damit begründet, „da bei zusätzlichen positiven Einkünften neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ein Pflichtveranlagung durchzuführen sei, sei sie generell von einer Festsetzungsfrist von vier Jahren nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) mit einer Anlaufhemmung von drei Jahren nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO ausgegangen.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Klägerin hätte – so die Ausführungen des beklagten Finanzamts in den Gründen der Einspruchsentscheidung – auch bei Unkenntnis der zweijährigen Frist für die Antragsveranlagung bekannt sein müssen, dass die reguläre Abgabefrist der Erklärung für jedes Kalenderjahr am 31.5. des Folgejahres ende. Diese Frist habe die Klägerin mehrfach versäumt.
Das beklagte Finanzamt behauptet, die Einspruchentscheidung sei der damaligen Vertreterin der Klägerin – der „A” GmbH, zu Händen Herrn „B”, „C"-straße, in „D” – per Telefax am 7.4.2004 zugegangen. Ein auf den Namen „E” (FA-5...) lautender Vermerk enthält im Wesentlichen folgende Angaben:
Von: FAX-Connector
Gesendet: Mittwoch, 7.4.2004 14:06 „E” (FA-5...)
Betreff: FAXVERSAND: 5 Seiten an „Fax-Nr.” ok
Status: erfolgreich beendet
Seiten/Dateien: 5
Versandbeginn: 7.4.2004 14:02 Uhr
Verbindungsdauer: 00:03:11
...
Gebühren: 6 Einheiten = 0,37 EUR
Betreff: „Steuernummer” RBST... EE lfd. Nr. ...
Einen weiteren Vermerk gibt es auf einer ersten Seite zur Einspruchsentscheidung:
An: „Fax-Nr.” ID: +49 „Fax-Nr.” 7.4.2004 14:02 (00:03:11) OK S. 001/005
Mit Schreiben vom 8.7.2004 erkundigte sich Herr „B” von der „A” GmbH bei dem beklagten Finanzamt nach dem Sachstand – am 16.8.2004 ist bei Gericht Klage eingegangen.
Die Klägerin wurde gemäß § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert,
das Posteingangs- und Fristenkontrollbuch der „A” GmbH für 2004 – jeweils im Original – vorzulegen;
soweit das Posteingangs- und Fristenkontrollbuch der „A” GmbH für 2004 elektronisch geführt worden sein sollten, mitzuteilen, ob und ggf. inwieweit dortige Einträge im nachhinein verändert werden können und – falls nicht – wie es sichergestellt ist, dass eine Veränderung im nachhinein nicht möglich ist – für letzteres ist das verwendete Programm zu benennen und eine zertifizierte Bescheinigung vorzulegen;
mitzuteilen, welches Fax-Gerät die „A” GmbH am 7.4.2004 für den Empfang bei ihr eingehender FAX'e verwendet hat und durch eine Bescheinigung des Herstellers nachzuweisen, dass durch die werkseitige Einstellung bei diesem Gerät ein FAX-Eingangsjournal und ein FAX-Ausgangsjou...