Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Urlaubsgeld und Sonderzuwendungen auf den Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG hat jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns; es handelt sich um eine Geldsummenschuld, da die Geldschuld durch § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG und § 1 Abs. 2 Satz 2 MiLoG in Verbindung mit einer Mindestlohnverordnung nach § 11 Abs. 1 MiLoG ziffernmäßig bestimmt ist.
2. Leistungen wie ein "Weihnachtsgeld" oder ein zusätzliches "Urlaubsgeld" können dann als Bestandteil des Mindestlohns gewertet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer den Betrag jeweils zu dem für den Mindestlohn maßgeblichen Fälligkeitsdatum tatsächlich und unwiderruflich ausbezahlt erhält; bei der Anrechnung von Leistungen ist darauf abzustellen, ob die von der Arbeitgeberin erbrachte Leistung ihrem Zweck nach diejenige Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin entgelten soll, die mit der tariflich begründeten Zahlung zu vergüten ist.
3. Dem erkennbaren Zweck des tariflichen Mindestlohns, den die Arbeitnehmerin als unmittelbare Leistung für die verrichtete Tätigkeit begehrt, ist der zu ermittelnde Zweck der jeweiligen Leistung der Arbeitgeberin, die diese aufgrund anderer (individual- oder kollektivrechtlicher) Regelungen erbracht hat, gegenüberzustellen; besteht eine funktionale Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Leistungen, ist die erbrachte Leistung auf den zu erfüllenden Anspruch anzurechnen.
4. Bei einer als "Urlaubsgeld" bezeichneten Sonderzahlung der Arbeitgeberin ist darauf abzustellen, ob das Urlaubsgeld dazu dient, erhöhte Urlaubsaufwendungen zumindest teilweise abzudecken; dann ist es keine weitere Gegenleistung für die erbrachte normale Arbeitsleistung sondern auf die Wiederherstellung und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmerin gerichtet und somit nicht auf den Mindestlohn anrechenbar.
5. Allein die Bezeichnung einer Leistung als "Urlaubsgeld", die in vielen Fällen ohnehin nicht mit Bedacht gewählt ist, rechtfertigt es nicht, einen zwingenden Sachzusammenhang der Sonderzahlung zum Erholungsurlaub anzunehmen, denn den Vertragsparteien steht es frei, die Bezeichnung auch für nichturlaubsakzessorische Sonderzahlungen zu verwenden; deshalb ist anhand der Leistungsvoraussetzungen zu ermessen, ob das Urlaubsgeld von den Regelungen zum Urlaub abhängig ist oder bloß eine saisonale Sonderleistung darstellt.
6. Ist das im Arbeitsvertrag geregelte Urlaubsgeld nicht an die tatsächliche Urlaubsnahme geknüpft, auch nicht nach der Veränderung der Fälligkeitszeitpunkte aufgrund einer "Betriebsvereinbarung Inkrafttreten Mindestlohngesetz", und ist die arbeitgeberseitige Verpflichtung zur Leistung dieser Sonderzahlung tatsächlich auch nicht an weitere Voraussetzungen geknüpft, als an die Dauer des Bestand des Arbeitsvertrages im jeweiligen Jahr und die Vergütungspflicht der Arbeitgeberin, stellt sich das "Urlaubsgeld" als "saisonale Sonderleistung" dar und ist damit als grundsätzlich auf den Mindestlohn anrechenbares Arbeitsentgelt.
7. Auch weitere als "Zuwendung", "Weihnachtsgeld", "Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld)", "Sonderzuwendung" bezeichnete Zahlungen sind auf den Mindestlohn anrechenbar, wenn die Sonderzuwendung allein an die Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Jahr und an die Vergütung für Arbeitsleistung geknüpft ist, und insbesondere keine Wartezeit und keine Rückzahlung der Sonderzahlung vereinbart wurde für den Fall, dass ein bestimmter Zeitpunkt des (ungekündigten) Fortbestands des Arbeitsverhältnisses nicht erreicht wird, und auch kein bestimmtes Erschwernis durch diese Sonderzahlung kompensiert wird, so dass der Entgeltcharakter dieser Zuwendung deutlich im Vordergrund steht.
Normenkette
MiLoG §§ 1-3; BetrVG § 77 Abs. 3; ArbZG § 6 Abs. 5; MiLoG § 1 Abs. 1, 2 Sätze 1-2
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 19.08.2015; Aktenzeichen 3 Ca 260/15) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 19.08.2015 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel - 3 Ca 260/15 - teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
0,13 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab 11.02.2015
0,08 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab 11.03.2015
0,28 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von. 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab 11.04.2015
0,08 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab 11.05.2015
0,05 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab 11.07.2015
0,03 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab 11.10.2015
0,15 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab 11.11.2015
zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die...