Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Bezug einer Rente wegen Alters. ausländische Altersrente. Auszahlung an einen empfangsberechtigten Dritten. Erfüllungsfiktion. Bestehen eines Erstattungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Ein die Leistungsberechtigung nach dem SGB II ausschließender Rentenbezug iS von § 7 Abs 4 SGB II liegt auch dann vor, wenn die (ausländische) Rente mit Wissen und Willen des Berechtigten an einen empfangsberechtigten Dritten ausgezahlt wird.
2. Soweit ein Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff SGB X besteht, gilt nach § 107 Abs 1 SGB X der Anspruch des hinsichtlich der Sozialleistung Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger - also den Erstattungsverpflichteten - als erfüllt. Soweit die Erfüllungsfiktion reicht, schließt sie eine Aufhebung bzw Rücknahme der Leistungsbewilligung durch den Leistungsträger, der den Erstattungsanspruch hat, nach den §§ 44 ff SGB X und einen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X aus.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Juni 2015 aufgehoben und der Klägerin für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (S 17 AS 433/15) Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt M. S., S., gewährt.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die gemäß den §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist begründet.
Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist auch im sozial-gerichtlichen Verfahren (§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 115 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) neben der PKH-Bedürftigkeit (§§ 114, 115 ZPO) und der Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung eine hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Rechtsverfolgung (§ 114 Abs. 1 ZPO).
Hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers/Beschwerdeführers auf Grund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss also auf Grund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller/Beschwerdeführer mit seinem Begehren durchdringen wird (Geimer in Zöller, Zivilprozessordnung, 30. Aufl., 2014, Rn. 19 zu § 114).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Gegenstand der Beschwerde ist die Ablehnung der Gewährung von PKH für die beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe anhängige Klage S 17 AS 433/15, mit welcher die Klägerin sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.05.2013 bis 31.08.2013 in Höhe von insgesamt 3.626,16 € wendet. Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Zwar dürfte der Beklagte zu Recht davon ausgegangen sein, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen war. Bei der von der Klägerin bezogenen Rente handelt es sich um eine Rente wegen Alters im Sinn dieser Norm. Es kommt nicht darauf an, dass es eine ausländische Rente ist, soweit diese vergleichbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R - ≪juris≫), wovon hier auszugehen ist. Von einem “Bezug„ der Rente ist auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Klägerin auszugehen, die russische Rente sei ihr nicht bzw. nicht vollständig zugeflossen, da diese vom russischen Pensionsfond jeweils am 6. des Monats in bar an ihre Tochter in M. ausgezahlt und ihr von dieser in Deutschland im Rahmen von Besuchsaufenthalten ausgehändigt worden sei. Ein Rentenbezug i.S. von § 7 Abs. 4 SGB II dürfte auch dann vorliegen, wenn die Rente an einen empfangsberechtigten Dritten ausgezahlt wird (ebenso SG Augsburg, Urteil vom 18.11.2015 - S 8 AS 983/15 - ≪juris≫). Denn im Gegensatz zur Frage des Zuflusses von Einkommen (§ 11 SGB II), wo es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) darauf ankommt, ob eine (zugeflossene) Einnahme dem Leistungsberechtigten im Bedarfszeitraum tatsächlich zur Verfügung steht bzw. als bereites Mittel geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl. BSG, Urteile vom 29.04.2015 - B 14 AS 10/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 70 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 57, Rn. 13), dürfte beim Bezug einer Rente (allein) darauf abzustellen sein, ob Rentenzahlungen vom zuständigen Träger aufgenommen wurden. Ein Bezug der Rente dürfte daher auch dann vorliegen, wenn die Auszahlung mit Wissen und Willen des Berechtigten an eine dritte Person erfolgt. Ansonsten hätte es der Rentenbezieher in der Hand, durch Einschaltung einer empfangsberechtigten Person seine Zugehörigkeit zum Regime des SGB II oder aber des Sozialgesetzbuchs Zwölfte...