Im Juli 2008 entschied der EuGH, dass Dritte, die selbst nicht behindert sind, sich unter Umständen auch auf eine Diskriminierung berufen können, die Menschen erfahren, deren Sorgerecht sie ausüben. Das gilt also vor allem in dem Fall, dass Eltern eine Schlechterbehandlung erfahren, weil eines ihrer Kinder behindert ist und erhöhter Sorge bedarf. Ist der Arbeitgeber nicht bereit, beispielsweise jemanden einzustellen, weil die Rücksichtnahme auf den sich bewerbenden Elternteil einen ungünstigen Mehraufwand bedeutet, bedeutet das eine Diskriminierung gemäß § 3 Abs. 1 AGG.
Die Entscheidung rührte von einem Fall, der sich in einer Londoner Anwaltskanzlei zutrug. Die Klägerin war als Sekretärin dort angestellt und gebar im Laufe ihres Arbeitsverhältnisses ein Kind, das eine starke körperliche Beeinträchtigung aufwies. Der Kehlkopf und die Bronchien des Kindes waren von Geburt an zu weich. Das führte zu starken Atemproblemen wie regelmäßige Atemknappheit und -stillstand. Deshalb brauchte das Kind viel Pflege, welche die Mutter neben ihrem Job leistete. Dem Arbeitgeber fiel das negativ auf. Als sie aus dem Mutterschaftsurlaub kam, verweigerte der Arbeitgeber ihr den Zugang zu ihrem Arbeitsplatz. Außerdem kam es zu verletzenden und geringschätzenden Aussagen und auch zur Drohung der Kündigung. Für den Wunsch der Sekretärin, sich freizunehmen, bezeichnete ihr Arbeitgeber sie als "faul". Als sie zu spät kam, weil ihr pflegebedürftiges Kind es erforderlich machte, dass sie später zur Arbeit fuhr, drohte ihr der Arbeitgeber mit der Kündigung. Dabei stellte sich heraus, dass der Arbeitgeber Eltern, deren Kinder keine Behinderung aufwiesen, so nicht behandelte. Weder machte der Arbeitgeber solche Bemerkungen gegenüber anderen Eltern, noch drohte er mit der Kündigung aufgrund von Verspätungen, die im Zusammenhang mit der Sorge um das Kind standen. Die Parteien beendeten das Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Später erhob sie Klage hiergegen.
Der EuGH entschied hierauf nicht nur, dass sich die Sekretärin auf das Merkmal der Behinderung berufen darf, und eine unmittelbare Schlechterbehandlung erlitt, sondern auch, dass das Verhalten des Arbeitgebers den Tatbestand der Belästigung erfüllt.
Belästigung
Eine Belästigung i. S. d. § 3 Abs. 3 AGG ist ein Verhalten, dass die Würde der betreffenden Person verletzt. Dazu gehören Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungen.
Der EuGH begründete seine Entscheidung mit dem allgemeinen Zweck des Anti-Diskriminierungsrechts. Menschen mit Behinderungen sollen es leichter haben, an der Gesellschaft teilzuhaben. Zweck des Anti-Diskriminierungsrechts ist der Abbau bestehender Hürden bei der sozialen Integration und Inklusion, welche insbesondere in Form von Ablehnung durch andere bestehen. Erleiden Eltern von behinderten Kindern Nachteile in ihrem Beruf, weil sie sich um ihr behindertes Kind kümmern, kommt eine solche Hürde auf. Es ist dann angemessen, den Schutz auf Dritte auszuweiten. Denn ansonsten liefe das Ziel des Gesetzes ins Leere. Für die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft ist es wichtig, dass auch die Voraussetzungen hierfür einen rechtlichen Schutz erfahren. Arbeitgeber haben daher die Benachteiligung oder Belästigung eines Arbeitnehmers zu unterlassen, der in einer Beziehung zu einer behinderten Person steht.