Zusammenfassung

 
Überblick

Keines der AGG-Merkmale ist so falllastig wie das der Behinderung. Der Behindertenschutz resultiert aus nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften, wobei im Fall einer Kollision das EU-Recht Vorrang hat.[1] Der Behindertenschutz findet im Sozialrecht einen wichtigen Baustein. Insofern sind in den relevanten Diskriminierungsfällen nicht nur Vorschriften des AGG, sondern auch solche des SGB IX zu beachten.

Auf Grundlage vieler verschiedener Einzelfälle hat die Rechtsprechung die Handlungspflichten für Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Merkmal der Behinderung zunehmend geschärft. Hierauf geht dieser Beitrag ein.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung
[1] Es handelt sich hier um den allgemeinen Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts; vgl. jedoch für diesen Kontext BAG, NJW 2012 S. 2058; ArbG Berlin, NZA-RR 05 S. 608.

1 Der Begriff der Behinderung im AGG

Das AGG ist das Ergebnis der nationalen Umsetzung unionsrechtlicher Richtlinien. Daher ist "Behinderung" im Anwendungsbereich des AGG anders zu verstehen als im Sozialrecht. Das Unionsrecht unterscheidet nicht zwischen unterschiedlichen Graden der Behinderung.[1]

Das BAG definiert Behinderung i. S. d. § 1 AGG als eine langfristige Einschränkung der körperlichen Funktion, der geistigen Fähigkeit oder seelischen Gesundheit, die wiederum zu einer Einschränkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben führt.[2]

Entsprechend können chronische Krankheiten, psychischer und körperlicher Art, eine Behinderung i. S. d. § 1 AGG sein.

 
Hinweis

Definition einer Behinderung durch das BAG

In dem zitierten Fall ging es um die Frage, ob eine symptomlose HIV-Infektion unter den Begriff der Behinderung fällt. Das BAG bejahte dies. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Erkrankung chronisch, also langfristig i. S. d. Definition sei und sich auf die Teilhabe des Mitarbeiters an der Gesellschaft auswirke. Dass es zu einer Behinderung kommt, ist indes nicht ausschließlich der Krankheit selbst geschuldet, da diese symptomlos ist. Das BAG verwies hierbei auf die Stigmatisierung, die mit einer HIV-Erkrankung einhergeht. Zutreffend hat das Gericht insofern den Begriff unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des AGG definiert. Zweck des AGG ist der Schutz vor Diskriminierung. Diskriminierung beruht auf Vorurteilen und Voreingenommenheit. Daher ist es angemessen, HIV-Erkrankte, die unter der sozialen Stigmatisierung leiden, als behinderte Personen i. S. d. § 1 AGG anzusehen.

2 Stellenausschreibung und Schutz von Menschen mit Behinderung

2.1 "Flexibel und belastbar": Kein Indiz für eine Diskriminierung

Im Februar 2009 entschied das LAG Nürnberg folgenden Fall: Ein überqualifizierter Kfz-Meister bewarb sich auf eine Stelle als Kfz-Mechaniker. Der Arbeitgeber sagte ihm ab. Der Bewerber klagte und verwies auf die Formulierung der Stellenausschreibung. Hiernach suchte der Arbeitgeber nach einem "flexiblen und belastbaren" Mitarbeiter. Weder das erstinstanzliche Arbeitsgericht noch das letztentscheidende Landesarbeitsgericht sahen hierin eine Diskriminierung.[1] In der Formulierung erkannten sie lediglich "Floskeln" ohne besonderen Aussagewert. Es gehe nur darum, ein übliches Mindestmaß an Belastbarkeit zu verlangen, nicht aber um überdurchschnittliche Belastbarkeit. Daher erführen Menschen mit Behinderung durch diese Formulierung keine Benachteiligung gemäß §§ 3, 7 Abs. 1 AGG.

 
Praxis-Tipp

Kein Hinweis auf fairen Umgang in Stellenausschreibung

Arbeitgeber sind also nicht verpflichtet, gesondert auf den fairen Umgang mit Bewerbungen von Menschen mit Behinderungen hinzuweisen, wie dies öffentliche Arbeitgeber regelmäßig praktizieren. Arbeitgeber sollten erwägen, entsprechende Formulierungen in der Stellenausschreibung auszulassen, um etwaige Fehlerquellen zu vermeiden.

In dem Fall klagte eine zweigeschlechtliche Person vor dem Hintergrund einer Stellenausschreibung, wonach der Arbeitgeber auch "schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber" suchte, ohne ein sog. Gendersternchen zu verwenden.[2] Die Klage hatte keinen Erfolg, da dem Gericht das einmalige Ausbleiben der Gendersternchen nicht reichte, um eine Diskriminierung gemäß § 22 AGG zu vermuten. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass aus dem Gendern nicht der Umkehrschluss zu ziehen ist, dass nicht alle Geschlechter gemeint sind, wenn eine Phrase ohne Gendersternchen auskommt. Berücksichtigt man, dass das Gendern das Bekenntnis zu einer inklusiven, offenen Haltung bedeuten kann, leuchtet das ein. Unterlässt es der Arbeitgeber einmal, das Sternchen anzufügen, hat das keine Aussagekraft.

[2] Hessisches LAG, Urteil v. 5.11.2021, 3 Sa 840/20.

2.2 Pflichten des Arbeitgebers bei Eingang einer Bewerbung

2.2.1 Die Miteinbeziehung der Bundesagentur für Arbeit gem. § 164 SGB IX und das AGG

Das LAG Niedersachsen entschied im Juli 2022 einen Fall zu Rechtsfolgen des AGG, wenn der Arbeitgeber Pflichten des Behindertenschutzes aus dem SGB IX nicht erfüllt.[1] Gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX sind Arbeitgeber, wenn sie eine Stelle ausschreiben, dazu verpflichtet, bei der Besetzung von offenen Stellen sich mit der Bundesagentur für Arbeit in Verbindung zu setzen. Das soll im Rahmen einer Prüfung der Anstellbarkeit von schwerbehinderten Menschen gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB ...

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