Kenntnis des öffentlichen Arbeitgebers von Schwerbehinderung bei interner Bewerbung
Müssen öffentliche Arbeitgeber bei internen Bewerbungen immer einen Abgleich mit den Daten aus der Personalakte vornehmen und prüfen, ob eine Schwerbehinderung vorliegt? Oder haben auch interne Bewerberinnen und Bewerber die Schwerbehinderung offenzulegen, wenn sie sich hierauf berufen wollen? Damit hatte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Entscheidung vom 25.4.2024 auseinanderzusetzen.
Der Fall
Eine Mitarbeiterin mit Schwerbehinderung war seit 15.2.2021 befristet an der Medizinischen Fakultät einer Universität beschäftigt. Arbeitgeber war das Land. Im April und Mai 2021 veröffentlichte das Land interne Stellenausschreibungen für die Stelle an einem Institut für Physik sowie einem Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften an der Naturwissenschaftlichen Fakultät derselben Universität, in denen es jeweils sinngemäß hieß: „Ihre Bewerbung richten Sie bitte mit den üblichen Unterlagen an die Universität, Naturwissenschaftliche Fakultät, Institut für Physik / Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, Prof. XY.“
In beiden Stellenausschreibungen wurde darauf hingewiesen, dass Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen bei gleicher Eignung und Befähigung bevorzugt berücksichtigt werden. Keine der Stellenausschreibungen enthielt einen Hinweis darauf, dass die Personalakte im Bewerbungsverfahren (ggf. nach Einwilligung) beigezogen wird.
Die Beschäftigte bewarb sich auf die beiden Stellen und übersandte den genannten Instituten jeweils neben ihrem Anschreiben einen ausführlichen Lebenslauf und ihre Zeugnisse. Auf die Schwerbehinderung wies sie im Rahmen der Bewerbungen jedoch nicht hin.
Nachdem beide Institute in der Folgezeit nicht auf die Bewerbung reagierten und keine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erfolgte, machte die Beschäftigte gegenüber dem Land einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend, weil sie wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt worden sei. Es komme nach ihrer Ansicht nicht darauf an, ob die Naturwissenschaftliche Fakultät Kenntnis von der Schwerbehinderung gehabt hätte. Ausreichend sei, dass die Personalabteilung als personalführende Stelle Kenntnis gehabt habe. Diese sei für den rechtswirksamen Abschluss von Arbeitsverträgen zuständig. Die Fakultät, die die Bewerbungsverfahren durchgeführt hat, sei verpflichtet gewesen, bei der Personalabteilung in Erfahrung zu bringen, ob eine oder mehrere Bewerber schwerbehindert oder gleichgestellt gewesen seien.
BAG lehnt Entschädigungsanspruch ab
Das BAG gab der Revision des Landes statt und lehnte einen Entschädigungsanspruch der Beschäftigten ab, da diese nach Auffassung des Gerichts nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt worden ist.
Wie das Gericht ausführt, begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung i.S.v. § 22 AGG. Nach § 165 Satz 3 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die sich auf einen Arbeitsplatz bei einem öffentlichen Arbeitgeber beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Diese Pflicht gilt nicht nur bei externen Bewerbungsverfahren, sondern auch bei internen Stellenbesetzungen. Schwerbehinderte Bewerber sollen dadurch ihre Chancen im Auswahlverfahren verbessern können. Unterlässt der öffentliche Arbeitgeber die Einladung, begründet allein das regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung.
Keine automatische Kenntnis des Arbeitgebers bei dezentralen Bewerbungsverfahren
Voraussetzung für eine solche Vermutung der Benachteiligung ist jedoch, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war oder er diese kennen musste. Deshalb muss ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen. Eine Ausnahme besteht nur, soweit der Arbeitgeber bereits über diese Information verfügt, ihm die Schwerbehinderteneigenschaft also positiv bekannt ist. Dies kann – wie das BAG ausführt – bei einer Innenbewerbung durchaus der Fall sein, weshalb zu unterscheiden ist:
Erfolgt im Rahmen der internen Stellenausschreibung bspw. ein Hinweis auf die Beiziehung der Personalakten (nach entsprechender Einwilligung) oder wird das Bewerbungsverfahren unter Einbeziehung der zentralen Personalabteilung bzw. innerhalb derselben Fakultät geführt, könnte auf die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung geschlossen werden.
Im vorliegenden Fall war jedoch bereits den Ausschreibungen zu entnehmen, dass es sich um dezentral durchgeführte Bewerbungsverfahren handelt und die Bewerberin konnte auch nicht aus anderen Gesichtspunkten darauf schließen, dass dem Arbeitgeber dabei die Schwerbehinderteneigenschaft bekannt sein könnte. Daher kam das BAG hier zu dem Ergebnis, dass keine Vermutungswirkung für eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung besteht:
„In der vorliegenden Fallgestaltung spricht die Vielzahl der beim beklagten Land im Bereich der Universität beschäftigten Arbeitnehmer und die dezentrale Durchführung der Bewerbungsverfahren dafür, dass eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung in den Bewerbungsunterlagen mitzuteilen ist. […] Die das Bewerbungsverfahren durchführenden Fakultäten sind von der zentralen Personalabteilung organisatorisch getrennt. Während die Auswahl der Bewerber in den Instituten der verschiedenen Fakultäten durchgeführt wurde, ist die Personalabteilung zuständig für den anschließenden formalen Abschluss des Arbeitsvertrags mit den im Bewerbungsverfahren ausgewählten Bewerbern. Die dezentrale Durchführung der Bewerbungsverfahren war für die Klägerin aufgrund der Stellenausschreibungen auch erkennbar. […] Aus den Stellenausschreibungen war auch ersichtlich, dass alle für die Auswahlentscheidung relevanten Informationen in den Bewerbungsunterlagen mitgeteilt werden sollten.“
Grundsätzlich kein Fragerecht des Arbeitgebers nach Schwerbehinderung
Das Gericht stellte allerdings klar, dass auch interne Bewerber nicht verpflichtet sind, eine Schwerbehinderung in dem internen Bewerbungsverfahren offenzulegen. Auch besteht diesbezüglich kein grundsätzliches Fragerecht des Arbeitgebers. Es liegt also in der Entscheidung des Bewerbers, ob er die Schwerbehinderung berücksichtigt haben will oder nicht. Da die Bewerberin in diesem Fall von ihrem Recht keinen Gebrauch machte und auch nicht von der Kenntnis des Arbeitgebers ausgehen konnte, kann sie sich nun aber auch nicht auf eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung berufen.
(BAG, Urteil v. 25.4.2024, 8 AZR 143/23)
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