Grundsätzlich gibt es verschiedene Ebenen, auf denen ein Abweichen von vorgesehenen Schutzmaßnahmen möglich ist. Entscheidend ist dabei, auf welcher hierarchischen Ebene die Schutzmaßnahme normiert ist.

§ 3a Abs. 1 Sätze 3 und 4 ArbStättV legt die Folgen für ein Abweichen von den technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) fest. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nach § 3a Abs. 1 Satz 2 ArbStättV verpflichtet, den Stand der Technik und die vom BMAS nach § 7 Abs. 4 ArbStättV bekannt gemachten Regeln und Erkenntnisse zu berücksichtigen. Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) enthalten zum Zeitpunkt der Bekanntgabe den aktuellen Stand der Technik.

 
Hinweis

Vermutungswirkung

Für die ASR gilt die Vermutungswirkung: Wendet der Arbeitgeber die ASR an, kann er davon ausgehen, dass er in Bezug auf den Anwendungsbereich der ASR die Vorgaben der ArbStättV einhält. Eine über diese Vermutungswirkung hinausgehende Anwendungsverpflichtung gibt es für die ASR jedoch nicht. Der Arbeitgeber kann daher von den ASR abweichen, muss dann aber mit den von ihm gewählten Maßnahmen das gleiche Schutzniveau erreichen wie in der ASR und das auch nachweisen können[1]

In § 3a Abs. 3 ArbStättV ist das Abweichen des Arbeitgebers von den Vorschriften der ArbStättV geregelt. Während das Abweichen von den ASR ohne behördliche Erlaubnis möglich ist, müssen Ausnahmen von den Vorschriften der ArbStättV von der zuständigen Behörde genehmigt werden. Der Arbeitgeber muss bei der Behörde einen schriftlichen Antrag stellen. Der Antrag kann in Papierform oder elektronisch übermittelt werden. Ausnahmen von der ArbStättV können dann genehmigt werden, wenn

  • der Arbeitgeber andere, ebenso wirksame Maßnahmen trifft oder
  • die Durchführung der Vorschrift im Einzelfall zu einer unverhältnismäßigen Härte führen würde und die Abweichung mit dem Schutz der Beschäftigten vereinbar ist.

Bei der Beurteilung sind die Belange kleinerer Betriebe besonders zu berücksichtigen.

Ob die vom Arbeitgeber gewählte Maßnahme ebenso wirksam ist wie die von der ArbStättV vorgegebene, ist zunächst vom Arbeitgeber zu überprüfen. Die ArbStättV legt in der Regel hauptsächlich das angestrebte Schutzziel fest. Der Arbeitgeber ist in diesen Fällen von vornherein in der Wahl der Maßnahme frei und benötigt keine Ausnahmegenehmigung nach § 3a Abs. 3 ArbStättV. Der Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers zeigt sich z. B. in der Regelung zum Nichtraucherschutz in § 5 Abs. 1 S. 2 ArbStättV, der ausdrücklich darauf hinweist, dass der Arbeitgeber nur tätig werden muss, "soweit (dies) erforderlich" ist. Die entsprechenden Maßnahmen sind also nicht in jedem Fall, sondern nur bei einem tatsächlich vorhandenen Bedarf umzusetzen. Auch Formulierungen wie "wenn es die Art der Tätigkeit oder gesundheitliche Gründe erfordern" (Anhang Nr. 4.1 Abs. 2) heben die Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers hervor.

Nur dann, wenn in der ArbStättV eine konkrete Vorgabe für die Handlung des Arbeitgebers festgelegt ist, muss der Arbeitgeber eine Ausnahme hiervon bewilligen lassen. Möchte der Arbeitgeber z. B. von dem in Anhang 1.8 Abs. 4 fest vorgegebenem Abstandsgebot für Verkehrswege von Fahrzeugen zu Türen, Toren, Durchgängen, Fußgängerwegen und Treppenaustritten abweichen, muss er hierfür eine Ausnahme beantragen. Voraussetzung ist auch hier, dass er mit einer alternativen Maßnahme das Schutzziel der ArbStättV erreicht.

Eine unverhältnismäßige Härte kann aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen gegeben sein. Ein technischer Härtefall liegt vor, wenn die Einhaltung der vorgeschriebenen Anforderungen nach dem Stand der Technik oder aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist. Ein wirtschaftlicher Härtefall ist gegeben, wenn die mit der Durchführung der Vorschrift verbundene Kostenbelastung die finanziellen Möglichkeiten des Arbeitgebers übersteigt oder in einem deutlichen Missverhältnis zu der dadurch bezweckten Verbesserung für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten steht.[2]

 
Hinweis

Beratungspflicht der Behörden

Zur Absicherung geplanter Maßnahmen kann es sinnvoll sein, diese bereits vor ihrer Einführung mit der zuständigen Behörde abzustimmen. Die Behörden trifft nach § 21 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG eine Beratungspflicht. Diese greift nicht nur für die genehmigungspflichtigen Abweichungen von der ArbStättV, sondern auch für Maßnahmen, die von den ASR abweichen. Eine frühzeitige Einbindung der Behörden kann verhindern, dass im Nachhinein eine Auseinandersetzung über die Gleichwertigkeit der umgesetzten Maßnahmen stattfindet.

Nach Abs. 4 gelten Anforderungen in anderen Rechtsvorschriften, insbesondere im Bauordnungsrecht der Länder, vorrangig, soweit sie über die Anforderungen dieser Verordnung hinausgehen. Sofern Regelungen denselben Themenkomplex betreffen, bedeutet dies im Ergebnis, dass beide Regelungen grundsätzlich nebeneinander anwendbar sind. Die jeweils weitergehende Rechtsvorschrift ist einzuhalten[3]

[2] VG Gießen, Urteil v. 9.11.2011, 8 K 1476/09.GI.
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