Kurzbeschreibung
Fallgruppen anhand von Entscheidungen, in denen der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert bzw. nicht erschüttert ist.
Vorbemerkung
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kommt grundsätzlich ein hoher Beweiswert zu. Es ist jedoch möglich, diesen zu erschüttern. Das ist der Fall, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers belastbare Tatsachen vorhanden sind, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen.
Im Bestreitensfall hat der Arbeitgeber diese Umstände darzulegen und zu beweisen. Gelingt das dem Arbeitgeber, kommt der vorgelegten AU-Bescheinigung kein Beweiswert mehr zu.
In dem Fall muss der Arbeitnehmer konkrete Tatsachen darlegen und beweisen, dass er tatsächlich krank war im Sinne des EFZG.
Bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, ist für die Erschütterung des Beweiswerts nicht entscheidend, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden. Erforderlich ist stets eine Würdigung der Gesamtumstände im Einzelfall.
Der Beweiswert ist in der Regel erschüttert bei:
- Erkrankung nach Ablehnung eines Urlaubsantrags im beantragten Urlaubszeitraum
- leichtfertiges Ausschreiben einer AU-Bescheinigung (z.B. bei leichtem Husten ohne weitere Symptome)
- formale Fehler (z.B. unterbliebene Unterschrift des Arztes oder Rückdatierung einer AUB)
- unvereinbare Freizeitaktivitäten mit einer Arbeitsunfähigkeit
- Drohung mit Krankheit, Ankündigung einer Erkrankung durch den Arbeitnehmer
Daneben können auch Indizien wie z.B. die Formulierung einer Eigenkündigung durch den Arbeitnehmer je nach Umständen des konkreten Einzelfalls dazu beitragen, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.
Arbeitsunfähigkeit vor oder nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses
Entscheidung |
Sachverhalt |
Beweiswert erschüttert |
Beweiswert nicht erschüttert |
BAG, Urteil v. 18.9.2024, 5 AZR 29/24 |
Das BAG sieht den Beweiswert der AU-Bescheinigung als erschüttert an, wenn ein Arbeitnehmer passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist krankgeschrieben ist, nachdem er das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt hat. Das Gericht der Vorinstanz berücksichtigte nicht ausreichend die zeitliche Koinzidenz zwischen Erst- und Folgebescheinigung und der Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer muss daher im Bestreitensfall konkrete Tatsachen darlegen und beweisen, die auf eine bestehende Erkrankung schließen lassen, z.B. welche Krankheiten vorlagen, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. |
X |
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LAG Niedersachsen, Urteil v. 8.7.2024, Az. 15SLa 127/24 |
Nachdem ihr der Arbeitgeber den Urlaub verweigerte, reichte eine Arbeitnehmerin ihre Krankschreibung ein. Dennoch nahm sie an einem Sportlehrgang teil, woraufhin sie fristlos gekündigt wurde. Das LAG Niedersachen sah den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert an. Die Arbeitnehmerin hatte im Rahmen der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht ausreichend vorgetragen, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit sprachen, sodass die fristlose Kündigung wirksam erfolgte. |
X |
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LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 5.7.2024, 12 Sa 1266/23 |
Ein Arbeitnehmer wurde mündlich gekündigt und meldete sich am nächsten Tag krank. Danach folgte die formwirksame Kündigung. Mit einer Folgebescheinigung wurde die Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses bescheinigt. Währenddessen war er bei Handballspielen aktiv. Das Unternehmen klagte auf Rückzahlung der Vergütung und hatte Erfolg. Die AU-Bescheinigungen deckten die gesamte Kündigungsfrist ab und die Folgebescheinigung war für 20 Tage ausgestellt. Zudem ließen die Handballaktivitäten Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu. |
X |
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LAG Niedersachsen, Urteil v. 31.5.2024, 14 Sa 618/23 |
Ein Arbeitnehmer, dem der Segelurlaub im Juni verweigert wurde, meldete sich am 2.5.2023 krank, laut Bescheinigung bis zum 16.5.2023. Mit Folgebescheinigung attestierte dieselbe Ärztin eine fortgesetzte Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.5.2023. Am 26.5.2023 kündigte der Kläger außerordentlich zum 31.5.2023 und reiste am 3.6.2023 in den Segelurlaub. Der Arbeitgeber weigerte sich, das Entgelt für Mai zu bezahlen, woraufhin der Mitarbeiter eine Zahlungsklage anhängig machte. Das LAG Niedersachsen hielt die Klage auf Entgeltfortzahlung für unbegründet. Eine Gesamtbetrachtung der Umstände ließen erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu, dass er über mehrere Monate konstant an einer anhaltenden Belastungssituation gelitten haben will, die von Schlaflosigkeit, Durchfall und Bauchschmerzen sowie einer Entzündung im linken Arm begleitet gewesen sein soll, dann ... |