Entscheidungsstichwort (Thema)
Diskriminierung. Religion. Kopftuch
Leitsatz (amtlich)
1) Trägt eine muslimische Frau in der Öffentlichkeit ein Kopftuch, ist dies als Teil ihres religiösen Bekenntnisses und als Akt der Religionsausübung anzuerkennen.
2) Wird eine Bewerberin bereits vor dem Abschluss des Bewerbungsverfahrens aus dem Kreis der in Betracht zu ziehenden Bewerberinnen ausgeschlossen, weil sie auf Nachfrage des potentiellen Vertragspartners angibt, das Kopftuch auch während der Arbeitszeit nicht ablegen zu wollen, wird die Bewerberin wegen ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit diskriminiert.
3) Gesetzgeberische Intention des AGG ist es auch, dass sich die Subjekte der Vertragsfreiheit nicht von dem Gedanken leiten lassen mögen, der potentielle Vertragspartner zeige in Lebensfragen im Sinne von § 1 AGG eine Haltung, die von der Mehrheitshaltung abweicht.
Normenkette
AGG §§ 1, 7, 15
Tenor
I. Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 1.470,00 EUR (eintausendvierhundertsiebzig) zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Wert der Beschwer der Beklagten zu 1) und 2) wird auf jeweils 1.470,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch.
Die Beklagte zu 1. ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, welche eine Zahnarztpraxis betreibt. Der Beklagte zu 2. ist einer der Gesellschafter und Zahnärzte.
Die Klägerin machte ihren Abschluss am Studienkolleg der Freien Universität (vgl. Zeugnis vom 17. Juni 2010, Bl. 11 d. A.) und suchte anschließend eine Ausbildungsstelle. Auf der Internetseite der Beklagten zu 1. fand sie im Juli 2011 eine ausgeschriebene Ausbildungsstelle für einen Zahnarzthelfer/eine Zahnarzthelferin. Mit Schreiben unter dem 20. Juli 2011 (Bl. 7-10 d. A.) bewarb sich die Klägerin auf diesen Ausbildungsplatz. Sie verwendete hierbei – die Klägerin ist gläubige Muslimin – ein Bewerbungsfoto, auf welchem ein Kopftuch sämtliches Haupthaar verdeckt (vgl. Bl. 7 d. A.).
Die Beklagte zu 1. bat die Klägerin zu einem Bewerbungsgespräch, welches am 23. Juli 2011 zwischen dem Beklagten zu 2. und der Klägerin stattfand. Der Beklagte zu 2. erläuterte der Klägerin hierbei u. a., dass in der Zahnarztpraxis eine einheitliche Kleidung getragen werde, die aus weißen Hosen, Hemden, T-Shirts oder Blusen bestehe (vgl. Fotografie von der Web-Site der Beklagten zu 1., Bl. 40 d. A.). Bei Operationen trügen die Beschäftigten auch einen Mundschutz und eine Haube über dem Haar. In diesem Zusammenhang fragte der Beklagte zu 2. die Klägerin, ob diese bereit sei, während der Arbeit in der Praxis das Kopftuch abzulegen. Dies verneinte die Klägerin; die weiteren Inhalte des Gespräches sind zwischen den Parteien teilweise umstritten. Unstreitig merkte der Beklagte zu 2. jedenfalls an, dass er schon einmal eine Bewerberin wegen des Kopftuches abgelehnt habe. Er habe aber großes Interesse an der Einstellung der Klägerin, da diese ihm sympathisch und als ins Team passend erscheine. Dies ginge aber nur ohne das Tragen des Kopftuches. Letzteres lehnte die Klägerin wiederum ab.
Am 25. Juli 2011 wandte sich die Mitarbeiterin der Beklagten, Frau St., im Auftrag des Beklagten zu 2. per E-Mail an die Klägerin. Dort heißt es auszugsweise:
„Sehr geehrte Frau B.,
Herr Dr. L. bat mich nach dem positiven Bewerbungsgespräch am letzten Freitag, Sie noch einmal freundlich zu fragen, ob Sie es sich evtl. anders überlegt haben, denn er würde Ihnen sehr gerne den Ausbildungsplatz geben.”
Es ist zwischen den Parteien unumstritten, dass mit dem „anders überlegt” das Tragen bzw. Ablegen des Kopftuches gemeint war.
Die Klägerin reagierte auf vorstehende E-Mail lediglich mit der Bitte um eine schriftliche Absage, die sie dem Arbeitsamt vorlegen könne. Ein solches schriftliches Dokument stellten die Beklagten der Klägerin indessen nicht aus.
Nachdem der Beklagte zu 2. alle Bewerbungsgespräche abgeschlossen hatte, führte er mit seinen Mitgesellschaftern – er allein kann über Einstellungen nicht entscheiden – ein Gespräch über den Stand der Bewerbungen. Über Inhalt und Ergebnis dieser Gesellschafterberatung herrscht zwischen den Parteien Streit.
Mit Schreiben unter dem 23. September 2011 (Bl. 13-15 d. A.) wandte sich das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des T. Bundes in Berlin-Brandenburg an die Beklagten und machte Entschädigungsansprüche wegen einer durch die Klägerin erlittenen Diskriminierung geltend. Der Beklagte zu 2. wies die Ansprüche in seinem Schreiben unter dem 24. September 2011 (Bl. 16 d. A.) zurück und machte hierbei u. a. geltend, dass in 2011 die Ausbildungsstelle letztlich überhaupt nicht mehr besetzt worden sei. Die Stellenausschreibung befand sich auch im November 2011 noch auf der Internetseite der Beklagten zu 1. (vgl. Bl. 52 d. A.). – Die Klägerin hat mit einem am 14. Dezember 2011 bei Gericht eingegangenen und beiden Beklagten am 21. Dezember 2011 zugestellten Sch...