Tenor

I. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Artikel 267 AEUV folgende Fragen vorgelegt:

  1. Ist das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 a) der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, dahin auszulegen, dass es nationalen gesetzlichen Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegensteht, die bei der in dieser Vorschrift vorgesehenen Berechnung der Beschäftigtenzahl ein Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft unberücksichtigt lassen, auch wenn es seine Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt, als Gegenleistung für die Tätigkeit ein Entgelt erhält und selbst keine Anteile an der Gesellschaft besitzt?
  2. Ist das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 a) der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, dahin auszulegen, dass es zwingend vorgibt, dass bei der in dieser Vorschrift vorgesehenen Berechnung der Beschäftigtenzahl als Arbeitnehmer auch diejenigen Personen mitzuzählen sind, die ohne Vergütung durch den Arbeitgeber, jedoch finanziell gefördert und anerkannt durch die für Arbeitsförderung zuständigen öffentlichen Stellen, praktisch mitarbeiten, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder eine Berufsausbildung zu absolvieren („Praktikant”), oder bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, hierüber nationale gesetzliche Bestimmungen oder Gepflogenheiten aufzustellen?
 

Gründe

1. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit einer aufgrund einer Betriebsstillegung ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung und in diesem Zusammenhang vor allem um die Frage, ob die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung eine Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit hätte erstatten müssen.

Der Kläger war seit dem 1.4.2011 bei der Beklagten als Servicetechniker im Innen- und Außendienst beschäftigt.

Am 14.12.2012 und sodann nochmals am 3.1.2013 trafen die Gesellschafterin der Beklagten und deren Geschäftsführer K die unternehmerische Entscheidung, den Geschäftsbetrieb der Beklagten zum 15.2.2013 vollständig stillzulegen. Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Beklagte nachhaltig Verluste erzielt hatte.

In Umsetzung ihrer unternehmerischen Entscheidung beendete die Beklagte sämtliche Arbeitsverhältnisse und stellte ihren Geschäftsbetrieb in A-Stadt zum 15.2.2013 ein.

Das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis hat die Beklagte mit Schreiben vom 7.1.2013 (Bl. 13 d.A.) zum 15.2.2013 gekündigt. Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger.

Eine Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit hat die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung nicht erstattet.

Bei der Beklagten waren zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung unstreitig jedenfalls 18 Arbeitnehmer – unter Einschluss des Klägers – beschäftigt.

Darüber hinaus beschäftigte die Beklagte als Konstrukteur den Mitarbeiter St, der nach Eigenkündigung mit Wirkung zum 7.12.2012 aus dem Arbeitsverhältnis ausschied.

Des Weiteren beschäftigte die Beklagte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung Herrn L als Geschäftsführer. Herr L hielt keine Geschäftsanteile an der Beklagten und war zur Vertretung der Beklagten nur gemeinschaftlich mit einem anderen Geschäftsführer berechtigt.

Schließlich war bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung Frau S tätig. Frau S durchlief bei der Beklagten eine Umschulungsmaßnahme zur Bürokauffrau, die vom Jobcenter im Landkreis D gefördert wurde. Der Höhe nach belief sich die Förderung auf die gesamte an Frau S zu leistende Ausbildungsvergütung. Diese kam unmittelbar durch die Bundesagentur für Arbeit an Frau S zur Auszahlung. Die Beklagte selbst erbrachte keine Zahlungen an Frau S. Die geplante Maßnahmedauer erstreckte sich vom 1.8.2012 bis zum 31.7.2014, das Umschulungsverhältnis endete durch Eigenkündigung von Frau S vor dem 31.7.2014.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe einen Betrieb mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern. Den 18 unstreitig beschäftigten Arbeitnehmern seien Herr St, Herr L und Frau S hinzuzurechnen, so dass sich eine Zahl von 21 Beschäftigten ergebe. Damit sei die Beklagte verpflichtet gewesen, vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 17 KSchG eine Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten. Das Unterlassen dieser Massenentlassungsanzeige führe zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 7.1.2013 zum 15.2.2013 beendet worden ist,
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 15.2.2013 hinaus unverändert und unbefristet fortdauert,
  3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 15.2.2013 hinaus als Servicetechniker im Innen- und Außendienst zu unveränderten Arbeitsbedingun...

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