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Rechtsprechung und Literatur haben sich schwergetan, den Urlaubsanspruch in all seinen Facetten rechtlich einzuordnen. Vertrat das Reichsarbeitsgericht zunächst die Auffassung, der Urlaubsanspruch setze sich aus 2 Ansprüchen, dem Freizeit- und Entgeltanspruch, zusammen (sog. Doppelanspruch), so folgte darauf die Auffassung, es liege ein "Einheitsanspruch" auf bezahlte Freizeitgewährung vor (sog. Einheitstheorie). Dem schloss sich die Rechtsprechung des BAG sowie die Literatur an.
Das BAG vertrat allerdings seit der Entscheidung aus 1982 die Auffassung, dass nach § 1 BUrlG allein ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Befreiung von den arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitspflichten für einen bestimmten Zeitraum besteht. Dem folgt(e) die Literatur weitgehend. Nach dieser Auffassung beinhaltet § 11 BUrlG keine Anspruchsgrundlage für einen eigenständigen Anspruch auf Urlaubsentgelt, sondern vielmehr eine Ausnahme von dem Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn". Der Arbeitnehmer behält für die Zeit, für die er Anspruch auf (bezahlten) Erholungsurlaub hat, seinen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung (§ 611a Abs. 2 BGB), obwohl er tatsächlich keine Arbeitsleistung erbringt.
Angesichts der Entscheidungen des EuGH seit dem Jahr 2006 zur RL 2003/88/EG hat der vergütungsrechtliche Teil des Urlaubsanspruchs eine Neubewertung erfahren. Der EuGH führte bereits im Urteil vom 16.3.2006 aus, die Richtlinie behandle den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als die 2 Teile eines einzigen Anspruchs. Diese Formulierung hat der EuGH in der "Schultz-Hoff-Entscheidung" und seither fortlaufend bestätigt. Ohne auf die langjährige frühere Rechtsprechung einzugehen, stützt das BAG den Anspruch auf Bezahlung nunmehr auf § 1 BUrlG. § 1 BUrlG verlangt, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeitspflicht "bezahlt" sein muss und entspricht insoweit Art. 7 der RL 2003/88/EG.
§ 11 BUrlG stellt damit nur eine Berechnungsanweisung dar, nicht jedoch eine Anspruchsgrundlage.
Die Rechtsprechung des EuGH und des BAG sind nicht mit dem Einheitsanspruch i. S. d. früheren Rechtsprechung des BAG deckungsgleich. Denn Konsequenz des "deutschen" Einheitsanspruchs früherer Lesart war ein Anspruch, der nicht in seine Einzelteile – Freizeit und Bezahlung – "zerlegt" werden konnte. Das hatte insbesondere bei den Fragen der Pfändbarkeit, Übertragbarkeit und Aufrechenbarkeit des Urlaubsentgelts Folgen. Auf den ersten Blick scheint die Rechtsprechung des EuGH, wonach bloße Freizeitgewährung ohne Fortzahlung der Vergütung kein Erholungsurlaub ist, für eine Verbindung beider Aspekte zu sprechen, die nur als Einheitsanspruch aufgefasst werden kann. Tatsächlich erlaubt der EuGH mit Blick auf fehlende tatsächliche Arbeitsleistung unter bestimmten Umständen zwar die Kürzung von Urlaubsansprüchen, selbst wenn sie den unionsrechtlichen Mindesturlaub betreffen, nicht aber die Kürzung des für den Urlaub zu zahlenden gewöhnlichen Entgelts – und zwar auch dann nicht, wenn aufgrund nationaler Vorschriften mehr als der unionsrechtliche Mindesturlaub zu gewähren ist. Ist der Urlaubsanspruch also in einem bestimmten Umfang entstanden, zieht er zwingend einen entsprechenden Vergütungsanspruch nach sich. Dennoch hat dieser aus zwei Aspekten zusammengesetzte Urlaubsanspruch nicht dieselbe Qualität wie der frühere Einheitsanspruch des BAG. Denn auch wenn Vergütung und Freistellung zusammengehören, bedeutet dies nicht, dass damit eine rechtliche Untrennbarkeit einhergeht. Der finanzielle Aspekt des Urlaubsanspruchs wird auch dann erfüllt, wenn die geschuldete Vergütung im Rahmen von Pfändungsfreigrenzen (§§ 850 ff. ZPO) an Dritte ausbezahlt wird oder wenn mit oder gegen den Vergütungsanspruch die Aufrechnung erklärt wird. Die Vergütung erfolgt nur nicht im Sinne einer tatsächlichen Auszahlung an den Arbeitnehmer, sondern durch das Erlöschen einer Schuld des Arbeitnehmers gegenüber einem Dritten. Der Arbeitnehmer stünde andernfalls besser – oder schlechter, wenn ihm die Möglichkeit der Aufrechnung genommen würde – als wenn er gearbeitet hätte. Denn bei tatsächlicher Arbeit wäre seine Vergütung pfändbar, aber auch aufrechenbar gewesen. Der EuGH verlangt jedoch nur, dass der Arbeitnehmer das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten muss. Durch das Erfordernis der Zahlung von Urlaubsentgelt soll "der Arbeitnehmer nur in die Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist." Ist die Vergütung des Arbeitnehmers gepfändet, so bestehen die wirtschaftlichen Einschränkungen ohnehin, der Arbeitnehmer ist an diese Lage gewöhnt. Nichts anderes gilt, wenn der Arbeitgeber gegen den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aufrechnet, da auch insofern der Schutz des Arbeitnehmers über § 394 BGB gewährleistet wird. Der Zweck des – unionsrechtlichen – Urlaubs, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von seinen Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum zur Entspannung...