Rz. 10
Grundsätzlich kann das rangniedrigere Recht vom ranghöheren Recht dann abweichen, wenn die Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers erfolgt. Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen, umfassenden arbeitsrechtlichen Grundsatz. Für Tarifverträge ist dies zudem ausdrücklich in § 4 Abs. 3 TVG festgehalten. Das bedeutet, dass Abweichungen in Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen im Verhältnis zur jeweils ranghöheren Regelung nur zugunsten des Arbeitnehmers erfolgen dürfen. Diesen Grundsatz greift § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG auf. Danach kann mit Ausnahme des § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG nicht zuungunsten des Arbeitnehmers von den Bestimmungen des BUrlG abgewichen werden.
In der Formulierung des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG liegt allerdings eine Modifikation des allgemeinen Günstigkeitsprinzips. Denn sie lässt Regelungen zu, die nicht ungünstiger für den Arbeitnehmer sind, während nach den allgemeinen Grundsätzen rangniedrigere Regelungen nur dann zulässig sind, wenn sie günstigere Abweichungen von der ranghöheren Norm enthalten. Was bedeutet dieser feine sprachliche Unterschied? Bedeutung hat dies für "neutrale" Regelungen, z. B. der Ausdehnung des Referenzzeitraums des § 11 Abs. 1 BUrlG: Gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG beträgt der Referenzzeitraum 13 Wochen. Er kann arbeitsvertraglich auf einen längeren Zeitraum erstreckt werden, da hierin jedenfalls keine ungünstigere Regelung zu sehen ist. Gegenüber einer tariflichen Regelung hätte die vertragliche Regelung dagegen keinen Bestand, denn sie wäre nicht günstiger (§ 4 Abs. 3 TVG). Für das Verhältnis zwischen Arbeitsvertrag und BUrlG gilt damit etwas anderes als zwischen Arbeitsvertrag und Tarifvertrag.
2.2.1 Günstigkeitsvergleich im Verhältnis zum BUrlG
Rz. 11
Dürfen Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen insoweit vom BUrlG abweichen, als jedenfalls keine für den Arbeitnehmer nachteiligen Vereinbarungen im Verhältnis zu den Mindestbedingungen des BUrlG getroffen werden, stellt sich die Frage, wie die Prüfung konkret zu erfolgen hat. Vor der Einführung des § 13 Abs. 1 BUrlG führte die Rechtsprechung einen Sachgruppenvergleich durch: Danach wurden nicht einzelne Vorschriften zueinander ins Verhältnis gesetzt, sondern eine Gruppenabwägung dahin vorgenommen, dass die in einem inneren Zusammenhang stehenden Vorschriften in Tarifverträgen bzw. Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen einerseits und diejenigen des Gesetzes sinnvoll verbunden und gegeneinander abgewogen wurden. Dadurch sollte verhindert werden, dass einzelne günstige Bestimmungen aus einem Gesamtkomplex herausgepickt werden ("Rosinentheorie"), während andere Bestimmungen, die hiermit in Zusammenhang standen, außen vor geblieben wären. Solche Gruppenvergleiche sind nunmehr hinfällig.
Rz. 12
Nach der expliziten Regelung in § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG ist ein Einzelvergleich vorzunehmen. D. h., dass im Verhältnis von Arbeitsvertrag und BUrlG sowie Betriebsvereinbarung und BUrlG die jeweilige Regelung dahin zu überprüfen ist, ob sie im Verhältnis zum BUrlG für den Arbeitnehmer günstiger ist. Dasselbe gilt auch für das Verhältnis von Tarifvertrag und BUrlG, soweit der Tarifvertrag von den Regelungen der §§ 1–3 Abs. 1 BUrlG abweicht. Gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG gilt in diesem Bereich das tarifvertragliche Vorrangprinzip nicht.
Rz. 13
"Bestimmung" i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG darf dabei nicht fälschlicherweise als Paragraf verstanden werden. Auch innerhalb eines Paragrafen können sehr unterschiedliche Bestimmungen zusammengefasst sein. So enthält insbesondere § 7 BUrlG eine Vielzahl von Bestimmungen, die bei einem Vergleich mit einer vertraglichen Vereinbarung oder einer Regelung in einer Betriebsvereinbarung jeweils einzeln zu betrachten sind: § 7 Abs. 3 BUrlG regelt die Übertragbarkeit von Urlaub auf das nächste Kalenderjahr, § 7 Abs. 4 BUrlG dagegen die Urlaubsabgeltung.
Rz. 14
Findet der Günstigkeitsvergleich zwischen Arbeitsvertrag und BUrlG statt, er...