Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren: Abwehr der Vollstreckung aus gerichtlichem Vergleich. Kündbarkeit einer durch gerichtlichen Vergleich geschlossenen Betriebsvereinbarung/Regelungsabrede. möglicher Rechtsmissbrauch
Leitsatz (amtlich)
Die Kündigung einer nicht erzwingbaren, auf Dauer angelegten Vereinbarung der Betriebsparteien ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie zur Beendigung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens in einem gerichtlichen Vergleich geschlossen wurde.
Orientierungssatz
1. Der Schuldner eines vollstreckungsfähigen gerichtlichen Vergleichs iSv. § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kann die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung in einem neuen Beschlussverfahren durch Vollstreckungsabwehrantrag nach § 767 Abs. 1 ZPO geltend machen.
2. Gegenstand eines solchen Verfahrens ist die Unzulässigkeit künftiger Zwangsvollstreckung, nicht das wirksame Zustandekommen des Vergleichs.
3. Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich der Betriebsparteien kann sich daraus ergeben, dass eine Seite die im Vergleichsweg getroffene Vereinbarung gekündigt hat. Eine solche Kündigung ist jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn es sich um eine nicht erzwingbare, auf Dauer angelegte Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede handelt und nichts anderes vereinbart ist.
4. Die Kündigung der in einem gerichtlichen Vergleich getroffenen Vereinbarung kann unbeachtlich sein, wenn die Vereinbarung lediglich eine unmittelbar aus dem Gesetz folgende Verpflichtung zum Inhalt hat.
Normenkette
ZPO § 767 Abs. 1; ArbGG § 85 Abs. 1; BetrVG § 77 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 14. September 2006 – 9 TaBV 80/06 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich.
Der Arbeitgeber ist Träger eines Suchthilfeverbunds im Großraum Frankfurt am Main. Am 5. Oktober 1988 schloss er mit dem bei ihm gebildeten Betriebsrat zur Beendigung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main folgenden Vergleich:
“1. Der (Arbeitgeber) wird den (Betriebsrat) im Vorfeld personeller Maßnahmen, soweit es sich nicht um Ersatzbeschäftigung handelt, so früh wie möglich, auf jeden Fall vor interner Ausschreibung, über die geplante personelle Maßnahme unterrichten und sie mit dem (Betriebsrat) beraten.
2. Mit diesem Vergleich ist das Verfahren erledigt.”
Im April 2005 ließ der Betriebsrat dem Arbeitgeber eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs zustellen. Mit Schreiben vom 19. Mai 2005 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit:
“… wir haben den Vergleich … überprüfen lassen. Dieser Vergleich beinhaltet neben seiner prozessualen, das Verfahren beendenden Wirkung materiellrechtlich eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über das Verfahren bei bestimmten personellen Maßnahmen. Eine solche Vereinbarung stellt aus unserer Sicht eine freiwillige Betriebsvereinbarung im Sinne von § 88 BetrVG dar.
Wir haben uns entschlossen, diese Betriebsvereinbarung hiermit fristgerecht zu kündigen.”
Der Betriebsrat antwortete mit Schreiben vom 30. Juni 2005, er gehe davon aus, dass der Vergleich “weiterhin Bestand” habe. Daraufhin leitete der Arbeitgeber das vorliegende Beschlussverfahren ein. Er hat die Auffassung vertreten, der Betriebsrat könne aus dem Vergleich vom 5. Oktober 1988 auf Grund der Kündigung vom 19. Mai 2005 für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist keine Rechte mehr herleiten.
Der Arbeitgeber hat zuletzt beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus dem vor dem Arbeitsgericht in Frankfurt am Main geschlossenen Vergleich vom 5. Oktober 1988 (– 14 BV 23/87 –) für unzulässig zu erklären;
hilfsweise
festzustellen, dass nach Ablauf des 20. August 2005 aus der Vereinbarung in dem Prozessvergleich vor dem Arbeitsgericht in Frankfurt am Main vom 5. Oktober 1988 (– 14 BV 23/87 –) Ansprüche des Betriebsrats nicht mehr hergeleitet werden können und ihn aus der im Vergleich getroffenen Vereinbarung keine Verpflichtungen mehr treffen.
Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, die Wirkung eines gerichtlichen Vergleichs gehe über die einer Betriebsvereinbarung hinaus. Bei einem Inhalt wie hier sei ein solcher Vergleich Vollstreckungstitel. Dieser wirke dreißig Jahre. Das bestimme zugleich die Laufzeit einer solchen Vereinbarung.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Arbeitgebers abgewiesen. Auf dessen Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht schon dem Hauptantrag stattgegeben. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht auf die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 5. Oktober 1988 erkannt. Der Vergleich enthält eine Vereinbarung iSv. § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Der Arbeitgeber hat diese Übereinkunft wirksam gekündigt. Dadurch ist die Vollstreckbarkeit des Vergleichs entfallen.
I. Der Hauptantrag des Arbeitgebers ist zulässig.
1. Es handelt sich um einen auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren möglichen Antrag auf Vollstreckungsabwehr.
a) Der Schuldner eines vollstreckungsfähigen Titels iSv. § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann gem. § 85 Abs. 1 Satz 3 ArbGG iVm. § 767 Abs. 1 ZPO die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus diesem Titel in einem neuerlichen Beschlussverfahren durch Vollstreckungsabwehrantrag geltend machen. Als Titel, gegen den der Vollstreckungsabwehrantrag gerichtet werden kann, kommt wegen § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch ein gerichtlicher Vergleich iSv. § 83a Abs. 1, § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG in Betracht (Matthes in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 6. Aufl. § 85 Rn. 9, Rn. 24; GKArbGG/Vossen Stand März 2008 § 85 Rn. 29). Die Erhebung eines Vollstreckungsabwehrantrags in einem eigenständigen Verfahren ist der prozessual richtige Weg, wenn es dem Vollstreckungsschuldner nicht um die Beseitigung des aus dem Vergleich resultierenden Titels selbst und um die anschließende Fortsetzung des früheren Verfahrens, sondern nur um die Beseitigung der Vollstreckbarkeit des im früheren Verfahren zustande gekommenen Titels geht. Gegenstand des Verfahrens ist die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel, nicht die Entstehung des vollstreckbaren Anspruchs (Thomas/Putzo ZPO 28. Aufl. § 767 Rn. 1, 3 mwN).
b) So verhält es sich hier. Zutreffend haben die Vorinstanzen den Hauptantrag als Antrag iSv. § 767 Abs. 1 ZPO angesehen. Der Arbeitgeber will nicht die Unwirksamkeit des Vergleichs festgestellt und damit den Titel als solchen von Beginn an beseitigt wissen. Er will vielmehr erreichen, dass der Betriebsrat aus diesem Titel zukünftig keine Rechte mehr herzuleiten vermag.
2. Der Arbeitgeber besitzt das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Der Vergleich vom 5. Oktober 1988 ist auf die Vornahme von Handlungen gerichtet. Der Betriebsrat macht aus dem Titel weiterhin Rechte geltend.
II. Der Hauptantrag ist begründet. Die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich vom 5. Oktober 1988 ist unzulässig.
1. Nach § 767 Abs. 1 ZPO ist die Vollstreckung aus einem Titel unzulässig, wenn Einwendungen den durch das Urteil – oder den Beschluss im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren – festgestellten Anspruch selbst betreffen. Gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1, § 795 ZPO gilt dies gleichermaßen für die Zwangsvollstreckung aus gerichtlichen Vergleichen.
2. Danach ist die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich nicht mehr zulässig. Der Arbeitgeber hat eine nach § 767 Abs. 1 ZPO rechtserhebliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch erhoben. Seine Verpflichtung aus dem gerichtlichen Vergleich ist durch die Kündigung vom 19. Mai 2005 entfallen.
a) Die Kündigung hat die im Vergleich vom 5. Oktober 1988 getroffene Vereinbarung zum 20. August 2005 beendet.
aa) Die Kündigung war nicht notwendig deshalb ausgeschlossen, weil die von ihr erfasste Abrede in Gestalt eines gerichtlichen Vergleichs getroffen worden war. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Kündbarkeit einer Regelung der Betriebsparteien hängt grundsätzlich nicht davon ab, auf welchem Weg diese zustande gekommen ist, ob durch zweiseitige Verhandlungen, Spruch einer Einigungsstelle oder gerichtlichen Vergleich. Zwar kann ein gerichtlicher Vergleich als solcher, dh. als verfahrensrechtliche Übereinkunft der Beteiligten, die im Fall ihrer Wirksamkeit das Verfahren beendet, nicht wirksam gekündigt werden. Das gilt jedoch nicht zwingend für die in dem Vergleich getroffene materielle Abrede. Ob diese kündbar ist, richtet sich vielmehr nach materiellrechtlichen Gesichtspunkten und den konkret getroffenen Regelungen. Die Kündigungserklärung vom 19. Mai 2005 bezieht sich nicht auf den Vergleich als solchen. Sie richtet sich gegen die materielle Vereinbarung, die die Beteiligten im Vergleichswege geschlossen haben. Deren Kündbarkeit richtet sich nach materiellem Recht.
bb) Materiellrechtliche Gründe stehen der Kündigung nicht entgegen. Sie ist weder durch Gesetz noch durch Vereinbarung ausgeschlossen. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die im Vergleich erzielte Einigung den Rechtscharakter einer gem. § 77 Abs. 4 BetrVG normativ wirkenden Betriebsvereinbarung oder einer allein schuldrechtlich wirkenden (schriftlichen) Regelungsabrede hat.
(1) Eine über die Regelung einer konkreten einzelnen Angelegenheit hinausgehende Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ist mit Wirkung für die Zukunft unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten jederzeit kündbar, solange nichts anderes verabredet worden ist. Für Betriebsvereinbarungen folgt dies aus § 77 Abs. 5 BetrVG. Die Vorschrift gilt sowohl für Vereinbarungen über eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit als auch für freiwillige Betriebsvereinbarungen iSv. § 88 BetrVG. Für Regelungsabreden folgt dies aus der gebotenen entsprechenden Anwendung von § 77 Abs. 5 BetrVG, ebenfalls unabhängig davon, ob sie einen Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung oder nur freiwillig zu regelnde Angelegenheiten betreffen (BAG 10. März 1992 – 1 ABR 31/91 – AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 47, zu B II 1d bb der Gründe).
(2) Danach konnte die Vereinbarung vom 5. Oktober 1988 gekündigt werden. Die Beteiligten haben eine Kündigung nicht ausgeschlossen, auch nicht für eine bestimmte Dauer. Weder haben sie einen Kündigungsverzicht oder eine Mindestlaufzeit ausdrücklich vereinbart, noch gibt es hinreichende Anhaltspunkte für eine konkludente Abrede.
cc) Die Kündigung war auch nicht deshalb wirkungslos und unbeachtlich, weil der Vergleich gar keine Regelung, sondern nur die Wiedergabe gesetzlicher Pflichten enthielte.
(1) Allerdings ist die Kündbarkeit der in einem gerichtlichen Vergleich getroffenen Übereinkunft ausgeschlossen, wenn diese nicht eine eigenständige, rechtsgestaltende Regelung der Betriebsparteien, sondern lediglich eine unmittelbar aus dem Gesetz folgende Verpflichtung zum Inhalt hat. Auf deren unverändertes Fortbestehen hätte eine Kündigung keinen Einfluss. Sie würde nicht die materiellrechtliche Verpflichtung, sondern nur die Vollstreckbarkeit eines Titels beseitigen, der vom Vollstreckungsgläubiger zu ihrer Durchsetzung jederzeit erneut erstritten werden könnte.
(2) Hier wurde nicht nur eine von Gesetzes wegen ohnehin bestehende Verpflichtung tituliert. Die im Vergleich vom 5. Oktober 1988 getroffene Abrede enthält für den Arbeitgeber weitergehende als nur gesetzliche Pflichten. Der Arbeitgeber hat sich bereit erklärt, den Betriebsrat “im Vorfeld personeller Maßnahmen, soweit es sich nicht um Ersatzbeschäftigung handelt, so früh wie möglich, auf jeden Fall vor interner Ausschreibung, über die geplante personelle Maßnahme (zu) unterrichten und sie mit (ihm zu) beraten”. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz bestehen Unterrichtungs- und/oder Beratungsansprüche des Betriebsrats im Zusammenhang mit Beschäftigung und Stellenbesetzungen nur unter den Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 BetrVG – des Vorliegens von Personalplanung im förmlichen Sinne – oder des § 99 Abs. 1 BetrVG – der feststehenden Absicht zu einer ganz bestimmten konkreten Einzelmaßnahme. Auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen kommt es nach dem gerichtlichen Vergleich vom 5. Oktober 1988 nicht an. Auch sind dort in jedem Fall sowohl Unterrichtung als auch Beratung – und nicht nur erstere wie in § 99 Abs. 1 BetrVG – und sind beide “so früh wie möglich” – und nicht nur rechtzeitig wie in § 92 Abs. 1 BetrVG – vorgesehen.
b) Die im Vergleich vom 5. Oktober 1988 getroffene Vereinbarung wirkt nicht trotz der Kündigung gem. § 77 Abs. 6 BetrVG über ihren Ablauf am 20. August 2005 hinaus weiter. Der Gegenstand der Vereinbarung betrifft keine Angelegenheit, in der ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen könnte.
Unterschriften
Schmidt, Linsenmaier, Kreft, Wisskirchen, Platow
Fundstellen
Haufe-Index 2010625 |
BAGE 2009, 361 |
DB 2009, 127 |