Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Sitzungsöffentlichkeit
Orientierungssatz
1. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren sind die Verhandlungen einschließlich der Beweisaufnahme und der Verkündung der Entscheidung öffentlich, wenn das Gericht die Öffentlichkeit nicht ausschließt.
2. Bei öffentlicher Verhandlung muss das Gericht dafür sorgen, dass grundsätzlich jedermann bei der Sitzung anwesend sein kann. Das wird in der Regel dadurch gewährleistet, dass das Gerichtsgebäude während der Sitzungsdauer durchgehend geöffnet ist. Die Öffentlichkeit der Verhandlung ist jedoch auch gewahrt, wenn die Eingangstür des Gerichtsgebäudes geschlossen ist und Zuhörer sich mithilfe einer Klingel Zutritt verschaffen können.
Normenkette
ArbGG §§ 52, 64, 72, 72a; ZPO §§ 165, 547
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.01.2007; Aktenzeichen 14 Sa 47/06) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 16.05.2006; Aktenzeichen 5 Ca 401/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 30. Januar 2007 – 14 Sa 47/06 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 7.233,33 Euro festgesetzt.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf Gründe im Verhalten gestützten Kündigung und einen Auflösungsantrag des Klägers.
Das Arbeitsgericht hat der gegen eine außerordentliche Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben und auch das in eine ordentliche Kündigung umgedeutete Rechtsgeschäft für unwirksam gehalten. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwar nicht durch die außerordentliche, aber durch die ordentliche Kündigung aufgelöst wurde. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf den absoluten Revisionsgrund der verletzten Öffentlichkeit der mündlichen Berufungsverhandlung und Divergenz stützt.
Entscheidungsgründe
B. Die Beschwerde ist erfolglos.
I. Der vom Kläger angenommene absolute Revisionsgrund der Verletzung der Öffentlichkeit des Verfahrens in der mündlichen Berufungsverhandlung liegt nicht vor.
1. Die Beschwerde macht geltend, der Zugang der Öffentlichkeit zu der mündlichen Verhandlung des Landesarbeitsgerichts und der Beweisaufnahme vom 9. Januar 2007 sei nicht gewährleistet gewesen, weil das Gerichtsgebäude, in dem die Sitzung stattgefunden habe, ab 16.00 Uhr verschlossen gewesen sei. Die Verhandlung sei dagegen erst um 20.35 Uhr geschlossen worden. Die Vorsitzende der erkennenden Kammer habe erklärt, die Schließung des Gerichts sei üblich.
2. Der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt ist nach § 72 Abs. 2 Nr. 3 1. Alt. ArbGG iVm. § 547 Nr. 5 ZPO grundsätzlich als Grund für die Zulassung der Revision geeignet.
a) Im arbeitsgerichtlichen Verfahren sind die Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Beweisaufnahme nach § 52 Satz 1 iVm. § 64 Abs. 7 ArbGG öffentlich, wenn das Gericht die Öffentlichkeit nicht unter den engen Voraussetzungen des § 52 Satz 2 ArbGG ausschließt. Das geschah hier nicht. Das Protokoll des Berufungstermins vom 9. Januar 2007 ist als “Niederschrift über die öffentliche Sitzung” bezeichnet.
Bei öffentlicher Verhandlung muss das Gericht dafür sorgen, dass jedermann bei der Sitzung anwesend sein kann. Das wird regelmäßig dadurch gewährleistet, dass das Gerichtsgebäude während der Sitzungsdauer durchgehend geöffnet ist. Die Öffentlichkeit der Verhandlung ist jedoch auch dann gewahrt, wenn zwar die Eingangstür zum Gerichtsgebäude geschlossen ist, Zuhörer sich aber mithilfe einer Klingel Einlass verschaffen können (BFH 19. Dezember 2002 – V B 164/01 – BFH/NV 2003, 521, zu II 3b der Gründe; BVerwG 25. Juni 1998 – 7 B 120.98 – DVBl. 1999, 95, zu 1a der Gründe mwN).
b) Nach diesen Maßstäben liegt der gerügte Verfahrensmangel tatsächlich nicht vor. Das ergibt sich aus der vom Senat eingeholten und den Parteien zur Stellungnahme zugeleiteten dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden Richterin der Berufungskammer. Sie hat bestätigt, dass das Gerichtsgebäude am Sitzungstag vor Ende der mündlichen Verhandlung geschlossen worden war, allerdings nicht bereits um 16.00 Uhr, sondern erst um 18.00 Uhr. Diese zeitliche Differenz ist unerheblich. Auch bei der von ihr angegebenen Uhrzeit war das Gerichtsgebäude vor Sitzungsende nicht mehr durch einfaches Öffnen einer der beiden Eingangstüren zu betreten.
Dennoch war der Grundsatz der Öffentlichkeit nach den weiteren Ausführungen der Vorsitzenden Richterin gewahrt. Danach befindet sich im linken Eingangsbereich des Haupteingangs ein freistehender größerer Nachtbriefkasten. Auf ihm ist eine Klingel angebracht, die oberhalb des Klingelknopfs mit dem Hinweis “Sitzungssäle” versehen ist. Wird die Klingel betätigt, ertönt in den Sitzungssälen ein entsprechendes akustisches Signal. Eine unmittelbare Kommunikation zwischen Sitzungssaal und Eingangsbereich ist zwar nicht möglich. Eine im Sitzungssaal anwesende Person muss sich zum Eingang begeben und den potenziellen Zuhörer einlassen. Mit der Anbringung der Klingel wird der Zutritt zur Verhandlung jedoch in ausreichendem Umfang gewährleistet. Dass der Vorsitzenden Richterin die Installierung der Klingel nicht bekannt war, ist nicht von Bedeutung. Entscheidend sind die objektiven Verhältnisse während der Verhandlung. Der Kläger hat das Vorhandensein des Klingelknopfs in seiner Stellungnahme zu der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden nicht bestritten. Er hat lediglich ausgeführt, er wisse nicht, ob die Klingel existiere und ob sie am 9. Januar 2007 funktioniert habe. Maßgeblich ist deshalb die dienstliche Stellungnahme der Vorsitzenden.
3. Da die Öffentlichkeit der Verhandlung tatsächlich nicht verletzt war, kommt es nicht darauf an, ob in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem das Protokoll die Angabe enthält, dass öffentlich verhandelt wurde, nur der Beweis der Fälschung einschließlich der wissentlich falschen Beurkundung nach § 165 Satz 2 ZPO möglich ist (zu diesem Problem BAG 13. November 2007 – 3 AZN 414/07 – Rn. 4 f.).
II. Die Beschwerde ist nicht wegen Divergenz zuzulassen.
1. Nach § 72a Abs. 1 iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG ist die Revision auf die Divergenzbeschwerde der unterlegenen Partei zuzulassen, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Erfordernisse sind nur gewahrt, wenn der Beschwerdeführer im Einzelnen ausführt, welche divergierenden abstrakten, also fallübergreifenden Rechtssätze das anzufechtende und das herangezogene Urteil aufgestellt haben. Die beiden aus Sicht des Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze müssen bezeichnet werden (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ArbGG). Daneben ist aufzuzeigen, dass das anzufechtende Urteil auf dem abweichenden Rechtssatz beruht (st. Rspr. vgl. BAG 15. September 2004 – 4 AZN 281/04 – BAGE 112, 35, zu II 2 2.1 der Gründe). Um einen Rechtssatz handelt es sich, wenn das Gericht eine allgemeine Aussage trifft, die über den Einzelfall hinaus Geltung für vergleichbare Sachverhalte beansprucht. In der Beschwerdebegründung ist darzulegen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. Vermeintliche Rechtsfehler können nicht berücksichtigt werden. Sie können nur im Rahmen einer zugelassenen Revision überprüft werden. Zulassungsgrund ist die entscheidungserhebliche Abweichung im Rechtssatz.
2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht.
a) Die Beschwerde führt aus, das Berufungsgericht hätte sich Gedanken darüber machen müssen, ob der Beklagte den Kläger vor Ausspruch der Kündigung hätte abmahnen müssen. Auch die Aussage des Zeugen G…, dass die Ohrfeige ihm nicht wehgetan habe, hätte bei der Frage erörtert werden müssen, ob überhaupt eine Tätlichkeit vorliege. Daher sei die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts mit mehreren vom Kläger genannten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nicht in Einklang zu bringen.
Mit diesen Ausführungen werden schon keine Rechtssätze des anzufechtenden Urteils und der herangezogenen Urteile aufgezeigt. In Wirklichkeit beanstandet der Kläger eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall. Die angestrebte Rechtsfehlerkontrolle ist dem Beschwerdegericht verwehrt. Sie ist einer zugelassenen Revision vorbehalten.
b) Den formellen Anforderungen einer Divergenzbeschwerde ist auch nicht genügt, soweit der Kläger den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Juli 1984 (– 2 AZR 320/83 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 32 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 57) und 12. März 1987 (– 2 AZR 176/86 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 47 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 71) den Rechtssatz entnimmt:
“Tätliche Auseinandersetzungen rechtfertigen grundsätzlich eine verhaltensbedingte Kündigung.”
Die Beschwerde stellt diesem Rechtssatz keinen divergierenden Rechtssatz des anzufechtenden Urteils gegenüber. Der vom Kläger formulierte Rechtssatz, nach dem “jegliche tätliche Auseinandersetzung” eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigt, wäre mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar nicht zu vereinbaren. Der Beschwerdebegründung ist jedoch nicht zu entnehmen, dass das anzufechtende Urteil einen solchen von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abweichenden Rechtssatz tatsächlich gebildet hat. Dass dieser Rechtssatz dem Berufungsgericht als sog. verdeckter Rechtssatz zugrunde liegt, wird nicht näher dargelegt. Die Annahme trifft auch nicht zu. Zu Beginn der Entscheidungsgründe des anzufechtenden Urteils findet sich folgender Rechtssatz, der in seiner offenen Formulierung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entspricht:
“Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern können einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen, häufig reichen sie zumindest für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung.”
Im Ergebnis wendet sich der Kläger gegen die aus seiner Sicht unzutreffende Würdigung des Sachverhalts durch das Landesarbeitsgericht. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung kann jedoch nur im Revisionsverfahren überprüft werden.
C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Beschwerde zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Düwell, Krasshöfer, Gallner, Hintloglou, Pfelzer
Fundstellen
Haufe-Index 1971386 |
DB 2008, 2204 |
HFR 2009, 191 |