Entscheidungsstichwort (Thema)
Schulung von Ersatzmitgliedern des Betriebsrats. Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats. Beurteilungs- und Prognosespielraum
Leitsatz (amtlich)
Der Betriebsrat kann ein Ersatzmitglied zu einer Schulungsveranstaltung entsenden, wenn dies im Einzelfall zur Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats erforderlich ist.
Orientierungssatz
1. Die Schulung von Ersatzmitgliedern des Betriebsrats kann zur Gewährleistung der Betriebsratsarbeit erforderlich werden.
2. Der Betriebsrat muß prüfen, ob er seine Arbeitsfähigkeit nicht durch andere ihm zumutbare und den Arbeitgeber finanziell weniger belastende Maßnahmen gewährleisten kann.
3. Der Betriebsrat hat bei der Entscheidung über die Entsendung eines Ersatzmitglieds zu einer Schulung einen Beurteilungs- und Prognosespielraum.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 6 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Februar 2000 – 5 TaBV 63/99 – aufgehoben.
Das Verfahren wird zur anderweiten Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Arbeitgeberin den Betriebsrat von Schulungs- und Verpflegungskosten freizustellen hat, die durch die Teilnahme von zwei Ersatzmitgliedern des Betriebsrats an einer Schulung zum Betriebsverfassungsgesetz entstanden sind.
Antragsteller ist der für den Kölner Betrieb der Arbeitgeberin am 24. April 1998 gewählte Betriebsrat. Von den fünf Mitgliedern des Betriebsrats gehören drei zur Gruppe der Arbeiter, zwei zur Gruppe der Angestellten. Vier Betriebsratsmitglieder üben das Amt seit Jahren aus und haben an Schulungen zum Betriebsverfassungsrecht teilgenommen. Auch das am 24. April 1998 neu in den Betriebsrat gewählte Mitglied hat ein Seminar zum Betriebsverfassungsrecht besucht. Erstes Ersatzmitglied ist für die Gruppe der Arbeiter I N, für die Gruppe der Angestellten S L .
In der Zeit von April 1998 bis 29. Juli 1998 nahmen sowohl S L als auch I N jeweils sieben Mal vertretungsweise an Betriebsratssitzungen teil. Von Januar 1997 bis April 1998 hatte es in dem damals noch 7-köpfigen Betriebsrat nach dem Vorbringen des Betriebsrats 39 mal Vertretungsbedarf für die Gruppe der Angestellten und 62 mal für die Gruppe der Arbeiter gegeben.
Am 29. Juli 1998 beschloß der Betriebsrat, die Ersatzmitglieder L und N zu einem vom 7. September 1998 bis 11. September 1998 in Köln stattfindenden Seminar „Betriebsverfassungsgesetz I” zu entsenden, und teilte dies der Arbeitgeberin mit. Diese lehnte die Freistellung und Kostenübernahme ab. Die beiden Ersatzmitglieder nahmen dennoch an dem von der „BuB Bildung und Beratung” durchgeführten Seminar teil. Die von der BuB dem Betriebsrat gestellten Rechnungen über die Lehrgangskosten beliefen sich pro Teilnehmer inklusive Mehrwertsteuer auf je 1.484,80 DM. Außerdem stellte das Restaurant „Z” nicht näher aufgeschlüsselte Verzehrrechnungen über insgesamt 650,00 DM, die sich aus zehn Tagespauschalen à 65,00 DM zusammensetzen. Die Arbeitgeberin sandte am 15. September 1998 die ihr vom Betriebsrat zugeleiteten Rechnungen unbezahlt an diesen zurück.
Mit dem am 21. Januar 1999 beim Arbeitsgericht eingereichten Antrag hat der Betriebsrat von der Arbeitgeberin die Freistellung von den Seminar- und Verzehrkosten verlangt. Die Schulung der Ersatzmitglieder sei iSd. § 40, §37 Abs. 6 BetrVG erforderlich gewesen. Die Unkenntnis der Ersatzmitglieder erschwere die Arbeit des Betriebsratsgremiums, da es regelmäßig zu langwierigen Erklärungen und Erläuterungen komme.
Der Betriebsrat hat beantragt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, ihn von der Inanspruchnahme durch
- die Firma B. aus deren Rechnungen Nr. 142 und Nr. 143 vom 31. August 1998 in Höhe von jeweils 1.484,80 DM sowie
- das Restaurant „Z.” im G. aus der Rechnung vom 9. September 1998 über 650,00 DM
freizustellen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Die Schulung der Ersatzmitglieder sei nicht erforderlich gewesen. Auch sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, da das Bildungswerk der Nordrhein-Westfälischen Wirtschaft e.V. identische Seminare kostenlos durchführe.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihnen hinsichtlich der Seminarkosten in vollem Umfang sowie hinsichtlich der Verpflegungskosten in Höhe von 400,00 DM entsprochen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Arbeitgeberin weiterhin die vollständige Abweisung der Anträge. Der Betriebsrat beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht. Dieses durfte den Anträgen auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen nicht entsprechen. Es muß noch näher aufklären, auf welche Erwägungen der Betriebsrat seine Entscheidung gestützt hat, die beiden Ersatzmitglieder zu der Schulung zu entsenden.
I. Gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Dazu können auch die Kosten gehören, die durch eine vom Betriebsrat wirksam beschlossene Teilnahme von Ersatzmitgliedern des Betriebsrats an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen entstehen.
Nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG ist der Betriebsrat berechtigt, Betriebsratsmitglieder zu Schulungs- und Bildungsveranstaltungen zu entsenden, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Diese Berechtigung steht dem Betriebsrat grundsätzlich nicht nur hinsichtlich seiner ordentlichen Mitglieder, sondern auch hinsichtlich der Ersatzmitglieder zu, die lediglich vorübergehend nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein verhindertes Betriebsratsmitglied vertreten(BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – BAGE 52, 73 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 53, zu II 2 a der Gründe; 14. Dezember 1994 – 7 ABR 31/94 – BAGE 79, 43 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 100, zu B II der Gründe). Zwar enthält das Betriebsverfassungsgesetz anders als das Recht der Schwerbehindertenvertretung (vgl. bis 30. Juni 2001 § 26 Abs. 4 Satz 4, 3 und 1 SchwbG sowie seit 1. Juli 2001 § 96 Abs. 4 Satz 4, 3 und 1 SGB IX) insoweit keine ausdrückliche Regelung. Dies rechtfertigt jedoch nicht den (Umkehr-) Schluß, die Schulung von Ersatzmitgliedern des Betriebsrats sei generell ausgeschlossen. Vielmehr kann sie im Einzelfall zur Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats erforderlich sein.
1. Sinn und Zweck des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG ist es, dem Betriebsrat als Gremium die Kenntnisse zu verschaffen, die ihm die sachgerechte Wahrnehmung seiner Rechte und Pflichten ermöglichen. Der durch § 37 Abs. 6 Satz 1 iVm. Abs. 2 Satz 1 BetrVG normierte Anspruch auf Entsendung von Betriebsratsmitgliedern zu Schulungs- und Bildungsveranstaltungen dient der Herstellung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsratsgremiums. Er ist dementsprechend – anders als der Anspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG – nicht als Anspruch der einzelnen Betriebsratsmitglieder ausgestaltet(BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – aaO, zu II 2 a der Gründe). Allerdings ist die sachgerechte Erfüllung der Aufgaben des Betriebsratsgremiums nur durch die Tätigkeit seiner hierzu qualifizierten Mitglieder möglich. Die interne Willensbildung des Betriebsrats erfolgt gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch (Mehrheits-)Beschlüsse seiner Mitglieder. Hierbei gibt jedes Betriebsratsmitglied seine Stimme in eigener Verantwortung ab. Um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, bedarf grundsätzlich jedes Betriebsratsmitglied eines Grundwissens in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen. Bei erstmals gewählten ordentlichen Betriebsratsmitgliedern muß deshalb die Erforderlichkeit von Schulungen, die derartiges Grundwissen vermitteln, grundsätzlich nicht näher dargelegt werden(BAG 20. Dezember 1995 – 7 ABR 14/95 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 113 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 130, zu B 2 a der Gründe; 7. Juni 1989 – 7 ABR 26/88 – BAGE 62, 74 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 67, zu B I 2 der Gründe mwN; 19. Januar 1984 – 6 ABR 12/81 – nv., zu II 2 der Gründe). Auch kann der Betriebsrat nicht auf Dauer darauf verwiesen werden, ein Betriebsratsmitglied könne sich die erforderlichen Kenntnisse auf andere Weise, wie etwa durch Selbststudium oder durch Befragung der übrigen, besser informierten Betriebsratsmitglieder verschaffen (BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 74/83 – BAGE 52, 78 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 54, zu II 2 c der Gründe; 16. Oktober 1986 – 6 ABR 14/84 – BAGE 53, 186 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 58, zu II 2 b bb der Gründe).
2. Diese für die Schulung ordentlicher Betriebsratsmitglieder geltenden Grundsätze können auf nur zeitweilig nachrückende Betriebsratsmitglieder nicht uneingeschränkt übertragen werden.
a) Allerdings übt auch ein Ersatzmitglied während der Vertretungszeit sein Amt in eigener Verantwortung aus. Dennoch ist die Erforderlichkeit der Schulung in betriebsverfassungsrechtlichem Grundwissen bei Ersatzmitgliedern anders zu beurteilen als bei ordentlichen, ständig heranzuziehenden Betriebsratsmitgliedern. Sie läßt sich insbesondere nicht generell bejahen. Vielmehr darf der Betriebsrat die Schulung von Ersatzmitgliedern nur unter besonderen Umständen für erforderlich halten. So genügt allein die Erwartung von Vertretungsfällen auf Grund des Urlaubs oder der vorübergehenden Erkrankung ordentlicher Betriebsratsmitglieder zur Rechtfertigung der Schulung von Ersatzmitgliedern nicht(BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – BAGE 52, 73 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 53, zu II 2 a der Gründe). Vielmehr hat der Betriebsrat in diesen Fällen zu prüfen, ob er seine Arbeitsfähigkeit nicht durch andere ihm zumutbare und den Arbeitgeber finanziell weniger belastende Maßnahmen gewährleisten kann(vgl. BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – aaO; 20. Dezember 1995 – 7 ABR 14/95 – aaO, zu B 2 b der Gründe). So kann es im Einzelfall dem Betriebsrat zumutbar sein, einem vorübergehend nachrückenden Ersatzmitglied etwa erforderliche betriebsverfassungsrechtliche Informationen und Erläuterungen zu den in der Betriebsratssitzung anstehenden Fragen entweder bereits mit der Ladung und der Übersendung der Tagesordnung durch den Betriebsratsvorsitzenden oder in der Sitzung selbst durch die anderen Betriebsratsmitglieder zu geben. Ebenso gehört es zur Verantwortung des Betriebsrats und seines Vorsitzenden zu prüfen, ob der vorhersehbaren Abwesenheit ordentlicher Betriebsratsmitglieder statt durch Schulung von Ersatzmitgliedern nicht durch eine größere Flexibilität bei der Anberaumung von Betriebsratssitzungen Rechnung getragen werden kann. Gerade bei kleineren Betriebsräten erscheint es nicht ausgeschlossen, bei kurzzeitiger Verhinderung eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds eine Sitzung, bei der es um schwierige und wichtige Fragen geht, auf einen Zeitpunkt zu (ver-)legen, an dem keines der ordentlichen Mitglieder verhindert ist.
b) Gleichwohl können durch die voraussichtliche, in zumutbarer Weise nicht zu vermeidende Heranziehung von Ersatzmitgliedern für die Arbeit des Betriebsrats Schwierigkeiten und Reibungsverluste entstehen, die so belastend sind, daß der Betriebsrat auch unter Berücksichtigung der hiermit für den Arbeitgeber verbundenen Kostenbelastung eine Schulung von Ersatzmitgliedern für erforderlich halten darf. Bei der vom Betriebsrat insoweit vorzunehmenden Beurteilung kann er die bereits entstandenen Schwierigkeiten berücksichtigen. Von Bedeutung kann aber auch sein, ob ein Ersatzmitglied etwa durch häufige Heranziehung in früheren Amtsperioden bereits über Kenntnisse und Erfahrungen im Betriebsverfassungsrecht verfügt. Vor allem spielen jedoch die zu erwartende Dauer und Häufigkeit der Heranziehung des Ersatzmitglieds eine wesentliche Rolle(vgl. BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – BAGE 52, 73 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 53, zu II 2 a der Gründe; 14. Dezember 1994 – 7 ABR 31/94 – BAGE 79, 43 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 100, zu B II der Gründe). Der Betriebsrat hat insoweit eine auf Tatsachen gegründete Prognose anzustellen. Dabei kann der Vergangenheit eine gewisse Indizwirkung zukommen. Von Bedeutung sind aber auch weitere Umstände, wie insbesondere die Betriebsratsgröße, die Anzahl der im Betriebsrat vertretenen Gruppen und Listen, das Vorhandensein von Betriebsferien oder der langfristige Ausfall bestimmter Betriebsratsmitglieder. So wird mit wachsender Betriebsratsgröße die Wahrscheinlichkeit an Vertretungsfällen regelmäßig zunehmen. Allerdings läßt nicht jeder Vertretungsfall dasselbe Ersatzmitglied nachrücken. Vielmehr kommt es hierfür maßgeblich auf das jeweils zu vertretende Betriebsratsmitglied sowie die Anzahl und Größe der im Betriebsrat vertretenen Gruppen und Listen an. Abwechselnde individuelle Urlaubszeiten der ordentlichen Betriebsratsmitglieder werden meist einen größeren Vertretungsbedarf zur Folge haben als ein längerer einheitlicher Betriebsurlaub. Die Langzeiterkrankung eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds kann zum langfristigen Einrücken eines Ersatzmitglieds führen.
c) Der Betriebsrat hat bei der von ihm anzustellenden Prognose einen Prognosespielraum. Die tatsächlichen Grundlagen der Prognose sind jedoch auszuweisen und einer gerichtlichen Beurteilung nicht entzogen(BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – BAGE 52, 73 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 53, zu II 2 a der Gründe). Auch im übrigen hat der Betriebsrat bei seiner Entscheidung, ob es für seine Arbeitsfähigkeit erforderlich ist, ein oder gar mehrere Ersatzmitglieder schulen zu lassen, einen Beurteilungsspielraum(BAG 15. Mai 1986 – 6 ABR 64/83 – aaO). Die arbeitsgerichtliche Kontrolle ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beschlußfassung des Betriebsrats unter den konkreten Umständen der Erledigung seiner gesetzlichen Aufgaben diente und er bei seiner Entscheidung nicht nur die Interessen der Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamts, sondern auch die berechtigten Interessen des Arbeitgebers, insbesondere an der Begrenzung seiner Kostentragungspflicht berücksichtigt hat(vgl. auch BAG 9. Juni 1999 – 7 ABR 66/97 – AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 66 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 88, zu B II 2 der Gründe; 8. März 2000 – 7 ABR 11/98 – AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 68 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 90, zu B 2 der Gründe; 15. November 2000 – 7 ABR 24/00 – nv., zu B I 3 der Gründe). Dies setzt zwar nicht voraus, daß ein „vernünftiger Dritter” notwendig dieselbe Entscheidung getroffen hätte. Gegenstand der arbeitsgerichtlichen Prüfung ist jedoch, ob der Betriebsrat bei seiner Entscheidung eine auf Tatsachen gegründete Prognose über die künftige Häufigkeit und Dauer der Heranziehung des Ersatzmitglieds erstellt, die durch die Heranziehung eines ungeschulten Ersatzmitglieds entstehenden Belastungen für die sachgerechte Betriebsratsarbeit gewürdigt und Erwägungen über andere, den Arbeitgeber weniger belastende Maßnahmen angestellt hat. Dies muß der Betriebsrat im Verfahren darlegen. Die vom Landesarbeitsgericht auf Grund einer solchen Prüfung ergehende Entscheidung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren ihrerseits nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob Rechtsbegriffe verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Würdigung übersehen worden sind(BAG 9. Juni 1999 – 7 ABR 66/97 – aaO; 15. November 2000 – 7 ABR 24/00 – nv., zu B I 3 der Gründe).
II. Hiernach hält die Begründung des Landesarbeitsgerichts der rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsbegriff der „Erforderlichkeit” verkannt, indem es zur Begründung der Entscheidung des Betriebsrats, zwei Ersatzmitglieder zur Schulung zu entsenden, im wesentlichen dessen Vortrag hat genügen lassen, in den vergangenen drei Monaten hätten im Durchschnitt ca. zwei Vertretungsfälle im Monat den Einsatz von Ersatzmitgliedern erfordert. Das Landesarbeitsgericht hat damit darauf verzichtet, zu überprüfen, ob der Betriebsrat bei seiner Entscheidung überhaupt Erwägungen über Art und Umfang der durch die Heranziehung der beiden Ersatzmitglieder jeweils entstehenden Schwierigkeiten sowie über andere Möglichkeiten zur Beseitigung oder Reduzierung dieser Schwierigkeiten angestellt hat. Das Landesarbeitsgericht hat zwar ausgeführt, es sei für die Kammer nicht erkennbar, welche anderen Maßnahmen dem Betriebsrat zur Verfügung stehen, um dem Vertretungsbedarf zu begegnen. Es hat aber keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Betriebsrat andere Maßnahmen überhaupt in Betracht gezogen hat. Die Erwägung des Landesarbeitsgerichts, eine Verlegung der regulären Betriebsratssitzungen komme „wohl kaum in Betracht”, ist – soweit bisher ersichtlich – nur von ihm selbst und nicht vom Betriebsrat angestellt worden. Im übrigen ist sie ohne weitere Begründung nicht nachvollziehbar. Vielmehr erscheint es gerade bei einem nur 5-köpfigen Betriebsrat durchaus nicht fernliegend, bei der Anberaumung der nächsten Betriebsratssitzung eine etwa nur kurzzeitige Abwesenheit eines Betriebsratsmitglieds zu berücksichtigen. Das Landesarbeitsgericht hat auch keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Ersatzmitglieder L und N schon in früheren Amtsperioden des Betriebsrats herangezogen wurden und von daher bereits über Kenntnisse und Erfahrungen im Betriebsverfassungsrecht verfügten.
Das Landesarbeitsgericht hat außerdem bei der Beurteilung der Prognose über die voraussichtliche künftige Heranziehung der beiden Ersatzmitglieder gegen Erfahrungssätze verstoßen und wesentliche Umstände nicht berücksichtigt. Die bisher getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, der Betriebsrat habe auch unter Berücksichtigung des ihm insoweit zustehenden Spielraums die Prognose treffen können, die Ersatzmitglieder Frau L. und Herr N. würden in Zukunft über einen längeren Zeitraum jeweils zur Hälfte der Betriebsratssitzungen herangezogen werden. Allein der Umstand, daß Frau L. und Herr N. in der Zeit von Ende April 1998 bis zum 29. Juli 1998 jeweils sieben mal als Vertreter bei Betriebsratssitzungen tätig wurden, rechtfertigt diese Prognose nicht. Ein Zeitraum von nur drei Monaten ist jedenfalls ohne ausreichende Feststellungen zu den Ursachen des Vertretungsbedarfs für eine derartige Prognose zu kurz. Auch weist die Arbeitgeberin zutreffend darauf hin, daß in den Monaten Mai bis Juli verstärkt mit Urlaub zu rechnen ist. Im übrigen ist nicht einmal festgestellt, wie viele ordentliche und außerordentliche Betriebsratssitzungen in dieser Zeit insgesamt stattfanden. Der Rückgriff des Betriebsrats auf den Vertretungsbedarf in der Zeit von Januar 1997 bis April 1998 läßt schon deshalb keine zuverlässigen Schlüsse zu, weil es sich in dieser Zeit noch um einen 7-köpfigen Betriebsrat handelte, bei dem der Vertretungsbedarf jedenfalls der Wahrscheinlichkeit nach deutlich höher als in einem 5-köpfigen Gremium ist. Vielmehr erscheint es jedenfalls ohne das Vorliegen besonderer Umstände eher unwahrscheinlich, daß bei nunmehr lediglich zwei, bzw. drei zu vertretenden ordentlichen Betriebsratsmitgliedern jeweils ein Vertretungsbedarf in ca. 50 % der Fälle zu erwarten gewesen sein soll. Derartige besondere Umstände – wie etwa ein zum Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats zu besorgender langer krankheitsbedingter Ausfall eines oder mehrerer seiner ordentlichen Mitglieder – sind bisher nicht ersichtlich.
III. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen sind nicht ausreichend, um dem Senat gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ohne Zurückverweisung eine Entscheidung in der Sache selbst zu ermöglichen. Die Anträge sind nicht bereits aus anderen Gründen abzuweisen.
Wenn der Betriebsrat eine Schulung der Ersatzmitglieder überhaupt für erforderlich halten durfte, so gilt dies für die vorliegende Schulung, die Grundkenntnisse des Betriebsverfassungsrechts vermittelte. Rechtsbeschwerderechtlich ist auch nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht die Seminarkosten von je 1.484,60 DM nicht für unverhältnismäßig erachtet hat. Der Betriebsrat ist nicht gehalten, anhand einer umfassenden Marktanalyse den günstigsten Anbieter zu ermitteln und ohne Rücksicht auf andere Erwägungen auszuwählen. Er muß sich auch nicht allein aus Kostengründen auf eine von Arbeitgebern getragene Bildungseinrichtung verweisen lassen(BAG 28. Juni 1995 – 7 ABR 55/94 – BAGE 80, 236 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 48, zu B II 1 der Gründe).
Hinsichtlich der Höhe der Verpflegungskosten greift die Rechtsbeschwerde den Beschluß des Landesarbeitsgerichts nicht an, nachdem dieses den in Rechnung gestellten Betrag von 650,00 DM auf 400,00 DM und damit auf 40,00 DM pro Seminartag und Teilnehmer reduziert hat. Insoweit hält die Arbeitgeberin ersichtlich eine weitere Aufschlüsselung nicht mehr für erforderlich und macht ein ihr etwa wegen fehlender Aufschlüsselung zustehendes Zurückbehaltungsrecht nicht geltend(vgl. hierzu BAG 28. Juni 1995 – 7 ABR 55/94 – aaO, zu B II 4 a und b der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht hat nach der Zurückverweisung dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, abschließend vorzutragen, welche Erwägungen seiner Beschlußfassung vom 29. Juli 1998 zugrunde lagen. Sodann wird es unter Beachtung der rechtlichen Beurteilung des Senats erneut darüber zu entscheiden haben, ob der Betriebsrat unter Berücksichtigung des ihm eingeräumten Beurteilungs- und Prognosespielraums zur Gewährleistung seiner Arbeitsfähigkeit die Schulung der Ersatzmitglieder L und N für erforderlich halten durfte.
Unterschriften
Steckhan, Linsenmaier, Kreft, Meyer, Willms
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.09.2001 durch Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 662755 |
BAGE, 103 |
BB 2002, 256 |
DB 2002, 51 |
EBE/BAG 2002, 11 |
FA 2002, 56 |
JR 2003, 307 |
SAE 2002, 203 |
ZTR 2002, 242 |
AP, 0 |
EzA |
MDR 2002, 157 |
PERSONAL 2002, 45 |
RdW 2002, 180 |
www.judicialis.de 2001 |