Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsstellenbeschluß über Sozialplan
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Frist von zwei Wochen zur Geltendmachung der Überschreitung des Ermessens nach § 76 Abs 5 Satz 4 BetrVG handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist.
Sie wird nicht gewahrt, wenn innerhalb von zwei Wochen beim Arbeitsgericht die Feststellung der Unwirksamkeit eines Sozialplans ohne jede Begründung beantragt wird. Eine nach Ablauf der Frist nachgeschobene Begründung für den Feststellungsantrag heilt den Mangel nicht.
2. Wird geltend gemacht, es sei unzulässig, in einem Sozialplan unabhängig von den individuellen unterschiedlichen Nachteilen für alle Arbeitnehmer pauschale Abfindungen zu beschließen, so handelt es sich nach Inkrafttreten von § 112 Abs 5 BetrVG um die Geltendmachung eines Ermessensfehlers.
Normenkette
KSchG §§ 4-7; BGB §§ 138, 826; KVfSPlG §§ 2, 4; BetrVG §§ 19, 112 Abs. 5, § 76 Abs. 5 S. 4
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 07.10.1986; Aktenzeichen 11 TaBV 64/86) |
ArbG Essen (Entscheidung vom 08.04.1986; Aktenzeichen 6 BV 85/85) |
Gründe
A. Der Betriebsrat der ehemaligen Firma H-P L, Tief- und Rohrleitungsbau und der Konkursverwalter über das Vermögen des Kaufmannes H-P L streiten über die Wirksamkeit eines nach Konkurseröffnung von der Einigungsstelle am 28. November 1985 beschlossenen Sozialplanes.
Der Gemeinschuldner beschäftigte in seinem zum Bauhauptgewerbe gehörenden Betrieb 86 Arbeitnehmer. Am 31. Oktober 1985 wurde das Konkursverfahren eröffnet und der Antragsteller zum Konkursverwalter bestellt. Dieser stellte den Betrieb sofort ein. Die vom Betriebsrat bevollmächtigte Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden verlangte vom Konkursverwalter einen Sozialplan mit einem Volumen in Höhe der 2,5-fachen Bruttolohnsumme, das sind 687.500,-- DM. Da eine Einigung scheiterte, wurde vom Betriebsrat die Einigungsstelle angerufen. Diese beschloß am 28. November 1985 nach Anhörung des Konkursverwalters bereits im ersten Abstimmungsgang, bei dem der unparteiische Vorsitzende gemäß § 76 Abs. 3 Satz 2 BetrVG sich der Stimme enthielt, mit der Mehrheit von 3 : 1 Stimmen:
"I. Zum Ausgleich bzw. zur Milderung der durch die
Betriebsstillegung entstandenen wirtschaftlichen
Nachteile soll für einen Sozialplan zugunsten der
betroffenen Arbeitnehmer ein Gesamtbetrag von
DM 500.000,-- (i.W.: fünfhunderttausend) vorgesehen
werden.
II. Die Verteilung dieses Betrages soll nach einem
Punktesystem unter Berücksichtigung der nachfolgend
aufgeführten Grundsätze und Bestimmungen erfolgen:
...."
Eine schriftliche Ausfertigung des Spruchs der Einigungsstelle wurde dem Konkursverwalter am 2. Dezember 1985 zugeleitet.
Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1985, der noch am gleichen Tage beim Arbeitsgericht eingegangen ist, hat der Konkursverwalter die Feststellung der Unwirksamkeit des Sozialplans ohne Angabe von Gründen beantragt. Mit weiterem Schriftsatz vom 30. Dezember 1985, der am 2. Januar 1986 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, hat der Konkursverwalter "das mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1985 eingelegte Rechtsmittel" begründet.
Er hat geltend gemacht, bei ihrem Beschluß sei die Einigungsstelle aufgrund des damaligen vorläufigen Zahlenwerkes des Konkursverwalters davon ausgegangen, daß etwa 240.000,-- DM für die Konkursgläubiger zur Verfügung stünden. Mittlerweile habe sich ergeben, daß vermutlich ein massearmes Konkursverfahren vorliege.
Die Einigungsstelle habe ermessensfehlerhaft gehandelt. Es genüge nicht, das Sozialplanvolumen knapp unter der möglichen Obergrenze zu halten, es seien vielmehr auch die Interessen der übrigen Gläubiger und des Gemeinschuldners gebührend zu berücksichtigen. Das habe die Einigungsstelle bewußt unterlassen, indem sie in Kenntnis des bedeutend geringeren Betrages der verteilbaren Konkursmasse die auszugleichenden wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer schematisch auf 500.000,-- DM festgesetzt habe.
Der Sozialplan sei außerdem sittenwidrig, weil er die übrigen Gläubiger benachteilige und verstoße gegen §§ 111, 112 BetrVG und Art. 14 GG, da er dem Gemeinschuldner den Erwerb neuen Vermögens über Gebühr erschwere.
Der Konkursverwalter hat beantragt
festzustellen, daß der Sozialplan vom
28. November 1985 unwirksam sei.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Er hat eingewandt, mit den Leistungen des Sozialplans seien die unterschiedlichen Nachteile der Arbeitnehmer ausreichend und angemessen berücksichtigt worden.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Konkursverwalters entsprochen. Auf die Beschwerde des Betriebsrats ist der Beschluß des Arbeitsgerichts mit der Begründung, Ermessensfehler und sonstige Rechtsfehler lägen nicht vor, abgeändert worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Konkursverwalter die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
I. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, die Ermessensnachprüfung durch das Landesarbeitsgericht sei fehlerhaft, kann sie schon deswegen keinen Erfolg haben, weil die Rechtsbeschwerde verkennt, daß den Gerichten für Arbeitssachen jede Ermessenskontrolle eines Einigungsstellenspruches verwehrt ist, wenn der Anfechtungsberechtigte die Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG nicht gewahrt hat.
1. Der am 28. November 1985 gefällte Spruch der Einigungsstelle ist dem Konkursverwalter nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts am Montag, dem 2. Dezember 1985, schriftlich zugeleitet worden. Am letzten Tag der Zwei-Wochen-Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG, am Montag, dem 16. Dezember 1985, ist der im Namen und in Vollmacht des Konkursverwalters unterschriebene Schriftsatz, der nur den angekündigten Feststellungsantrag enthielt, beim Arbeitsgericht eingegangen. Erst weit nach Fristablauf, am 2. Januar 1986, ist beim Arbeitsgericht der Schriftsatz vom 30. Dezember 1985 eingegangen, mit dem der Feststellungsantrag - u.a. mit Ermessensfehlern der Einigungsstelle - begründet worden ist.
2. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat die Einreichung der Antragsschrift zur Einleitung des Beschlußverfahrens mit dem Ziel festzustellen, daß der Sozialplan vom 28. November 1985 unwirksam ist, die Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG nicht gewahrt.
a) Der Antragsteller kann sich auch in einem Beschlußverfahren nicht darauf beschränken, lediglich die Feststellung der Nichtigkeit eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsgeschäfts zu begehren, ohne vorzutragen, aus welchen - von ihm darzulegenden - Gründen er das Rechtsgeschäft für nichtig hält (BAGE 17, 165 = AP Nr. 14 zu § 18 BetrVG). Eine solche Begründung ist erforderlich, damit das Gericht überhaupt einen Anhaltspunkt für das weitere von Amts wegen durchzuführende Verfahren hat (BAG, aa0).
b) Bei dem im Beschlußverfahren geltenden Begründungszwang ergibt sich somit für den Antragsteller eines Verfahrens nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG die Verpflichtung, jedenfalls solche Gründe vorzutragen, die geeignet sind, Zweifel an der Einhaltung der Grenzen des Ermessens durch die Einigungsstelle zu begründen (vgl. zur Wahlanfechtung BAG, aa0, zu II 2 der Gründe).
Vorliegend hat der Antragsteller aber in seiner Antragsschrift weder vorgetragen, daß ein Spruch einer Einigungsstelle überprüft werden soll, noch hat er irgendeine Begründung für die angebliche Unwirksamkeit des Sozialplans angegeben. Bei Eingang der Antragsschrift war daher nicht feststellbar, unter welchen Aspekten eine Überprüfung erfolgen sollte.
War aber weder erkennbar, daß mit der Antragsschrift gerade die Überschreitung der Grenzen des Ermessens einer Einigungsstelle geltend gemacht werden sollte, noch aufgrund welchen Sachverhalts der Sozialplan als bedenklich erscheinen konnte, hat der Antrag auch nicht den Ablauf der Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG hemmen können (vgl. ebenso für die Wahlanfechtung BAG, aa0, zu II 4 der Gründe, mit zust. Anm. Neumann-Duesberg).
c) Dieser Mangel wird durch das Nachschieben von Gründen nach Fristablauf nicht geheilt. Insoweit besteht eine Parallele zur Wahlanfechtung. Hier wie dort ist dem Arbeitgeber eine Zwei-Wochen-Frist eingeräumt worden, innerhalb derer er darüber entscheiden muß, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen er anfechten will. Würde für die fristwahrende Geltendmachung keine Begründung verlangt, so würde auf diesem Weg dem Arbeitgeber die Entscheidungsfrist contra legem verlängert. Der Gesetzeszweck, schnell Rechtsklarheit zu schaffen, würde vereitelt.
Dazu steht die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht in Widerspruch, nach der bei Darlegung eines die Anfechtbarkeit begründenden Sachverhalts das Gericht wegen seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 83 Abs. 1 ArbGG) auch weitere, erst im späteren Verlauf des Beschlußverfahrens sichtbar werdende Anfechtungsgründe noch berücksichtigen muß (BAG, aa0, zu III der Gründe; BAGE 22, 38, 41 = AP Nr. 17 zu § 18 BetrVG, zu 1 der Gründe; BAGE 53, 385 = AP Nr. 13 zu § 19 BetrVG 1972), denn durch die Berücksichtigung dieser erst später bekanntgewordenen Gründe wird der mit der Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG verfolgte Zweck, Klarheit zu schaffen, ob der Einigungsstellenspruch wegen Ermessensüberschreitung angefochten wird, nicht vereitelt.
d) Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hin, eine verspätete Geltendmachung von Ermessensfehlern führe nicht zur Unzulässigkeit des Antrags auf Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs.
aa) Neben der fristgebundenen gerichtlichen Ermessenskontrolle unterliegt nämlich ein Einigungsstellenspruch auch der gerichtlichen Rechtskontrolle, die nicht fristgebunden ist (Senatsbeschlüsse vom 23. April 1985, BAGE 48, 294, 297 = AP Nr. 26 zu § 112 BetrVG 1972, zu B II 1 der Gründe, und vom 14. Mai 1985 - 1 ABR 52/81 - AP Nr. 16 zu § 76 BetrVG 1972). Insoweit besteht eine weitere Parallele zur Feststellung der Unwirksamkeit von Betriebsratswahlen. Auch dort bestehen für den Arbeitgeber im Wege des Beschlußverfahrens zwei mit unterschiedlicher "Kontrolldichte" ausgestattete Möglichkeiten der gerichtlichen Überprüfung. Die Nichtigkeit der Wahl kann ohne zeitliche Begrenzung bei besonders groben und offensichtlichen Verstößen gegen die Grundregeln von Wahlen geltend gemacht werden (BAGE 29, 392, 395 = AP Nr. 6 zu § 19 BetrVG 1972, zu II 1 der Gründe; BAGE 44, 57 = AP Nr. 10 zu § 19 BetrVG 1972), während einfache Verstöße gegen Wahlvorschriften nur innerhalb der in § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG geregelten Anfechtungsfrist von zwei Wochen seit dem Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses geltend gemacht werden können. Ein vergleichbares System liegt auch der gesetzlichen Regelung der Nachprüfbarkeit von Einigungsstellensprüchen bei Sozialplänen zugrunde. Will der Arbeitgeber Ermessensüberschreitungen rügen, muß er sie nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG innerhalb von zwei Wochen nach Zuleitung geltend machen. Ohne Einhaltung der Frist kann er nur das Fehlen der gesetzlichen Grundlagen für die von der Einigungsstelle beanspruchte Regelungskompetenz rügen (vgl. Senatsbeschlüsse BAGE 48, 294, 297 = AP Nr. 26 zu § 112 BetrVG 1972, zu B II 1 der Gründe, und vom 14. Mai 1985 - 1 ABR 52/81 - AP Nr. 16 zu § 76 BetrVG 1972). Die dem Arbeitgeber in § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG eingeräumte Befugnis zur "Geltendmachung" von Ermessensüberschreitungen stellt sich als eine der "Anfechtung" im Sinne des § 19 BetrVG vergleichbare Befugnis dar. Die Literatur benutzt daher folgerichtig auch hier den Begriff der "Anfechtung" (vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 76 Rz 98; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 76 Rz 44).
bb) Die Versäumung der Anfechtungsfrist führt zum Erlöschen des Anfechtungsrechts, denn die Anfechtungsfrist ist nach völlig einhelliger Ansicht in Literatur und Rechtsprechung eine - mit den §§ 4, 7 KSchG vergleichbare - materiell-rechtliche Ausschlußfrist (BAGE 16, 1, 8 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG, zu B 3 b der Gründe; BAG Beschluß vom 14. Januar 1972 - 1 ABR 6/71 - AP Nr. 2 zu § 20 BetrVG Jugendvertreter; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 19 Rz 38; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 19 Rz 24; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 19 Rz 22; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 19 Rz 34; Thiele, GK-BetrVG, § 19 Rz 11; Müller, Festschrift für Schnorr von Carolsfeld, S. 367, 375). Eine Verlängerung der Frist oder eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind ausgeschlossen, da eine den §§ 5 und 6 KSchG entsprechende Vorschrift über die Zulassung verspäteter Klagen und eine verlängerte Anrufungsfrist fehlt.
Der Hinweis der Rechtsbeschwerde auf prozessuale Vorschriften, nach denen zwischen einer Frist zur Rechtsmitteleinlegung und einer weiteren Frist zur Rechtsmittelbegründung differenziert wird, verkennt Funktion und Inhalt einer materiell-rechtlichen Ausschlußfrist. Wird nämlich die Ausschlußfrist zur Ausübung des Anfechtungsrechts versäumt, kann das ursprünglich anfechtbare betriebsverfassungsrechtliche Rechtsgeschäft trotz der an sich gegebenen Anfechtungsgründe nicht mehr beanstandet, sondern muß insoweit als wirksam angesehen werden (zur Wahlanfechtung BAGE 16, 1, 8 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG, zu B III 3 b der Gründe; BAG Urteil vom 26. Oktober 1979 - 7 AZR 752/77 - AP Nr. 5 zu § 9 KSchG 1969, zu A I 1 a der Gründe).
3. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der von der Einigungsstelle beschlossene Sozialplan auch nicht wegen fehlender Regelungskompetenz oder infolge von Gesetzesverstößen nichtig.
a) Die Rügen des Konkursverwalters, die pauschale Festsetzung von Abfindungen und die Höhe des Gesamtvolumens des Sozialplans verstießen gegen die in § 112 Abs. 5 BetrVG geregelten Grundsätze, betreffen Ermessensfragen. Sie stellen zur Überprüfung, ob die Einigungsstelle den ihr vom Gesetzgeber in § 112 Abs. 5 BetrVG gesetzten Rahmen für die Ausübung eines billigen Ermessens gewahrt hat.
aa) Vor Inkrafttreten des § 112 Abs. 5 BetrVG in der Fassung des Art. 2 Nr. 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 26. April 1985 (BGBl. I, 710) hat der Senat zwar in seinem Beschluß vom 14. Mai 1985 (- 1 ABR 52/81 - AP Nr. 16 zu § 76 BetrVG 1972) angenommen, daß die Zulässigkeit von pauschalen Abfindungen für die gesamte Belegschaft, unabhängig davon, ob die Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, eine in § 112 Abs. 1 BetrVG geregelte Frage der Regelungskompetenz der Einigungsstelle sei und damit eine gerichtliche Rechtskontrolle betreffe. Diese Auffassung kann nach Inkrafttreten der Neufassung nicht mehr aufrechterhalten werden. Daß wirtschaftliche Nachteile für alle entlassenen Arbeitnehmer entstanden sind, ist hier unstreitig. Fraglich ist nur, ob die Einigungsstelle zwischen denen, die arbeitslos geblieben sind und denen, die fast nahtlos eine Neueinstellung gefunden haben, stärker hätte differenzieren müssen. Wie der Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile zu erfolgen hat, ist in den neu eingeführten gesetzlichen Grundsätzen des § 112 Abs. 5 Nr. 1 und 2 BetrVG geregelt. Diese Grundsätze haben die Funktion von Richtlinien für die Ausübung des Ermessens, indem sie die Grenzen des Ermessens abstecken (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., §§ 112, 112 a Rz 33; ähnlich Weller, AR-Blattei, Sozialplan I, K II a). Ein Verstoß gegen diese Richtlinien stellt somit einen Ermessensfehler dar, der innerhalb der Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG geltend gemacht werden muß.
bb) Der Einwand des zu hohen Gesamtvolumens betrifft ebenfalls die Verletzung eines Ermessensgrundsatzes. Nach § 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG hat die Einigungsstelle bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen insbesondere auf den Fortbestand des Unternehmens zu achten. Die Rechtsbeschwerde ist der Auffassung, dieser Grundsatz gelte auch für die Berücksichtigung der Belange des Gemeinschuldners und der übrigen Konkursgläubiger. Wie der Senat jedoch schon vor Inkrafttreten des § 112 Abs. 5 BetrVG n.F. entschieden hat, betrifft der Einwand, das Sozialplanvolumen sei angesichts der verteilungsfähigen Konkursmasse zu hoch, die Einhaltung der Ermessensgrenzen (Beschluß vom 14. Mai 1985 - 1 ABR 52/81 - AP Nr. 16 zu § 76 BetrVG 1972).
b) Die Rüge der Rechtsbeschwerde, die Einigungsstelle habe durch die Festsetzung des Sozialplanvolumens von 500.000,-- DM bei einer nach damaligem Stand zu erwartenden verteilungsfähigen Konkursmasse von 240.000,-- DM eine sittenwidrige Schädigung der übrigen Konkursgläubiger versucht, ist auf eine Rechtskontrolle des Sozialplans unter dem Gesichtspunkt der §§ 138, 826 BGB gerichtet. Diese Rüge ist jedoch nicht begründet.
Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20. Februar 1985 (BGBl. I, 369) besondere konkursrechtliche Regeln gegen eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung der Arbeitnehmer gegenüber anderen Gläubigern aufgestellt. Er hat in § 2 dieses Gesetzes als Höchstvolumen eines Sozialplans nach Konkurseröffnung den Gesamtbetrag von 2 1/2 Monatsverdiensten der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen. Der von der Einigungsstelle beschlossene Sozialplan bleibt erheblich unter diesem nach § 2 zulässigen Höchstbetrag. Weiter hat der Gesetzgeber im Interesse eines gerechten Ausgleichs unter den Gläubigern in § 4 dieses Gesetzes die Berichtigung der Sozialplanansprüche mit dem Rang nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 K0 nur insoweit gestattet, wie ein Drittel der zur Verfügung stehenden Konkursmasse verwendet wird. Nur wenn nach der Berücksichtigung aller Konkursforderungen der Rangstelle § 61 Abs. 1 Nr. 1 K0 noch etwas zu verteilen bleiben sollte, könnte eine Konkurrenz hinsichtlich der nicht nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 K0 berichtigten Sozialplanansprüche mit den übrigen Gläubigern der Rangstelle § 61 Abs. 1 Nr. 6 K0 eintreten (vgl. § 4 Satz 2 Halbsatz 2 des Gesetzes).
Weder unter den hier gegebenen Umständen eines massearmen Konkurses noch bei einer größeren Konkursmasse kann angenommen werden, daß der von der Einigungsstelle beschlossene Sozialplan sittenwidrig ist. Dazu bedürfte es eines Widerspruchs zu den Grundprinzipien unserer Rechts- und Sittenordnung. Der Gesetzgeber hat aber eine eindeutige Wertentscheidung über die zulässige absolute Höhe von Sozialplanvolumina getroffen, die hier respektiert wurde. Die relative Verteilungsgerechtigkeit ist hinreichend durch den Gesetzgeber in § 4 des Gesetzes vom 20. Februar 1985 gesichert. Die dort nach Beträgen gestaffelte Rangordnung stellt automatisch sicher, "daß der Sozialplan nicht einen unvertretbar großen Teil der Konkursmasse aufzehrt" (BT-Drucks. 10/2129, S. 8). Eine sittenwidrige Benachteiligung anderer Konkursgläubiger kommt deshalb vorliegend nicht in Betracht.
c) Soweit die Rechtsbeschwerde die mangelnde Berücksichtigung der Interessen des nach Abschluß des Konkursverfahrens persönlich haftenden Gemeinschuldners rügt, handelt es sich wiederum um eine dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrte Nachprüfung des Ermessens der Einigungsstelle.
Die Rechtsbeschwerde begründet die Pflicht der Einigungsstelle zur Berücksichtigung der Interessen des Gemeinschuldners mit Art. 14 GG. Insoweit besteht eine Parallele zu der Ermessensrichtlinie des § 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG. Wie dort das Interesse des Unternehmens an seinem Fortbestand berücksichtigt werden muß, soll hier nach Auffassung des Konkursverwalters das Interesse des Gemeinschuldners beachtet werden, nicht durch eine übermäßige Belastung an einem wirtschaftlichen Neubeginn gehindert zu werden. Auch dies ist eine Ermessensfrage, die innerhalb der Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG zur Überprüfung gestellt werden muß.
Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Konkursverwalter überhaupt berechtigt ist, dieses Interesse des Gemeinschuldners geltend zu machen.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Dr. Münzer Lappe
Fundstellen
BB 1988, 2174-2175 (LT1-2) |
DB 1988, 2154-2155 (LT1-2) |
AiB 1989, 23-23 (LT1-2) |
EWiR 1989, 11-11 (L1-2) |
JR 1989, 132 |
KTS 1989, 145-148 (LT1-2) |
NZA 1989, 26-28 (LT1-2) |
RdA 1988, 382 |
ZIP 1988, 1483 |
ZIP 1988, 1483-1486 (LT1-2) |
AP § 76 BetrVG 1972 (LT1-2), Nr 26 |
AR-Blattei, ES 1470 Nr 32 (LT1-2) |
AR-Blattei, Sozialplan Entsch 32 (LT1-2) |
EzA § 76 BetrVG 1972, Nr 41 (LT1-2) |