Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsschutzklage. Reichweite der Rechtskraft eines der Klage stattgebenden Urteils. Nichtzulassungsbeschwerde
Orientierungssatz
1. Mit der Rechtskraft des der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG stattgebenden Urteils steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Damit ist grundsätzlich zugleich entschieden, dass bei einer außerordentlichen Kündigung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Diese Rechtsprechung verstößt weder gegen Art. 20 Abs. 3 noch gegen Art. 19 Abs. 4 GG.
2. Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wiederholt fristlos und legt er gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts, das der gegen die erste Kündigung gerichteten Klage stattgegeben hat, Nichtzulassungsbeschwerde ein, wird diese Beschwerde unbegründet, wenn nach Verkündung des Urteils des Landesarbeitsgerichts das Arbeitsgericht der gegen die zweite Kündigung gerichteten Klage stattgibt und diese Entscheidung rechtskräftig wird. Die möglichen Zulassungsgründe des § 72 Abs. 2 ArbGG sind dann nicht mehr entscheidungserheblich, weil durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts rechtskräftig feststeht, dass zum Kündigungstermin ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
3. Der Arbeitgeber kann den Eintritt dieser Rechtsfolgen verhindern, indem er die Aussetzung des Kündigungsrechtsstreits über die spätere Kündigung beantragt (§ 148 ZPO). Einem solchen Aussetzungsantrag ist regelmäßig stattzugeben. Gegen die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens besteht die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde nach § 252 ZPO. Des Weiteren kann der Arbeitgeber die zur Begründung der ersten Kündigung verfassten Schriftsätze in den Rechtsstreit über die Wirksamkeit der zweiten Kündigung einführen und unter Bezugnahme darauf geltend machen, zum Termin der zweiten Kündigung habe kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden. Gegen ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil kann der Arbeitgeber Berufung einlegen.
Normenkette
KSchG § 4; ZPO §§ 148, 252; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; ArbGG §§ 72, 72a
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 29.03.2007; Aktenzeichen 16 Sa 435/06) |
ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 27.01.2006; Aktenzeichen 2 Ca 1364/04) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29. März 2007 – 16 Sa 435/06 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 56.250,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten – soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung – über die Wirksamkeit von sieben Kündigungen, welche die Beklagte gegenüber dem Kläger erklärt hat. Die letzte – außerordentliche – Kündigung datiert vom 8. Februar 2005. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Nach Verkündung des Urteils des Landesarbeitsgerichts am 29. März 2007 hat das Arbeitsgericht Gelsenkirchen mit Urteil vom 12. April 2007 einer Kündigungsschutzklage stattgegeben, mit welcher der Kläger die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 22. März 2006 geltend gemacht hat. Dieses Urteil ist rechtskräftig. Mit ihrer Beschwerde begehrt die Beklagte die nachträgliche Zulassung der Revision durch das Bundesarbeitsgericht.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Beklagten ist zum Teil schon unzulässig und im Übrigen nicht begründet.
1. Die Beschwerde hat nicht hinreichend dargelegt, dass das anzufechtende Urteil Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).
a) Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtsfrage zuzulassen, wenn die Beschwerde darlegt, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt. Eine Rechtsfrage ist eine Frage, welche die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat. Der Beschwerdeführer hat die aus seiner Sicht entscheidungserhebliche Rechtsfrage zu konkretisieren und so zu stellen, dass sie mit “Ja” oder “Nein” beantwortet werden kann (BAG 23. Januar 2007 – 9 AZN 792/06 – Rn. 5 f., AP ArbGG 1979 § 72a Grundsatz Nr. 66 mwN). Eine Rechtsfrage ist entscheidungserheblich, wenn das Urteil auf der Beantwortung der zu entscheidenden Rechtsfrage beruht. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, wenn sie in der Revisionsinstanz beantwortet werden kann. Sie ist klärungsbedürftig, wenn sie entweder noch nicht höchstrichterlich entschieden oder zwar entschieden ist, aber gewichtige Gesichtspunkte gegen diese Entscheidung vorgebracht werden (vgl. BAG 14. April 2005 – 1 AZN 840/04 – BAGE 114, 200, 203). Der Beschwerdeführer muss die Klärungsfähigkeit, Klärungsbedürftigkeit, Entscheidungserheblichkeit und allgemeine Bedeutung für die Rechtsordnung und ihre Auswirkungen auf die Interessen jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit darlegen. Es ist auszuführen, welche abstrakte Interpretation das Landesarbeitsgericht bei der Behandlung der Rechtsfrage vorgenommen hat und dass diese nach Auffassung des Beschwerdeführers fehlerhaft ist (BAG 26. Januar 2006 – 9 AZA 11/05 – AP ZPO 1977 § 233 Nr. 81 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 106).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
aa) Auf S. 7 bis 11 der Beschwerdebegründung macht die Beklagte geltend, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht einen angebotenen Beweis nicht erhoben. In diesem Zusammenhang formuliert sie allerdings keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern einen Rechtssatz, den das Landesarbeitsgericht aufgestellt habe. Selbst wenn man diesen auf S. 10 der Beschwerdebegründung formulierten Rechtssatz als Rechtsfrage umformuliert, die lauten würde “Kommt es zum Beweis für die innere Tatsache eines vorsätzlichen Handelns auf Indiztatsachen zum näheren Tathergang an?”, genügte die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG. Die Frage kann nicht mit “Ja” oder “Nein” beantwortet werden, die Beantwortung hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab und läuft damit auf die Antwort “Kann sein” hinaus. Die Beklagte rügt insoweit nur eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Landesarbeitsgericht, indem sie im Einzelnen darlegt, warum aus ihrer Sicht der angebotene Beweis zu erheben war. Eine – möglicherweise – fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht ist jedoch nicht geeignet, eine nachträgliche Zulassung der Revision durch das Bundesarbeitsgericht zu begründen.
bb) Auch soweit die Beklagte auf S. 14 der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung des dort von ihr formulierten “Rechtssatzes” geltend macht, verkennt sie, wie bereits ausgeführt, dass nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG eine “Rechtsfrage” zu formulieren ist, die mit “Ja” oder “Nein” beantwortet werden kann. Dies ist nicht erfolgt. Im Übrigen ist auch nicht dargelegt, warum der zugunsten der Beklagten in eine Rechtsfrage umformulierte Rechtssatz klärungsbedürftig sein soll. Die Beschwerde legt nicht dar, dass es zu dieser Problematik noch keine Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gibt und die Frage nicht klar und eindeutig zu beantworten ist. Die Beklagte behauptet vielmehr selbst, das Landesarbeitsgericht sei von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abgewichen. Damit macht sie deutlich, dass ihrer Auffassung nach die Rechtsfrage bereits geklärt ist. Mit ihren Ausführungen auf S. 12 bis 15 der Beschwerdebegründung macht die Beklagte in Wahrheit Rechtsanwendungsfehler geltend, die jedoch nicht zur nachträglichen Zulassung der Revision führen können.
cc) Die vorstehenden Ausführungen gelten für die von der Beschwerde auf S. 16 und S. 19 der Beschwerdebegründung formulierten “Rechtssätze” entsprechend. Auch insoweit fehlen konkret formulierte Rechtsfragen. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten die von ihr formulierten “Rechtssätze” in “Rechtsfragen” umformuliert, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die so formulierten Rechtsfragen klärungsbedürftig sein sollen. Auch in diesem Zusammenhang wendet sich die Beklagte gegen eine aus ihrer Sicht fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Landesarbeitsgericht. Diese Rüge ist jedoch nicht geeignet, die nachträgliche Zulassung der Revision zu begründen.
2. Soweit die Beschwerde auf S. 14 der Beschwerdebegründung eine Divergenz zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Oktober 2005 (– 2 AZR 280/04 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 66) rügt, ist die Beschwerde unzulässig, weil die Beklagte keinen konkreten Rechtssatz aus dem angezogenen Urteil des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts bezeichnet, von dem das Landesarbeitsgericht abgewichen sein soll. Auch in diesem Zusammenhang rügt die Beklagte lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Landesarbeitsgericht.
3. Die Beschwerde ist auch nicht wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) begründet (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG). Die Beklagte hat sich zwar nicht ausdrücklich auf diesen Zulassungsgrund berufen. Mit ihren Ausführungen auf S. 7 bis 11 der Beschwerdebegründung macht die Beklagte jedoch der Sache nach eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend, indem sie dem Landesarbeitsgericht vorwirft, angebotene Beweise nicht erhoben zu haben. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Beschwerde allerdings nicht erfolgreich. Einer Beweisaufnahme bedurfte es nicht, weil das Landesarbeitsgericht den auf S. 7 bis 11 der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Sachvortrag als wahr unterstellt hat. Das ergibt sich aus den Ausführungen auf S. 28 letzter Absatz des anzufechtenden Urteils, wie auch die Beklagte auf S. 9 der Beschwerdebegründung in Bezug auf die Verdachtskündigung vom 8. Februar 2005 einräumt. Hinsichtlich der Tatkündigung vom 26. Mai 2004 gilt nichts anderes. Es ist von der Beklagten nicht aufgezeigt worden und auch nicht ersichtlich, dass das Landesarbeitsgericht bei der Tatkündigung diesen Sachvortrag nicht als zutreffend unterstellt hat. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts auf S. 28/29 des Berufungsurteils machen vielmehr deutlich, dass das Landesarbeitsgericht diesen Sachvortrag auch in Bezug auf die Kündigung vom 26. Mai 2004 als zutreffend unterstellt hat.
4. Unabhängig von den vorstehenden Gründen ist die Beschwerde nicht begründet, weil die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen, die behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie die der Sache nach erhobene Gehörsrüge nicht entscheidungserheblich sind.
a) Durch das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 12. April 2007 (– 5 Ca 685/06 –) wurde rechtskräftig festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. März 2006, zugegangen am selben Tag, nicht aufgelöst worden ist. Damit steht fest, dass zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens dieser Kündigung am 22. März 2006 zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Nachdem der Kläger die außerordentliche Kündigung vom 22. März 2006 mit einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG angegriffen hatte, war im Rahmen jenes Kündigungsschutzprozesses auch darüber zu entscheiden, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung überhaupt ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Voraussetzung für die in einem Kündigungsschutzprozess begehrte Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst ist, ist der Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der mit dieser Kündigung beabsichtigten Beendigung des Rechtsverhältnisses (Senat 16. Juni 2005 – 6 AZR 451/04 – EzA KSchG § 17 Nr. 15, zu II 3a der Gründe; BAG 28. November 2007 – 5 AZR 952/06 – Rn. 12, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4; 20. September 2000 – 5 AZR 271/99 – BAGE 95, 324, 326). Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Damit ist zugleich entschieden, dass bei einer außerordentlichen Kündigung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat (BAG 25. März 2004 – 2 AZR 399/03 – AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4, zu B II 1 der Gründe mwN).
b) Die hiergegen von der Beklagten vorgebrachten Einwände überzeugen nicht.
aa) Soweit die Beklagte meint, die Rechtsprechung beachte nicht den durch § 4 Satz 1 KSchG vorgegebenen Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage, die sich allein auf die Wirksamkeit einer bestimmten Kündigung beziehe, sondern führe über den Wortlaut des Gesetzes hinaus dazu, dass bei einer erfolgreichen Klage ein Arbeitsverhältnis fingiert werde, übersieht sie, dass nach § 4 Satz 1 KSchG Gegenstand der Kündigungsschutzklage die Feststellung ist, dass das “Arbeitsverhältnis” durch die Kündigung nicht beendet wurde. Die vom Kläger begehrte Feststellung erfordert daher bereits nach dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung. Die von der Beklagten vertretene Einengung des Streitgegenstands auf die bloße Frage der Wirksamkeit einer bestimmten Kündigung würde dem weitergehenden Wortlaut von § 4 Satz 1 KSchG nicht gerecht und könnte insbesondere das Ziel der Rechtskraft, Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit zu schaffen, nicht erreichen: Nach jeder erfolgreichen Kündigungsschutzklage könnten immer wieder neue, vor der jeweiligen für unwirksam erklärten Kündigung liegende Auflösungstatbestände behauptet werden (BAG 5. Oktober 1995 – 2 AZR 909/04 – BAGE 81, 111, 116).
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten begründet diese Rechtsprechung nicht notwendig die Gefahr divergierender Entscheidungen. Sich widersprechende rechtskräftige Urteile können vermieden werden, wenn das Arbeitsgericht gem. § 148 ZPO die Entscheidung des Rechtsstreits über die spätere Kündigung so lange aussetzt, bis über die Rechtswirksamkeit der früheren Kündigung rechtskräftig entschieden worden ist (BAG 12. Juni 1986 – 2 AZR 426/85 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 17 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 31, zu B III 2 der Gründe; ebenso allgemein 27. April 2006 – 2 AZR 360/05 – BAGE 118, 95, 99). Daher hätte die Beklagte vorliegend die Aussetzung des Rechtsstreits über die achte Kündigung vom 22. März 2006 beantragen können. Gegen eine Ablehnung dieses Antrags hätte sie nach § 252 ZPO sofortige Beschwerde einlegen können. Wenn dies – wider Erwarten – erfolglos gewesen wäre, hätte die Beklagte ihre Schriftsätze zur Begründung der vorangegangenen Kündigungen in den Prozess einführen und unter Bezugnahme darauf geltend machen können, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins habe kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden. Gegen ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil hätte die Beklagte Berufung einlegen können. Die Beklagte hatte es daher in der Hand gehabt, eine materielle Entscheidung über die außerordentliche Kündigung vom 22. März 2006 vor dem rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits über die sieben vorangegangenen Kündigungen zu verhindern.
cc) Dem Urteil des Arbeitsgerichts kann nicht – wie die Beschwerde meint – entnommen werden, das Arbeitsgericht habe ausnahmsweise nicht auch über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Kündigungszeitpunkt, dem 22. März 2006, entscheiden wollen. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer bestimmten Kündigung die etwaige Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch eine andere Kündigung ausgeklammert sein kann (vgl. BAG 20. Mai 1999 – 2 AZR 278/98 –, zu I der Gründe). Hierfür enthält das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen jedoch keine Anhaltspunkte. Soweit die Beklagte geltend macht, ausweislich des Urteilstatbestandes sei dem Arbeitsgericht bekannt gewesen, dass die Beklagte sieben weitere Kündigungen erklärt habe, die vom Arbeitsgericht “für rechtsunwirksam erklärt” worden seien und wegen derer ein Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Hamm anhängig gewesen sei, begründet das nicht die Annahme, das Arbeitsgericht habe die Frage des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der außerordentlichen Kündigung vom 22. März 2006 ausklammern wollen. Im Gegenteil. Da das Arbeitsgericht der gegen die sieben vorangegangenen Kündigungen gerichteten Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben hatte, ist es naheliegend, dass das Arbeitsgericht bei der Verkündung seines Urteils vom 12. April 2007 davon ausgegangen ist, dass am 22. März 2006 zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Es bestand für das Arbeitsgericht kein Grund, abweichend vom Regelfall des § 4 Satz 1 KSchG nicht auch über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu entscheiden. Hierzu bedürfte es deutlicher Anhaltspunkte im Urteil, die jedoch nicht vorliegen.
dd) Soweit die Beklagte meint, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Rechtskraftwirkung eines einer Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils sei eine “Regressfalle für Anwälte”, weil sie “vernünftigerweise” nicht vorhersehbar sei, übersieht die Beklagte bzw. ihr Prozessbevollmächtigter, dass diese Rechtsprechung auf dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG beruht, über 30 Jahre besteht und immer wieder von verschiedenen Senaten des Bundesarbeitsgerichts bestätigt worden ist (siehe nur BAG 12. Januar 1977 – 5 AZR 593/75 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 3 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 11; 12. Juni 1986 – 2 AZR 426/85 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 17 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 31; 5. Oktober 1995 – 2 AZR 909/04 – BAGE 81, 111, 116; 20. September 2000 – 5 AZR 271/99 – BAGE 95, 324, 326; 25. März 2004 – 2 AZR 399/03 – AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4; Senat 16. Juni 2005 – 6 AZR 451/04 – EzA KSchG § 17 Nr. 15; BAG 27. April 2006 – 2 AZR 360/05 – BAGE 118, 95, 98; 28. November 2007 – 5 AZR 952/06 – Rn. 12, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Sie wird auch im handelsüblichen Schrifttum dargestellt (vgl. ErfK/Kiel 8. Aufl. § 4 KSchG Rn. 54; KR-Friedrich 8. Aufl. § 4 KSchG Rn. 255 jeweils mwN) und ist damit bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt ohne Weiteres zu erschließen.
ee) Da die Rechtsprechung auf den Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG gestützt ist, liegt keine Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG vor. Das Rechtsstaatprinzip aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie der Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) sind entgegen der Auffassung der Beklagten schon deshalb nicht verletzt, weil – wie unter II 4b bb ausgeführt – für die Beklagte ausreichende prozessuale Möglichkeiten bestanden, das vorliegend eingetretene Ergebnis zu verhindern: Sie hätte die Aussetzung des Kündigungsrechtsstreits über die Kündigung vom 22. März 2006 beantragen können (§ 148 ZPO). Gegen das ergangene Urteil hätte sie Berufung einlegen können und ggf. im Berufungsverfahren einen Aussetzungsantrag stellen können. Wenn sie diese Möglichkeiten nicht wahrgenommen hat, muss sie die rechtlichen Folgen tragen.
5. Von einer weiteren Begründung wird nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.
III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.
Unterschriften
Fischermeier, Linck, Brühler, Schäferkord, H. Markwat
Fundstellen