Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung - Kündigungsschutz bei Massenentlassung
Leitsatz (redaktionell)
Die Massenentlassungsanzeige ist bei der beabsichtigten Stillegung eines privaten Luftfahrtunternehmens nicht an die Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit (§ 21 Satz 3 KSchG) zu richten, sondern an das örtlich zuständige Arbeitsamt (§§ 17, 18 KSchG), weil ein derartiges Unternehmen nicht nach § 21 Satz 1 KSchG "zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr" gehört.
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 19.06.1992; Aktenzeichen 8 (2) Sa 671/91) |
ArbG München (Entscheidung vom 06.06.1991; Aktenzeichen 28 Ca 6878/90) |
Tatbestand
Der Kläger war gemäß Arbeitsvertrag vom 24. Januar 1989 als Flugkapitän seit dem 1. April 1989 mit einem Bruttogehalt von zuletzt 14.500 DM bei dem Luftfahrtunternehmen G GmbH beschäftigt. Dieser Gesellschaft hatte der Bundesminister für Verkehr mit Urkunde vom 24. April 1989 die Durchführung von Flugliniendiensten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und nach Paris genehmigt. Am 30. April 1990 wurde der Flugbetrieb eingestellt und wegen Zahlungsunfähigkeit sowie Überschuldung Konkursantrag gestellt. Mit Beschluß des Amtsgerichts München vom 16. Mai 1990 (32 N 538/90) ist das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt worden. Der Betrieb der Gemeinschuldnerin wurde später endgültig eingestellt. Mit Schreiben vom 16. Mai 1990 - dem Kläger am 18. Mai 1990 zugegangen - kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich wegen Betriebsaufgabe zum 30. Juni 1990; auch dem übrigen Cockpitpersonal und dem Bodenpersonal wurde gekündigt.
Eine Betriebsvertretung des fliegenden Personals gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG war bei der Gemeinschuldnerin nicht errichtet worden. Allerdings wurde der für das Bodenpersonal gewählte Betriebsrat in Bezug auf die Entlassungen - auch des fliegenden Personals - beteiligt. Mit diesem Betriebsrat vereinbarte der Beklagte am 10. September 1990 einen Interessenausgleich und Sozialplan, allerdings nur für die Arbeitnehmer des Bodenpersonals. Insgesamt beschäftigte die Gemeinschuldnerin am Boden und in der Luft mehr als 500 Arbeitnehmer.
Am 11. Mai 1990 hatte die Gemeinschuldnerin beim Arbeitsamt München eine Massenentlassungsanzeige erstattet, der die Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt war. Mit Bescheid vom 27. Juni 1990 entschied das Landesarbeitsamt Südbayern, es sehe von der Verlängerung der Sperrfrist ab. Dieser Bescheid ist unter anderem auch vom Kläger vor dem Sozialgericht München angegriffen worden (S 34 A 1662/91).
Der Kläger hat Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erhoben und auch Bezahlung der Differenzvergütung für die Zeit vom 1. Juli 1990 bis 28. Februar 1991 zuzüglich eines anteiligen 13. Gehaltes begehrt. Er hat geltend gemacht, es fehle an der Betriebsbedingtheit der Kündigung, da auch nach der Betriebseinstellung vom 30. April 1990 noch Verhandlungen mit Beteiligungsinteressenten geführt worden seien, unter anderem am 17./18. Mai 1990 mit den Interessenten I und T GmbH. Im übrigen sei die Massenentlassungsanzeige unwirksam erfolgt, da sie nicht an das Landesarbeitsamt, sondern an die Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit hätte gerichtet werden müssen. Der Betrieb der Gemeinschuldnerin als konzessionierte Linienfluggesellschaft gehöre zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und es seien auch mehr als 500 Arbeitnehmer entlassen worden, § 21 KSchG. Demnach sei für die Entscheidung nach § 18 KSchG nicht der Massenentlassungsausschuß des Landesarbeitsamtes zuständig gewesen. Der Kläger meint, es sei verfehlt, juristische Personen des Privatrechts vom Geltungsbereich des § 21 KSchG auszugrenzen. Der Bescheid des Landesarbeitsamtes sei daher nichtig.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, daß die Kündigung des Beklagten
vom 16. Mai 1990 das Arbeitsverhältnis zwi-
schen den Parteien nicht aufgelöst habe,
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn, den Klä-
ger, 53.507 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem
Nettobetrag seit dem 1. November 1990 (Mittel-
datum) zu zahlen.
Der Beklagte hat mit dem Klageabweisungsantrag geltend gemacht, § 21 KSchG sei nicht einschlägig, da der Betrieb der Gemeinschuldnerin nicht zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr gehöre. Letzterer übe weder eine wirtschaftliche Fachaufsicht über die Gemeinschuldnerin aus noch besitze er eine Kompetenz für die Betriebseinstellung. Außerdem hätte vor Beginn der Sperrfrist des § 18 KSchG die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer des Betriebes der Gemeinschuldnerin unter 500 gelegen. Deshalb sei die Massenentlassungsanzeige rechtzeitig und korrekt erstattet worden sowie das Landesarbeitsamt für die Entscheidung zuständig gewesen.
Nachdem der Flugbetrieb am 30. April 1990 eingestellt worden und er, der Beklagte, zunächst als Sequester bestellt worden sei, habe er bis zur ersten Maiwoche 1990 festgestellt, daß keine Möglichkeit der Betriebsübernahme bestanden habe. Deshalb sei Anfang der zweiten Maiwoche der Entschluß gefallen, den Geschäftsbetrieb endgültig einzustellen. Demgemäß sei am 7. Mai 1990 das Mitbestimmungsverfahren für einen Interessenausgleich und Sozialplan eingeleitet und der Betriebsrat zur Stellungnahme für die Kündigung aller Mitarbeiter aufgefordert worden. Am 8. Mai 1990 habe die letzte Absage eines Interessenten vorgelegen, worüber der Betriebsrat sofort informiert worden sei. Deshalb sei auch die Massenentlassungsanzeige am 11. Mai 1990 beim Arbeitsamt München eingereicht worden, nachdem zuvor die Mitteilung nach § 8 AFG mit Schreiben vom 7. Mai 1990 erfolgt sei. Zwar hätten sich nach der Kündigung neue Interessenten gemeldet, alle Verhandlungen seien aber inzwischen endgültig gescheitert.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Kläger an seinen Klageanträgen fest, während der Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen sind zu Recht von der Wirksamkeit der dem Kläger ausgesprochenen Kündigung ausgegangen; insbesondere liegt ein Verstoß gegen §§ 17 f., 21 KSchG nicht vor.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung vom 16. Mai 1990 sei betriebsbedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG) und verstoße auch nicht gegen § 613 a BGB, weil der Betrieb der Gemeinschuldnerin am 30. April 1990 eingestellt, später nicht mehr wieder aufgenommen und auch nicht veräußert worden sei. Die Kündigung scheitere auch nicht an §§ 17, 18 KSchG, weil die Massenentlassungsanzeige unter Beifügung der erforderlichen Unterlagen an den richtigen Adressaten gerichtet worden sei. Die Gemeinschuldnerin gehöre nämlich nicht zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, so daß damit eine Zuständigkeit der Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit nach § 21 KSchG nicht vorliege. Angesichts der Wirksamkeit der Kündigung bestünden auch keine Vergütungsansprüche.
II. Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts tritt der Senat bei. Die Rüge der Verletzung der §§ 1 Abs. 2, 17, 18, 21 KSchG greift nicht durch.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, die Kündigung vom 16. Mai 1990 sei nicht aus formellen Gründen, nämlich wegen fehlerhafter Anzeige einer Massenentlassung nach § 17 f. KSchG unwirksam, was die Revision wohl hauptsächlich rügt. Sie hält nach wie vor an ihrer Auffassung fest, die Massenentlassungsanzeige hätte nicht an das Arbeitsamt, sondern nach § 21 Satz 3 KSchG an die Bundesanstalt für Arbeit gerichtet werden müssen.
a) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ist, daß eine ohne die erforderliche Massenentlassungsanzeige ausgesprochene Kündigung individualrechtlich für unwirksam angesehen wird, wenn der Arbeitnehmer sich auf diesen Mangel beruft (ständige Rechtsprechung des BAG seit Urteil vom 6. November 1958 - 2 AZR 354/55 - BAGE 7, 4 = AP Nr. 1 zu § 15 KSchG; BAG Urteil vom 13. März 1969 - 2 AZR 157/68 - AP Nr. 10, aaO; BAG Urteil vom 6. Dezember 1973 - 2 AZR 10/73 - BAGE 25, 430 = AP Nr. 1 zu § 17 KSchG 1969; aus neuerer Zeit: Senatsurteile vom 31. Juli 1986 - 2 AZR 594/85 - AP Nr. 5 zu § 17 KSchG 1969, zu B II 1 der Gründe und vom 8. Juni 1989 - 2 AZR 624/88 - AP Nr. 6, aaO, zu III 1 der Gründe). Allen diesen Entscheidungen ist gemeinsam, daß eine Massenentlassungsanzeige - aus welchen Gründen auch immer - überhaupt unterblieben ist. Schon darin unterscheidet sich der vorliegende Fall, in dem nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO) eine Massenentlassungsanzeige erfolgt ist, und zwar mit allen nach dem Gesetz (§ 18 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG) zwingend notwendigen Angaben (Berufungsurteil S. 11). Deshalb erscheint es schon fraglich, bedarf aber keiner schließenden Klärung, ob die eventuell falsche Adressierung der Massenentlassungsanzeige auch schon die gleiche Wirkung, nämlich Unwirksamkeit der Kündigung, haben kann. Das kann aber letztlich dahingestellt bleiben. Das mit der Sache befaßte Landesarbeitsamt Südbayern war die nach §§ 17, 20 KSchG zuständige Stelle. Eine Zuständigkeit der Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit nach § 21 KSchG war nicht gegeben.
b) Die Gemeinschuldnerin gehört als Betrieb nicht zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (§ 21 Satz 1 KSchG), so daß ferner dahingestellt bleiben kann, ob auch die weitere Voraussetzung des § 21 Satz 1 KSchG vorliegt, wonach mehr als 500 Arbeitnehmer entlassen werden müssen, was der Beklagte mit der Behauptung bestritten hat, vor Sperrfristbeginn am 31. Mai 1990 habe die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer aufgrund zwischenzeitlich erfolgter umfangreicherer Aufhebungsverträge bereits unter 500 gelegen.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf eine Parallelentscheidung der Dritten Kammer des gleichen Gerichts ausgeführt, Geschäftsbereich sei ein Begriff der Verwaltungsorganisation; er meine die Zuordnung einer Behörde, Stelle oder Körperschaft, welche der Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht eines Ministeriums unterstehe, zu einem bestimmten Ministerium als oberster Dienstaufsichtsbehörde; es gehe um die Ressortierung von Unter- und Mittelbehörden sowie öffentlich-rechtlichen Sondervermögen im Verwaltungsaufbau.
bb) Die Revision hält dem entgegen, das Landesarbeitsgericht habe den Begriffsinhalt eingeengt; Geschäftsbereich bedeute soviel wie Amts-, Dienstbereich und meine - wie nach Art. 65 GG im Staatsrecht - das Tätigkeitsgebiet, das dem jeweiligen Minister in eigener Verantwortung übertragen worden sei. Angesichts der derzeitigen Tendenz, Postbetriebe zu privatisieren, sei durch Auslegung eine Erweiterung des Geschäftsbereichsbegriffs zu befürworten. Demgegenüber weist die Revisionserwiderung zutreffend darauf hin, wenn der Gesetzgeber ein besonderes Massenentlassungsanzeigeverfahren für Betriebe im allgemeinen Zuständigkeitsbereich eines Ministers gewollt hätte, hätte er in § 21 KSchG statt "gehören zum ..." formulieren müssen "im Zuständigkeitsbereich" oder "die in den Geschäftsbereich des ... fallen".
cc) Mit der Formulierung "Betriebe, die zum Geschäftsbereich ... gehören" hat der Gesetzgeber des Kündigungsschutzgesetzes die dem Bundesminister für Verkehr und dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen selbst unterstehenden Betriebe, soweit diese wirtschaftliche Zwecke verfolgen (vgl. § 23 Abs. 2 KSchG), gemeint. "Gehören" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch zusammengehörend, zugehörig und impliziert damit eine dem Eigentum vergleichbare oder jedenfalls nahe kommende Beziehung, die - zunächst im allgemeinen Sprachgebrauch - enger ist als "zuständig für". In diesem Sinne ist es zwar richtig, daß der Bundesminister für Verkehr für die Erteilung der Genehmigung zur Durchführung von Flugliniendiensten gegenüber der Gemeinschuldnerin zuständig war, §§ 20, 21 LuftVG; schon die Zuständigkeit reicht aber nicht so weit, die Gründung oder das Gegenteil, die Liquidation und Auflösung der Gemeinschuldnerin als privatem Luftverkehrsunternehmen zu bewirken, was dem Begriff "gehören" schon wesentlich eher immanent ist. Hierauf hat der Bundesminister für Verkehr tatsächlich keinen Einfluß. Es spricht daher schon vom Wortlaut her alles dafür, den Betrieb der Gemeinschuldnerin als nicht zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr gehörend anzusehen.
dd) Auch systematische Überlegungen deuten in diese Richtung. Soweit ersichtlich gibt es zum Geschäftsbereich anderer Bundesministerien in diesem Sinne gehörende, namhafte Betriebe mit wirtschaftlicher Zweckverfolgung wie im Falle des Bundesministers für Verkehr und des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen nicht, was die enumerative Erwähnung des Verkehrs- und Postministers rechtfertigt. So gehen auch alle einschlägigen Kommentierungen zu § 21 KSchG davon aus, nach Satz 1 dieser Bestimmung seien die Postämter, Postgiroämter, Fernmeldeeinrichtungen, Bahnausbesserungswerke, Bahnbetriebswerke usw. gemeint (vgl. Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 21 Rz 1, 2, 3; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 21 Rz 2; KR-Rost, 3. Aufl., § 21 KSchG Rz 2; Rohlfing/Rewolle/Bader, KSchG, Stand April 1979, § 21 Anm. 2), und zwar weil sachgemäße Entscheidungen nur unter Berücksichtigung der Gesamtlage dieser großen Unternehmen Bahn und Post von einer zentralen Stelle getroffen werden könnten. Hueck/von Hoyningen-Huene (aaO) zählen ausdrücklich nur die Betriebe von Bahn und Post, nämlich eines öffentlich-rechtlichen Unternehmens, zu den in § 21 Satz 1 KSchG angesprochenen Betrieben. Rohlfing/Rewolle/Bader (aaO, § 21 Anm. 2) fügen noch hinzu, hiermit seien nicht Betriebe öffentlicher Verwaltung gemeint, die in Form privatrechtlicher Unternehmungen, z. B. als GmbH oder als AG, geführt würden. Die Revisionserwiderung weist mit einigem Recht darauf hin, hätte der Gesetzgeber ein besonderes Verfahren für bundesweit operierende Privatbetriebe im Kompetenzbereich des Bundes und nicht nur für Bundesbahn und Bundespost gewollt, hätte er auch andere Bundesminister mit Zuständigkeitsbereichen in der besonders wichtigen Daseinsvorsorge durch § 21 KSchG für Privatbetriebe verpflichtet, so z. B. das Binnenschiffahrtswesen, die Elektrizitätsversorgung, Pharmazeutische Industrie usw. In diesem Sinne war die eigenständig und privatwirtschaftlich organisierte Gemeinschuldnerin ein Betrieb wie jeder andere auch, d. h. es bestand nur eine allgemeine Zuständigkeit des Bundesministers für Verkehr, nicht dagegen gehörte sie zum Geschäftsbereich dieses Ministers.
ee) Dieses Ergebnis wird bestätigt durch eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung: Sinn der Einschaltung der Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit ist es, überregionale Gesichtspunkte unter Einbeziehung der beratenden Stimme des jeweilig zuständigen Bundesministers (§ 21 Satz 2 KSchG) sowie unter Betrachtung der Gesamtlage des über viele Bundesländer sich erstreckenden Wirkungsbereichs von Betrieben aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen zu berücksichtigen, wobei eventuell vorhandene Strukturprobleme in dem einen Bundesland in einem anderen aufgefangen werden könnten. Dafür wäre aber eine Zuständigkeit des Landesarbeitsamtes in dem betroffenen Land weniger hilfreich als eine solche bei der übergeordneten Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit. Die Einsetzung eines überregionalen Ausschusses findet gerade dann ihre volle Rechtfertigung, wenn mehrere Dienststellen oder auch Betriebseinheiten (so z. B. KR-Rost, aaO, § 21 Rz 5) des zum jeweiligen Minister gehörenden Geschäftsbereichs betroffen werden.
ff) Schließlich bestätigt auch eine historische Auslegung das gefundene Ergebnis: Die dem Kündigungsschutzgesetz von 1951 vor ausgehenden Hattenheimer Entschließungen der Sozialpartner (vgl. RdA 1950, 63) sahen in § 15 eine Formulierung vor, wonach "für Betriebe, die der Verwaltung für Verkehr oder der Verwaltung für das Post- und Fernmeldewesen unterstehen, der bei der Verwaltung für Arbeit gebildete Ausschuß "die Massenentlassungsentscheidung" treffen sollte. Diese Formulierung läßt deutlich erkennen, daß es um die (eigenen) Betriebe des jeweiligen Ressorts ging. Der Regierungsentwurf (RdA 1951, 58) formulierte demgegenüber dann (in § 19) mit den offiziellen Ressort-Bezeichnungen: "Für Betriebe, die zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr oder des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen gehören, trifft der Ausschuß ... die Entscheidungen". Überdies enthielt der Entwurf den Zusatz "wenn die Entlassungen auf zentrale Weisungen erfolgen", was wiederum den Rückschluß auf eine übergeordnete Unternehmensweisung zuläßt, die dem Bundesminister für Verkehr im Falle einer privatwirtschaftlich organisierten selbständigen juristischen Person - wie der Gemeinschuldnerin - jedenfalls nicht zustünde. Dies hat A. Hueck (RdA 1951, 218 f.) in seiner damaligen Kommentierung des neuen Kündigungsschutzgesetz zu der Schlußfolgerung veranlaßt, das neue Gesetz regele den Massenentlassungsschutz in starker Anlehnung an den Hattenheimer Entwurf und das kurz vor dem Kündigungsschutzgesetz in kraft getretene Gesetz des Wirtschaftsrates; in letzterem war in § 17 Abs. 2 vorgesehen, der Massenentlassungsschutz gelte für alle Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe mit wirtschaftlichen Zwecken, die von einer öffentlichen Verwaltung nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführt würden (vgl. dazu auch A. Hueck in RdA 1949, 331). Diese Historie belegt daher ebenfalls, daß die erweiternde Auslegung des (jetzigen) § 21 KSchG, wie sie die Revision anstrebt, nicht intendiert war. Gehört daher die Gemeinschuldnerin nicht zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, so hat der Beklagte die Massenentlassungsanzeige nicht falsch adressiert.
2. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend entschieden, daß die ordentliche Kündigung des Klägers durch dringende betriebliche Erfordernisse, die seiner Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegenstanden, bedingt ist, § 1 Abs. 2 KSchG.
a) Das Landesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt, die Stillegung des gesamten Betriebes gehöre zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Vorliegend sei der Betrieb der Gemeinschuldnerin am 30. April 1990 tatsächlich stillgelegt und später auch nicht mehr aufgenommen worden. Bei Zugang der Kündigung am 18. Mai 1990 habe die Stillegung des Betriebes greifbare Formen angenommen, wobei dahingestellt bleiben könne, ob seinerzeit noch Verhandlungen über eine Fortführung des Betriebes stattgefunden hätten. Denn unstreitig sei es nicht zu einer Betriebsübernahme gekommen, und solche Verhandlungen entkräfteten auch nicht, daß die Betriebsstillegung mit der Flugeinstellung bereits greifbare Formen angenommen habe. Da es seinerzeit nicht einmal erfolgreiche Verhandlungen gegeben habe, sei die Kündigung auch nicht wegen des Übergangs eines Betriebes ausgesprochen worden.
b) Auf der Grundlage der in diesen Ausführungen enthaltenen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen und deshalb für den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindend sind, ist die rechtliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts; vgl. BAGE 42, 151, 157 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 1 der Gründe; BAGE 45, 146, 151 = AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I der Gründe, jeweils m.w.N.).
c) Derartige Rechtsfehler sind weder von der Revision aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich. Für die Beurteilung der Kündigung maßgeblich ist der Zeitpunkt ihres Zugangs. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 18. Mai 1990 hatte die Gemeinschuldnerin ihren Betrieb noch nicht vollständig geschlossen. Das Bundesarbeitsgericht hat für die ordentliche betriebsbedingte Kündigung angenommen, diese könne nicht erst ausgesprochen werden, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit tatsächlich bereits weggefallen sei; werde die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so könne sie vielmehr ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen hätten und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertige, daß bis zum Auslaufen der einzuhaltenden Kündigungsfrist eine geplante Maßnahme durchgeführt sei und der Arbeitnehmer somit entbehrt werden könne (ständige Rechtsprechung seit BAGE 6, 1 f. = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung). Dies hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 19. Juni 1991 (- 2 AZR 127/91 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70) unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung bestätigt. Er hat zugleich klargestellt, "greifbare Formen" in diesem Sinne lägen nicht nur und erst dann vor, wenn bereits mit der Durchführung der beschlossenen betrieblichen Maßnahme begonnen sei; ausreichend könne vielmehr auch eine im Zeitpunkt der Kündigung feststehende Planung sein, deren Durchführung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führen werde.
d) Das Landesarbeitsgericht hat tatsächlich festgestellt, der Flugbetrieb der Gemeinschuldnerin sei am 30. April 1990 eingestellt und später auch nicht mehr wieder aufgenommen worden. Bereits mit der Einstellung des Flugbetriebes am 30. April 1990 lagen daher greifbare Formen der später beschlossenen Betriebsstillegung vor. Dazu hat der Beklagte unwidersprochen vorgetragen, nachdem er in der ersten Maiwoche 1990 als eingesetzter Sequester zusammen mit dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin festgestellt habe, daß keine Möglichkeit der Betriebsübernahme bestanden habe, sei Anfang der zweiten Maiwoche beschlossen worden, den Geschäftsbetrieb endgültig stillzulegen. Am 7. Mai 1990 sei das Mitbestimmungsverfahren für einen Interessenausgleich und den Sozialplan eingeleitet und die Aufforderung gegenüber dem Betriebsrat ergangen, zur Kündigung aller Mitarbeiter Stellung zu nehmen. Am 8. Mai 1990 habe die letzte Absage eines Interessenten vorgelegen, worüber der Betriebsrat sofort informiert worden sei. Diese Angaben hat der Kläger nicht bestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO). Am 16. Mai 1990 ist dann unstreitig das Konkursverfahren eröffnet worden. Die am gleichen Tage ausgesprochene Kündigung war daher durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt; eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestand nach Ablauf der Kündigungsfrist am 30. Juni 1990 nicht mehr.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, daran ändere sich dadurch nichts, daß nach der Behauptung des Klägers am 17./18. Mai 1990 noch mit dritten Interessenten - gemeint sind wohl die I und die T GmbH - verhandelt worden sei. Der Kläger trägt nämlich nicht vor, es habe sich überhaupt um erfolgversprechende Übernahmeverhandlungen gehandelt. Unstreitig ist es auch nicht zu einem positiven Abschluß dieser Verhandlungen, geschweige denn zu einer Betriebsübernahme gekommen. Unter diesen Voraussetzungen kann daher nicht davon ausgegangen werden, es habe keine ernsthafte Stillegungsabsicht gegeben oder die Kündigung sei etwa wegen eines geplanten Betriebsübergangs ausgesprochen worden (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. Mai 1988 - 2 AZR 596/88 - BAGE 59, 12, 23 = AP Nr. 75 zu § 613 a BGB, zu B V 2 b der Gründe; vgl. ferner Hillebrecht in NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 16 f.). Da es schon nicht zu einer Betriebsübernahme oder Betriebsfortführung gekommen ist, liegt eine andere Fallgestaltung als in jenem Senatsurteil vor, so daß auch die Aufklärungsrüge des Klägers unerheblich ist: Selbst wenn die Gemeinschuldnerin am 17./18. Mai 1990 noch mit Interessenten - unstreitig erfolglos - verhandelt hat, ändert das angesichts der vorliegenden tatsächlich festgestellten Umstände nichts an der Wirksamkeit der zum 30. Juni 1990 betriebsbedingt ausgesprochenen Kündigung.
Hillebrecht Bitter Kremhelmer
Peter Jansen Beckerle
Fundstellen
Haufe-Index 437932 |
BAGE 72, 310-320 (LT1) |
BAGE, 310 |
DB 1993, 1679-1680 (LT1) |
DStR 1993, 1343-1343 (K) |
NJW 1993, 2889-2891 (LT1) |
EBE/BAG 1993, 99-102 (LT1) |
BetrVG, (43) (LT1) |
EWiR 1993, 805 (L1) |
NZA 1993, 840 |
NZA 1993, 840-843 (LT1) |
ZIP 1993, 1020 |
ZIP 1993, 1020-1024 (LT1) |
AP § 1 KSchG 1969, Nr 60 |
AP, 0 |
AR-Blattei, ES 1020.2 Nr 6 (LT1) |
AuA 1994, 252-253 (LT1) |
EzA § 21 KSchG, Nr 1 (LT1) |