Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderzahlung ohne tatsächliche Arbeitsleistung
Leitsatz (redaktionell)
Eine tarifliche Regelung über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung, deren Zweck es - auch - ist, im Bezugszeitraum für den Betrieb geleistete Arbeit zusätzlich zu vergüten, kann im einzelnen bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen. Über diese Bestimmungen hinaus kann einer solchen Regelung nicht der Rechtssatz entnommen werden, daß Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum ist.
Der Senat gibt damit die gegenteilige Rechtsprechung des Fünften und Sechsten Senats auf (vgl ua Urteile vom 18. Januar 1978 - 5 AZR 56/77 = AP Nr 92 zu § 611 BGB Gratifikation; - 5 AZR 685/77 = AP Nr 93 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 7. September 1989 - 6 AZR 637/88 = AP Nr 129 zu § 611 BGB Gratifikation).
Orientierungssatz
Auslegung des § 2 Nr 1,2 und 3a des Tarifvertrages über eine Jahressonderzahlung/13. Monatseinkommen für gewerbliche Arbeitnehmer und Auszubildende der Schuhindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Januar 1988.
Normenkette
TVG § 1; BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 21.08.1989; Aktenzeichen 7 Sa 374/89) |
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 03.03.1989; Aktenzeichen 5 Ca 843/88) |
Tatbestand
Der Kläger war seit mehreren Jahren bei der Beklagten als Schuhfabrikarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind die Tarifverträge für die Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz, so auch der Tarifvertrag über eine Jahressonderzahlung/13. Monatseinkommen für gewerbliche Arbeitnehmer und Auszubildende der Schuhindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Januar 1988 (TV) anzuwenden.
Der Tarifvertrag über eine Jahressonderzahlung lautet - soweit hier von Interesse - wie folgt:
"§ 2
1. Gewerbliche Arbeitnehmer und Auszubildende,
die jeweils am Auszahlungstag in einem unge-
kündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis
bzw. in einem ungekündigten Ausbildungsver-
hältnis stehen und am 15. November dem Betrieb
ununterbrochen mindestens ein Jahr angehören,
haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 50 %
eines Monatseinkommens.
Bei einer Betriebszugehörigkeit am 15. Novem-
ber von weniger als 1 Jahr, mindestens aber
6 Monaten, wird ein Zwölftel der tariflichen
Leistung für jeden vollen Kalendermonat der
Betriebszugehörigkeit gewährt.
2. Das Monatseinkommen errechnet sich aus dem
Durchschnittsstundenlohn der Monate Juli bis
Oktober x 173.
3. Der Berechnung der Leistungen sind zugrunde zu
legen:
a) für Arbeitnehmer der durchschnittliche Stun-
denverdienst.
Er errechnet sich aus dem Gesamtverdienst des
Arbeitnehmers in dem betreffenden Zeitraum
einschließlich Zuschläge für Mehrarbeit, Sonn-
tags- und Feiertagsarbeit, Nachtarbeit sowie
Schichtarbeit, jedoch ohne Auslösung, Kranken-
lohn, die Urlaubsvergütung und das zusätzliche
Urlaubsgeld, die vermögenswirksamen Leistungen
des Arbeitgebers und ähnliche Zahlungen sowie
einmalige Zuwendungen geteilt durch die Zahl
der bezahlten Stunden, ohne Kranken- und Ur-
laubsstunden.
b) für Auszubildende ...
...
4. Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf eine
anteilige Leistung, die sich nach dem Verhält-
nis ihrer vertraglichen Arbeitszeit zu der ta-
riflichen Arbeitszeit bemißt.
5. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Ar-
beitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes
oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Lei-
stung; ruht das Arbeitsverhältnis im Kalender-
jahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige
Leistung gemäß Ziffer 1 Absatz 2.
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen
Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Errei-
chens der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung
zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Al-
tersruhegeldes aus dem Betrieb ausscheiden,
sowie unterhaltsberechtigte Hinterbliebene von
verstorbenen Arbeitnehmern erhalten entspre-
chende Zwölftel der tariflichen Leistung. Da-
bei gilt in diesem Fall ein angebrochener Mo-
nat als voller Monat.
§ 3
Auszahlungszeitpunkt
1. Der Auszahlungszeitpunkt wird durch Betriebs-
vereinbarung zwischen dem 15. November und
15. Dezember festgelegt.
2. Falls dieser Zeitpunkt durch Betriebsvereinba-
rung nicht geregelt ist, gilt als Auszahlungs-
tag im Sinne des § 2 Ziffer 1 spätestens der
3. Arbeitstag im Dezember.
§ 6
Berechnung von Durchschnittsentgelten
Die Jahressonderzahlung/13. Monatseinkommen
bleibt bei der Berechnung von Durchschnittsent-
gelten und in sonstigen Fällen, in denen Ansprü-
che irgendwelcher Art von der Höhe des Arbeits-
entgeltes abhängig sind, außer Ansatz. Sie gilt
als einmalige Leistung im Sinne der sozialversi-
cherungsrechtlichen Vorschriften."
Der Kläger war seit dem 4. Oktober 1987 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und erhält gemäß Bescheid der Landesversicherungsanstalt vom 19. Januar 1989 seit dem 1. November 1988 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe für das Jahr 1988 die tarifliche Sonderzahlung in voller Höhe, zumindest aber i. H. v. 10/12 zu. Dem stehe nicht entgegen, daß er während des ganzen Jahres arbeitsunfähig krank gewesen sei und daher nicht gearbeitet habe. Mit der im Dezember 1988 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.030,22 DM
brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem daraus sich
ergebenden Nettobetrag seit dem 6. Januar 1989 zu
zahlen.
Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten. Sie ist der Ansicht, dem Kläger stehe angesichts seiner lang andauernden Erkrankung keine Sonderzahlung zu. Voraussetzung dafür sei auch eine Arbeitsleistung im Bezugsjahr.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht auch für das Jahr 1988 die tarifliche Sonderzahlung zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, es stehe den Tarifvertragsparteien frei, wie sie eine Sonderzahlung ausgestalten, insbesondere welchen Zweck sie ihr beimessen wollen. Im Zweifel solle mit einer derartigen Sonderzahlung vorwiegend oder doch auch im Bezugszeitraum geleistete Arbeit anerkannt und zusätzlich vergütet werden. Das habe zur Folge, daß ein Anspruch auf die Sonderzahlung entfalle, wenn der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum gar nicht oder jedenfalls nicht im nennenswerten Umfange gearbeitet habe. Anders sei nur dann zu entscheiden, wenn die tarifliche Regelung ergebe, daß Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit ohne Einfluß auf den Anspruch auf die Sonderzahlung sein sollen. Der Umstand, daß der Kläger erwerbsunfähig sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Auch erwerbsunfähige Arbeitnehmer hätten keinen Anspruch auf die Sonderzahlung, wenn sie im Bezugszeitraum keine Arbeitsleistung erbracht hätten.
Das Landesarbeitsgericht ist mit dieser Begründung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt (vgl. BAG Urteile vom 29. August 1979 - 5 AZR 763/78 - AP Nr. 102 zu § 611 BGB Gratifikation und - 5 AZR 511/79 - AP Nr. 104 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 7. September 1989 - 6 AZR 637/88 - AP Nr. 129 zu § 611 BGB Gratifikation). Danach ist, wenn sich aus dem Tarifvertrag nichts anderes ergibt, auf jeden Fall Voraussetzung für einen Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung, daß der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum auch eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung erbracht hat, wenn mit der tariflichen Sonderzahlung auch im Bezugszeitraum geleistete Arbeit zusätzlich vergütet werden soll. Der Senat vermag dieser Ansicht nicht zu folgen. Er gibt sie hiermit auf.
II.1. Der Fünfte und Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts haben ihre Entscheidungen mit der Überlegung begründet, im Vordergrund des Arbeitsverhältnisses stünden beiderseitige Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien, nämlich das Erbringen der versprochenen Arbeitsleistung und die Zahlung der vereinbarten Vergütung. Auch in den Fällen, in denen zwischen der Arbeitsleistung und dem Arbeitsentgelt kein so enges Gegenseitigkeitsverhältnis bestehe wie zwischen der in einem bestimmten Zeitabschnitt geleisteten Arbeit und dem dafür zu zahlenden Normallohn, könne nicht davon ausgegangen werden, daß das Arbeitsentgelt von jeder Beziehung zur Arbeitsleistung gelöst sei. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers werde normalerweise nicht um ihrer selbst willen honoriert, sondern im Hinblick auf die im Betrieb tatsächlich geleistete Arbeit (vgl. schon BAG Urteile vom 18. Januar 1978 - 5 AZR 56/77 - AP Nr. 92 zu § 611 BGB Gratifikation und - 5 AZR 685/77 - AP Nr. 93 zu § 611 BGB Gratifikation).
2. Auch der Senat geht davon aus, daß mit einer jährlichen Sonderzahlung, einer Gratifikation, unabhängig von ihrer Bezeichnung im Einzelfall die im vergangenen Jahr für den Betrieb geleistete Arbeit zusätzlich anerkannt und vergütet werden soll. Dieser Zweck der Gratifikation kommt regelmäßig in Bestimmungen zum Ausdruck, nach denen der Anspruch auf die Gratifikation überhaupt erst nach einer bestimmten Dauer des Arbeitsverhältnisses entsteht, daß die Gratifikation im Eintritts- oder Austrittsjahr nur anteilig gezahlt wird und daß Teilzeitkräfte eine ihrer geringeren Arbeitszeit entsprechende geringere Gratifikation erhalten.
Daraus folgt aber gleichzeitig, daß die für den Betrieb erbrachte und mit der Gratifikation zusätzlich zu vergütende Arbeitsleistung für den Regelfall nach der Dauer - oder bei Teilzeitkräften nach dem Umfang - des Bestandes des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum bestimmt wird. Die Arbeitsleistung für den Betrieb wird im bestehenden Arbeitsverhältnis erbracht. Die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses ist daher auch ein - erster - Maßstab für die mit der Gratifikation zusätzlich zu vergütende Arbeitsleistung für den Betrieb.
Die Dauer des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum entspricht regelmäßig nicht genau dem Umfang der während dieser Zeit für den Betrieb tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung. Diese tatsächliche Arbeitsleistung kann wegen einer Vielzahl von Umständen während dieser Zeit ausgefallen sein. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, des Urlaubs, persönliche Arbeitsverhinderungen aus sonstigen Gründen, vereinbarte Freistellungen von der Arbeit, Mutterschutzfristen, Erziehungsurlaub, Einberufung zum Wehrdienst, ehrenamtliche Tätigkeiten und ähnliche Umstände können die während der Zeit des Bestehens des Arbeitsverhältnisses tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung erheblich mindern. Dabei ist es gleichgültig, ob für diese Zeiten der Nichtarbeit das Arbeitsentgelt fortzuzahlen ist oder nicht. Eine tatsächliche Arbeitsleistung für den Betrieb, die durch die Gratifikation anerkannt und zusätzlich vergütet werden könnte oder sollte, liegt für diese Zeiten nicht vor.
Sowohl den Tarifvertragsparteien als den Arbeitsvertragsparteien - ggf. auch den Betriebspartnern - ist bekannt, daß der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses während eines bestimmten Zeitraumes nicht lückenlos mit Zeiten tatsächlicher Arbeit für den Betrieb ausgefüllt ist und daß Zeiten fehlender Arbeitsleistung in diesem Zeitraum für die einzelnen Arbeitnehmer in unterschiedlicher Höhe anfallen. Es bleibt den jeweiligen Partnern, die die Regelung über die Sonderleistung vereinbaren - und dem Arbeitgeber -, überlassen zu bestimmen, inwieweit Zeiten, in denen - gleich aus welchen Gründen - eine tatsächliche Arbeitsleistung für den Betrieb nicht erbracht worden ist, den Anspruch auf die Sonderleistung ausschließen oder mindern sollen. Dabei bedarf es im vorliegenden Falle keiner Entscheidung, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung ggf. aus rechtlichen Gründen nicht als anspruchsmindernd bewertet werden dürfen.
Wird eine solche Regelung nicht oder nur für bestimmte Fälle fehlender tatsächlicher Arbeitsleistung getroffen, so wird daraus deutlich, daß Zeiten fehlender Arbeitsleistung überhaupt oder Zeiten fehlender Arbeitsleistung aus anderen Gründen für den Anspruch auf die Sonderleistung ohne Bedeutung sein sollen.
In eine solche Regelung den Rechtssatz hineinzulesen, daß auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung Voraussetzung für den Anspruch auf die Gratifikation sein soll, mißt dem Zweck der Gratifikation eine Bedeutung zu, die in der getroffenen Regelung gerade keinen Niederschlag gefunden hat. Es ist auch nicht einzusehen, warum eine Arbeitsleistung, die gerade noch als erheblich anzusehen ist, den Anspruch auf die nach den ausdrücklich normierten Anspruchsvoraussetzungen gegebene Sonderleistung dann in deren voller Höhe begründen soll, während eine geringfügig geringere Arbeitsleistung den Anspruch ganz entfallen läßt. Dabei ist es letztlich gleichgültig, mit welchem Umfang man die geringfügige oder nicht nennenswerte Arbeitsleistung bestimmt. Allenfalls ließe sich eine Quotelung der Gratifikation entsprechend der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung rechtfertigen (vgl. Winterfeld, SAE 1992, 37).
3. Auch der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat wiederholt Bedenken gegen einen solchen ungeschriebenen Rechtssatz, wie er in den genannten Entscheidungen zum Ausdruck kommt, geltend gemacht und darauf verwiesen, daß damit eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung normiert wird (BAG Urteil vom 7. September 1989 - 6 AZR 637/88 - AP, aaO; BAGE 66, 22 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Keramikindustrie; Urteil vom 10. Januar 1991 - 6 AZR 448/89 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Betonsteingewerbe, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Er hat in einer vergleichbaren Frage wie der Senat argumentiert und in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1990 (- 6 AZR 341/89 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Glasindustrie) den Rechtssatz aufgestellt, daß bei einer tariflichen Sonderzahlung, die sowohl die Entlohnung für im Bezugszeitraum geleistete Arbeit als auch die Belohnung für erwiesene Betriebstreue bezweckt, es einer ausdrücklichen Quotenregelung bedürfe, wenn die Gratifikation für Zeiten gekürzt werden solle, in denen das Arbeitsverhältnis ruhe. Enthalte der Tarifvertrag für diese Tatbestände keine Regelung, könne eine am Maß der jährlichen Arbeitsleistung orientierte Kürzung der Gratifikation nicht mit einem allgemeinen Rechtsprinzip begründet werden.
Gibt es aber kein allgemeines Rechtsprinzip, das eine Quotelung der Gratifikation nach dem Maß der jährlichen Arbeitsleistung rechtfertigt, wenn diese Arbeitsleistung im Bezugszeitraum in Zeiten des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses nicht erbracht worden ist, so läßt sich auch kein allgemeines Rechtsprinzip begründen, nach dem der Anspruch auf die Sonderleistung entfällt, wenn während des Bezugszeitraumes überhaupt keine oder keine nennenswerte Arbeitsleistung erbracht worden ist. Wenn der Zweck einer Gratifikation - Entlohnung für im Bezugszeitraum geleistete Arbeit - für sich allein eine Quotelung der Gratifikation nicht rechtfertigt, kann er auch deren gänzlichen Wegfall nicht rechtfertigen. Die Unterscheidung des Sechsten Senates, es handele sich einmal um die Frage, ob überhaupt eine Arbeitsleistung erbracht worden ist und ob daher überhaupt ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung entstanden ist, und zum anderen um die Frage der an der erbrachten Arbeitsleistung orientierten Höhe der Sonderleistung, ist nicht gerechtfertigt. Auch die Frage, ob ein Anspruch auf eine Gratifikation mit Rücksicht auf das Maß der erbrachten Arbeitsleistung 0,-- DM oder X,-- DM beträgt, ist eine Frage nach der Höhe des Anspruchs.
Aus diesen Erwägungen gibt der Senat die bisherige Rechtsprechung auf, nach der bei einer Gratifikation mit Mischcharakter Voraussetzung für den Anspruch auf die Gratifikation auf jeden Fall eine nicht unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum ist, auch wenn eine solche tatsächliche Arbeitsleistung in der Regelung über die Sonderzahlung nicht zur Voraussetzung gemacht worden ist, diese vielmehr nur bestimmte Zeiten, in denen es - gleich aus welchen Gründen - an einer tatsächlichen Arbeitsleistung fehlt, als anspruchsausschließend oder anspruchsmindernd erklärt.
Eine Anfrage beim Fünften und Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts, ob er dieser Aufgabe zustimmt, bedarf es nicht, da der Senat nach Nr. A 10.2 des Geschäftsverteilungsplanes des Bundesarbeitsgerichts für 1992 für Rechtsstreitigkeiten um Gratifikationen und Sondervergütungen aller Art allein zuständig ist.
III. Danach ist der Anspruch des Klägers auf die tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1988 begründet. Das Arbeitsverhältnis hat während des gesamten Bezugszeitraumes bestanden. Der Kläger gehörte am Auszahlungstag dem Betrieb mehr als ein Jahr an. Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, daß dem Kläger in der Zeit von Juli bis Oktober 1988 kein Arbeitsentgelt abgerechnet worden ist, das der Berechnung der tariflichen Sonderzahlung zugrundegelegt werden könnte. Nach § 2 Nr. 2 TV errechnet sich diese Sonderleistung aus dem Durchschnittsstundenlohn der Monate Juli bis Oktober x 173. Soweit in § 2 Nr. 3 a TV Bestimmungen für die Berechnung des durchschnittlichen Stundenverdienstes enthalten sind, wird damit nur geregelt, welche Leistungen dieser Berechnung zugrundezulegen sind und welche nicht. Sind solche berücksichtigungsfähigen Leistungen wie Zuschläge für Mehrarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit in den Monaten Juli bis Oktober nicht angefallen, entspricht der durchschnittliche Stundenverdienst dem maßgebenden Stundenverdienst des Arbeitnehmers, der dann mit 173 zu multiplizieren ist.
Den Regelungen in § 2 Nr. 2 und 3 a TV kann auch nicht entnommen werden, Voraussetzung für einen Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung sei zusätzlich, daß in den Monaten Juli bis Oktober überhaupt Arbeitsentgelt abgerechnet worden ist, das der Berechnung eines durchschnittlichen Stundenlohnes zugrundegelegt werden könnte. Wäre die Regelung so zu verstehen, dann hätte ein Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 Abs. 1 TV erfüllt und in den Monaten Januar bis Juni voll gearbeitet hat, keinen Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung, wenn - gleich aus welchen Gründen - in den Monaten Juli bis Oktober mangels tatsächlicher Arbeitsleistung kein nach Nr. 3 a berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt abgerechnet worden ist.
Gegen die Höhe der vom Kläger so berechneten Klageforderung bestehen keine Bedenken.
Damit waren die Entscheidungen der Vorinstanzen abzuändern und der Klage stattzugeben. Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 91 ZPO die Beklagte zu tragen.
Matthes Dr. Freitag Hauck
Bacher Harnack
Fundstellen
Haufe-Index 436676 |
BAGE 71, 78-86 (LT1) |
BAGE, 78 |
BB 1992, 1647 |
BB 1992, 2218 |
BB 1992, 2218-2219 (LT1) |
DB 1992, 2348-2349 (LT1) |
BuW 1992, 804 (K) |
EBE/BAG 1992, 194-196 (LT1) |
AiB 1993, 124-125 (LT1) |
BetrR 1992, 106 (T) |
EEK, I/1106 (ST1-2) |
JR 1993, 220 |
JR 1993, 220 (S) |
NZA 1993, 130 |
NZA 1993, 130-132 (LT1) |
RdA 1992, 406 |
SAE 1993, 246-249 (LT1) |
WiR 1992, 380-381 (S) |
ZAP, EN-Nr 932/92 (S) |
AP § 611 BGB Gratifikation (LT1), Nr 143 |
AR-Blattei, ES 820 Nr 102 (LT1-2) |
EzA § 611 BGB, Gratifikation, Prämie Nr 90 (LT1) |
MDR 1993, 246-247 (LT1) |