Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Angebot eines Wiedereingliederungsverhältnisses
Orientierungssatz
Zur Begründung des Annahmeverzugs muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung so anbieten, wie sie zu bewirken ist. Dem genügt das Angebot einer Tätigkeit in einem Wiedereingliederungsverhältnis nicht. Dieses ist nicht Teil des Arbeitsverhältnisses, sondern stellt neben diesem ein Vertragsverhältnis eigener Art (sui generis) dar. Anders als das Arbeitsverhältnis ist das Wiedereingliederungsverhältnis nicht durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet, sondern durch den Rehabilitationszweck.
Normenkette
BGB §§ 293-295, 615 S. 1; SGB V § 74; SGB IX § 81 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 04.07.2016; Aktenzeichen 11 Sa 1330/14) |
ArbG Dortmund (Urteil vom 27.03.2014; Aktenzeichen 6 Ca 3695/11) |
Tenor
1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juli 2016 – 11 Sa 1330/14 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 27. März 2014 – 6 Ca 3695/11 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs, hilfsweise Schadensersatz.
Der Kläger ist bei dem beklagten Land als Lehrer beschäftigt. Seit März 2007 war er arbeitsunfähig erkrankt und befand sich von Februar 2008 bis Mitte Mai 2009 in Behandlung einer Fachärztin. Diese empfahl am 18. Mai 2009 eine Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben vom 26. Juni 2009 bis zum 3. Juli 2009 im Umfang von drei Stunden täglich. Im Wiedereingliederungsplan gab sie als Zeitpunkt der absehbaren Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit das Ende der Sommerferien an. Das beklagte Land führte eine Wiedereingliederung nicht durch.
Mit Schreiben vom 25. August 2009 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass die Arbeitsunfähigkeit am 31. August 2009 enden solle, eine „Lösung zur Beschäftigung” erforderlich sei und auch weiterhin eine Wiedereingliederung erfolgen solle. Ferner schlug er vor, den Kläger bis zur Entscheidung über die Wiedereingliederung ab dem 1. September 2009 freizustellen. Das beklagte Land verweigerte mit Schreiben vom 3. September 2009 einen schulischen Einsatz, solange die Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht durch einen Amts- bzw. Vertrauensarzt überprüft sei.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 2009 übermittelte der Bevollmächtigte des Klägers eine hausärztliche Bescheinigung, die bei Gewährung normaler schulischer Rahmenbedingungen sofortige volle Arbeitsfähigkeit attestierte, und führte ua. aus:
„…
… besteht nunmehr die Verpflichtung unseren Mandanten zu beschäftigen und zu vergüten.
…
Insgesamt ist das Verhalten Ihrer Behörde, indem der Wiedereingliederungsversuch, welcher seit dem 18.06.2009 versucht wird, aber bisher ohne Reaktion geblieben ist, nicht nachvollziehbar und mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht vereinbar.
…”
Der Kläger fordert für die Zeit von November 2009 bis September 2011 Vergütung wegen Annahmeverzugs, hilfsweise Schadensersatz unter Abzug erhaltener Sozialleistungen. Er meint, ab 1. September 2009 wieder arbeitsfähig gewesen zu sein. Selbst wenn Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe, bestünde ein Schadensersatzanspruch in Höhe der entgangenen Vergütung. Das beklagte Land habe durch Verweigerung der Wiedereingliederung treuwidrig die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit vereitelt.
Der Kläger hat – soweit für die Revision von Bedeutung – sinngemäß beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 81.503,49 Euro brutto sowie weitere 5.119,11 Euro netto abzüglich vom Jobcenter gezahlter 1.820,00 Euro brutto nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt. Der Kläger habe seine Leistungsfähigkeit nicht nachgewiesen. Eine Pflicht zur Wiedereingliederung bestehe nicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers – soweit in der Revision von Bedeutung – das beklagte Land zur Zahlung von Annahmeverzugsvergütung verurteilt. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat das beklagte Land zu Unrecht zur Zahlung verurteilt. Der Kläger hat weder Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung noch auf Schadensersatz. Das kann der Senat selbst abschließend entscheiden. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO).
I. Der Kläger hat keine Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB. Er hat seine Arbeitsleistung nicht ausreichend angeboten.
1. Nach § 293 BGB kommt der Arbeitgeber in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Leistung tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Ein wörtliches Angebot (§ 295 BGB) genügt (nur), wenn der Arbeitgeber ihm erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen. Lediglich für den Fall einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung geht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, ein Angebot der Arbeitsleistung sei regelmäßig nach § 296 BGB entbehrlich (BAG 15. Mai 2013 – 5 AZR 130/12 – Rn. 22 mwN).
2. Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsleistung so anbieten, wie sie zu bewirken ist (BAG 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09 – Rn. 14, BAGE 134, 296). Dem genügt das Angebot einer Tätigkeit in einem Wiedereingliederungsverhältnis iSv. § 74 SGB V nicht. Dieses ist nicht Teil des Arbeitsverhältnisses, sondern stellt neben diesem ein Vertragsverhältnis eigener Art (sui generis) dar. Anders als das Arbeitsverhältnis ist das Wiedereingliederungsverhältnis nicht durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet, sondern durch den Rehabilitationszweck. Die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und nicht auf die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gerichtet. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind, weil die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers andauert, während des Wiedereingliederungsverhältnisses weiterhin von den Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses gemäß § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB befreit. Der Arbeitnehmer erbringt nicht die geschuldete Arbeitsleistung. Es besteht deshalb kein Anspruch auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung (BAG 24. September 2014 – 5 AZR 611/12 – Rn. 32 mwN, BAGE 149, 144).
3. Im vorliegenden Fall war ein tatsächliches Angebot iSv. § 294 BGB zwar entbehrlich, denn das beklagte Land hat erklärt, es werde die Arbeitsleistung des Klägers erst annehmen, wenn dieser seine Arbeitsfähigkeit nachgewiesen habe. Doch hat der Kläger das erforderliche wörtliche Angebot auf Erbringung der Arbeitsleistung nach § 295 BGB nicht unterbreitet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Kläger habe mit anwaltlichem Schreiben vom 14. Oktober 2009 seine Arbeitsleistung angeboten. Ein Arbeitsangebot findet sich auch nicht in den weiteren vorgelegten Schreiben seines Bevollmächtigten. Deren Auslegung durch das Landesarbeitsgericht hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Die Schreiben enthalten atypische Erklärungen der Partei, deren Auslegung grundsätzlich den Tatsachengerichten vorbehalten ist. Diese kann in der Revision nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt hat oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen, wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen oder eine gebotene Auslegung unterlassen hat (BAG 24. September 2014 – 5 AZR 611/12 – Rn. 27 mwN, BAGE 149, 144). Das Revisionsgericht darf bei einer unterlassenen oder fehlerhaften Auslegung atypischer Willenserklärungen nur dann selbst auslegen, wenn das Landesarbeitsgericht den erforderlichen Sachverhalt vollständig festgestellt hat und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist (st. Rspr., vgl. nur BAG 24. September 2014 – 5 AZR 611/12 – Rn. 30 mwN, aaO).
b) Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand, denn weder ist der gesamte Inhalt des Schreibens vom 14. Oktober 2009 noch der Kontext mit den vorangegangenen Schreiben berücksichtigt.
aa) Die Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 25. August 2009 und 7. September 2009 enthalten keine Angebote auf Arbeitsleistung. Angeboten wird lediglich eine Tätigkeit im Rahmen eines Wiedereingliederungsverhältnisses. Insoweit knüpfen beide an das Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 18. Juni 2009 an, in dem dieser dem beklagten Land „das Wiedereingliederungsbegehren” des Klägers übersandt hatte. Mit dem Schreiben vom 25. August 2009 fordert der Kläger ausdrücklich, dass „auch weiterhin eine Wiedereingliederung erfolgen” solle. Daran schließt das Schreiben vom 7. September 2009 an, das ebenfalls das Wiedereingliederungsbegehren thematisiert.
bb) Das Schreiben vom 14. Oktober 2009 enthält entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ebenfalls kein konkretes auf die Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gerichtetes Angebot. Das Landesarbeitsgericht berücksichtigt bei seiner Auslegung lediglich die Forderung des Klägers, ihn aufgrund des schon abgegebenen Arbeitsangebots nunmehr zu beschäftigen und zu vergüten. Hierbei lässt es außer Acht, dass der Kläger in der Vergangenheit nicht die zu bewirkende Arbeitsleistung angeboten hat, sondern die Tätigkeit in einem Wiedereingliederungsverhältnis. Zudem hat das Landesarbeitsgericht unberücksichtigt gelassen, dass das Schreiben mit der Erklärung abschließt, die mangelnde Reaktion des beklagten Landes auf den seit dem 18. Juni 2009 versuchten Wiedereingliederungsversuch sei nicht nachvollziehbar und mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht vereinbar.
c) Da nach dem Vortrag der Parteien keine weiteren Erklärungen des Klägers als annahmeverzugsbegründend in Betracht kommen, kann der Senat das Schreiben vom 14. Oktober 2009 selbst auslegen. Für einen verständigen Empfänger (§§ 133, 157 BGB) kommt darin im Kontext mit den weiteren Schreiben vom Juni, August und September 2009 zum Ausdruck, dass der Kläger auch in dem Schreiben vom 14. Oktober 2009 an seinem Wiedereingliederungsbegehren festgehalten hat. Jedenfalls hat er hiervon nicht mit gebotener Deutlichkeit Abstand genommen und seine vertraglich geschuldete Leistung angeboten.
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen treuwidriger Vereitelung einer Wiedereingliederung nach § 280 Abs. 1 iVm. § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 2 BGB und § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX. Eine Pflichtverletzung des beklagten Landes liegt nicht vor. Dieses trifft keine Pflicht zur Eingehung eines Wiedereingliederungsverhältnisses. Zwar kann der schwerbehinderte oder ein diesem gleichgestellter Arbeitnehmer nach § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX eine Tätigkeit auch im Rahmen einer Wiedereingliederung verlangen (vgl. BAG 13. Juni 2006 – 9 AZR 229/05 – Rn. 26 ff., BAGE 118, 252). Doch ist nach den vom Kläger nicht angegriffenen und den Senat damit gemäß § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ersichtlich, dass der Kläger als schwerbehindert anerkannt oder einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist. Nicht behinderte Arbeitnehmer fallen jedoch nicht in den Schutzbereich des § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX (BAG 13. Juni 2006 – 9 AZR 229/05 – Rn. 33, aaO). Zur Begründung des Wiedereingliederungsverhältnisses bedarf es dann einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es gilt für beide Seiten das Prinzip der Freiwilligkeit (BAG 24. September 2014 – 5 AZR 611/12 – Rn. 32, BAGE 149, 144). Eine Verletzung von Fürsorgepflichten liegt daher nicht vor.
III. Der Kläger hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Unterschriften
Linck, Weber, Volk, Busch, Dohna-Jaeger
Fundstellen
Haufe-Index 11574487 |
BB 2018, 1470 |