Entscheidungsstichwort (Thema)
Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag bei Betriebsrente
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass zwar der Arbeitgeber für die Vergangenheit den Arbeitnehmeranteil am Gesamtversicherungsbeitrag grundsätzlich nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt bei den drei nächsten Entgeltzahlungen geltend machen kann, die Zahlstelle einer Betriebsrente aber rückständige Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ohne zeitliche Begrenzung von der laufenden Betriebsrente einbehalten kann.
Orientierungssatz
- Arbeitgeber dürfen für die Vergangenheit den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag grundsätzlich lediglich bei den drei nächsten Entgeltzahlungen vom Arbeitsentgelt abziehen. Demgegenüber darf die Zahlstelle einer Betriebsrente rückständige Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zeitlich unbegrenzt von der laufenden Betriebsrente abziehen.
- Dies verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz: Damit wird sichergestellt, dass Arbeitgeber kein Eigeninteresse daran haben, Beschäftigte als nicht sozialversicherungspflichtig zu behandeln, obwohl sie tatsächlich der Sozialversicherungspflicht unterfallen.
- Weder der Anspruch der Krankenkasse auf Abführung der Beiträge noch der Anspruch der Zahlstelle auf Verrechnung der Beiträge mit der Betriebsrente werden allein dadurch verwirkt, dass es die Krankenkasse in Kenntnis der tatsächlichen Voraussetzungen der Beitragspflicht über längere Zeit unterlässt, die Beiträge gegenüber der Zahlstelle geltend zu machen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; SGB V § 256 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 253; SGB XI § 60 Abs. 1 S. 2; SGB IV § 28g
Verfahrensgang
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. Juni 2005 – 6 Sa 292/05 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte berechtigt ist, von der Betriebsrente der Klägerin rückwirkend Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung abzuziehen.
Die Klägerin ist am 4. Dezember 1934 geboren. Als Hinterbliebene ihres verstorbenen Ehemannes, der zur Beklagten in einem Arbeitsverhältnis stand, bezieht die Klägerin seit dem 5. Januar 1993 neben ihrer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine betriebliche Hinterbliebenenversorgung von der Beklagten.
Seit 1993 leitete die Klägerin im Zusammenhang mit der Abwicklung der Betriebsrente auch ihre Rentenanpassungsmitteilungen an die Beklagte weiter. Diese teilte der zuständigen Krankenkasse mit Schreiben vom 24. Februar 1993 und vom 30. April 1993 den Bezug der Hinterbliebenenversorgung aus der betrieblichen Altersversorgung mit. Zudem meldete die Beklagte laufend auch im Rahmen der maschinellen Abwicklung der Auszahlung der Hinterbliebenenversorgung, dass eine Rente gezahlt wurde. Erst mit Beitragsbescheid vom 28. Mai 2003 und mit Schreiben vom 17. Juli 2003 forderte die Krankenkasse von der Beklagten die Abführung von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen für die Zeit ab dem 5. Januar 1993. Die Beklagte führte daraufhin diese Beiträge für den Zeitraum vom 1. Dezember 1998 bis zum 31. Dezember 2002 in Höhe von insgesamt 1.804,85 Euro ab. Sie behielt diesen Betrag von den Versorgungsleistungen für Oktober 2003 bis einschließlich Mai 2004 in Höhe von jeweils monatlich 222,77 Euro und für Juni 2004 in Höhe eines Restbetrages von 22,69 Euro ein.
Dagegen wehrt sich die Klägerin. Sie ist der Auffassung, das Recht zum Einbehalt sei verwirkt. Die Beklagte habe gegenüber der Krankenkasse die unbegründeten Forderungen abwehren müssen. Auch stünden die Unpfändbarkeit ihrer Hinterbliebenenversorgung und § 28g SGB IV dem Einbehalt entgegen.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.804,85 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus jeweils 222,77 Euro seit dem 1. Oktober, 1. November und 1. Dezember 2003 sowie seit dem 1. Januar, 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai 2004 sowie aus 22,69 Euro seit dem 1. Juni 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, zum Abzug berechtigt zu sein.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht der Klageanspruch nicht zu. Die Beklagte war berechtigt, die streitbefangenen Beiträge abzuführen und einzubehalten.
1. Die Klägerin unterlag der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung und die Beklagte der Verpflichtung, die wegen der Betriebsrente anfallenden Beiträge abzuführen.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V sind Personen, die – wie die Klägerin – eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, unter bestimmten – bei der Klägerin vorliegenden – weiteren Voraussetzungen krankenversicherungspflichtig. Bei der Beitragsberechnung sind auch Betriebsrenten zu berücksichtigen (§ 237 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 iVm. § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V). Die Beiträge sind vom Betriebsrentenberechtigten zu tragen (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), eine Pflicht des Schuldners der Betriebsrente, einen Teil der Beiträge wirtschaftlich zu tragen, gibt es hingegen nicht. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG 6. Dezember 1988 – 2 BvL 18/84 – BVerfGE 79, 223; BSG 10. Mai 2006 – B 12 KR 6/05 R – SozR 4-2500 § 240 Nr. 7).
Von der Pflicht, die Krankenversicherungsbeiträge zu tragen, ist die Pflicht, diese an die Krankenkasse abzuführen, also zu zahlen, zu unterscheiden. In einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem der Versicherungspflichtige eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, haben die Zahlstellen – hier die Beklagte – die Beiträge aus den Versorgungsbezügen einzubehalten und an die zuständige Krankenkasse abzuführen (§ 256 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 iVm. § 255 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V). Diese Pflicht besteht, solange noch eine Leistung aus der betrieblichen Altersversorgung gewährt wird. Die Regelung des § 28g SGB IV, der vorschreibt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag aus dem Arbeitsentgelt grundsätzlich nur während der nächsten drei Zahltermine vom Entgelt abziehen kann, gilt nur für den Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses (§ 253 SGB V).
In der Pflegeversicherung stellt sich die Rechtslage genauso dar. Die Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung folgt der Pflicht zur Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 1 Abs. 2 Satz 1, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Für die Bezieher von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist dies nochmals in § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 SGB XI festgehalten. Die für die Bemessung und Abwicklung der Beiträge maßgeblichen Regelungen für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung gelten entsprechend: § 237 SGB V nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 250 Abs. 1 SGB V nach § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI und § 256 sowie § 253 SGB V nach § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI.
2. Dadurch wird die Klägerin hinsichtlich der Einbehaltungsmöglichkeiten im Vergleich zu Arbeitnehmern ungleich behandelt. Das ist aber sachlich gerechtfertigt.
a) Maßgeblich für die Beurteilung einer Beitragspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung ist das für den Beitragszeitraum oder, bei Beitragsnachforderungen für die Vergangenheit, das während des Nachforderungszeitraums geltende Recht (BSG 11. Dezember 1986 – 12 RK 28/84 – BSGE 61, 79). Maßgeblich ist die während des Abzugszeitraums (1. Dezember 1998 bis 31. Dezember 2002) geltende Fassung des § 28g SGB IV, in der es wie folgt heißt:
“Beitragsabzug
Der Arbeitgeber hat gegen den Beschäftigten einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Dieser Anspruch kann nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden. Ein unterbliebener Abzug darf nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden, danach nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist. Die Sätze 2 und 3 gelten nicht, wenn der Beschäftigte seinen Pflichten … vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachkommt.”
Da die Klägerin bei der Abwicklung ihres Anspruchs aus der betrieblichen Altersversorgung immer korrekte Angaben gemacht hat, lagen diese Voraussetzungen nicht vor, so dass – wäre sie Arbeitnehmerin und nicht Betriebsrentnerin gewesen – ein Abzug nicht möglich gewesen wäre.
Allerdings sieht die geltende Fassung von § 28g SGB IV auch in einem weiteren Fall vor, dass der Arbeitgeber die Abzüge unbeschränkt vornehmen kann. Das setzt voraus, dass der Arbeitnehmer – ausnahmsweise – verpflichtet ist, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag insgesamt wirtschaftlich zu tragen, wie dies bei Betriebsrentnern hinsichtlich des Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrages immer der Fall ist. Diese Möglichkeit beruht auf der Änderung des § 28g Satz 4 SGB IV durch das “Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht (Verwaltungsvereinfachungsgesetz)” vom 21. März 2005 (BGBl. I S. 818). Diese Gesetzesänderung ist jedoch erst seit dem 22. März 2005 (Art. 32 Abs. 1) und damit nach dem hier maßgeblichen Beitragszeitraum in Kraft.
b) Die Ungleichbehandlung verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
aa) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es dem Gesetzgeber, unter stetiger Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG 15. Juli 1998 – 1 BvR 1554/89 –, – 1 BvR 963/94 –, – 1 BvR 964/94 – BVerfGE 98, 365 mwN). Dabei genügt im Regelungsbereich des Besoldungs- und Versorgungsrechts ein sachlicher Grund für eine gesetzliche Differenzierung, der Gesetzgeber muss nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste aller möglichen Lösungen wählen (BVerfG 29. November 1989 – 1 BvR 1402/87 –, – 1 BvR 1528/87 – BVerfGE 81, 108, 117 f.; 8. Oktober 1991 – 1 BvL 50/86 – BVerfGE 84, 348, 359). Gleiches gilt bei der Beurteilung der hier streitbefangenen Regelungen.
bb) Einer Überprüfung anhand dieser Maßstäbe hält die Ungleichbehandlung zwischen Betriebsrentnern und Arbeitnehmern beim Beitragsabzug stand.
Abzustellen ist dabei nicht allein darauf, wie ein Abzug den einzelnen Einkommensberechtigten – Arbeitnehmer oder Betriebsrentner – trifft. Maßgeblich ist vielmehr das gesamte Regelungsumfeld. Dabei ist Folgendes entscheidend: Die Begrenzung der Abzugsmöglichkeit für den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag führt dazu, dass der Arbeitgeber das Risiko trägt, wenn er fehlerhafterweise Beschäftigte als nicht sozialversicherungspflichtig behandelt, obwohl sie tatsächlich der Sozialversicherungspflicht unterfallen. Es ist dem Arbeitgeber nicht möglich, das Risiko, ob ein bestimmtes Rechtsverhältnis ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ist oder nicht, teilweise auf den Arbeitnehmer abzuwälzen. Dadurch entsteht ein verstärktes Eigeninteresse des Arbeitgebers daran, von vornherein eine korrekte Abwicklung zu wählen. Eine vergleichbare Interessenlage gibt es gegenüber den Betriebsrentnern nicht.
Zudem soll das im Interesse des Arbeitnehmers geschaffene Sozialversicherungssystem nicht mit der unerwünschten und den Gesetzeszweck beeinträchtigenden Begleiterscheinung drückender Beitragslast und der Beitragsverschuldung des Arbeitnehmers sowie der sich daraus ergebenden Klage-, Vollstreckungs- und sonstigen Druckmöglichkeiten des Arbeitgebers verbunden sein (BAG 15. Dezember 1993 – 5 AZR 326/93 – BAGE 75, 225 mwN). Im Interesse beider Vertragsparteien, die im laufenden Arbeitsverhältnis in vielfältiger Weise, ua. auch durch die persönliche Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb, miteinander verbunden sind, soll das Arbeitsverhältnis möglichst von derartigen Konflikten freigehalten werden. Auch insofern entspricht die Interessenlage hinsichtlich der Berechtigten aus der betrieblichen Altersversorgung nicht der im laufenden Arbeitsverhältnis.
3. Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin dies unmittelbar gegenüber der Krankenkasse hätte geltend machen können und müssen, bestehen auch keine sonstigen Bedenken gegen die nachträgliche Pflicht zur Zahlung und Tragung der Beiträge.
a) Diese sind nicht verjährt.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung – zu der sowohl die gesetzliche Kranken- als auch die Pflegeversicherung gehören (§ 1 Abs. 1 SGB IV) – vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Damit waren lediglich die bis zum 31. Dezember 1998 aus den Versorgungsbezügen zu zahlenden Beiträge Ende 2002 bereits verjährt, da die Krankenkasse im Jahre 2003 die Beiträge geltend machte. Die Beiträge für Dezember 1998 waren erst im Januar 1999 zu zahlen. Dass für Zeiträume vor Dezember 1998 Einbehaltungen vorgenommen wurden, hat die Klägerin nicht behauptet.
b) Die Beitragsansprüche der Krankenkasse sind auch nicht verwirkt.
aa) Insoweit ist das Landesarbeitgericht zu Recht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausgegangen.
Danach gilt das Recht der Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch im Sozialrecht. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles des in Betracht kommenden Rechtsgebiets das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden “besonderen Umstände” liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG 10. August 1999 – B 2 U 30/98 R – SozR 3-2400 § 4 Nr. 5; 29. Januar 1997 – 5 RJ 52/94 – BSGE 80, 41).
bb) Diese Voraussetzungen sind hier nicht deshalb erfüllt, weil die Krankenkasse als Einzugsstelle trotz der Mitteilung über die Zahlung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an die Klägerin nicht geprüft hat, ob daneben eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurde und damit die Beiträge von der Betriebsrente einzubehalten und abzuführen waren. Insofern kann es keinen Vertrauensschutz für die Beklagte als Zahlstelle für die Betriebsrente geben. Das gilt schon deswegen, weil diese berechtigt war, die nachzuzahlenden Beiträge ihrerseits von den laufenden Zahlungen aus der betrieblichen Altersversorgung abzuziehen.
Umstände, aus denen die Klägerin hätte schließen können, die Krankenkasse wolle die Beiträge insgesamt weder durch Beitragsabzug noch in sonstiger Weise geltend machen, liegen ebenfalls nicht vor. Aus der bloßen Untätigkeit der Krankenkasse konnte die Klägerin nicht folgern, diese wolle ihre Rechte aus den im Interesse der Solidargemeinschaft bestehenden gesetzlichen Beitragspflichten nicht mehr wahrnehmen.
4. Schließlich ist auch im Verhältnis zwischen der Beklagten einerseits und der Klägerin andererseits das Recht zum Abzug nicht verwirkt.
Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob mit dem Landesarbeitsgericht insoweit auf die vom Bundessozialgericht für das Sozialrecht herausgearbeiteten Voraussetzungen oder auf die im Arbeitsrecht geltenden zivilrechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung abzustellen ist. Dann wäre die Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung zu behandeln. Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat. Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BAG 28. Mai 2002 – 9 AZR 145/01 – EzA BGB § 242 Verwirkung Nr. 2).
Auf die bloße Untätigkeit der Beklagten kann hier schon deswegen nicht abgestellt werden, weil diese erst handeln konnte, nachdem die Krankenkasse die Voraussetzungen der Abwicklung des Beitragseinzugs festgestellt und ihr gegenüber geltend gemacht hatte. Es fehlt deshalb sowohl am “Verwirkungsverhalten” iSd. sozialrechtlichen Kriterien der Verwirkung als auch am Umstandsmoment im zivilrechtlichen Sinne.
5. Die Höhe der Abzüge ist nicht zu beanstanden. Dass die Beitragspflicht im geltend gemachten Umfange besteht, hat die Klägerin nicht angegriffen. Insofern sind keine Einwände ersichtlich. Auf Pfändungsfreigrenzen kann die Klägerin sich nicht berufen. Diese gelten nicht. Allein einschlägig ist nach § 256 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 255 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz SGB V, die in der Pflegeversicherung nach § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI entsprechend gelten, die Regelung in § 51 Abs. 2 SGB I. Danach kann die Verrechnung von Beitragsforderungen, wie sie die Beklagte hier vorgenommen hat, bis zur Hälfte laufender Geldleistungen erfolgen, soweit der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig iSd. Vorschriften des Sozialhilferechts über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende wird. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass diese Voraussetzungen vorliegen.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Zwanziger, H. Frehse, D. Offergeld
Fundstellen
Haufe-Index 1722769 |
BAGE 2008, 345 |
BB 2007, 894 |
DB 2007, 1874 |