Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung bei Zeugenaussage vor Gericht. öffentlicher Dienst. Lohnfortzahlung
Leitsatz (amtlich)
Nach § 33 Abs. 2 MTArb erhält ein Arbeiter Lohnfortzahlung wegen persönlicher Arbeitsverhinderung bei Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht. Muß ein Arbeiter vor Gericht als Zeuge erscheinen, handelt es sich um die Erfüllung einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht nach deutschem Recht iSd. Tarifbestimmung.
Orientierungssatz
- § 616 Satz 1 BGB, wonach der zur Dienstleistung Verpflichtete den Anspruch auf die Vergütung nicht dadurch verliert, daß er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert ist, ist durch § 33 MTArb abbedungen.
- Die Pflicht, vor Gericht als Zeuge zu erscheinen und auszusagen, hat Vorrang vor jeder Berufspflicht und befreit daher auch von der Arbeitspflicht, soweit sie zeitlich mit dieser zusammentrifft. Sie ist eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht iSd. § 33 Abs. 2 MTArb, weil sie in Rechtsprechung und Literatur als solche verstanden wird und daher davon auszugehen ist, daß auch die Tarifvertragsparteien den Begriff der allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht in dieser Weise verstanden wissen wollen.
- Daß die Zeugenpflicht auch Personen treffen kann, die nicht deutsche Staatsbürger sind, nimmt ihr nicht den Charakter einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht im vorbezeichneten tariflichen Sinne.
Normenkette
MTV für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder (MTArb) vom 6. Dezember 1995 § 33 Abs. 2; BGB § 616
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Lohnfortzahlung für die Zeit, in der er als Zeuge einen Gerichtstermin wahrgenommen hat.
Der Kläger ist bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder (MTArb) vom 6. Dezember 1995 Anwendung. Der Kläger war am 2. Dezember 1999 in einer Strafsache als Zeuge geladen, in der es um einen tätlichen Angriff ging, der sich 1998 während der Freizeit des Klägers zugetragen hatte. Die Wahrnehmung des Termins führte zu einem Lohnausfall für 2,75 Stunden in Höhe von 86,55 DM. Der Kläger erhielt vom Amtsgericht Düren als Zeugenentschädigung einen Betrag von 68,75 DM. Er begehrt unter Hinweis auf den Tarifvertrag Lohnfortzahlung gegen Erstattung der erhaltenen Zeugenentschädigung. In § 33 MTArb heißt es:
"Lohnfortzahlung bei persönlicher Arbeitsverhinderung
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 86,55 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen ab dem 29. Dezember 1999 zu zahlen Zug um Zug gegen Zahlung von 68,75 DM netto.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Pflicht zur Zeugenaussage sei keine "allgemeine staatsbürgerliche Pflicht" iSd. Tarifbestimmung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, durch § 33 MTArb sei § 616 BGB abbedungen. Auf diese Vorschrift könne der Kläger seinen Anspruch somit nicht stützen. Auch § 33 Abs. 2 MTArb scheide als Anspruchsgrundlage aus. Die Pflicht, vor Gericht als Zeuge zu erscheinen, sei zwar eine allgemeine Pflicht nach deutschem Recht. Jedoch handele es sich nicht um eine staatsbürgerliche Pflicht, weil diese Pflicht auch "Nichtstaatsbürger" treffe. Die Neufassung des § 33 MTArb lasse erkennen, daß die Tarifvertragsparteien die Regelung über die Entgeltfortzahlung bei Arbeitsfreistellung aus persönlichen Anlässen im Vergleich zur Vorgängerregelung eingeschränkt hätten.
Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger Anspruch auf Fortzahlung seines Lohnes für die Zeit, die er für die Wahrnehmung des Zeugentermins vor dem Amtsgericht Düren aufwenden mußte.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Dr. Brühler, Klabunde, Schwarck
Fundstellen
BAGE, 151 |
BB 2002, 1920 |
DB 2002, 1999 |
NWB 2002, 3114 |
ARST 2002, 245 |
FA 2002, 332 |
NZA 2002, 1105 |
ZTR 2002, 535 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 16 |
EzA |
PERSONAL 2002, 50 |
PersR 2003, 1 |
RiA 2003, 113 |
AUR 2002, 357 |
Tarif aktuell 2002, 13 |