Keine Zeitgutschrift für Ausübung eines kommunalpolitischen Mandats
Eine Fallmanagerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit in einem städtischen Jobcenter in Nordrhein-Westfalen ist vollbeschäftigt und in Gleitzeit tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) Anwendung. Neben ihrer Beschäftigung bei der Beklagten ist sie gewähltes Mitglied des Rats der Stadt und gehört einer der Fraktionen an. Die Rats- und Fraktionssitzungen fanden stets am Montag statt. Für deren Teilnahme schrieb die Beklagte der Klägerin bei jeweils ganztägiger Sitzungsdauer die durchschnittliche Arbeitszeit pro Tag von 7 Stunden und 48 Minuten gut. Ab April 2019 weigerte sich die Bundesagentur für Arbeit, weitere Zeitgutschriften vorzunehmen. Sie verwies hierbei auf eine ergänzte Dienstanweisung zur Umsetzung des § 32 TV-BA. Die Fallmanagerin machte mit ihrer Klage die Zeitgutschriften geltend.
Kein Anspruch auf Gutschrift für Zeiten der Mandatsausübung im Gemeinderat
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass die Klägerin weder nach § 616 BGB noch nach § 32 TV-BA (entspricht § 29 TVöD/TV-L) einen Anspruch auf Gutschrift von Zeiten der Mandatsausübung in den Rats- und Fraktionssitzungen habe.
Kein Anspruch nach § 616 BGB
Das BAG führte hierzu aus, dass die Klägerin aus 616 Satz 1 BGB keinen entsprechenden Anspruch herleiten könne. Dies gelte unabhängig von der begrenzten Anwendbarkeit der Vorschrift durch § 32 TV-BA, nach dem ein Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung nur auf die in § 32 Abs. 1 TV-BA benannten Fälle beschränke. Ein Anspruch gem. § 616 BGB scheitert nach Ansicht des BAG daran, dass die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorlagen. Denn § 616 Satz 1 BGB setzt voraus, dass der Arbeitnehmer durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Arbeitsleistung tatsächlich verhindert ist. Dazu kann zwar grundsätzlich auch die Erfüllung öffentlich-rechtlicher und / oder ehrenamtlicher Verpflichtungen gehören. Allerdings gilt dies nur, wenn es sich um eine Pflicht handelt, der sich der Arbeitnehmer aufgrund rechtlicher Vorgaben grundsätzlich nicht entziehen kann, z. B. einer Inanspruchnahme als ehrenamtlicher Richter. Im Unterschied hierzu ist die Ausübung eines Wahlmandats wie der Stadtratstätigkeit der Klägerin kein Verhinderungsgrund i. S. d. § 616 Satz 1 BGB, da die Übernahme des Mandats auf einem freien Willensentschluss und nicht auf rechtlichem Zwang beruht. Für diese Fälle greift der Entgeltanspruch des § 616 Satz 1 BGB nicht.
Keine Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten im Sinne von § 32 TV-BA
Auch aus § 32 TV-BA ergibt sich nach Auffassung des BAG kein Anspruch auf die begehrte Zeitgutschrift. Auch wenn die tarifliche Regelung verschiedene persönliche Anlässe erfasse, die als Fälle des § 616 BGB gelten und in denen Beschäftigte unter Fortzahlung des Entgelts in dem gegebenen Ausmaß von der Arbeit freigestellt werden, ist die Ausübung eines kommunalen Mandats dort nicht genannt. Zwar sind von 32 Abs. 2 TV-BA auch die Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht erfasst. Allerdings sind staatbürgerliche Pflichten im Sinne dieser Vorschrift nur solche, die jeden Staatsbürger ohne weiteres treffen können, z. B. die nach einer Prozessordnung erzwingbare Pflicht, als Zeuge vor Gericht zu erscheinen und auszusagen. Da die Ausübung eines kommunalen Wahlmandats freiwillig ist, fällt dies nicht unter § 32 Abs. 2 TV-BA.
(BAG, Urteil vom 19.5.2021, 5 AZR 318/20)
Hinweis:
§ 29 Abs. 2 TVöD lautet:
Bei Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht, soweit die Arbeitsbefreiung gesetzlich vorgeschrieben ist und soweit die Pflichten nicht außerhalb der Arbeitszeit, gegebenenfalls nach ihrer Verlegung, wahrgenommen werden können, besteht der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nach § 21 nur insoweit, als Beschäftigte nicht Ansprüche auf Ersatz des Entgelts geltend machen können.
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