Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung bei Weiterbeschäftigung nach Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Fordert der Arbeitgeber einen gekündigten Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist auf, seine Tätigkeit bis zur Entscheidung über eine Kündigungsschutzklage fortzuführen, ist in der Regel davon auszugehen, daß das ursprüngliche Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden soll, bis Klarheit darüber besteht, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht.
2. In der Zeit bis zur endgültigen Klärung bestimmen sich die Rechte und Pflichten der Parteien grundsätzlich nach den Vereinbarungen des gekündigten Vertrages einschließlich der anzuwendenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften. Deshalb stehen dem Arbeitnehmer, der während des fortgesetzten Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig wird, die für diesen Fall geltenden unabdingbaren gesetzlichen Ansprüche zu.
3. Stellt sich heraus, daß die Kündigung das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis beendet hat, so war bei der Abrede über die Weiterbeschäftigung die vertragliche Grundlage des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses bereits entfallen. In diesem Falle sind die Rechtsbeziehungen der Parteien nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses abzuwickeln. Dem Arbeitnehmer verbleiben die für seine Arbeitsleistung gezahlten Vergütungen einschließlich der Ansprüche auf Krankenbezüge bei Arbeitsunfähigkeit.
Orientierungssatz
Der Senat läßt ausdrücklich offen, nach welchen rechtlichen Grundsätzen eine aufgrund entsprechender Verurteilung erfolgte Weiterbeschäftigung zu bewerten ist, wenn sich schließlich ergibt, daß das Arbeitsverhältnis während der Weiterbeschäftigung doch schon beendet war.
Normenkette
LFZG §§ 1, 9; BGB §§ 611, 412, 397, 404, 407; RVO § 182 Abs. 10
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 21.02.1984; Aktenzeichen 7 Sa 857/83) |
ArbG Rheine (Entscheidung vom 16.03.1983; Aktenzeichen 2 Ca 1236/82) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin aus übergegangenem Recht (§ 182 Abs. 10 RVO) Lohnfortzahlung schuldet.
Der am 24. August 1947 geborene tunesische Staatsangehörige M G C (im folgenden kurz: der Versicherte) war bei der Beklagten seit dem 23. Januar 1973 als Arbeiter beschäftigt und bei der Klägerin gegen Krankheit versichert. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Versicherten fristgerecht am 8. zum 24. Juli 1981. Hiergegen erhob der Versicherte Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht gab seiner Klage durch Urteil vom 20. November 1981 statt, das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 1. April 1982 zurück. Die Beklagte legte die zugelassene Revision ein. Während des Revisionsverfahrens haben der Versicherte und die Beklagte am 17. Januar 1983 einen außergerichtlichen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 24. Juli 1981 und die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 6.000,-- DM geschlossen. Mit diesem Vergleich sollten alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und der Zeit danach erledigt sein.
Der Versicherte hat seine Arbeit bei der Beklagten am 23. April 1982 wieder aufgenommen. Mit Schreiben vom 29. April 1982 wies die Beklagte ihn jedoch darauf hin, daß dies unter Aufrechterhaltung der Kündigung vom 8. Juli 1981 geschehe. Der Versicherte hat bei der Beklagten vom 23. April bis zum 30. Juli 1982 und ferner vom 23. August 1982 bis zum Vergleichsabschluß am 17. Januar 1983 gearbeitet. In der Zeit vom 22. September bis zum 1. Oktober 1982, vom 3. bis zum 5. November und vom 16. November 1982 fortlaufend war der Versicherte arbeitsunfähig krank. Da die Beklagte ihm den Lohn nicht weiterzahlte, gewährte die Klägerin ihm Krankengeld. In der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.945,29 DM nimmt die Klägerin die Beklagte mit ihrer am 11. November 1982 zugestellten und in der Güteverhandlung vom 17. Dezember 1982 erweiterten Klage auf Lohnfortzahlung in Anspruch.
Die Klägerin hat vorgetragen, zwischen der Beklagten und dem Versicherten habe in den jeweiligen Zeiträumen der tatsächlichen Beschäftigung des Versicherten ein Arbeitsverhältnis bestanden. Es könne dahinstehen, ob es sich bei diesem Arbeitsverhältnis um die Fortsetzung des ursprünglichen oder um die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses gehandelt habe. Jedenfalls habe der Versicherte im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Lohnfortzahlung erworben, der auf sie, die Klägerin, übergegangen sei. Demgemäß hat die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.945,29 DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Dezember 1982 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, zwischen ihr und dem Versicherten sei kein neues Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Der Versicherte sei nur tatsächlich weiterbeschäftigt worden. Im Rahmen eines solchen Rechtsverhältnisses sei § 1 Abs. 1 LohnFG nicht anzuwenden. Der Versicherte habe seine Weiterbeschäftigung verlangt und Vollstreckungsmaßnahmen angedroht. Um dies abzuwenden und um zusätzliche Kosten zu vermeiden, habe sie es hingenommen, daß der Versicherte im Betrieb tatsächlich weiterbeschäftigt werde. Auf ihre Rechtsbeziehung zu dem Versicherten während dieser tatsächlichen Beschäftigung sei daher Vollstreckungsrecht anzuwenden mit der Folge, daß die ausgetauschten Leistungen zurückgewährt werden müßten. Schließlich sei ein möglicher Anspruch des Versicherten auf Lohnfortzahlung durch den Vergleich vom 17. Januar 1983 mit erledigt worden und könne daher nicht auf die Klägerin übergegangen sein.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dadurch, daß der Versicherte am 23. April 1982 die Arbeit tatsächlich wieder aufgenommen habe, sei zwischen ihm und der Beklagten ein vom ursprünglichen Arbeitsverhältnis unabhängiges Arbeitsverhältnis eigener Art (befristet oder auflösend bedingt) zustande gekommen. Dieses Arbeitsverhältnis habe eine Arbeitsverpflichtung des Versicherten und ein Recht auf Lohnfortzahlung zum Inhalt gehabt. Dem vom Landesarbeitsgericht gefundenen Ergebnis ist beizupflichten, nicht jedoch seiner Begründung. Vielmehr ist davon auszugehen, daß das ursprüngliche Arbeitsverhältnis durch die Arbeitsaufnahme des Versicherten am 23. April 1982 fortgesetzt worden ist.
II. 1. Allerdings können die Parteien eines Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber und nach Ablauf der Kündigungsfrist einen neuen, befristeten Vertrag abschließen oder vereinbaren, daß der frühere Vertrag auflösend bedingt bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses fortgesetzt werden solle. Eine ausdrückliche Vereinbarung dieser Art hat das Landesarbeitsgericht im Streitfall nicht festgestellt.
2. Fordert der Arbeitgeber einen gekündigten Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist auf, seine Tätigkeit bis zur Entscheidung über eine laufende Kündigungsschutzklage fortzuführen oder stellt er ihm anheim, dies zu tun, so geht der Vertragswille der Beteiligten in der Regel nicht dahin, ein neues Arbeitsverhältnis zu begründen. Vielmehr soll das Arbeitsverhältnis, dessen Beendigung der Arbeitgeber durch Kündigung zu erreichen sucht, fortgesetzt werden, bis endgültig Klarheit darüber besteht, ob und für welchen Zeitpunkt die Kündigung das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis beendet hat.
In der Zeit, bis geklärt ist, ob die Kündigung wirksam war, bestimmen sich die Rechte und Pflichten der Parteien grundsätzlich nach den Vereinbarungen des gekündigten Vertrages einschließlich der anzuwendenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften, soweit diese nicht den Bestandsschutz zum Gegenstand haben. Deshalb stehen dem Arbeitnehmer, der während des fortgesetzten Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig wird, die für diesen Fall geltenden unabdingbaren gesetzlichen Ansprüche zu. Offenbleiben kann in diesem Zusammenhang, inwieweit während der Ungewißheit darüber, ob die Kündigung wirksam ist, dem Arbeitnehmer Ansprüche erwachsen können, die als Gegenleistung für erwartete Betriebstreue erbracht werden, wie das bei Weihnachtsgratifikationen durchweg anzunehmen ist.
3. Im Streitfall hatte der Versicherte im Kündigungsschutzprozeß bereits am 20. November 1981 ein für ihn günstiges Urteil des Arbeitsgerichts erstritten, das sogar in der Berufungsinstanz durch ein weiteres, die Kündigung als unwirksam feststellendes Urteil vom 1. April 1982 bestätigt worden war. Bereits nach Erlaß der erstinstanzlichen Entscheidung hatte der Versicherte gegen die Beklagte einen Rechtsanspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsprozesses (BAG Beschluß vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - zur Veröffentlichung bestimmt, zu C II 3 c der Gründe). Durch die Wiederaufnahme der Arbeit seitens des Versicherten am 23. April 1982 wurde das alte Arbeitsverhältnis fortgesetzt. An den gegenseitigen Rechten und Pflichten änderte sich nichts (vgl. Gamillscheg, Anmerkung zu BAG EzA § 611 BGB, Nr. 9 Beschäftigungspflicht, zu IV 2, a.E.). Der Versicherte erwarb folglich auch bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit einen - unabdingbaren - Anspruch auf Lohnfortzahlung (§ 1 Abs. 1 Satz 1, § 9 LohnFG).
III. 1. Zeigt sich später, daß die Kündigung unwirksam war, so stellt sich das fortgesetzte Arbeitsverhältnis als Teil des insgesamt durch die Kündigung nicht beendeten Arbeitsverhältnisses dar. Ergibt sich dagegen, daß die Kündigung das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis beendet hat, so war bei der Abrede über die Weiterbeschäftigung die vertragliche Grundlage des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses für die Einigung der Beteiligten über die Weiterbeschäftigung bereits weggefallen. In diesem Falle sind die Rechtsbeziehungen der Parteien nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses abzuwickeln. Dem Arbeitnehmer verbleiben dann die für seine Arbeitsleistung gewährten Vergütungen einschließlich der Ansprüche auf Krankenbezüge bei Arbeitsunfähigkeit.
2. Kennzeichen des faktischen Arbeitsverhältnisses ist, daß eine rechtsgültige Grundlage für die Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht besteht. Dann fehlt dem Arbeitsverhältnis der Bestandsschutz, es kann ohne Einhaltung einer Frist aufgelöst werden; für die Vergangenheit wird es aber, wenn in Vollzug gesetzt, wie ein fehlerfrei zustande gekommenes Arbeitsverhältnis behandelt. Eine Rückabwicklung der erbrachten Leistungen kommt nicht in Betracht, es bestehen nur Erfüllungsansprüche (vgl. die Zusammenstellung bei Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 35 III 3 = S. 150). Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbracht, kann er die ursprünglich vereinbarte Vergütung verlangen (BAG 5, 58, 66 = AP Nr. 2 zu § 125 BGB, zu IV der Gründe; BAG 8, 47, 50 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Doppelarbeitsverhältnis, Bl. 2 und 2 R der Gründe; BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB, zu III der Gründe; vgl. ferner BAG Urteil vom 7. Juni 1972 - 5 AZR 512/71 - AP Nr. 18 zu § 611 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis, zu 2 der Gründe). Es sind aber auch die arbeitsrechtlichen Schutznormen ohne Einschränkung anzuwenden (vgl. BAG 19, 189, 190 f. = AP Nr. 3 zu § 12 MuSchG, zu 2 der Gründe, mit zust. Anmerkung von Meisel; vgl. ferner BAG Urteil vom 18. April 1968 - 2 AZR 145/67 - AP Nr. 32 zu § 63 HGB, Bl. 2). Für Ansprüche nach dem Lohnfortzahlungsgesetz ist dies im Schrifttum seit langem anerkannt (vgl. Kehrmann/Pelikan, LohnFG, 2. Aufl., § 1 Rz 29; Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 1 Rz 71; neuerdings ebenfalls Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., C 601 f.; vgl. ferner Dütz, NZA 1986, 209, 214, sowie Dänzer-Vanotti, DB 1985, 2610, 2614, die dies auch dann annehmen, wenn die Weiterbeschäftigung aufgrund entsprechender Verurteilung erfolgt ist).
3. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden und läßt ausdrücklich offen, nach welchen rechtlichen Grundsätzen eine aufgrund entsprechender Verurteilung erfolgte Weiterbeschäftigung zu bewerten ist, wenn sich schließlich ergibt, daß das Arbeitsverhältnis während der Weiterbeschäftigung doch schon beendet war. Der Beschluß des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (aaO, zu C II 3 b der Gründe) beschränkt sich darauf, die Probleme darzustellen, die sich infolge der dem Arbeitgeber gegen seinen Willen auferlegten tatsächlichen Beschäftigung ergeben können. Damit ist die Sachlage im vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Zwar ist die Beklagte ebenfalls davon ausgegangen, daß ihre Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet habe. Solange dies aber wegen des schwebenden Kündigungsschutzverfahrens ungewiß war, hat sie sich bereit erklärt, den Versicherten zu beschäftigen. Dabei spielt es keine Rolle, wer diese Absprache veranlaßt hat. Jedenfalls hat der Versicherte mit dem Willen der Beklagten gearbeitet. Wenn sich dann später ergeben hat, daß die vertragliche Grundlage, das gekündigte Arbeitsverhältnis, während der Beschäftigung nicht (mehr) bestanden hat, so ist die Lage derjenigen vergleichbar, in der die Vertragsgrundlage von vornherein fehlte und die geschehene Tätigkeit nach den Grundsätzen über das faktische Arbeitsverhältnis abzuwickeln ist.
IV. Auf seine Ansprüche auf Lohnfortzahlung hat der Versicherte durch den Vergleich vom 17. Januar 1983 nicht verzichtet (§ 397 Abs. 1 BGB). Ein solcher Verzicht wäre der Klägerin gegenüber auch nicht wirksam. Im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses hatte die Klägerin bereits Klage erhoben, die der Beklagten am 11. November 1982 zugestellt worden und in der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 1982 erweitert worden war. Der Beklagten war daher am 17. Januar 1983, als sie mit dem Versicherten einen Abfindungsvergleich schloß, der Forderungsübergang nach § 182 Abs. 10 RVO bekannt. Die Beklagte konnte folglich zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der auf die Klägerin übergegangenen Forderung kein Rechtsgeschäft mehr vornehmen (§§ 412, 407 Abs. 1 BGB).
Dr. Thomas Dr. Gehring Michels-Holl
Liebsch Werner
Fundstellen
Haufe-Index 439906 |
BAGE 50, 370-376 (LT1-3) |
BAGE, 370 |
BB 1986, 1157-1158 (T) |
DB 1986, 1393-1394 (LT1-3) |
NJW 1986, 2133 |
NJW 1986, 2133-2134 (LT1-3) |
ARST 1987, 148-149 (LT1-3) |
NZA 1986, 561-562 (LT1-3) |
RdA 1986, 333 |
RzK, I 10i Nr 5 (LT1-3) |
SAE 1986, 258-260 (LT1-3) |
USK, 8622 (LT1-3) |
AP § 1 LohnFG (LT1-3), Nr 66 |
AR-Blattei, Beschäftigungspflicht Entsch 20 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 440 Nr 20 (LT1-3) |
Arbeitgeber 1987, 489-489 (LT1-3) |
EzA § 1 LohnFG, Nr 79 (LT1-3) |
MDR 1986, 786-786 (LT1-3) |