Entscheidungsstichwort (Thema)
Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Zollverwaltung
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Drittschuldnerprozeß (Einziehungserkenntnisverfahren) kann sich der Drittschuldner zwar nicht auf die Fehlerhaftigkeit, wohl aber auf die Nichtigkeit eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses berufen (in Übereinstimmung mit dem Urteil des BGH vom 16. Februar 1976 - II ZR 171/74 = NJW 1976, 851). Dasselbe gilt auch für Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der Zollverwaltung.
2. Nichtigkeit ist zu bejahen, wenn in einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung ein zusätzlicher pfändbarer Betrag ohne Rechtsgrundlage festgesetzt wird.
3. Sofern § 850f Abs 2 ZPO im Rahmen des § 319 AO überhaupt angewendet werden kann, muß die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung betrieben werden. Das ist bei bloßen Steuerforderungen, auch solchen im Zusammenhang mit einer strafbaren Steuerhinterziehung, nicht der Fall.
Normenkette
AO § 319; ZPO §§ 829, 850 f.; AO 1977 § 319
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin betreibt gegen die Beklagte die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung gegen den Schuldner (Streitverkündeten), der bis einschließlich März 1988 bei der Beklagten beschäftigt war.
In einem Steuer- und Steuerhaftungsbescheid der Klägerin vom 17. Mai 1982 (Az.: S 0370 B-D2) wurde gegen den Schuldner ein zu entrichtender Steuerbetrag von DM 247.553,50 festgesetzt. Ferner setzte die Klägerin in einem Zins- und Zinshaftungsbescheid vom 17. Mai 1982 (Az.: S 0462 B-D2) gegen den Schuldner einen Betrag von DM 88.973,-- als zu entrichtende Zinsen fest. Wegen einer restlichen Forderung von DM 159.306,20 nebst Kosten aus dem "Steuer- und Zinshaftungsbescheid des Hauptzollamts Frankfurt am Main Ost v. 17.05.1982; S 0370 B-D2 (Rest)" erließ die Klägerin gegen die Beklagte eine Pfändungsverfügung und Einziehungsverfügung vom 16. Januar 1987, durch die die Forderung des Schuldners auf Zahlung von Arbeitseinkommen und der Arbeitnehmersparzulage nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz gegen die Beklagte gepfändet und überwiesen wurden. In der Pfändungsverfügung heißt es ferner:
"Da die Zwangsvollstreckung wegen einer
Forderung aus einer vorsätzlich began-
genen unerlaubten Handlung betrieben
wird, wird zusätzlich zu dem pfändbaren
Betrag gemäß § 850 c ZPO ein weiterer
pfändbarer Betrag in Höhe von 500,-- DM
(i.W.: fünfhundert DM) monatlich fest-
gesetzt."
Der Schuldner ist im Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Steuerschuld wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei rechtskräftig verurteilt worden.
Der Schuldner erzielte bei der Beklagten ein monatliches Nettoeinkommen von DM 1.374,75. Bei Berücksichtigung einer unterhaltsberechtigten Person waren hiervon DM 134,-- pfändbar. In Höhe dieses Betrages hat der Schuldner seinen Gehaltsanspruch im Jahre 1980 an die Inhaberin der Beklagten abgetreten, um ein von dieser gewährtes Darlehen in Höhe von DM 38.600,-- zurückzuerstatten. Zur Rückzahlung eines weiteren, seiner Tochter gewährten Darlehens in Höhe von DM 50.000,-- hat der Schuldner seine Gehaltsansprüche am 3. März 1986 in Höhe von DM 485,-- monatlich an diese abgetreten. Durch einen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 2. Februar 1987 unterrichtete die Klägerin den Schuldner über die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Januar 1987. Der Schuldner legte hiergegen keinen Rechtsbehelf ein.
Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Zahlung des für den Zeitraum von Februar bis Oktober 1987 gepfändeten Arbeitseinkommens des Schuldners in Höhe von DM 4.500,-- nebst Zinsen (neun Monate zu je DM 500,--) sowie die Verurteilung der Beklagten, ab November 1987 an die Klägerin monatlich DM 500,-- bis zur Erfüllung der Forderung der Klägerin zu zahlen.
Die Klägerin hat vorgetragen, auch im Vollstreckungsverfahren nach der Abgabenordnung komme die Bestimmung des § 850 f Abs. 2 ZPO zur Anwendung. Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, 4.500,-- DM
nebst Zinsen sofort an die Klägerin zu
zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, ab November
1987 monatlich 500,-- DM bis zur Erfüllung
der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom
16. Januar 1987 an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, nach dem Wortlaut der Verweisungsnorm des § 319 Abgabenordnung kämen im Vollstreckungsverfahren nach der Abgabenordnung nur die Vorschriften der §§ 850 bis 852 der ZPO zur Anwendung, die zum Schutze des Schuldners Pfändungsbeschränkungen und Pfändungsverbote bewirkten. Eine solche Regelung enthalte die Vorschrift des § 850 f Abs. 2 ZPO nicht, da sie zugunsten des Gläubigers den Pfändungsschutz des Schuldners einschränke. Zudem dürfe sich die Klägerin, die sowohl Gläubigerin der Forderung als auch Vollstreckungsbehörde sei, nicht selbst von bestehenden Pfändungsbeschränkungen und Pfändungsverboten befreien. Solche weitgehenden Eingriffe in die Rechte des Schuldners dürften nur die dazu legitimierten staatlichen Gerichte vornehmen. Deshalb sei die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Januar 1987 ohne Rechtsgrundlage ergangen und damit ohne rechtliche Wirkung geblieben. Selbst wenn die Bestimmung des § 850 f Abs. 2 ZPO im Vollstreckungsverfahren nach der Abgabenordnung zur Anwendung komme, sei die Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Klägerin gleichwohl unwirksam, da dem Streitverkündeten der für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten erforderliche Bedarf nicht verbleibe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils mit der Maßgabe, daß sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von DM 7.000,-- nebst Zinsen für die Zeit von Februar 1987 bis März 1988 erstrebt. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Zahlung von DM 7.000,-- verlangen. Durch die Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Klägerin vom 16. Januar 1987 hat sie keine pfändbaren Beträge des Arbeitseinkommens des Schuldners erworben. Der aus der Pfändungstabelle zu § 850 c ZPO pfändbare Betrag von DM 134,-- monatlich stand der Klägerin nicht zu, da in Höhe dieses Betrages Lohn- und Gehaltsabtretungen vorrangig waren. Die Festsetzung eines weiteren pfändbaren Betrages in Höhe von DM 500,-- monatlich in der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Januar 1987 ist unwirksam, so daß auch insoweit kein pfändbarer Betrag zugunsten der Klägerin entstanden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, kann der Drittschuldner im Einziehungsprozeß zwar nicht eine bloße Fehlerhaftigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gelten machen, wohl aber dessen Nichtigkeit (BGH Urteil vom 16. Februar 1976 - II ZR 171/74 -, NJW 1976, 851). Nichtigkeit ist dann anzunehmen, wenn der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß offensichtlich fehlerhaft ist. Davon ist auszugehen, wenn in dem Beschluß bzw. in der Verfügung ein pfändbarer Betrag ohne gesetzliche Grundlage festgesetzt wird (vgl. Boewer/Bommermann, Lohnpfändung, Rz 260; Müller-Glöge, DB 1987, Beilage Nr. 22, S. 6). So liegt der vorliegende Fall.
Entgegen der Auffassung der Klägerin konnte sie nicht in entsprechender Anwendung des § 850 f Abs. 2 ZPO einen pfändbaren Betrag in Höhe von DM 500,-- monatlich gegen den Schuldner festsetzen. Denn die Klägerin betreibt die Zwangsvollstreckung nicht wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Auszugehen ist von § 319 der Abgabenordnung, der für die Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Klägerin gilt. § 319 AO lautet:
Unpfändbarkeit von Forderungen
Beschränkungen und Verbote, die nach §§ 850 bis
852 der Zivilprozeßordnung und anderen gesetz-
lichen Bestimmungen für die Pfändung von Forde-
rungen und Ansprüchen bestehen, gelten sinngemäß.
Nach der danach sinngemäß geltenden Vorschrift des § 850 f Abs. 2 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850 c ZPO vorgesehenen Beschränkungen bestimmen, wenn die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben wird. Ob bei einer sinngemäßen Anwendung des § 850 f Abs. 2 ZPO im Rahmen des § 319 AO der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens nur durch das Vollstreckungsgericht festgesetzt werden kann, wie das Landesarbeitsgericht meint, oder ob diese Befugnis auch der Klägerin zusteht, kann vorliegend offenbleiben. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, daß sie zur Festsetzung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nach § 850 f Abs. 2 ZPO grundsätzlich berechtigt ist, konnte sie von dieser Möglichkeit im vorliegenden Fall keinen Gebrauch machen. Denn auch eine sinngemäße Anwendung des § 850 f Abs. 2 ZPO im Rahmen des § 319 AO setzt jedenfalls voraus, daß die Zwangsvollstreckung "wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung" betrieben wird. An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend, so daß für die Festsetzung eines pfändbaren Betrages über die Pfändungstabelle des § 850 c ZPO hinaus eine gesetzliche Grundlage nicht besteht.
Ausweislich der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Januar 1987 vollstreckt die Klägerin eine Forderung aus einem Bescheid vom 17. Mai 1982 mit dem Aktenzeichen S 0370 B-D2. Dieser Bescheid betrifft die Steuerschuld des Schuldners ("Steuer- und Steuerhaftungsbescheid"). Damit vollstreckt die Klägerin einen öffentlich-rechtlichen Leistungsanspruch hinsichtlich der rückständigen Steuern des Schuldners. Diese Steuerschuld beruht auf Mineralöleinfuhren des Schuldners aus den Niederlanden. Dabei fielen Einfuhrumsatzsteuer und Mineralölsteuer nach den einschlägigen Steuergesetzen an, die die Klägerin mit dem Bescheid vom 17. Mai 1982 (S 0370 B-D2) geltend macht. Diese Steuerschuld beruht aber nicht auf einer unerlaubten Handlung des Schuldners, sondern auf der erlaubten Einfuhr von Mineralöl. Der Schuldner hat die zunächst nicht entrichtete Steuer nachzuzahlen.
Ob Hinterziehungszinsen als Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angesehen werden können, weil sie aufgrund der vorsätzlichen Verhinderung einer rechtzeitigen Steuerfestsetzung entstehen (vgl. Finanzgericht Baden-Württemberg vom 16. Juni 1987 - I-K 342/85 -, ZfZ 1987, 310 = EFG 1987, 598), kann offenbleiben. Denn die Klägerin macht mit ihrer Pfändungs- und Einziehungsverfügung keine Hinterziehungszinsen geltend. Die Klägerin hat zwar gegen den Schuldner wegen der Hinterziehungszinsen einen Zins- und Zinshaftungsbescheid vom 17. Mai 1982 (Az.: S 0462 B-D2) erlassen. Aus diesem Bescheid betreibt sie jedoch nicht die Zwangsvollstreckung. In der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Januar 1987 wird vielmehr die Zwangsvollstreckung nur wegen des Bescheides vom 17. Mai 1982 mit dem Aktenzeichen "S 0370 B-D2" (Steuer- und Steuerhaftungsbescheid), nicht aber wegen des Bescheides vom 17. Mai 1982 mit dem Aktenzeichen "S 0462 B-D2" (Zins- und Zinshaftungsbescheid) betrieben.
Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Feller Dr. Freitag Dr. Etzel
Dr. Koffka H. Pallas
Fundstellen
BAGE 61, 109-113 (LT1-3) |
BAGE, 109 |
DB 1989, 1631-1632 (LT1-3) |
NJW 1989, 2148 |
NJW 1989, 2148-2149 (LT1-3) |
ARST 1989, 135-136 (LT1,3) |
EWiR 1989, 621 (L1-3) |
NZA 1989, 821-822 (LT1-3) |
RdA 1989, 198 |
ZAP, EN-Nr 130/89 (S) |
ZIP 1989, 738 |
ZIP 1989, 738-740 (LT1-3) |
AP § 829 ZPO (LT1-3), Nr 9 |
AR-Blattei, ES 1130 Nr 66 (LT1-3) |
AR-Blattei, Lohnpfändung Entsch 66 (LT1-3) |
HV-INFO 1990, 507-508 (LT1-3) |
MDR 1989, 852 (LT1-3) |