Leitsatz (amtlich)
1. Lehnt es der Arbeitgeber ab, einem Angestellten Prokura zu erteilen oder eine widerrufene Prokura zu erneuern, nachdem der Anlaß ihrer Entziehung weggefallen ist, so rechtfertigt das allein noch keine außerordentliche Kündigung durch den Angestellten. Eine solche kann aber begründet sein, wenn es dem Angestellten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis ohne Prokura fortzusetzen.
2. Ist das Verhalten des Arbeitgebers vertragswidrig und schuldhaft, so steht dem Angestellten ein Anspruch auf Ersatz des durch die Beendigung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens zu.
Normenkette
BGB §§ 254, 626, 628 Abs. 2; HGB § 52; ZPO § 286
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 16.05.1969; Aktenzeichen 3 Sa 432/68) |
ArbG Hanau (Urteil vom 30.05.1968; Aktenzeichen Ca 741/67) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 16. Mai 1969 – 3 Sa 432/68 – wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlußrevision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben, soweit es die Klage abgewiesen und über die Kosten des Rechtsstreits entschieden hat.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 30. Mai 1968 – Ca 741/67 – wird in vollem Umfange zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung und der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der 1911 geborene Kläger war seit Januar 1953 als Leiter der Abteilung Straßenbau bei der Beklagten tätig. In dem Vertrag vom 1. März 1956 ist seine Tätigkeit dahin umschrieben, daß ihm „die gesamte technische Leitung” der Beklagten obliege. Der Kläger erhielt Gesamtprokura. Das Arbeitsverhältnis sollte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres dauern. Danach sollte eine Altersversorgung von 600,– DM monatlich gewährt werden. Das Gehalt des Klägers betrug zuletzt monatlich 2.620,75 DM brutto; dazu kamen Tantiemen von etwa 10.000,– DM jährlich.
Im Oktober 1967 kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kläger und einem Geschäftsführer der Beklagten. Mit einem Schreiben vom 23. Oktober 1967 forderte der spätere Prozeßbevollmächtigte des Klägers in dessen Namen die Beklagte auf, ihm zu bestätigen, daß sie künftig den Anstellungsvertrag des Klägers in vollem Umfange erfüllen, von allen offen oder versteckt durchgeführten Beschränkungen seines Tätigkeitsgebiets absehen und sich ihm gegenüber loyal verhalten werde.
Wegen dieses Schreibens kündigte die Beklagte dem Kläger am 7. Dezember 1967 fristlos. Mit seiner dagegen gerichteten Klage, hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß sein Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden sei; ferner hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn im Sinne des Dienstvertrages vom 1. März 1956 nebst Zusätzen unter Aufrechterhaltung seiner Bestellung zum Prokuristen weiterzubeschäftigen. Die Beklagte hat im Termin am 21. März 1968 das Feststellungsbegehren anerkannt, im übrigen Klageabweisung beantragt und erklärt, daß sie bereit sei, den Kläger zu den Bedingungen des Dienstvertrages zu beschäftigen. Sie hat jedoch die Wiedererteilung der Prokura abgelehnt.
Der Kläger, der seit Mitte Januar 1968 eine Stellung bei einem anderen Straßenbauunternehmen gefunden hatte, kündigte daraufhin seinerseits das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fristlos, weil es ihm nicht zumutbar sei, seine Tätigkeit ohne Wiedererteilung der Prokura fortzusetzen. Er hat unter Abänderung seiner ursprünglichen Klageanträge die Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm allen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses entstehe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten festgestellt, daß sie verpflichtet sei, dem Kläger 80 % des Schadens zu ersetzen, der ihm aus der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses entstehe. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage in vollem Umfange. Der Kläger hat Anschlußrevision eingelegt, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Schadenersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB zu, weil er das mit der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung beendet hat und diese Kündigung durch ein vertragswidriges und schuldhaftes Verhalten der Beklagten veranlaßt war.
1. Das Landesarbeitsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien noch bestanden hat, als der Kläger fristlos kündigte. Das Berufungsgericht hat dazu im einzelnen geprüft, ob die von der Beklagten am 7. Dezember 1967 erklärte fristlose Kündigung das Vertragsverhältnis vorher beendet hat. Es hat dies verneint. Rechtliche Bedenken gegen diese Würdigung sind nicht ersichtlich und werden auch von der Revision nicht geltend gemacht. Im übrigen ergibt sich aus dem Anerkenntnis der Beklagten in Verbindung mit dem Antrag des Klägers festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden ist, ein Einverständnis der Parteien über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (vgl. dazu Hueck, Kündigungsschutzgesetz, 6. Aufl., § 3 Anm. 5 a–c).
2. Das Landesarbeitsgericht hat die fristlose Kündigung, die der Kläger am 21. März 1968 ausgesprochen hat, für begründet angesehen; es sei ihm nicht zuzumuten gewesen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil ihm die Prokura, die anläßlich der von der Beklagten ausgegangenen Kündigung gelöscht war, nicht wiedererteilt werden sollte. Diese Würdigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Frage, ob ein Verhalten eine Kündigung aus wichtigem Grunde rechtfertigt, liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum des Tatsachenrichters. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob der Begriff des wichtigen Grundes verkannt wurde. Das ist hier nicht geschehen.
Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, daß der grundlose Widerruf der Prokura oder die unberechtigte Weigerung, die Prokura zu erneuern, nachdem der Anlaß weggefallen war, der ihre Entziehung rechtfertigte, eine fristlose Kündigung begründen kann. Dem steht nicht entgegen, daß die Prokura nach § 52 HGB frei widerruflich ist (Schlegelberger-Hildebrandt, HGB, 4. Aufl., § 52 Anm. 4; Würdinger-Brüggemann, HGB, 3. Aufl., § 52 Anm. 3; Meeske, Der Prokurist, 2. Aufl., S. 111). Das angefochtene Urteil hat dabei aber mit Recht betont, daß nicht jede Weigerung, einem Angestellten Prokura zu erteilen oder die widerrufene Prokura zu erneuern, schon als Grund für eine fristlose Kündigung ausreicht. Es komme vielmehr entscheidend darauf an, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles es dem Angestellten unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis ohne Prokura fortzusetzen (ebenso schon RAG 3, 281). Hier hat das Landesarbeitsgericht solche besonderen Umstände darin gesehen, daß der Kläger, der als technischer Leiter des Betriebes der Beklagten jahrelang Prokura besessen hat, nach der Einigung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses seine frühere Tätigkeit zwar fortführen, dementgegen aber seine frühere Rechtsstellung nicht wiedererhalten sollte, was daher hier eine unzumutbare Diskriminierung bedeute.
Das Berufungsgericht hat dabei, was zur richtigen Erfassung des Begriffs des wichtigen Grundes gehört, alle Umstände berücksichtigt, die von der Beklagten dafür angeführt worden sind, daß sie zur Verweigerung der Prokura berechtigtgewesen sei. Soweit die Beklagte sich darauf berufen hat, sie habe nach der Entlassung des Klägers einem anderen Angestellten Prokura erteilt, die sie diesem nicht zugunsten des Klägers habe entziehen können, hat das angefochtene Urteil hierin mit Recht keinen durchgreifenden Einwand gesehen; denn dem Kläger konnte die Gesamtprokura, die er früher hatte, wieder erteilt werden, ohne daß dies die Stellung des inzwischen ebenfalls zum Gesamtprokuristen bestellten anderen Angestellten beeinträchtigt hätte. Das Landesarbeitsgericht hat sich ferner damit befaßt, ob die von der Beklagten behauptete Leistungsminderung des Klägers und die von ihm vorgenommene Übertragung verschiedener Aufgaben auf andere Angestellte dazu führen konnten, daß der Kläger das Verhalten der Beklagten nicht als unzumutbar empfinden durfte. Es hat dies nach den Umständen des Falles ohne Rechtsfehler verneint.
Die Revision hat hierzu als Verfahrensfehler gerügt, das Landesarbeitsgericht habe die in dem Schriftsatz der Beklagten vom 19. August 1968 angebotenen Beweise nicht erhoben, die sich auf ihre Behauptungen zu der Arbeitsleistung und Arbeitsweise des Klägers bezogen. Diese Rüge ist unbegründet, weil das Berufungsgericht diesen Vortrag als zutreffend unterstellt und berücksichtigt hat.
Die Revision meint weiter, das Landesarbeitsgericht habe es unterlassen zu prüfen, ob der Inhalt des Schreibens vom 23. Oktober 1967 die Beklagte berechtigt habe, die Prokura zu entziehen. Dabei verkennt sie, daß das Landesarbeitsgericht nicht zu prüfen hatte, ob die Beklagte die Prokura berechtigt widerrufen hat, sondern daß es darauf ankam, ob die Beklagte die Wiedererteilung der Prokura verweigern durfte, nachdem der Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich beigelegt war. Deshalb hat das Berufungsgericht das Schreiben vom 23. Oktober 1967 zutreffend nur im Rahmen des § 254 BGB gewürdigt.
3. Daß die Beklagte sich vertragswidrig verhalten hat, als sie sich weigerte, dem Kläger seine von der Kündigung innegehabte Rechtsstellung wieder einzuräumen, hat das Landesarbeitsgericht rechtlich bedenkenfrei festgestellt. Ebenso ist es nicht zu beanstanden, wenn das angefochtene Urteil bei dem festgestellten Sachverhalt ein Verschulden der Beklagten angenommen hat.
Damit sind alle Voraussetzungen erfüllt, von denen nach § 628 Abs. 2 BGB die Feststellung der Schadenersatzpflicht der Beklagten abhängt.
II. Die Anschlußrevision des Klägers, mit der er sich dagegen wendet, daß das Landesarbeitsgericht seinen Schadenersatzanspruch nur zu 80 % für begründet angesehen hat, mußte Erfolg haben.
Rechtlich zutreffend ist der Ausgangspunkt des angefochtenen Urteils, daß der Schadenersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB nach § 254 BGB ganz oder teilweise wegfallen kann, wenn der Schadenersatzberechtigte durch eigenes Verhalten den anderen Teil zu dem Verhalten veranlaßt hat, das den Grund für die fristlose Kündigung abgab (BGH AP Nr. 3 und Nr. 4 zu § 628 BGB). Dem angefochtenen Urteil kann dagegen nicht gefolgt werden, wenn es meint, der Kläger müsse sich den Inhalt des Schreibens seines Prozeßbevollmächtigten vom 23. Oktober 1967 zurechnen lassen, in dem Formulierungen gebraucht worden seien, die von der Beklagten hätten als verletzend empfunden werden können und zu ihrem Verhalten in bezug auf die Erneuerung der Prokura geführt hätten. Sicher beruht das Schreiben auf den Informationen, die der Kläger seinem Bevollmächtigten gegeben hat. Sein beleidigender Inhalt liegt jedoch in den Werturteilen, wenn der Beklagten vorgeworfen wird, sie habe aus unlauteren Motiven gehandelt und es mangele ihr an Loyalität. Für diese Äußerungen seines Rechtsanwalts braucht der Kläger nicht einzustehen, weil er sich darauf verlassen durfte, daß sein Bevollmächtigter seine Interessen wahrnahm und ihnen nicht zuwiderhandelte, indem er die Beklagte, bei der der Kläger damals verbleiben wollte, beleidigte. Es kann dahingestellt bleiben, ob etwas anderes dann gelten würde, wenn der Kläger auf diesen Formulierungen bestanden hätte oder sie zur Kenntnis genommen und gebilligt hätte, bevor das Schreiben an die Beklagte abgesandt wurde. Denn ein solcher Sachverhalt ist von der Beklagten nicht behauptet worden; vielmehr ist das Schreiben erst einige Tage nach dem Besuch des Klägers bei seinem Prozeßbevollmächtigten verfaßt und abgesandt worden.
Auf Grund dieser Erwägungen war eine Minderung der Schadenersatzpflicht der Beklagten nach § 254 BGB zu verneinen. Dies führt dazu, das Urteil des Arbeitsgerichts, das der Klage in vollem Umfange entsprochen hat, wieder herzustellen.
Unterschriften
gez. Dr. König, Wichmann, Dr. Thomas, von Lossau, Kerrmann
Fundstellen
Haufe-Index 1454388 |
NJW 1971, 822 |
Nachschlagewerk BGH |