Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. erfolgloser Bewerber. Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Zeitpunkt der Mitteilung der Schwerbehinderung. Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch. Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung
Leitsatz (amtlich)
Der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die Vermutung der Benachteiligung eines erfolglosen schwerbehinderten Bewerbers wegen der Schwerbehinderung nach § 22 AGG regelmäßig nur begründen, wenn der Bewerber den Arbeitgeber rechtzeitig über seine Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt hat.
Orientierungssatz
1. Der objektive Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung aus § 82 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF, schwerbehinderte Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, kann die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung iSv. § 22 AGG nur dann begründen, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers/der Bewerberin bekannt war oder er diese kennen musste (Rn. 33).
2. Will ein Bewerber seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen, muss er den (potentiellen) Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht ausnahmsweise bereits über diese Information verfügt (Rn. 33).
3. Der Bewerber muss den Arbeitgeber zudem „rechtzeitig” über die bestehende Schwerbehinderung informieren. Um rechtzeitig zu sein, muss die Information über die Schwerbehinderung regelmäßig in der Bewerbung, sofern eine Bewerbungsfrist gesetzt ist, jedenfalls bis zum Ablauf dieser Frist gegeben werden (Rn. 36).
4. Ausnahmsweise kann eine spätere Mitteilung der Schwerbehinderung ausreichend sein. Dies setzt aber voraus, dass es dem Arbeitgeber im Einzelfall unter Berücksichtigung seines Interesses an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahrens und an einer zügigen Entscheidung über die Besetzung der Stelle(n) noch zumutbar ist, den zugunsten schwerbehinderter Menschen bestehenden Verfahrens- und/oder Förderpflichten nachzukommen (Rn. 39).
Normenkette
GG Art. 1, 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 33 Abs. 2; AGG §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 1-2, § 22; BGB § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 823 Abs. 1; SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX aF) § 81 Abs. 1 S. 4; SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX aF) § 81 Abs. 2; SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX aF) § 82; SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX aF) § 93; SGB IX in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung (SGB IX nF) § 164 Abs. 1 S. 4; SGB IX in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung (SGB IX nF) § 164 Abs. 2; SGB IX in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung (SGB IX nF) § 165; SGB IX in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung (SGB IX nF) § 176
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 14.08.2019; Aktenzeichen 10 Sa 725/18) |
ArbG Rosenheim (Urteil vom 04.09.2018; Aktenzeichen 1 Ca 204/18) |
Fundstellen
Haufe-Index 14429667 |
BAGE 2022, 288 |
DB 2021, 6 |
NJW 2021, 1558 |
FA 2021, 174 |
NZA 2021, 631 |
ZTR 2021, 414 |
AP 2021 |
EzA-SD 2021, 13 |
EzA 2022 |
MDR 2021, 759 |
RiA 2021, 207 |
br 2021, 167 |
öAT 2021, 124 |
ArbRB 2021, 133 |
ArbR 2021, 274 |
GV/RP 2022, 19 |
GWR 2021, 338 |
NJW-Spezial 2021, 275 |