Entscheidungsstichwort (Thema)
Verschulden bei Arbeitnehmerhaftung. betrieblich veranlaßte Tätigkeit. Schadensersatz
Leitsatz (amtlich)
Ein vorsätzlicher Pflichtverstoß führt nur dann zur vollen Haftung des Arbeitnehmers, wenn auch der Schaden vom Vorsatz erfaßt ist.
Orientierungssatz
- Eine “Spaßfahrt” des Auszubildenden mit einem Gabelstapler im Betrieb ist nicht betrieblich veranlaßt und haftungsrechtlich nicht privilegiert.
- Im Ausbildungsverhältnis gelten keine anderen Haftungsgrundsätze als im Arbeitsverhältnis.
- Bei grober Fahrlässigkeit ist eine Haftungserleichterung zugunsten des Arbeitnehmers/Auszubildenden nicht ausgeschlossen.
- Die Gründe, die eine Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers rechtfertigen, tragen auch eine Erstreckung des Verschuldens auf den Schaden. Ein vorsätzlicher Pflichtverstoß führt deshalb allein noch nicht zur vollen Haftung. Der Vorsatz muß sich auch auf den Schaden beziehen.
Normenkette
BGB § 276 a.F., §§ 277, 254; ZPO § 551 Nr. 7 a.F.; Manteltarifvertrag für den Einzelhandel des Landes Thüringen gültig ab 1. Juni 1998 § 18
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 18. Januar 2001 – 3 Sa 289/00 – aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche wegen eines Unfalls mit einem Gabelstapler auf dem Betriebsgelände der Klägerin.
Der am 21. Dezember 1981 geborene Beklagte war bei der Klägerin, einem Einzelhandelsbetrieb, vom 1. September 1997 bis 31. August 1999 als Auszubildender für den Beruf des Verkäufers mit einer im ersten Ausbildungsjahr 600,00 DM netto betragenden Ausbildungsvergütung beschäftigt.
Im Rahmen der Ausbildung war der Beklagte auch im Lager tätig. Dort befindet sich ein Gabelstapler, der von den ausgebildeten Mitarbeitern zum Warentransport genutzt wird. Der Beklagte besaß weder einen Führerschein für das Fahrzeug, noch war er in die Bedienung des Gabelstaplers eingewiesen worden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten ausdrücklich untersagt worden, mit dem Gabelstapler zu fahren. Anfang Mai 1998 stieß der – damals rund 16 ½ Jahre alte – Beklagte mit dem Gabelstapler beim Ausfahren aus der Lagerhalle mit den zwei hochgefahrenen Gabeln gegen das nicht vollständig geöffnete Sektionaltor und beschädigte zwei Segmente sowie die Zugeinrichtungsteile des Tores. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß das Tor keine Vorschäden aufwies. Wegen des entstandenen Schadens von 6.900,00 DM machte die Klägerin mit Schreiben vom 11. März 1999 gegenüber dem Beklagten Ersatzansprüche erfolglos geltend. Diese Ansprüche verfolgt sie mit der Klage weiter.
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte habe sich über das Verbot, mit dem Gabelstapler zu fahren, vorsätzlich hinweggesetzt und durch Unachtsamkeit das Sektionaltor sowie die Zugeinrichtungsteile erheblich beschädigt. Am Unfalltag sei der Beklagte weder beauftragt worden einen Lastkraftwagen abzuladen, noch habe sich im Unfallzeitpunkt ein mit Fahrrädern beladener Lastkraftwagen vor dem Lager befunden. Eine Haftungsbeschränkung kommt nach Auffassung der Klägerin in Anbetracht der vorsätzlichen Handlungen des Beklagten nicht in Frage. Sie hat vorgetragen, zwischen dem Angestellten L und dem Vater des damals noch nicht volljährigen Beklagten habe es in der Folgezeit ein Gespräch gegeben, in dem vereinbart worden sei, daß der Beklagte den eingetretenen Schaden ersetze. Die Klägerin habe auch nicht anläßlich der Kündigungsrücknahme im Verfahren 3 Ca 103/99 und der Erklärung, aus der Kündigung keinerlei Rechte herleiten zu wollen, auf den Schadensersatzanspruch verzichtet. Schließlich meint die Klägerin, der Anspruch sei auch nicht nach dem Manteltarifvertrag verfallen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.900,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 25. März 1999 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet, am Unfalltag habe sich auf dem Firmengelände ein mit Fahrrädern beladener Lastkraftwagen befunden. Er habe von Frau L – einer Mitarbeiterin der Klägerin im Bereich Sekretariat/Buchhaltung – die Anweisung bekommen, diesen mit Fahrrädern beladenen Lastkraftwagen abzuladen. Inwieweit Frau L zur Abgabe dieser Arbeitsanweisung legitimiert gewesen sei, entziehe sich seiner Kenntnis. In der Praxis sei es – was zwischen den Parteien unstreitig ist – so gewesen, daß alle Mitarbeiter der Klägerin ihm Anweisungen erteilt hätten. Nachdem der Beklagte die abzuladenden Fahrräder besichtigt und gesehen habe, daß diese einzeln in Kartons verpackt und in bestimmten Anzahlen auf Paletten zusammengefügt gewesen seien, sei angesichts des Gewichts nur ein Abladen mit dem Gabelstapler in Betracht gekommen. Der Beklagte hat behauptet, eine Verpflichtung zum Schadensersatz sei auch nicht von seinem Vater anerkannt worden. Im übrigen sei der Anspruch verfallen; die Klägerin habe außerdem anläßlich der Rücknahme der Kündigung auf seine Geltendmachung verzichtet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage iHv. 1.725,00 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin und die Anschlußberufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin vollen Schadensersatz.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
Unterschriften
Hauck, Dr. Wittek, Laux, Brückmann, Heydenreich
Fundstellen
BAGE 2003, 107 |
BB 2002, 2288 |
BB 2003, 528 |
DB 2002, 2050 |
NJW 2003, 377 |
NWB 2002, 1343 |
BuW 2002, 1050 |
ARST 2002, 214 |
ARST 2003, 36 |
EWiR 2002, 1073 |
FA 2002, 216 |
FA 2002, 330 |
FA 2002, 347 |
IBR 2002, 699 |
NZA 2003, 37 |
SAE 2003, 157 |
ZIP 2002, 1909 |
ZTR 2003, 149 |
AP, 0 |
AuA 2002, 278 |
AuA 2002, 517 |
EzA-SD 2002, 4 |
EzA-SD 2002, 5 |
EzA |
JA 2003, 441 |
JuS 2003, 510 |
MDR 2002, 1439 |
NJ 2002, 668 |
PERSONAL 2002, 50 |
VersR 2003, 736 |
ZMV 2002, 140 |
ZfPR 2002, 309 |
AUR 2002, 224 |
AUR 2002, 396 |
ArbRB 2002, 327 |
RdW 2003, 88 |
AuS 2002, 57 |
BAGReport 2002, 370 |
GdWZ 2002, 220 |
JT 2004, 31 |
LL 2003, 172 |
PP 2002, 22 |
SPA 2002, 3 |