Entscheidungsstichwort (Thema)
Masseunzulänglichkeit. Neumasseverbindlichkeit. Beschäftigte mit Sonderkündigungsschutz. erstmöglicher Termin zur Kündigung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. unwirksame vorzeitige Kündigung
Orientierungssatz
Will der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zur Vermeidung von Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 Nr. 2 InsO eine Nachkündigung erklären und verweigert das Integrationsamt die nach § 168 SGB IX erforderliche Zustimmung, weil über die Wirksamkeit einer früheren Kündigung noch nicht rechtskräftig entschieden sei, ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, gegen den Ablehnungsbescheid die rechtlich vorgesehenen Rechtsbehelfe einzulegen. Bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die erforderliche Zustimmung zur Kündigung besteht ein rechtliches Hindernis für die Nachkündigung, das den Termin der von § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO verlangten erstmöglichen Kündigung hinausschiebt.
Normenkette
InsO § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2; SGB IX § 168
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Oktober 2016 – 7 Sa 76/16 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die insolvenzrechtliche Einordnung von Annahmeverzugsansprüchen.
Die Klägerin war seit 2001 bei dem späteren Schuldner, der bundesweit zahlreiche Drogeriegeschäfte betrieb, zuletzt als Filialleiterin zu einem Brutto-monatsentgelt iHv. 2.344,80 Euro beschäftigt. Sie hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 und ist schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Über das Vermögen des Schuldners wurde am 28. März 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser stellte die Klägerin zum 1. Juli 2012 von der Arbeitsleistung frei.
Der Beklagte zeigte am 31. August 2012 die drohende Masseunzulänglichkeit an. Bereits zuvor hatte er das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich mit Schreiben vom 6. August zum 30. November 2012 gekündigt. Diese Kündigung wurde mit Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 7. März 2013 (– 4 Ca 1223/12 –) rechtskräftig für unwirksam erklärt. Das Arbeitsverhältnis endete am 30. November 2013 nach einer weiteren, am 28. August zum 30. November 2013 erklärten Kündigung des Beklagten aufgrund eines im dagegen angestrengten Kündigungsschutzprozess geschlossenen Vergleichs.
Mit ihrer am 8. Juni 2015 erhobenen Klage verlangt die Klägerin Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 1. Februar bis 30. November 2013 abzüglich erhaltenen Arbeitslosengelds in rechnerisch unstreitiger Höhe.
Sie hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei rechtlich nicht gehindert gewesen, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit im Laufe des Monats Oktober 2012 die formalen Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung, die zum 31. Januar 2013 hätte erklärt werden können, herbeizuführen. Er habe diese Möglichkeit versäumt, so dass die vom 1. Februar 2013 an bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandenen Annahmeverzugsansprüche Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO seien.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 23.448,00 Euro brutto abzüglich der auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche iHv. 12.468,00 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 8. Juni 2015 zu zahlen.
Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO zwinge den Insolvenzverwalter zur Vermeidung von Neumasseverbindlichkeiten nur, ein zum erstmöglichen Termin nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige noch nicht gekündigtes Arbeitsverhältnis zu diesem Termin zu kündigen. Eine rechtzeitige Kündigung könne bereits vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgen. Es bestehe dann kein ungekündigtes Arbeitsverhältnis mehr. Auf die Wirksamkeit dieser Kündigung könne sich der Insolvenzverwalter verlassen.
Die Vorinstanzen haben der Zahlungsklage stattgegeben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte unter Vertiefung seiner rechtlichen Argumentation weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben mit Recht angenommen, dass die geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche als Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO zu berichtigen sind.
I. Die Klage ist zulässig. Ihr liegt die Annahme zugrunde, die streitbefangenen Ansprüche seien Neumasseverbindlichkeiten iSv. §§ 53, 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO, die nicht den Vollstreckungsverboten des § 210 InsO und des § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO unterfallen. Ergibt die rechtliche Prüfung, dass die erhobene Forderung tatsächlich im Rang einer Altmasseverbindlichkeit steht, ist die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet (zuletzt BAG 23. März 2017 – 6 AZR 264/16 – Rn. 13 mwN, BAGE 158, 376). Auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht. Der Beklagte hat den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Weg der Feststellungsklage verfolgen können, nicht erhoben (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 264/16 – aaO).
II. Die Klage ist begründet. Die streitbefangenen, rechnerisch unstreitigen Ansprüche auf Zahlung des Entgelts vom 1. Februar bis zum 30. November 2013 aus §§ 611, 615 BGB sind für die Zeit nach dem 31. Januar 2013 als dem ersten Termin, zu dem der Beklagte aufgrund der mit der Revision nicht angegriffenen Feststellung des Landesarbeitsgerichts unter Beteiligung des Integrationsamts nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte, entstanden. Sie sind daher so zu behandeln, als wären sie vom Beklagten nach der Anzeige neu begründet worden. Unerheblich ist, dass der Beklagte mit der Kündigung vom 6. August 2012 vergeblich versucht hat, das Arbeitsverhältnis vor dem 31. Januar 2013 zu beenden. Diese Kündigung war zwar rechtzeitig iSv. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO erklärt. Gleichwohl gelten die Annahmeverzugsansprüche, die für die Zeit nach dem erstmöglichen Kündigungstermin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind, gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO als Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, weil die Kündigung unwirksam war.
1. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 22. Februar 2018 (– 6 AZR 868/16 –) ausführlich begründet, dass der Insolvenzverwalter von einer weiteren (vorsorglichen) Kündigung zum erstmöglichen Kündigungstermin nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit absehen kann, wenn er oder der Schuldner das Arbeitsverhältnis bereits vor der Anzeige gekündigt hat und er davon ausgeht, die bereits erklärte Kündigung werde das Arbeitsverhältnis zum selben oder einem früheren Zeitpunkt beenden, als es die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erstmögliche Kündigung könnte (vorzeitige Kündigung). Der Senat hat weiter ausgeführt, dass der Insolvenzverwalter bei einem solchen Vorgehen das Risiko trägt, dass die vorzeitige Kündigung wie im vorliegenden Fall unwirksam ist. Dann sind die Annahmeverzugsansprüche, die nach Ablauf der Kündigungsfrist der erstmöglichen Kündigung entstanden sind, die nach der Anzeige hätte erklärt werden können, Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf das Urteil vom 22. Februar 2018 (– 6 AZR 868/16 – Rn. 11 ff.) Bezug und sieht von weiteren Ausführungen ab.
2. Soweit der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat vortragen lassen, Integrationsämter stimmten einer Nachkündigung schwerbehinderter Menschen nicht zu, solange über die Wirksamkeit einer früheren Kündigung nicht rechtskräftig entschieden sei, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung mehr finden kann. Darüber hinaus wäre der Insolvenzverwalter verpflichtet, gegen einen Bescheid, der die Zustimmung zu einer vom Verwalter für erforderlich gehaltenen, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu erklärenden Nachkündigung versagt, die rechtlich möglichen Rechtsbehelfe einzulegen. In der Zeit bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung besteht ein rechtliches Hindernis für die Nachkündigung, das den Termin der von § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO verlangten erstmöglichen Kündigung hinausschiebt.
3. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass der Beklagte an dem von ihm im Interessenausgleich vom 28. Juni 2012 erklärten Verzicht auf die tarifliche Ausschlussfrist festzuhalten sei und es der Klägerin nicht verwehrt sei, sich auf diesen Verzicht zu berufen. Diese Ausführungen greift die Revision nicht an.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Fischermeier, Spelge, Heinkel, D. KnaußAugat
Fundstellen
Haufe-Index 11659032 |
BB 2018, 1139 |