Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung nach dem TV Soziale Absicherung. Arbeitsplatzangebot nach Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitnehmer hat nach § 4 Abs. 5a des Tarifvertrags zur sozialen Absicherung vom 06.07.1992 i.d.F. v. 31.01.2003 nur dann keinen Abfindungsanspruch wegen einer selbst zu vertretenden Kündigung, wenn er ein hinreichend konkretes Weiterbeschäftigungsangebot des Arbeitgebers ausgeschlagen hat.
Normenkette
Tarifvertrag zur sozialen Absicherung v. 06.07.1992 Fassung: 2003-01-31
Verfahrensgang
LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2007; Aktenzeichen 4 Sa 435/06) |
ArbG Magdeburg (Urteil vom 13.08.2003; Aktenzeichen 5 (6) Ca 945/03) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Juli 2007 – 4 Sa 435/06 – im Kostenpunkt aufgehoben. Die Kosten der ersten Instanz hat die Klägerin zu tragen. Von den Kosten der zweiten Instanz haben die Klägerin 77 Prozent, die Beklagte 23 Prozent zu tragen. Von den Kosten des Revisionsverfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht mit dem Aktenzeichen – 8 AZR 338/04 – haben die Klägerin 78 Prozent, die Beklagte 22 Prozent zu tragen.
2. Im Übrigen wird die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Juli 2007 – 4 Sa 435/06 – zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der erneuten Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten noch über eine Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 idF vom 31. Januar 2003 (nachfolgend: TV Soziale Absicherung).
Rz. 2
Die Klägerin war bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der TV Soziale Absicherung Anwendung. Dieser enthält ua. die folgenden Regelungen:
“Vorbemerkungen
Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass bei erforderlichen Umstrukturierungen die Sicherung von Beschäftigungsmöglichkeiten sowie die Qualifizierung der Arbeitnehmer unter Nutzung aller bestehenden Möglichkeiten Vorrang hat gegenüber Entlassungen und den damit verbundenen Maßnahmen zur sozialverträglichen Abfederung.
…
§ 4 Abfindung
(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis aus Gründen des Personalabbaus entweder gekündigt oder durch Auflösungsvertrag beendet wird, erhält eine Abfindung.
…
(5) Eine Abfindung steht nicht zu, wenn
a) die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund (z.B. Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes, es sei denn, daß ihm die Annahme nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann) erfolgt ist oder
…
(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT-Ostdeutsche Sparkassen/BAT ein und ist die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.
(7) Absatz 6 gilt entsprechend, wenn innerhalb des gleichen Zeitraums ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht.”
Rz. 3
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis vor dem Hintergrund eines im Stadtrat beschlossenen Personalabbaus mit Schreiben vom 3. März 2003 zum 30. September 2003. Im Kündigungsschreiben heißt es:
“…
Nach Vergabe der Leistungen, voraussichtlich im Mai 2003, wird Ihnen ein Weiterbeschäftigungsangebot bei einem privaten Dienstleister unterbreitet. Sofern Sie das Angebot annehmen, werde ich die Kündigung zurücknehmen. In diesem Fall wird Ihr Arbeitsverhältnis durch Personalüberleitungsvertrag mit den beschäftigungssichernden Folgen des § 613a BGB auf den privaten Anbieter übergeleitet.
…”
Rz. 4
Ein von der Beklagten nach der Kündigung mit Schreiben vom 19. Mai 2003 unterbreitetes Angebot auf Abschluss eines Personalüberleitungsvertrags mit einem privaten Dienstleister lehnte die Klägerin ab. Sie verlangt nunmehr von der Beklagten die Zahlung einer der Höhe nach unstreitigen Abfindung nach § 4 TV Soziale Absicherung.
Rz. 5
Die Klägerin hat – soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse – beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Abfindung in Höhe von 4.875,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Februar 2006 zu zahlen.
Rz. 6
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, der Klägerin stehe keine Abfindung zu, weil sie ein Arbeitsplatzangebot abgelehnt habe. § 4 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung setze weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Zweck eine bestimmte zeitliche Abfolge zwischen der Kündigungserklärung und der Ablehnung eines anderen Arbeitsplatzes durch den Arbeitnehmer voraus.
Rz. 7
Das Arbeitsgericht hat der zunächst erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben und über den hilfsweise geltend gemachten Abfindungsanspruch in Höhe von 18.200,00 Euro nicht entschieden. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage der Klägerin abgewiesen und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung über den hilfsweise erhobenen Abfindungsanspruch sowie über die Kosten jenes Revisionsverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen (– 8 AZR 338/04 –). Vor dem Landesarbeitsgericht hat die Klägerin daraufhin ihren Abfindungsanspruch nur noch in Höhe von 4.875,00 Euro weiterverfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte sodann antragsgemäß verurteilt und der Klägerin 2/3 sowie der Beklagten 1/3 der Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
I. Die Revision der Beklagten ist im Wesentlichen nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 4.875,00 Euro brutto. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war allerdings im Kostenpunkt aufzuheben und die Kostenverteilung neu vorzunehmen.
Rz. 9
1. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 TV Soziale Absicherung liegen vor. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde aus Gründen des Personalabbaus gekündigt. Die Höhe der Abfindung steht zwischen den Parteien nicht im Streit.
Rz. 10
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Abfindungsanspruch der Klägerin nicht deshalb gem. § 4 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung ausgeschlossen, weil die Klägerin das auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei dem privaten Dienstleister gerichtete Angebot der Beklagten abgelehnt hat.
Rz. 11
a) Nach § 4 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung steht dem Arbeitnehmer eine Abfindung nicht zu, wenn die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund (zB Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes, es sei denn, dass ihm die Annahme nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann) erfolgt ist. Nach dem Wortlaut dieser Tarifnorm muss das Arbeitsplatzangebot der Kündigung zeitlich vorangegangen sein. Nur dann kann die Kündigung aufgrund der Ablehnung des Angebots aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund “erfolgt” sein. Die Kündigung muss zu der vom Arbeitnehmer zuvor erklärten Ablehnung des Arbeitsplatzangebots in einem Kausalzusammenhang stehen (Senat 15. Juli 1999 – 6 AZR 695/07 – ZTR 2000, 227). Erfolgt das Arbeitsplatzangebot und dessen Ablehnung erst zeitlich nach der Kündigungserklärung, fehlt dieser Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung des Angebots und der Kündigung. Dies gilt unabhängig davon, ob sich das Angebot auf einen Arbeitsplatz beim bisherigen Arbeitgeber oder bei einem Dritten bezieht (vgl. dazu Senat 21. April 2005 – 6 AZR 361/04 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 42).
Rz. 12
b) Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Abfindungsanspruch nach § 4 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung nur ausgeschlossen ist, wenn die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer “zu vertretenden Grund” erfolgt. Der Arbeitnehmer hat die Ablehnung eines angebotenen Arbeitsplatzes nur dann zu vertreten, wenn ihm ein hinreichend bestimmtes Angebot gemacht wurde. Nur wenn der Arbeitnehmer weiß, wer der neue Arbeitgeber sein wird und zu welchen Bedingungen die Weiterbeschäftigung erfolgen soll, kann ihm vorgeworfen werden, den Grund für die Kündigung schuldhaft (§ 276 Abs. 1 BGB) herbeigeführt zu haben. Die vage Ankündigung einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit genügt hierfür nicht. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten ist mit dem Wortlaut der Tarifbestimmung nicht vereinbar.
Rz. 13
c) Entgegen der Auffassung der Beklagten bezweckt § 4 Abs. 5 Buchst. a TV Soziale Absicherung nicht, Abfindungsansprüche generell auszuschließen, wenn der Arbeitnehmer im Anschluss an das bisherige Arbeitsverhältnis eine zumutbare soziale Absicherung aus einem neuen Arbeitsverhältnis hätte erlangen können. Der tarifliche Gesamtzusammenhang macht vielmehr deutlich, dass der Abfindungsanspruch nur dann ausgeschlossen ist, wenn einer der tariflich normierten Ausschlusstatbestände vorliegt. Diese erfassen keineswegs alle denkbaren Konstellationen einer wirtschaftlichen Absicherung des Arbeitnehmers nach erfolgter Kündigung. Scheidet etwa der Arbeitnehmer aus dem öffentlichen Dienst aus und begründet er im Anschluss daran auf eigene Initiative ein Arbeitsverhältnis bei einem privaten Arbeitgeber, führt dies mangels eines entsprechenden Ausschlusstatbestands nicht zu einem Ausschluss des Abfindungsanspruchs, obwohl der Arbeitnehmer wirtschaftlich abgesichert ist. Nur unter den in § 4 Abs. 6 TV Soziale Absicherung genannten Voraussetzungen, dh. Weiterbeschäftigung bei einem Arbeitgeber iSd. § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT-Ostdeutsche Sparkassen/BAT, verringert sich die Abfindung nach den in § 4 Abs. 6 TV Soziale Absicherung im Einzelnen aufgeführten Maßgaben. Weiter ist zu berücksichtigen, dass gem. § 4 Abs. 7 TV Soziale Absicherung der Abfindungsanspruch nicht ausgeschlossen ist, wenn das Rentenstammrecht des Arbeitnehmers bereits vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden ist. Der Arbeitnehmer, der bereits vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf eine gesetzliche Rente hat, verliert daher den tariflichen Abfindungsanspruch nicht schon deshalb, weil eine anderweitige soziale Absicherung besteht (Senat 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94 – BAGE 80, 158).
Rz. 14
d) Das Vorgehen der Beklagten steht auch nicht im Einklang mit dem in der Vorbemerkung des TV Soziale Absicherung formulierten übergreifenden Ziel des Tarifvertrags, bei den erforderlichen Umstrukturierungen Beschäftigungsmöglichkeiten vorrangig gegenüber Entlassungen und den damit verbundenen Maßnahmen zur sozialverträglichen Abfederung zu prüfen. Durch die Kündigung hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis beendet, ohne zuvor entsprechend der tarifvertraglichen Zielsetzung anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten geklärt und dem Arbeitnehmer zur Vermeidung der Entlassung Arbeitsplatzangebote unterbreitet zu haben.
Rz. 15
e) Das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der Ablehnung eines angebotenen Arbeitsplatzes und der nachfolgenden Kündigung führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu einem Wahlrecht des Arbeitnehmers zwischen einem Abfindungsanspruch und einem anderen Arbeitsplatz. Hätte die Beklagte der Klägerin den Arbeitsplatz bei dem privaten Reinigungsunternehmen vor der Kündigung angeboten, hätte der Klägerin kein Anspruch auf eine Abfindung zugestanden (vgl. Senat 21. April 2005 – 6 AZR 361/04 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 42).
Rz. 16
3. Die Ablehnung des Arbeitsplatzangebots durch die Klägerin war nicht rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB). Die Klägerin war nicht verpflichtet, den ihr nach der Kündigung angebotenen Arbeitsplatz anzunehmen, um der Beklagten die Zahlung der tariflichen Abfindung zu ersparen. Die Beklagte übersieht, dass sie es in der Hand gehabt hätte, mit der Kündigung bis zur Klärung der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten zu warten und der Klägerin vor der Kündigung den Arbeitsplatz bei dem Dienstleister anzubieten. In diesem Falle hätte der Klägerin kein Abfindungsanspruch zugestanden (vgl. Senat 21. April 2005 – 6 AZR 361/04 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 42).
Rz. 17
4. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 BGB.
Rz. 18
II. Bei der Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Parteien in den einzelnen Rechtszügen unterschiedlich obsiegt haben. Da die Kündigungsschutzklage rechtskräftig abgewiesen wurde und das Arbeitsgericht nur hierüber entschieden hatte, hat die Klägerin die Kosten des ersten Rechtszugs voll zu tragen. Im Hinblick auf das Berufungsverfahren war zu berücksichtigen, dass das weitere Berufungsverfahren nach Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Bundesarbeitsgericht mit dem vorangegangenen Berufungsverfahren einen Rechtszug bildet (§ 37 GKG). Wegen der im zweiten Rechtszug erfolgten teilweisen Klagerücknahme sowie des Unterliegens hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags ergibt sich für das Berufungsverfahren eine Kostenquote von 77 Prozent zulasten der Klägerin und 23 Prozent zulasten der Beklagten (§ 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 21 Abs. 1 RVG). Von den Kosten des Revisionsverfahrens mit dem Aktenzeichen – 8 AZR 338/04 – hat die Klägerin 78 Prozent und die Beklagte 22 Prozent zu tragen, nachdem das Bundesarbeitsgericht mit der Zurückverweisung wegen des Abfindungsanspruchs auch über den Hilfsantrag entschieden hatte (§ 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO). Die Kosten des vorliegenden Revisionsverfahrens hat die Beklagte gem. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen; das teilweise Obsiegen im Kostenpunkt ändert daran nichts (vgl. BGH 11. Juni 1992 – I ZR 226/90 – NJW 1992, 2969).
Unterschriften
Fischermeier, Linck, Spelge, Jerchel, Augat
Fundstellen